857. Sitzung des Bundesrates am 3. April 2009
A.
Der Verkehrsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Vorlage des Grünbuchs der Kommission zur Überprüfung der transeuropäischen - Verkehrsnetz (TEN-V)-Politik. Die Zielstellung, die Verkehrsinfrastruktur der EU und die Politik im Bereich der TEN-V entsprechend den derzeitigen und künftigen Herausforderungen im Hinblick auf Verkehr und Mobilität sowie auf finanzielle, wirtschaftliche, regionale, soziale, die Sicherheit betreffende und ökologische Herausforderungen grundlegend zu überprüfen, wird unterstützt.
- 2. Er hält die Bestandsaufnahme der Kommission für zutreffend und teilt die Auffassung, dass das TEN-V einer grundlegenden Überprüfung unterzogen werden sollte, ohne bisherige Erfolge und Priorisierungen in Frage zu stellen.
- 3. Der Bundesrat begrüßt die Offenheit, mit der die Diskussion um eine grundlegende Revision der "Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes" (TEN-V) seitens der Kommission jetzt begonnen wird, und nimmt das Angebot gern an, bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine Position einbringen zu können.
- 4. Die Betonung der Klimaschutzziele bei der Neuausrichtung der TEN-V-Politik wird begrüßt.
- 5. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass angesichts des Umfangs der Aufgabe Akteure aus möglichst vielen verschiedenen Bereichen eingebunden werden sollen, um sicherzustellen, dass Wissen, Erfahrung und Sichtweise von Experten und Bürgern ausreichend Berücksichtigung finden.
- 6. Die ganzheitliche Betrachtung über alle Verkehrsträger hinweg bis hin zu Möglichkeiten der Verknüpfung unter Berücksichtigung der Klimaschutzziele findet Unterstützung.
Der Aufbau eines multimodalen TEN-V, nunmehr auch unter Einbeziehung von Intelligenten Verkehrssystemen, wird für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts sowie für das Wirtschaftswachstum Europas und die Schaffung von Arbeitsplätzen weiterhin als richtig und zielführend betrachtet.
- 7. In Beobachtung und Verfolgung des Entstehens der TEN , der konzeptionellen Modifikationen seit 1996, ihrer Umsetzung in den Mitgliedstaaten sowie der flankierenden Maßnahmen auf europäischer Ebene scheint es angebracht, noch stärker als bisher bei der Entwicklung bzw. Priorisierung von Maßnahmen den Gesichtspunkt des gesamteuropäischen Nutzens in den Vordergrund zu stellen. So sollten solche Maßnahmen Priorität genießen, die hoch wertschöpfende Zentren und Metropolregionen der Gemeinschaft verbessert miteinander verknüpfen. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf die so genannten Knoten und Übergänge zwischen verschiedenen Verkehrsträgern gelegt werden.
- 8. Im Sinne der Nachhaltigkeit gilt es, insbesondere die Hinterlandanbindungen europäischer Seehäfen zu stärken, wobei Priorität im Zu- und Ablauf die Verkehrsträger Schiene und Binnenwasserstraße genießen müssen. Dies wäre auch ein Beitrag zu den allgemeinen klima- und umweltpolitischen Zielsetzungen der Gemeinschaft, die auch in diesem Teilbereich der gemeinschaftlichen Verkehrspolitik ihren Niederschlag finden sollten.
- 9. Im Hinblick auf die zentrale Bedeutung, die die Seehäfen national wie europäisch für den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhang der Gemeinschaft haben, müssen alle über sie laufenden Verkehre prinzipiell als grenzüberschreitend angesehen werden. Nur so wird auch zu gewährleisten sein, dass nationale wie europäische Interessen im gemeinsamen Binnenmarkt nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Dies gilt etwa auch im Hinblick auf die Hinterlandverkehre. Hierzu ist im Rahmen der TEN-Revision die Gleichberechtigung nationaler und grenzüberschreitender Verkehre im Zu- und Ablauf zu den Seehäfen abzusichern: "blaue Grenze" = "grüne Grenze".
- 10. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten für den Erhalt und die Gestaltung des Gesamtverkehrsnetzes bleibt unabhängig von einem künftigen Kernnetz weiterhin bestehen.
Den Mitgliedstaaten bzw. den Projektträgern sollten jedoch die Entscheidungen darüber, auf Grund der jeweils spezifischen Bedingungen, überlassen bleiben.
Im Übrigen nimmt der Bundesrat zu den von der Kommission aufgeworfenen Fragen wie folgt Stellung:
Zu Frage 1:
- 11. Der Bundesrat betont die wichtige Rolle, die das TEN-V im Rahmen der Lissabon-Strategie zu spielen vermag. Es sollte als verkehrspolitisches Instrument im Sinne der Nachhaltigkeit auf die Vereinbarkeit ökonomischer und ökologischer Aspekte ausgerichtet werden.
