A. Problem
- Der Schutz der Bevölkerung vor schweren Gewalttaten insbesondere von Wiederholungstätern ist eine zwingende Aufgabe des Gesetzgebers. Sie kann nur gelöst werden, wenn dem Gericht für die erforderliche Prognose, ob von einem Täter auch in Zukunft erhebliche Gewalttaten zu befürchten sind, eine möglichst breite Tatsachengrundlage zur Verfügung steht. Die Erfahrungen bei der Anwendung des mit dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.7.2004 neu geschaffenen § 66b des Strafgesetzbuches haben gezeigt, dass der bisherige Wortlaut nicht eindeutig den Willen des damaligen Gesetzgebers wiedergibt. Gerade auch bei Tätern, die extrem gefährlich sind, bisher jedoch erst eine gravierende Straftat begangen haben ist die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in gravierenden Fällen notwendig, um dem Sicherungsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung zu tragen und dem Verurteilten zugleich die Chance zu geben, durch eine Veränderung seiner Persönlichkeit zum Positiven unter Mithilfe des Strafvollzuges eine positive Legalprognose zu erreichen. Der derzeitige Gesetzeswortlaut verhindert jedenfalls in der Auslegung durch den BGH in vielen Fällen die Verhängung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ohne Grund, weil er nachträglich erkennbar gewordene Indiztatsachen für die Gefährlichkeit auch in den Fällen voraussetzt, in denen bei der Aburteilung eine Entscheidung über die Verhängung der Sicherungsverwahrung überhaupt nicht getroffen werden konnte. Eine entsprechende Problematik stellt sich auch bei der Auslegung des § 106 Abs. 5 JGG.
B. Lösung
- Durch eine Klarstellung des Wortlautes von § 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB sowie § 106 Abs. 5 JGG wird es ermöglicht, dass das Gericht die Gefährlichkeit des Verurteilten begründende Tatsachen auch dann verwerten kann, wenn diese zum Urteilszeitpunkt zwar erkennbar, aus Rechtsgründen jedoch nicht zur Prüfung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung berücksichtigt werden konnten.
C. Alternativen
- Keine
D. finanzielle Auswirkungen
- 1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Keine.
- 2. Vollzugsaufwand
Durch die vermehrte Anordnung von Sicherungsverwahrung werden für den Strafvollzug bei den Ländern Mehrkosten entstehen. Weitere zusätzliche Kosten werden durch die erforderlichen Begutachtungen der Verurteilten anfallen.
Insgesamt sind jedoch nur wenige Fälle betroffen, so dass sich der Mehraufwand in engen Grenzen halten wird.
Gesetzesantrag des Freistaates Bayern
Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Stärkung der nachträglichen Sicherungsverwahrung - (... StrÄndG)
Der Bayerische Ministerpräsident München, den 21. Februar 2006
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Harry Carstensen
Sehr geehrter Herr Präsident!
Gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung übermittle ich den in der Anlage mit Vorblatt und Begründung beigefügten
- Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Stärkung der nachträglichen Sicherungsverwahrung - (... StrÄndG)
mit dem Antrag, dass der Bundesrat diesen gemäß Art. 76 Abs. 1 GG im Bundestag einbringen möge.
Ich bitte, den Gesetzentwurf unter Wahrung der Rechte aus § 23 Abs. 3 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 820. Sitzung am 10. März 2006 zu setzen und anschließend den Ausschüssen des Bundesrates zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Edmund Stoiber
Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - Stärkung der nachträglichen Sicherungsverwahrung - (... StrÄndG)
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen
Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches
§ 66b des Strafgesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl I S. 3322), das zuletzt durch geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
- 1. In Absatz 1 werden ersetzt a) vor den Wörtern " nach einer Verurteilung" das Wort "Werden" durch das Wort "Liegen" und b) nach den Wörtern "dieser Freiheitsstrafe Tatsachen" das Wort "erkennbar," durch folgende Wörter : "vor, die nicht bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung zur Prüfung einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung berücksichtigt werden konnten und" .
