Der Bundesrat hat in seiner 860. Sitzung am 10. Juli 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Vorschlag der Kommission für eine neue Richtlinie über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen wird im Grundsatz begrüßt.
- 2. Der Bundesrat begrüßt insbesondere, dass mit der vorgeschlagenen Richtlinie der Anwendungsbereich der Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen ausgeweitet wird, die über die von der Richtlinie 2008/55/EG erfassten hinausgehen, um die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten und die Neutralität des Binnenmarkts zu sichern.
3. Zu einigen Regelungsvorschlägen besteht jedoch Klärungs- bzw. Änderungsbedarf. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, bei den weiteren Verhandlungen auf folgende Änderungen des Richtlinienvorschlags hinzuwirken:
Zu Artikel 2 (Anwendungsbereich)
- 4. Im Interesse der Rechtssicherheit sollten die Begriffe "Steuern und Abgaben" näher konkretisiert und die Einbeziehung von Haftungsschulden sowie aller steuerlichen Nebenleistungen (insbesondere Säumnis- und Verspätungszuschläge sowie Zwangsgelder) klargestellt werden.
- 5. Der Bundesrat bedauert, dass die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Amtshilfe nicht zum Anlass genommen wird, auch die Verwaltungskosten (Gebühren und Auslagen) zu erfassen.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung deshalb, sich in den anstehenden Beratungen auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass Verwaltungskosten in den Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie einbezogen werden. Es sollte klargestellt werden, dass der Begriff "Abgaben" auch Verwaltungskosten (Gebühren und Auslagen) umfasst. Es ist nicht nachvollziehbar, dass neben den Steuern und Abgaben nur die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung und die weiteren in Artikel 2 Absätze 2 und 3 der vorgeschlagenen Richtlinie genannten Forderungen erfasst werden. Wenn so spezielle Forderungen wie die in Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe c und d der vorgeschlagenen Richtlinie genannten erfasst werden, ist es gerechtfertigt, auch Verwaltungskosten einzubeziehen. Ebenso wie Steuern und Abgaben dienen die Verwaltungskosten der Finanzierung staatlicher Aufgaben. Sie sind für die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung genauso wichtig wie Steuern, Abgaben und die sonstigen von der vorgeschlagenen Richtlinie erfassten Forderungen. Mit den Verwaltungskosten werden die Kosten der Verwaltung gedeckt, die Bürgerinnen und Bürger verursachen, wenn sie bestimmte Amtshandlungen der Verwaltungsbehörden beantragen oder veranlassen. Die Erwägungsgründe für die Vorschriften der vorgeschlagenen Richtlinie, die von dem Gedanken getragen werden, die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten zu sichern, treffen auch auf die Verwaltungskosten zu. Nicht nur die Nichtzahlung von Steuern und Abgaben u. ä., sondern auch die von Verwaltungskosten beeinträchtigen das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts. Die Verwaltungsbehörden haben keine Möglichkeiten, Verwaltungskosten beizutreiben, die außerhalb ihres eigenen Mitgliedstaates anfallen. Das Problem, keine Möglichkeiten zur Beitreibung von Verwaltungskosten bei Schuldnern im Ausland zu haben, ist seit Jahrzehnten ungelöst. Mit der vorgeschlagenen Richtlinie besteht die Chance, dieses Problem im Interesse der Mitgliedstaaten zu lösen. Nicht nur die effiziente Zusammenarbeit bei der Beitreibung von Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen ist ein Grundpfeiler für die weitere Entwicklung des Binnenmarktes, sondern auch, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit bei der Beitreibung von Verwaltungskosten geschaffen werden, indem die Verwaltungskosten in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen werden. Besonders dringlich wird deren Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Beitreibungsrichtlinie vor dem Hintergrund der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Diese wird dazu führen, dass vermehrt Bürgerinnen und Bürger aus anderen EU-Mitgliedstaaten die Vornahme kostenpflichtiger Amtshandlungen bei deutschen Behörden beantragen. Ohne die Geltung der Beitreibungsrichtlinie auch für Verwaltungskosten bestünde keine Möglichkeit, diese im EU-Ausland beizutreiben.