- 12. Der Bundesrat äußert die Hoffnung, dass Kommission und Mitgliedstaaten künftig besser als bisher ihre Infrastrukturplanungen und Investitionsentscheidungen abstimmen, um einen effizienteren Einsatz von Gemeinschaftsmitteln, nationalen Geldern und Eigenmitteln der Vorhabenträger zu erreichen.
Zu Frage 3:
- 13. Der Bundesrat unterstützt die Aussage, wonach die vorrangigen TEN-V-Vorhaben auf Multimodalität und Nachhaltigkeit ausgerichtet werden sollen.
- 14. Zur Erreichung dieser Ziele bedarf es stärker als bisher einer Förderung von Investitionen an den Verknüpfungsstellen der vorrangigen Vorhaben. Hier können vergleichsweise kleine Maßnahmen zu einer Entlastung von Knotenpunkten beitragen und die Leistungsfähigkeit der verknüpften Strecken erheblich erhöhen.
- 15. Eine Ausdehnung der vorrangigen Vorhaben hin zu einem Vorrangnetz ist für den Bundesrat insoweit vorstellbar, als hierdurch der Fokus stärker als bisher auf Knotenpunkte gelegt werden kann.
- 16. Der Ansatz, wie bei den Binnenwasserstraßen auch für andere Verkehrsträger Zielstandards zu definieren, um einen effizienten durchgehenden Einsatz von Fahrzeugen zu gewährleisten, wird vom Bundesrat begrüßt.
Zu Frage 4:
- 17. Der Bundesrat nimmt die Idee einer "konzeptionellen Säule" zur Kenntnis. Er stimmt dem Erfordernis einer optimierten Nutzung bestehender Infrastrukturen und einer starken Bedarfsorientierung bei der Planung zu. Allerdings erscheinen die Formulierungen zu abstrakt für eine fundierte Bewertung. Der Bundesrat äußert die Besorgnis, dass eine nicht hinreichend konkret ausgestaltete "konzeptionelle Säule" zur Relativierung der infrastrukturellen Dimension des TEN-V führen und damit dessen Umsetzung erschweren könnte. Er bittet die Kommission, vor einer Weiterverfolgung dieses Ansatzes anhand expliziter Beispiele klarzustellen, welche Aktionen hierdurch initiiert werden sollen und welche Rolle die Gemeinschaft hier spielen soll.
Zu Frage 5:
- 18. Der Bundesrat erkennt die unterschiedlichen Bedürfnisse von Personen- und Güterverkehr - vor allem auf der Schiene - an. Da die theoretisch wünschenswerte Entmischung der Verkehre praktisch nur in Ausnahmefällen umsetzbar sein wird, sollte das TEN-V dazu beitragen, durch die Errichtung von Überholgleisen und mehrgleisigen Abschnitten die Kapazitäten hochbelasteter Mischverkehrsstrecken auszuweiten.
- 19. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission hinsichtlich der Relevanz von Flughäfen. Er spricht sich dafür aus, die Anbindung internationaler Verkehrsflughäfen in die vorrangigen TEN-V-Vorhaben zu integrieren.
- 20. Der Bundesrat stimmt auch der Bewertung der Wichtigkeit von Seehäfen zu. Er plädiert dafür, bei der Förderung mit TEN-Mitteln besonderes Augenmerk auf die landseitige Vernetzung der europäischen Seehäfen zu legen.
- 21. Ausreichende und verlässliche Landverbindungen tragen dazu bei, zeitraubende Umwege auf dem Seeweg einzusparen und die Häfen gleichmäßiger auszulasten.
- 22. Der Bundesrat begrüßt die Aussagen der Kommission zur Güterverkehrslogistik. Er schlägt vor, die Errichtung multimodaler Terminals an wichtigen Verkehrsknoten entlang der vorrangigen TEN-V-Vorhaben zu fördern, um durch die Gewährleistung eines reibungslosen Güterumschlags die Vorteile durchgängiger Verbindungen auch für die regionale und städtische Verteilung nutzbar zu machen.
Zu Frage 6:
- 23. Der Bundesrat unterstützt den verstärkten Einsatz intelligenter Verkehrssysteme zur effizienten Erreichung der im Grünbuch dargestellten politischen Ziele. Eine TEN-Förderung sollte nach den bisherigen Grundsätzen möglich bleiben.
- 24. Die Ausrüstung von Eisenbahnstrecken mit ERTMS (European Rail Traffic Management System, ein System für die Verwaltung und Steuerung des Eisenbahnverkehrs) sollte wie bisher als Intermodalitätskriterium bei der Projektauswahl maßgeblich berücksichtigt und finanziell unterstützt werden.