- 2. In Absatz 2 werden ersetzt a) vor den Wörtern "Tatsachen der in Absatz 1 genannten Art" das Wort "Werden" durch das Wort "Liegen" und b) nach den Wörtern " , auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, " das Wort "erkennbar," durch folgende Wörter : " vor, die nicht bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung zur Prüfung einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung berücksichtigt werden konnten, ".
Artikel 2
Änderung des Jugendgerichtsgesetzes
§ 106 des Jugendgerichtsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Dezember 1974 (BGBl I S. 3427), das zuletzt durch geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
In Absatz 5 werden ersetzt
- 1. vor den Wörtern "nach einer Verurteilung" das Wort "Werden" durch das Wort "Liegen" und
- 2. nach den Wörtern "vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen" das Wort "erkennbar," durch folgende Wörter: " vor, die nicht bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung zur Prüfung einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung berücksichtigt werden konnten und".
Artikel 3
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeines
- 1. Der Schutz vor verurteilten Straftätern, von denen auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, stellt ein überragendes Gemeinwohlinteresse dar. Diesen Schutz durch geeignete Mittel zu gewährleisten, ist Aufgabe des Staates (BVerfG NJW 2004, 750). Insoweit kann es sich sowohl um Verurteilte handeln gegen die zum Urteilszeitpunkt aus tatsächlichen Gründen keine Sicherungsverwahrung angeordnet wurde als auch um solche, bei denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen war (BVerfG a.a.O.). Mit dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 28.7.2004 (BGBl I, 1838) wollte der Gesetzgeber beide Fallgruppen in den Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung einbeziehen. Es gebe "einige wenige Verurteilte, gegen die zum Urteilszeitpunkt aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen Sicherungsverwahrung nicht angeordnet oder ihre Anordnung nicht vorbehalten wurde mit der Folge, dass hochgefährliche Straftäter nach der Verbüßung der Strafhaft in die Freiheit entlassen werden müssten" (BT-Drs. 015/2887, S. 10).
- 2. Die Rechtsprechung ist der Intention des Gesetzgebers insoweit nicht gefolgt.
Aus dem Wortlaut des § 66b StGB wird vielmehr gefolgert, dass für Verurteilte, deren (fortbestehende) Gefährlichkeit das Tatgericht erkannt hatte, wegen Fehlens der damals geforderten formellen Voraussetzungen des § 66 aber nicht mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung sanktionieren konnte, keine Regelung getroffen worden sei (OLG Koblenz, NStZ 2005, 97, 100 ). Der Auslegung, dass neue Tatsachen solche sind, die vom Tatgericht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht entscheidungserheblich berücksichtigt werden konnten (eingehend zum ganzen Veh, NStZ 2005, 307) ist der BGH unter Verweis auf den Wortlaut des Gesetzes nicht gefolgt (BGH Urteil vom 26. November 2005, II StR 272/05, S. 18).
Es ist daher veranlasst, zur Wahrung des Schutzes der Bevölkerung vor gefährlichen Wiederholungstätern den Wortlaut von § 66b StGB sowie von § 106 Abs. 5 JGG entsprechend dem Willen des historischen Gesetzgebers eindeutig klarzustellen.
- 3. Eine Erweiterung der originären Sicherungsverwahrung auf Ersttäter (vgl. BR-Drs. 876/05 (PDF) ) dürfte kein geeigneter Lösungsansatz sein. Ein erweiterter Anwendungsbereich des § 66 StGB wird das Problem des Schutzes der Bevölkerung bei sog. Ersttätern in der Praxis nicht lösen, da bei einem Ersttäter im Zeitpunkt der Hauptverhandlung mangels ausreichender Tatsachengrundlage weder der Hang zu schwerwiegenden Straftaten festgestellt noch die Gefährlichkeitsprognose mit der erforderlichen Sicherheit getroffen werden kann.
Ferner wäre eine Reglung auf der Basis des § 66 StGB nicht tauglich, gefährliche Gewalttäter, die sich heute bereits im Strafvollzug befinden, zu erfassen.