- 7. Ein EU-weit einheitliches Amtshilfeverfahren dient der effizienten und schnellen Beitreibung von Forderungen der einzelnen Mitgliedstaaten. Mit der "Einziehung" von Beiträgen zur Sozialversicherung befassen sich auch Artikel 92 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und Artikel 84 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004. Regelungen, die die Zusammenarbeit der zuständigen Träger bei der Beitreibung von Beiträgen zur Sozialversicherung betreffen, sind in Titel IV Kapitel III des Vorschlags der Verordnung für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 enthalten. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass Überschneidungen im Interesse von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu vermeiden sind. Er bittet die Bundesregierung, sich bei den Verhandlungen auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass zu überprüfen ist, ob in Hinsicht auf sozialversicherungsrechtliche Regelungen das bestehende Verordnungsrecht in diesem Bereich als ausreichend angesehen werden kann. Sofern im weiteren Verfahren Forderungen der Sozialversicherungsträger Gegenstand der Richtlinie bleiben, ist eine Überschneidung von Rechtsvorschriften auszuschließen.
Zu Artikel 4 (Auskunftsersuchen)
- 8. In der vorgeschlagenen Richtlinie sollte sichergestellt werden, dass durch rein innerstaatliches Recht insbesondere Banken von der Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften im Beitreibungsverfahren unter Berufung auf das Bankgeheimnis nicht befreit werden können.
- 9. Parallel zur Beitreibung von Forderungen im Sinne des Richtlinienvorschlags können in dem Mitgliedstaat, dessen Behörde nach Artikel 4 Absatz 1 um Auskunft ersucht wird, mit Blick auf diese Forderungen strafrechtliche Ermittlungen geführt werden, etwa wegen Verstößen gegen das Steuer- oder das Sozialversicherungsrecht. Die Erteilung der erbetenen Auskunft sollte verweigert werden dürfen, wenn andernfalls eine Gefährdung dieser Ermittlungen zu befürchten ist. Aus dem Richtlinienvorschlag in seiner derzeitigen Fassung wird jedoch nicht deutlich, ob auch in diesem Fall eine Befugnis zur Auskunftsverweigerung besteht. Daher sollte in der Ausnahmebestimmung des Artikels 4 Absatz 2 Buchstabe c ausdrücklich klargestellt werden, dass die erbetene Auskunft auch bei drohender Gefährdung strafrechtlicher Ermittlungen verweigert werden darf.
Zu Artikel 6 (Anwesenheit in den Amtsräumen der Behörden und Teilnahme an behördlichen Ermittlungen)
- 10. Die Regelung, wonach den Beamten des ersuchenden Mitgliedstaates eigenständige Prüfungsbefugnisse bei Maßnahmen im ersuchten Mitgliedstaat eingeräumt werden (Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2), sollte gestrichen werden.
Zu Artikel 10 (Voraussetzungen für ein Beitreibungsersuchen)
- 11. Es sollte eine Regelung entsprechend Artikel 7 Absatz 3 Satz 2 der Richtlinie 1976/308/EWG in der kodifizierten Fassung 2008/55/EG ergänzt werden, wonach die ersuchende Behörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Leistung der Beitreibungshilfe zu bestätigen hat.
Zu Artikel 11 und Artikel 15 (einheitlicher Vollstreckungstitel; einheitlicher Titel zum Ergreifen von Sicherungsmaßnahmen)
- 12. Die vorgesehenen Standardformblätter für den einheitlichen Vollstreckungstitel und den Titel zum Ergreifen von Sicherungsmaßnahmen sollten in der Weise angepasst werden, dass sämtliche Forderungen aufgenommen werden können, für die das Beitreibungsersuchen gestellt wird. Ferner sollte die Rechtswirkung des einheitlichen Vollstreckungstitels klargestellt werden.
Zu Artikel 12 (Erledigung eines Beitreibungsersuchens)
- 13. In Artikel 12 Absatz 5 ist bislang geregelt, dass die ersuchte Behörde, sofern die in ihrem Mitgliedstaat geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften dies gestatten, dem Schuldner im Einvernehmen mit der ersuchenden Behörde eine Zahlungsfrist einräumen oder Ratenzahlungen gewähren kann.
