Unterrichtung durch die Bundesregierung
Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften betreffend den Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen und deren Wirkung innerhalb der Europäischen Union
KOM (2005) 10 endg.; Ratsdok. 6584/05

811. Sitzung (27.05.2005):

Übermittelt vom Bundesministerium der Finanzen am 28. Februar 2005 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (BGBl. I 1993 S. 313 ff.).

Die Vorlage ist von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 26. Januar 2005 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.

Hinweis: vgl. Drucksache 283/04 (PDF) = AE-Nr. 041319, Drucksache 406/04 (PDF) = AE-Nr. 041725, Drucksache 808/04 (PDF) = AE-Nr. 043247 und AE-Nr. 043527

Weissbuch

betreffend den Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen und deren Wirkung innerhalb der Europäischen Union

1. Einleitung

1. Die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts setzt voraus, dass zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten ein verlässlicher Informationsaustausch über Verurteilungen und Rechtsverluste von EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern stattfindet, die sich im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, und dass die Möglichkeit besteht, diesen Verurteilungen und Rechtsverlusten außerhalb des Mitgliedstaats, in dem sie ausgesprochen worden sind, Wirkung zu verleihen.

2. Der Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen und deren Rechtswirkung kamen auf Unionsebene bereits mehrfach zur Sprache. Mit der Problematik setzen sich u.a. die Maßnahmen Nr. 2, 3, 4, 14, 20, 22 und 23 des Maßnahmenprogramms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen auseinander. In seiner Erklärung vom 25. März 2004 zum Kampf gegen den Terrorismus hatte der Europäische Rat die Verbesserung der Qualität des Informationsaustauschs bei strafrechtlichen Verurteilungen als vorrangige Aufgabe bezeichnet; bestätigt wurde dies vom Rat Justiz und Inneres auf seiner Tagung vom 19. Juli 2004. Im Haager Programm wurde die Kommission aufgefordert, "Vorschläge für einen verstärkten Austausch von Informationen aus den einzelstaatlichen Registern zur Erfassung von Verurteilungen und Rechtsverlusten, insbesondere bei Sexualstraftätern, bis Dezember 2004 vorzulegen, damit sie vor Ende 2005 vom Rat angenommen werden können". Mit dem vorliegenden Weißbuch wird dieser Aufforderung nachgekommen.

3. Das Weißbuch gibt einen Überblick über den aktuellen Stand des Informationsaustauschs bei Strafurteilen und Rechtsverlusten im Gebiet der Union und stellt ein weit reichendes Aktionsprogramm zur Einrichtung eines elektronischen Datenaustauschs zwischen den Mitgliedstaaten in diesem Bereich vor. Darüber hinaus werden in diesem Weißbuch erste Überlegungen zu der Rechtswirkung von in anderen Mitgliedstaaten ergangenen strafrechtlichen Verurteilungen angestellt. Mit der Wirkung strafrechtlicher Verurteilungen im Gebiet der EU werden sich in den nächsten Jahren zahlreiche weitere Arbeiten auseinander setzen müssen. Das Weißbuch kann nur einen ersten Abriss dieser Fragestellung leisten.

2. Bestandsaufnahme

2.1. Große Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Strafregistern

4. Die Tabellen im Anhang geben Aufschluss über den Aufbau der einzelstaatlichen Strafregister. Die entsprechenden Angaben wurden den Antworten der Mitgliedstaaten auf den Fragebogen der Kommission entnommen. Sie lassen große Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Systemen zur Erfassung strafrechtlicher Verurteilungen erkennen (Anhang 1).

5. Zentralisierung und weitgehende Informatisierung der nationalen Register: Die nationalen Register werden in so gut wie allen Mitgliedstaaten zentral verwaltet. Unterschiede bestehen allerdings in Bezug auf die Behörde, bei der die Daten zentral erfasst werden (Justizministerium, Innenministerium, Polizei). Die große Mehrheit der Register wird elektronisch geführt. Wo dies noch nicht der Fall ist, gibt es offensichtlich bereits Pläne für EDV-gestützte Register.