Auch unter Verhältnismäßigkeitgesichtspunkten erscheint es vorzugswürdig, den Zeitpunkt der Beurteilung von Hang und Gefährlichkeit so zu legen, dass eine möglichst umfassende Gesamtwürdigung aller positiven und negativen Umstände möglich ist. Dies ist jedoch nicht der Urteils-, sondern der potentielle Entlassungszeitpunkt.
B. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1 (Änderung des § 66b StGB)
Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB setzt voraus dass nach der Verurteilung wegen einer der in § 66b genannten Taten, aber vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe Tatsachen vorliegen, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Es kann nicht Ziel der nachträglichen Sicherungsverwahrung sein, Fehler des Tatgerichtes bei der Anwendung des Rechts nachträglich zulasten des Verurteilten zu korrigieren.
Es gibt jedoch auch keine Veranlassung, bei einer Entscheidung über die nachträgliche Sicherungsverwahrung Tatsachen unberücksichtigt zu lassen, die das erkennende Gericht aus rechtlichen Gründen bei seiner Entscheidung gar nicht verwerten konnte. Im Strafvollzug befinden sich heute wegen schwerer Gewalttaten Verurteilte, gegen die zum Urteilszeitpunkt eine nach jetzt geltendem Recht mögliche Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden konnte, sei es wegen des eingeschränkten Anwendungsbereichs der Sicherungsverwahrung im Beitrittsgebiet (vgl. Art. 1a Abs. 1 EGStGB), sei es weil § 66 Abs. 3 StGB noch nicht in Kraft oder aufgrund des Rückwirkungsverbots in Art. 1a Abs. 2 EGStGB a.F. auf vor dem 31.1.1998 begangene Taten nicht anwendbar war. Es geht ferner um Verurteilte, gegen die eine originäre Sicherungsverwahrung grundsätzlich nicht möglich war und ist (Ersttäter). Es besteht ein dringendes Bedürfnis, die Bevölkerung auch vor solchen Gewalttätern zu schützen, sofern von ihnen weiterhin erhebliche Gefahren ausgehen. Es lag auch in der Intention des Gesetzgebers bei der Einführung des § 66b StGB, derartige Fallkonstellationen mit zu regeln (vgl. BT-Drs. 015/2887, S. 2, 10).
Da sich die Rechtsprechung bislang aufgrund des Wortlautes in § 66b StGB daran gehindert sah, derartige Verurteilte in den Anwendungsbereich der Norm einzubeziehen, ist eine klarstellende Änderung des Wortlautes in Abs.1 und Abs. 2 erforderlich.
Das über die nachträgliche Sicherungsverwahrung entscheidende Gericht soll nach der Neufassung eine Tatsache immer dann berücksichtigen können, wenn sie erst nach Urteilszeitpunkt erkennbar geworden ist oder wenn sie zwar bereits vorher erkennbar , ihre Verwertung aber rechtlich unzulässig war ( vgl. Veh a.a.O., Tröndle/Fischer, 53. Aufl., Rdnr. 14 zu § 66b). Ein Eingriff in die Rechtskraft des Urteils des Tatgerichts ist mit dem Einbezug der zum Urteilszeitpunkt nicht verwertbaren Tatsachen offensichtlich nicht verbunden.
Zu Artikel 2 (Änderung des § 106 Abs. 5 JGG)
Eine analoge Regelung muß auch für Heranwachsende gelten, auf die allgemeines Strafrecht zur Anwendung kommt. Bei einem gefährlichen Heranwachsenden, gegen den nach geltendem Recht keine originäre Sicherungsverwahrung verhängt werden kann, müssen bei der Prüfung einer Unterbringung in der nachträglichen Sicherungsverwahrung alle Tatsachen Berücksichtigung finden können, die nicht bereits im Urteil bei der Prüfung einer Verhängung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung hätten geprüft werden können. Der Entwurf muß von der derzeitigen Rechtslage ausgehen. Weitergehende Reformüberlegungen (vgl. BR-Drs 276/05 (PDF) ) bleiben unberührt.
Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.