Liegen allerdings die Voraussetzungen für die Gewährung von Ratenzahlungen im ersuchten Mitgliedstaat vor, sind diese unabhängig vom Einvernehmen der ersuchenden Behörde zu gewähren. Daher ist die Voraussetzung "im Einvernehmen mit der ersuchenden Behörde" weder verwaltungsökonomisch sinnvoll noch rechtlich zu vertreten und sollte gestrichen werden.
- 14. Darüber hinaus sollte im Interesse eines effizienten und schnellen Beitreibungsverfahrens geregelt werden, dass bei Beitreibungsersuchen, die nicht innerhalb von sechs Monaten erledigt werden können, die ersuchte Behörde der ersuchenden Behörde in regelmäßigen Abständen von sechs Monaten den Sachstand sowie die bisher ergriffenen Maßnahmen mitteilt. Damit wird der Bearbeitungsdruck im Sinne einer raschen Erledigung erhöht.
Zu Artikel 19 (Kosten)
- 15. Die Regelungen zur Erhebung von Festkosten in Absatz 2 und zur Nachrangigkeit der im Rahmen der Ausführung des Ersuchens entstandenen Kosten in Absatz 3 sollten gestrichen werden.
Zu Artikel 20 (Standardformblätter und Kommunikationsmittel)
- 16. Umfassende Änderungen der Standardformblätter sollten im Hinblick auf eine Kontinuität in der Bearbeitung von Beitreibungsersuchen vermieden werden.
Zu Artikel 23 (Weitergabe von Auskünften und Schriftstücken)
- 17. Die Regelung, die u. a. die Weitergabe von im Rahmen der Beitreibungshilfe erlangten Informationen an andere Behörden und für andere Zwecke als der Beitreibungshilfe vorsieht, sollte im Hinblick auf die Bedeutung der Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses gestrichen und die Regelung des Artikels 16 der Richtlinie 1976/308/EWG in der kodifizierten Fassung 2008/55/EG beibehalten werden.
Zu Artikel 24 (Anwendung anderer Amtshilfeabkommen)
- 18. Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen sollte - wie bisher - neben der Richtlinie auch aufgrund bilateraler Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung oder aufgrund bilateraler Amts- und Rechtshilfeabkommen möglich sein.
Zu Artikel 28 (Umsetzung)
- 19. Der vorgesehene Umsetzungstermin sollte hinausgeschoben werden, damit den Landesfinanzbehörden nach Verabschiedung der Richtlinie ausreichend Zeit für die Einrichtung des elektronischen Verfahrens und die Information der Finanzämter über die Änderungen verbleibt.
Weitere Bemerkungen
- 20. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Rahmen der weiteren Erörterungen darauf hinzuwirken:
- - dass die wesentlichen Regelungen (z.B. zum Inhalt von Auskunfts- und Beitreibungsersuchen) im Richtlinientext enthalten sind und nicht durch den Komitologieausschuss verhandelt werden,
- - dass die durch den Komitologieausschuss erfolgenden notwendigen Anpassungen der Verordnung (EG) Nr. 1179/2008 der Kommission vom 28. November 2008 insbesondere zur Form der Auskunftsersuchen nach Artikel 4 und der Standardformblätter nach Artikel 20 unter Einbindung und Berücksichtigung der Belange der Länder und mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf vor Inkrafttreten der Richtlinie durchgeführt werden und
- - dass die Wirksamkeit der elektronischen Zustellung von Dokumenten durch eine Behörde im ersuchenden Mitgliedstaat an eine Person im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats (Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2) dieselben Voraussetzungen erfordert, wie eine elektronische Zustellung innerhalb der Bundesrepublik.
- 21. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung ferner, bei den weiteren Verhandlungen zu prüfen, ob die beabsichtigte Einführung eines spontanen Informationsaustausches (Artikel 5) mit der Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses im Einklang steht und nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung der in anderen Mitgliedstaaten wohnenden Steuerpflichtigen führt.
Sofern eine Regelung des spontanen Informationsaustausches in die Richtlinie aufgenommen wird, ist eine Rechtsgrundlage für die Verzögerung der Erstattung aufzunehmen.