6. Inhalt: In den nationalen Registern der Mitgliedstaaten werden unterschiedliche Daten erfasst. Einige Register enthalten sämtliche Verurteilungen, andere beschränken sich auf besonders schwere Straftaten. In manchen Registern werden Verurteilungen juristischer Personen erfasst, in anderen nicht. Einige Register beschränken sich auf rechtskräftige Entscheidungen, andere nehmen zumindest vorläufig Entscheidungen auf, die noch angefochten werden können. Manche Register enthalten auch einen Bereich für laufende Strafverfahren und bestimmte Freisprüche insbesondere aufgrund geistiger Unzurechnungsfähigkeit. In einigen Mitgliedstaaten werden ausschließlich Entscheidungen von Strafgerichten erfasst, während in anderen auch Entscheidungen von Verwaltungsbehörden oder Handelsgerichten, die beispielsweise Disziplinarstrafen oder Berufsverbote verhängen, aufgenommen werden. Unterschiede bestehen auch bei den Informationen über Strafvollstreckungsmaßnahmen.

7. Zugang zu den einzelstaatlichen Registern: Welche Behörden Zugang zum Strafregister haben, ist im einzelstaatlichen Recht ebenfalls unterschiedlich geregelt. In manchen Staaten haben ausschließlich die Justiz- oder Polizeibehörden direkten oder indirekten Zugang zu sämtlichen Daten, während andernorts auch Verwaltungsbehörden auf die Daten zugreifen können, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig ist. Der Zugang kann beschränkt oder unbeschränkt sein. Sonstige Dritte - etwa Arbeitgeber aus der Privatwirtschaft, Berufsverbände oder Privatdetektive - haben nur in sehr wenigen Mitgliedstaaten Zugang zum nationalen Register. In den meisten Mitgliedstaaten haben allerdings die betroffenen Personen selbst Zugang zu den unter ihrem Namen gespeicherten Daten. Dieser Zugang ist bisweilen auf eine mündliche Auskunft oder auf einen Auszug beschränkt, der nicht sämtliche Informationen enthält.

8. Löschung der Registerdaten: Für die Löschung der Daten gelten in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedliche Fristen. Manche Mitgliedstaaten sehen keine Löschung vor, während andere die gespeicherten Daten nach einer gewissen Zeit automatisch oder auf Antrag löschen.Q

2.2. Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen

9. Die Übermittlung von Informationen über in anderen Mitgliedstaaten ergangene Verurteilungen ist derzeit in den Artikeln 13 und 22 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen von 19592 (Rechtshilfeübereinkommen von 1959) geregelt. Ergänzt werden diese Bestimmungen durch Artikel 4 des Zusatzprotokolls zum Rechtshilfeübereinkommen vom 17. März 1978.

10. In diesen Bestimmungen sind zum einen die Bedingungen für die Übermittlung von Auszügen aus dem Strafregister zwischen den Vertragsparteien des Übereinkommens geregelt, und zum anderen wird darin jede Vertragspartei verpflichtet, die anderen Vertragsparteien einmal jährlich von allen Verurteilungen zu benachrichtigen, die deren Staatsangehörige betreffen.

11. Das Rechtshilfeübereinkommen von 1959 bildet zwar den derzeitigen Rahmen für den Informationsaustausch, die darin vorgesehenen Mechanismen haben jedoch nur eine begrenzte Reichweite. Diversen Studien und den der Kommission vorliegenden Informationen zufolge ist der Informationsfluss mangelhaft. Insbesondere drei Mängel sind hervorzuheben:

12. Schwierigkeit, rasch festzustellen, in welchen Mitgliedstaaten eine Person bereits vorbestraft ist: Für einen Mitgliedstaat erweist es sich in der Praxis als schwierig, rasch, umfassend und zuverlässig festzustellen, ob eine Person bereits in einem anderen Mitgliedstaat strafrechtlich verurteilt worden ist. Hier ist zwischen drei Personengruppen zu unterscheiden:

13. Schwierigkeit, rasch und einfach auf Informationen zugreifen zu können: Wenn inländische Behörden etwaige Vorstrafen von Ausländern in Erfahrung bringen wollen, können sie ein Rechtshilfeersuchen stellen (Artikel 13 des Rechtshilfeübereinkommens von 1959). Dieses Verfahren funktioniert in der Praxis schlecht. Die Gerichte halten es häufig für zu aufwändig, ungewohnt und den Verfahrensablauf störend, auf diesem Wege Auskünfte über Vorstrafen in einem anderen Mitgliedstaat anzufordern. So kommt es häufig vor, dass die einzelstaatlichen Gerichte Strafen gegen Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten allein unter Berücksichtigung der in ihrem einzelstaatlichen Strafregister erfassten Vorstrafen verhängen und keinerlei Kenntnis von Verurteilungen haben, die unter Umständen in anderen Mitgliedstaaten und insbesondere in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit die betreffende Person besitzt oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, ergangen sind.

14. Schwierigkeit, die übermittelten Daten zu verstehen: Die den Justizbehörden von anderen Mitgliedstaaten übermittelten Daten werden nicht immer genau verstanden. Zum Teil ist dies durch Übersetzungsschwierigkeiten bedingt, aber die rechtlichen Probleme sind noch größer. In den einzelstaatlichen Strafregistern werden zum Teil sehr unterschiedliche Angaben erfasst. Sie sind Ausdruck der einzelstaatlichen Rechtsordnungen, und die Behörden, die diese Informationen enthalten, können sie mitunter inhaltlich, vor allem wenn es um Strafen geht, nicht richtig einordnen.

15. Am 13. Oktober 2004 nahm die Kommission einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister an. Ziel dieses Vorschlags ist es, binnen kurzer Zeit die bestehenden Verfahren für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern. Damit wird der Informationsaustausch jedoch nicht grundlegend verändert, und die oben beschriebenen Mängel werden nur teilweise behoben. Mit ihnen werden sich zukünftige Vorhaben zur Verbesserung des Systems befassen müssen.

2.3. Die Problematik der Rechtsverluste

16. Rechtsverluste stellen eine spezielle Sanktionsart dar, die besondere Probleme in Bezug auf die Verfügbarkeit und den Austausch diesbezüglicher Informationen und deren Rechtswirkung aufwerfen. Hier werden nur Rechtsverluste berücksichtigt, die mit einer strafrechtlichen Verurteilung verbunden werden. Rechtsverluste können in strafrechtlichen Verfahren verfügt werden oder automatisch als Folge einer Verurteilung eintreten. Sie können auch in Zivil-, Verwaltungs- oder Disziplinarverfahren, die sich an eine strafrechtliche Verurteilung anschließen, verhängt werden. Angaben zu Rechtsverlusten werden aufgrund ihrer unterschiedlichen Rechtsnatur in den nationalen Strafregistern nicht durchgängig erfasst und eher zufällig mitgeteilt. Aber auch wenn die Angaben vorliegen, können sie aufgrund fehlender Rechtsangleichung, die ihre gegenseitige Anerkennung konkret behindert, nicht immer genutzt werden. Die Kommission wird im Laufe des Jahres 2005 eine gesonderte Mitteilung zur Problematik der Rechtsverluste vorlegen. Ein sektorieller Ansatz entsprechend der Art der Straftaten erscheint angemessen. Schon im November 2004 hat Belgien eine Initiative zur gegenseitigen Anerkennung des Verlusts des Rechtes vorgelegt, nach einer Verurteilung zu einer kinderpornographischen Straftat mit Kindern zu arbeiten. Diese Initiative stellt einen ersten Schritt in diesem Bereich dar.

