Der Bundesrat hat in seiner 924. Sitzung am 11. Juli 2014 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt das Bestreben der Kommission, die Aktionäre börsennotierter Unternehmen durch vereinfachte Stimmrechtsausübung und Gewährung von Kontroll- und Informationsrechten stärker in die Unternehmen einzubeziehen, um eine langfristige und nachhaltige Unternehmensleistung zu erreichen.
- 2. Er begrüßt die Absicht der Kommission, die Vergütungspolitik und die tatsächliche Vergütung der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften transparenter zu gestalten mit dem Ziel, Vergütung und Leistung der Mitglieder der Unternehmensleitung besser miteinander zu verknüpfen.
- 3. Der Richtlinienvorschlag sieht vor, dass künftig die Aktionäre über die Höhe der Vergütung der Unternehmensleitung entscheiden sollen. Diesem Ansatz liegt die Einschätzung der Kommission zu Grunde, dass Aktionäre diese Kontrolle über die Höhe der Vergütung der Unternehmensleitung mit dem Ziel ausüben, die Vorstandsmitglieder zu Unternehmensentscheidungen zu veranlassen, die auf nachhaltigen und langfristigen Unternehmenserfolg ausgerichtet sind.
Diese Einschätzung teilt der Bundesrat nicht. Nach Auffassung des Bundesrates sollte die Entscheidung über die Vergütung nicht allein auf die Aktionäre übertragen werden, denn das Ziel der Aktionäre ist oftmals nicht die langfristige Perspektive des Unternehmens. Ein Großteil der Aktionäre wird vielmehr ein erhebliches Interesse an einem kurzfristigen Unternehmenserfolg haben, um in kurzer Zeit größtmögliche Rendite zu erzielen. Für das Erreichen einer langfristigen und nachhaltigen Unternehmensleistung sind nach Auffassung des Bundesrates neben den Anteilseignern sämtliche Interessenträger (Stakeholder) der Gesellschaft einschließlich der Beschäftigten auf allen Ebenen innerhalb des Unternehmens von maßgeblicher Bedeutung, die bei der Entscheidung über die Kontrolle der Vorstandsvergütung zu berücksichtigen sind.
Im Einzelnen sieht der Bundesrat deshalb noch folgenden Nachbesserungsbedarf:
- 4. Der Richtlinienvorschlag sieht vor, dass die Aktionäre einer börsennotierten Gesellschaft über die vom Aufsichtsrat ausgearbeitete Vergütungspolitik verbindlich abstimmen (Artikel 9a Absatz 1). Die Kommission beabsichtigt damit, den Aktionären eine bessere Überwachung der Vergütung der Unternehmensleitung zu ermöglichen.
Im dualistischen Modell der Unternehmensleitung wird der Aufsichtsrat von den Aktionären in der Hauptversammlung gewählt und handelt deshalb als Vertreter der Aktionäre. In dieser Eigenschaft entwickelt und beschließt der Aufsichtsrat im Interesse der Aktionäre die Parameter der Vorstandsvergütung. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass mit diesem Modell auch eine hinreichende Vertretung der Aktionäre sichergestellt ist. Einer darüber hinausgehenden Genehmigung der Vergütungsstruktur durch die Aktionäre in der Hauptversammlung bedarf es nicht. Der Bundesrat lehnt die in dem Richtlinienvorschlag enthaltene verbindliche Entscheidung der Aktionäre in der Hauptversammlung über die Vergütungspolitik ab.
- 5. Das bestehende Vergütungsmodell bei börsennotierten Gesellschaften, wonach allein der Aufsichtsrat die Vergütungsstruktur entwickelt und beschließt, hat sich in der Praxis bei börsennotierten Gesellschaften im dualistischen System bewährt. Nach einzelnen nationalen Regelungen sind - abhängig von der Beschäftigtenzahl der Gesellschaft - zwingend auch Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat zu entsenden.
Diese Regelung sichert die aus Sicht des Bundesrates notwendige Interessenvertretung der Beschäftigten des Unternehmens, die einen maßgeblichen Anteil zum Unternehmenserfolg beitragen. Zudem gewährleistet sie die gesamtbetriebliche Akzeptanz der Höhe der Vergütung der Unternehmensleitung. Diese Interessenwahrung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird nachdrücklich geschwächt, wenn der Aufsichtsrat nicht mehr verbindlich die Vergütungsstruktur beschließen kann.
- 6. Nach dem Richtlinienvorschlag soll in der Vergütungspolitik das Verhältnis der durchschnittlichen Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung zur durchschnittlichen Vergütung der Vollzeitbeschäftigten des Unternehmens, die nicht zur Unternehmensleitung gehören, dargelegt werden. Hierzu soll die Vergütungspolitik erklären, warum dieses Verhältnis als angemessen betrachtet wird und wie die Vergütungs- und Beschäftigungsbedingungen der Beschäftigten des Unternehmens in die Festlegung der Politik oder der Vergütung der Unternehmensleitung eingeflossen sind (Artikel 9a Absatz 3).
Der Bundesrat begrüßt die Verpflichtung, die Einkommen der Beschäftigten und der Unternehmensleitung ausdrücklich in der Vergütungsstruktur aufzuführen und ins Verhältnis zu setzen, um ein Bewusstsein für die Relationen der Einkommen aller Beschäftigten im Unternehmen zu schaffen.