Zu Frage 7:
- 25. Der Bundesrat hält eine Erweiterung der Vorhabens-Definition für nicht erforderlich. Er geht davon aus, dass die Kommission auch weiterhin nicht plant, im Zuge der Einführung von ETCS (European Train Control System, ein Zugsicherungssystem) Schienenfahrzeuge aus TEN-Mitteln zu fördern.
Zu Frage 8:
- 26. Der Bundesrat verweist auf Nummer 17 dieser Stellungnahme (zu Frage 4) und sieht angesichts der Unklarheit der "konzeptionellen Säule" keinen Mehrwert eines "Kernnetzes". (bei Annahme entfällt Ziffer 27)
- 27. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass dieses Kernnetz die Metropolen Europas, die wirtschaftlichen Kerngebiete und die Regionen multimodal und unter prioritärer Einbeziehung umweltschonender Verkehrsträger miteinander verbinden muss. Wichtig für das Kernnetz ist eine europäische Standardisierung für die technische Umsetzung, die Nutzungsbedingungen, die Gestaltung der Sicherheitsanforderungen und bei den Wegweisungen und Ähnliches. Die Einführung und Definition eines TEN-V-Kernnetzes verbunden mit europaweit geltenden bzw. angestrebten Standards würde die bisherige TEN-V-Politik auf ein neues Niveau heben. Die TEN-V könnten dadurch strategischer ausgerichtet und direkt mit räumlichen und verkehrspolitischen Zielen verknüpft werden.
Zu Frage 9:
- 28. Angesichts der zentralen geographischen Lage Deutschlands in Europa und der daraus resultierenden Wichtigkeit der vorrangigen TEN-V-Vorhaben hält der Bundesrat die derzeitige Mittelausstattung der TEN-Haushaltslinie für nicht ausreichend. Um eine zeitgerechte Umsetzung der vorrangigen Vorhaben zu erreichen, bittet er die Bundesregierung, im Rahmen der Ratsverhandlungen eine entsprechende Dotierung mitzutragen.
Zu Frage 10:
- 29. Der Bundesrat regt an, dass der Kommission für die Planung im Einzelfall eine über 50 Prozent hinausgehende Förderung im Wege einer Vorfinanzierung ausreichen könnte, wenn dies zur koordinierten Verwirklichung eines vorrangigen TEN-V-Vorhabens erforderlich ist. Dies würde es erlauben, unabhängig von der Finanzierung des Baus die notwendigen Vorarbeiten auch insoweit in die Wege zu leiten, als kein dediziertes Planungsbudget zur Verfügung steht.
- 30. Der Bundesrat steht einer stärkeren Beteiligung Privater an der Finanzierung von Infrastrukturvorhaben aufgeschlossen gegenüber. Er bittet die Kommission, bisherige Erfahrungen zusammenzustellen und gute Praktiken zu analysieren, bevor eine Entscheidung über die Intensivierung dieses Instruments getroffen wird.
Zu Frage 11:
- 31. Der Bundesrat sieht den größten Wert der Gemeinschaftsfinanzierung darin, dass die Kommission den Mitteleinsatz auf vorrangige TEN-V-Vorhaben konzentriert und somit gezielt die Verwirklichung von Abschnitten beschleunigt, deren Bedeutung über die Ebene der Mitgliedstaaten hinausgeht.
- 32. Die Kombination der TEN-Förderung mit anderen Formen der Gemeinschaftsfinanzierung sollte mit Zurückhaltung angewandt werden, um die unterschiedlichen Zielsetzungen der zu Grunde liegenden Programme nicht zu verwischen.
Zu Frage 12:
- 33. Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass sich die Bestellung Europäischer Koordinatoren für die wichtigsten vorrangigen TEN-V-Vorhaben als sehr effizient erwiesen und bewährt hat. Die Rolle der Koordinatoren sollte beibehalten und beispielsweise im Hinblick auf die Bewertung von TEN-Förderanträgen gestärkt werden. Eine Bestellung weiterer Koordinatoren sollte nur für Vorhaben erfolgen, deren europäischer Nutzen demjenigen der bisher berücksichtigten Vorhaben gleichkommt.
- 34. Das von der Kommission angeregte Konzept einer "Korridorkoordinierung" sollte für schwierige Langfristprojekte realisiert werden, und zwar im Rahmen der bestehenden Vorhaben, um eine Konkurrenz zwischen Koordinatoren auszuschließen. Dieser Ansatz wird auf der Achse des vorrangigen Vorhabens Nummer 1 Berlin - Palermo durch die "Brennerkorridor-Plattform" unter Leitung des Europäischen Koordinators Karel Van Miert bereits verfolgt.
Zu den weiteren Beratungen
- 35. Die Bundesregierung wird gebeten, bei den weiteren Beratungen des Vorschlags sicherzustellen, dass die Grundsätze der Subsidiarität ausreichend beachtet werden.
B.
- 36. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.