3. Verbesserung des Informationsflusses durch Einrichtung eines elektronischen Datenaustauschs

17. Ziel: Ziel jedes Systems zum Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen muss es sein, aus dem nationalen Strafregister in kürzester Zeit die elektronische, sichere Abfrage von umfassenden, leicht verständlichen Informationen über strafrechtliche Verurteilungen zu ermöglichen, die im Gebiet der Europäischen Union gegen eine Person ergangen sind.

3.1. Die möglichen Optionen

18. Im Maßnahmenprogramm sind drei Optionen zur Verbesserung des Informationsaustauschs zwischen den Mitgliedstaaten vorgesehen (Maßnahme Nr. 4): a) Erleichterung des bilateralen Informationsaustauschs, b) Vernetzung der nationalen Dateien und c) Einrichtung einer echten europäischen Zentraldatei.

19. Die ersten beiden Optionen haben den Vorteil, dass die Daten auf nationaler Ebene angesiedelt bleiben, die einzelstaatlichen Vorschriften über die Verwaltung sensibler Informationen und deren Zugang beachtet werden und eine weitere Speicherung dieser Daten auf europäischer Ebene vermieden wird. Sie weisen jedoch drei wesentliche Nachteile auf:

20. Diese Schwierigkeiten ließen sich mit der dritten Option überwinden: Danach würden die Daten zentral in einem Standardformat gespeichert. Diese Option steht jedoch nicht im Verhältnis zu den verfolgten Zielen. Die in den nationalen Registern enthaltenen Informationen müssten nämlich noch einmal auf europäischer Ebene erfasst werden. Auch müsste hierzu ein eigenes System für die Pflege und den Abruf der Daten eingerichtet sowie eine rechtliche Regelung für diese Daten gefunden werden.

3.2. Lösungsvorschlag

21. Um innerhalb einer angemessenen Frist einen effizienten Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen einrichten zu können, empfiehlt sich ein Mittelweg zwischen der Einrichtung einer europäischen Zentraldatei und der Vernetzung der nationalen Register. Dabei müssen die drei wesentlichen Mängel, die oben genannt worden sind, behoben werden. Die Umsetzung erfolgt in zwei Schritten:

22. In der ersten Phase geht es darum, rasch die Mitgliedstaaten zu ermitteln, in denen die Person bereits vorbestraft ist. Um die Vorstrafen einer bestimmten Person in Erfahrung zu bringen, muss derzeit eine Abfrage im Strafregister des Staatsangehörigkeitslands durchgeführt werden. Die Abfrageergebnisse sind allerdings bekanntlich nicht sehr zuverlässig.

23. Auf europäischer Ebene müsste somit eine Art Vorbestraftenkartei erstellt werden, in der die Personen erfasst werden, die bereits in einem Mitgliedstaat strafrechtlich verurteilt worden sind. In diese Kartei würden unter Wahrung des einzelstaatlichen und europäischen Rechts zum Schutze der Privatsphäre nur die Daten aufgenommen, die eine Identifizierung der Person (Name, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit usw.) sowie des Mitgliedstaats ermöglichen, in dem die Person bereits vorbestraft ist; hiervon ausgenommen wären alle Angaben zu Inhalt und Form der Verurteilung. Bei einer Abfrage der Kartei würde sich sofort herausstellen, in welchem anderen Mitgliedstaat die betreffende Person bereits vorbestraft ist. Informationen über diese Vorstrafe(n) wären dann direkt bei dem betreffenden Mitgliedstaat zu erfragen (siehe Übersicht in Anhang 2).

24. Die Erstellung einer solchen Kartei erfordert eine auf EU-Ebene einheitliche Definition des Begriffs der strafrechtlichen Verurteilung. Je nach Mitgliedstaat können in den Strafregistern nämlich auch Beschlüsse erfasst werden, die vor dem eigentlichen Strafprozess ergangen sind (siehe Rdnr. 6). Die Qualität des Informationsaustauschs und die Zuverlässigkeit der hier vorgeschlagenen Vorbestraftenkartei kann nur gewährleistet werden, wenn Einigkeit darüber besteht, welche Art von Entscheidung die Aufnahme einer Person in die Kartei bewirkt. Im Zusammenhang mit ihrem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister hatte die Kommission eine Definition des Begriffs "Verurteilung" vorgeschlagen. Diese Definition, die bewusst eng gefasst war, um nur rechtskräftige Entscheidungen von Strafgerichten zu erfassen, mit denen die Schuld der Person festgestellt wird, sowie bestimmte Entscheidungen verwaltungs- und strafrechtlicher Art, die gewöhnlich zum Bereich der justiziellen Zusammenarbeit gehören, könnte hier übernommen werden.