- 7. Um die Höhe der Vergütung des Unternehmensmanagements nicht vollkommen von den übrigen Beschäftigten zu entkoppeln und um im gesamten Unternehmen die Akzeptanz hierfür zu erhalten, ist aber eine feste Anbindung der Vergütung der Führungskräfte an die übrige Bezahlung der Beschäftigten im Unternehmen ein geeignetes und wirksames Mittel. Eine solche feste Verknüpfung sieht der Richtlinienvorschlag aber nicht vor.
Der Bundesrat spricht sich deshalb dafür aus, dass der Aufsichtsrat eine strikt einzuhaltende Höchstgrenze für das Verhältnis der durchschnittlichen Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung und der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Unternehmens zu beschließen hat, die nicht überschritten werden darf.
- 8. Der Richtlinienvorschlag sieht in Artikel 9a Absatz 3 weiter vor, dass in Ausnahmefällen die Angabe des Verhältnisses von durchschnittlicher Vergütung der Unternehmensleitung zur Vergütung der Beschäftigten entfallen kann. Die unterlassene Angabe muss dann aber begründet werden.
Nach der oben dargelegten Auffassung des Bundesrates soll der Aufsichtsrat eine strikt einzuhaltende Höchstgrenze für das Verhältnis der durchschnittlichen Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung und der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Unternehmens beschließen, die nicht überschritten werden darf. Schon aufgrund dieser Empfehlung ist das Verhältnis der durchschnittlichen Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung zur durchschnittlichen Vergütung der Vollzeitbeschäftigten des Unternehmens, die nicht zur Unternehmensleitung gehören, zwingend und ausnahmslos anzugeben.
- 9. Nach dem Richtlinienvorschlag soll die Vergütungspolitik klare Kriterien für die Gewährung der festen und variablen Bestandteile der Vergütung der Unternehmensleitung einschließlich sämtlicher Vorteile in jeglicher Form festlegen. Das Verhältnis von variablen und festen Vergütungsbestandteilen ist anzugeben (Artikel 9a Absätze 2 und 3). Die Anordnung eines Höchstverhältnisses zwischen fixen und variablen Vergütungsbestandteilen ist nicht vorgesehen.
Der Bundesrat befürchtet, dass gerade variable Vergütungsbestandteile bei Vorstandsmitgliedern einen Anreiz für eine besondere Risikobereitschaft und kurzfristige Unternehmensentscheidungen mit hoher Renditeerwartung setzen können. Diese Risikobereitschaft widerspricht aber der Zielsetzung der Kommission, die langfristige und nachhaltige Wertentwicklung des Unternehmens zu steigern. Um Anreize für solche, an schnellen und kurzfristigen Gewinnen orientierte Unternehmensentscheidungen einzudämmen, erscheint eine verbindliche Obergrenze für den Anteil von variablen Vergütungsbestandteilen an der Gesamtvergütung der Unternehmensleitung ein sachgerechtes Mittel.
Ein solches Maximalverhältnis hat die Kommission bereits in der Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (ABl. L 176 vom 27. Juni 2013, Seite 338) vorgegeben. Diese Anordnung sollte angesichts der vergleichbaren Interessenlage auch bei der Bemessung der Bezüge von Angehörigen der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften Anwendung finden.
Der Bundesrat hält es daher für erforderlich, dass in der beabsichtigten Richtlinie ein Maximalverhältnis zwischen festen und variablen Bestandteilen der Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung bestimmt wird, das nicht überschritten werden darf.
- 10. Der Bundesrat sieht die in Artikel 9c vorgesehene Kontrolle von Geschäften mit nahestehenden Unternehmen und Personen durch die Hauptversammlung sehr kritisch.
Nach der vorgeschlagenen Änderungsrichtlinie müssen Transaktionen mit nahe stehenden Unternehmen und Personen, die mehr als 5 Prozent des Vermögens des Unternehmens betreffen, oder Transaktionen, die erhebliche Auswirkungen auf den Gewinn oder den Umsatz des Unternehmens haben können, den Aktionären im Rahmen einer Hauptversammlung zur Abstimmung vorgelegt werden. Sie dürfen erst nach Genehmigung durch die Aktionäre vollzogen werden. Dadurch soll verhindert werden, dass dem Unternehmen maßgebliche Werte zulasten der (Minderheits-)Aktionäre ohne deren Zustimmung entzogen werden können.
Die vorgeschlagene Änderungsrichtlinie greift auch in diesem Punkt nachhaltig in das aktienrechtliche Kompetenzgefüge ein, indem sie die auf das Unternehmensinteresse ausgerichtete Leitungsautonomie des Vorstands zu Gunsten der Aktionäre einschränkt. Die vorgesehen Regelung könnte den Abschluss von M&A-Transaktionen unter Beteiligung von Aktiengesellschaften künftig weitreichend erschweren oder faktisch sogar völlig unterbinden. Gerade bei Fusionen und Übernahmen, bei denen oftmals schnelles Handeln erforderlich ist, dürfte die vorherige Entscheidung der Hauptversammlung der beteiligten Unternehmen mindestens hemmend wirken.
Zudem erscheint es wenig praktikabel, die Überwachung solcher Transaktionen an einen bestimmten Prozentsatz des Unternehmensvermögens zu knüpfen. Dem stehen schon die bei der Bilanzierung gegebenen Bewertungsspielräume entgegen. Im Streitfall müsste das Erreichen einer solchen Prozentgrenze durch Sachverständigengutachten geklärt werden.
- 11. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.