922. Sitzung des Bundesrates am 23. Mai 2014
Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt das mit dem Richtlinienvorschlag verfolgte Ziel, insbesondere kleinen und mittelgroßen Unternehmen die grenzüberschreitende Tätigkeit erleichtern zu wollen. Die Niederlassung in anderen Mitgliedstaaten kann gerade für mittelständische Unternehmen mit unverhältnismäßig hohen Kosten einhergehen, weil die Gründung von Tochtergesellschaften in jedem Mitgliedstaat unterschiedlichen Anforderungen unterliegt. Diese Kosten ließen sich durch eine europaweit einheitliche Gesellschaftsform, die aufgrund ihrer Charakteristika im Rechtsverkehr akzeptiert wird, reduzieren.
- 2. Der Bundesrat ist aber der Ansicht, dass sich der Vorschlag für eine Richtlinie zur Einführung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter in der vorliegenden Form nicht mehr auf eine für ein Tätigwerden der EU erforderliche Rechtsgrundlage stützen lässt. Der Vorschlag schießt weit über das verfolgte Ziel hinaus und führt im Ergebnis zu einer neuen supranationalen Gesellschaftsform für jedermann.
- 3. Die Subsidiaritätsrüge gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV erfasst auch die Frage der Zuständigkeit der EU (siehe die Stellungnahmen des Bundesrates vom 9. November 2007, BR-Drucksache 390/07(B) , Ziffer 5, vom 26. März 2010, BR-Drucksache 043/10(B) , Ziffer 2, und vom 16. Dezember 2011, BR-Drucksache 646/11(B) , Ziffer 2). Der Grundsatz der Subsidiarität ist ein Kompetenzausübungsprinzip. Gegen das Subsidiaritätsprinzip wird auch dann verstoßen, wenn keine Kompetenz der Union besteht. Daher muss im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung zunächst die Frage der Rechtsgrundlage geprüft werden.
- 4. Der Vorschlag zur Einführung einer "Societas Unius Personae" (SUP) ist insoweit nicht von der angegebenen Rechtsgrundlage des Artikel 50 Absatz 2 Buchstabe f AEUV gedeckt, als er die Mitgliedstaaten verpflichtet, die neue Gesellschaftsform unabhängig von der Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zur Verfügung zu stellen.
Artikel 50 Absatz 2 Buchstabe f AEUV ermöglicht der EU die schrittweise Aufhebung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit in Bezug auf die Voraussetzungen für die Errichtung von Agenturen, Niederlassungen und Tochtergesellschaften im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats. Die gewählte Recht grundlage erlaubt es der EU also, die sekundäre Niederlassungsfreiheit s abzusichern. Im Anwendungsbereich der sekundären Niederlassungsfreiheit befindet sich nur, wer bereits über eine Hauptniederlassung in einem Mitgliedstaat der Union verfügt und sich mit einem Betriebsteil in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen möchte.
Der Richtlinienvorschlag wendet sich aber nicht nur an bereits in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Gesellschaften. Vielmehr erlaubt er grundsätzlich allen natürlichen oder juristischen Personen die Gründung einer SUP.
Eine solche kann auch aus dem Nichts (ex nihilo) gegründet werden. Ein grenzüberschreitender Gründungssachverhalt soll nicht Voraussetzung der Gründung einer SUP sein. Würde die Richtlinie angenommen, müssten die Mitgliedstaaten daher die Möglichkeit der SUP auch für rein nationale Gründungssachverhalte eröffnen. Dieser breite Anwendungsbereich lässt sich mit der gewählten Rechtsgrundlage nicht in Einklang bringen.
- 5. Um Mittelstand und Handwerk die Expansion in andere Mitgliedstaaten zu erleichtern, ist die Eröffnung der neuen Gesellschaftsform für jedermann auch nicht erforderlich. Inländischen Gründern einer haftungsbeschränkten Kapitalgesellschaft, die nur im Inland tätig sein wollen, steht aufgrund der geltenden Rechtslage bereits in allen Mitgliedstaaten eine haftungsbeschränkte Ein-Personen-Gesellschaft zu Verfügung. Die neue Gesellschaftsform der SUP träte in Deutschland daher auch für reine Inlandssachverhalte in Konkurrenz zur bestehenden deutschen Ein-Mann-GmbH. Ob die Mitgliedstaaten zur Vermeidung einer etwaigen Inländerbenachteiligung auch Inländern die Gründung einer SUP ermöglichen, muss aber allein ihrer Entscheidung überlassen bleiben.
- 6. Der Richtlinienvorschlag beschränkt sich daher nicht auf die Erleichterung der sekundären Niederlassung, sondern führt im Ergebnis europaweit eine neue Gesellschaftsform der SUP ein. Die Kernmerkmale der SUP - insbesondere die rasche Online-Gründbarkeit aus der Ferne und die faktisch fehlende Verpflichtung einer Mindestkapitalausstattung - unterscheidet die neue Ein-Personen-Gesellschaft deutlich von der deutschen Ein-Mann-GmbH. Der EU-Gesetzgeber unterläuft damit die begründete Wertentscheidung des nationalen Gesetzgebers über die Ausstattungsmerkmale haftungsbeschränkter Kapitalgesellschaften, ohne dass es hierfür für Inlandssachverhalte eine europäische Rechtfertigung gäbe.
- 7. Dass die vorgeschlagene Richtlinie den nationalen Gesetzgeber nicht zwingt, seine national bestehende Ein-Personen-Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch die SUP zu ersetzen, sondern nur, die SUP daneben anzubieten, ändert an dieser Bewertung nichts. Denn erstens ist schon die Frage, welche Gesellschaftsformen dem Rechtsverkehr zur Verfügung stehen, von ausschlaggebender Bedeutung für das nationale Gesellschaftsrecht. Zweitens sind diejenigen, deren Schutz das Gesellschaftsrecht auch dient, insbesondere die Gläubiger der Gesellschaft, in die Wahlentscheidung für eine bestimmte gesellschaftsrechtliche Form nicht eingebunden. Das Argument, der freie Wettbewerb werde schon dafür sorgen, dass sich die "beste" Gesellschaftsform durchsetzt, so dass gegen das optionale Angebot weiterer Gesellschaftsformen nichts spreche, verfängt daher nicht.
- 8. Ein Rückgriff auf die in Betracht zu ziehenden Ermächtigungsgrundlagen der Artikel 114 und 352 AEUV vermag den Rechtsetzungsvorschlag in der vorgelegten Form ebenso wenig zu tragen. Eine Rechtfertigung über Artikel 114 AEUV setzt voraus, dass die Einführung der neuen Gesellschaftsform das Ziel verfolgt, echte Handelshemmnisse oder spürbare Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Dass die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Gründung einer haftungsbeschränkten Gesellschaft die Wettbewerbschancen im EU-Binnenmarkt spürbar verzerren, hat die Kommission weder dargelegt noch mit Fakten untermauert. Der Nachweis einer tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung ist im Gesellschaftsrecht aber umso notwendiger, als der Vertragsgesetzgeber - wie sich aus den Einschränkung der Rechtsetzungsbefugnis im Rahmen von Artikel 50 AEUV ersehen lässt - nicht bereits die Existenz unterschiedlicher nationaler Gesellschaftsformen als Wettbewerbsverzerrung betrachtet. Auch für Artikel 352 AEUV wäre eine Begründung notwendig, welches über die Erleichterung der Gründung von Tochterunternehmen hinausgehende Ziel die neue Gesellschaftsform erfordert. Eine solche fehlt.
- *. Die Ausschussberatungen gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG sind noch nicht abgeschlossen.