25. Der Informationsaustausch muss zwischen einzelstaatlichen Zentralbehörden stattfinden. Jede Zentralbehörde muss sich zunächst nach Maßgabe ihres einzelstaatlichen Rechts vergewissern, dass die ersuchende Behörde oder Person zugangsberechtigt ist, und dieser Behörde oder Person anschließend ein vollständiges Ergebnis der Abfrage zukommen lassen, das außer den auf nationaler Ebene verfügbaren Daten alle auf europäischer Ebene vorliegenden Informationen enthält.

26. Technisch entspricht diese Lösung den bereits im Rahmen anderer europäischer Informationssysteme wie SIS oder Eurodac bekannten und bewährten Verfahren. Ohnehin könnte auf die bereits bestehende SIS- oder Eurodac-Infrastruktur zurückgegriffen werden, was beträchtliche Größenvorteile mit sich brächte, ohne die Autonomie dieser Systeme zu gefährden, da damit keine gemeinsame Nutzung der Daten verbunden wäre.

27. Vorzusehen ist darüber hinaus die Einrichtung einer raschen und sicheren Datenverbindung zwischen den nationalen Registern. Schon in der ersten Phase könnten demnach Anfragen und Antworten auf elektronischem Weg rasch und sicher zwischen den einzelstaatlichen Behörden übermittelt werden (elektronische Übermittlung gescannter Dokumente).

28. Mit einem solchen System könnte ein Teil der beim derzeitigen Informationsaustausch festgestellten Probleme beseitigt werden. Solange die ausgetauschten Informationen jedoch nicht standardisiert sind, ist es nicht möglich, sofort verständliche und verwendbare Informationen zu erhalten.

29. Dies geschieht in der zweiten Phase, in der der Informationsfluss weiter beschleunigt werden soll. In den nationalen Registern werden derzeit sehr unterschiedliche Informationen erfasst. Die Einrichtung eines elektronischen Datenaustauschs setzt die Festlegung eines von allen Mitgliedstaaten anerkannten "europäischen Standardformats" voraus, das die Übermittlung von leicht übersetzbaren und juristisch verständlichen Informationen ermöglicht.

30. Dieses Format müsste unter anderem folgende Informationen einschließen:

31. Um die Übermittlung der Daten zu erleichtern, müssen alle Daten genau definiert und nach Möglichkeit kodiert sein, um die Übersetzung zu erleichtern. Ist dieses "europäische Standardformat" erst einmal eingeführt, erhält die ersuchende Behörde die gewünschten Informationen in kürzester Zeit in ihrer Sprache. Um die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich aufgrund der Unterschiede zwischen den Rechtsbegriffen stellen, könnte ein "Wörterbuch" erstellt werden, das die Bedeutung der verwendeten Begriffe erklärt. Damit würden zwar nicht die Schwierigkeiten behoben, die sich aufgrund der unterschiedlichen Strafarten stellen, doch zumindest wäre für Transparenz und ein akzeptables Niveau der Verständigung zwischen den Nutzern des Systems gesorgt.

3.3. Arbeitsprogramm

32. Nach Abschluss der ersten Machbarkeitsstudie wird die Kommission im Frühjahr 2005 einen Vorschlag für einen Beschluss zur Einrichtung eines elektronischen Datenaustauschs über strafrechtliche Verurteilungen vorlegen (dies entspricht der oben erläuterten Phase 1). Im gleichen Jahr wird sich eine zweite Machbarkeitsstudie sowohl unter rechtlichen als auch technischen Aspekten mit den Bestandteilen eines "europäischen Standardformats" auseinander setzen (Vorbereitung von Phase 2). Mit der Umsetzung von Phase 1 könnte ab dem Jahr 2006 begonnen werden.

4. Verwendung der Informationen

33. Eine qualitative Verbesserung des Austauschs von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen macht nur dann Sinn, wenn diese Informationen auch verwendet werden können. Eine Verurteilung kann sich im Recht der anderen Mitgliedstaaten auf unterschiedliche Art und Weise auswirken.

34. Zu nennen ist an erster Stelle das Strafverfolgungsverbot (ne bis in idem), wonach der Betreffende wegen derselben Sache in anderen Mitgliedstaaten nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden darf. Dieser Grundsatz, der eng mit der Frage der gerichtlichen Zuständigkeit verbunden ist, wird auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestätigt. Hierzu wird im ersten Halbjahr 2005 ein Grünbuch erscheinen. Es sei allerdings angemerkt, dass der geplante Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen nicht ausreichen wird, um einen reibungslosen Informationsfluss in Bezug auf den Grundsatz ne bis in idem zu gewährleisten. Entscheidungen ohne Schuldspruch (Freispruch) werden in den nationalen Strafregistern in der Regel nicht erfasst, müssen aber bei der Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem berücksichtigt werden.

35. Eine Verurteilung kann in einem anderen Mitgliedstaat auch Wirkungen entfalten, wenn dieser Mitgliedstaat das Urteil vollstrecken muss. Das Problem ist hier allerdings anders gelagert, da die Vollstreckung eines Strafurteils ein aktives Vorgehen entweder des Urteilsmitgliedstaats oder des Vollstreckungsmitgliedstaats voraussetzt (z.B. um die Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls zu verweigern); das Problem der Benachrichtigung ist in diesem Fall sekundär. Diese Fragen müssen getrennt behandelt werden. Österreich hat zu diesem Thema unlängst eine Initiative eingebracht.

36. Das vorliegende Weißbuch beschränkt sich somit darauf, Anstöße für eine Diskussion über die Wirkungen von Informationen zu geben, die im Wege des oben umrissenen Datenaustauschs anlässlich einer in einem anderen Mitgliedstaat wegen einer anderen Sache eingeleiteten neuen Strafverfolgung übermittelt werden.

37. Das Rechtshilfeübereinkommen von 1959 sagt nichts darüber aus, welche Rechtswirkung ausländische Strafurteile entfalten. Das Übereinkommen vom 28. Mai 1970 über die internationale Geltung von Strafurteilen sah zwar einschlägige Maßnahmen vor, ist aber nur von sehr wenigen Mitgliedstaaten ratifiziert worden. Auf Ebene der Europäischen Union gibt es nur einen einzigen Rechtsakt (Schutz des Euro), in dem die Rückfälligkeit geregelt ist.

38. Die Möglichkeit, ausländischen Verurteilungen Wirkung zu verleihen, wird derzeit dem innerstaatlichen Recht überlassen. Diese Möglichkeit ist häufig begrenzt.

39. Frühere strafrechtliche Verurteilungen können auf einzelstaatlicher Ebene unterschiedliche Wirkungen entfalten. Sie können sich beispielsweise auswirken auf

40. Je nach Mitgliedstaat sind die Wirkungen früherer strafrechtlicher Verurteilungen gesetzlich geregelt oder dem Ermessen des Gerichts überlassen. In beiden Fällen ist die Möglichkeit, in anderen Mitgliedstaaten ergangene Verurteilungen zu berücksichtigen, häufig begrenzt. Um dem abzuhelfen, wird die Kommission einen Rahmenbeschluss über die Berücksichtigung strafrechtlicher Entscheidungen vorschlagen, mit dem die Ziele der Maßnahme Nr. 2 des Programms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen verwirklicht werden können.