868. Sitzung des Bundesrates am 26. März 2010
A.
Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz und der Ausschuss für Frauen und Jugend empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe a (§ 25a Absatz 1 Satz 6 - neu - KWG)
In Artikel 1 Nummer 1 ist Buchstabe a wie folgt zu fassen:
- "a) Absatz 1 Satz 6 wird wie folgt geändert:
- aa) In Nummer 2 wird am Ende der Punkt durch ein Semikolon ersetzt.
- bb) Folgende Nummer 3 wird angefügt:
"3. angemessene, transparente und auf eine nachhaltige Entwicklung des Instituts ausgerichtete Vergütungssysteme für Geschäftsleiter und Mitarbeiter, die die Pflichten des Instituts gegenüber seinen Kunden angemessen berücksichtigen." "
Folgeänderung:
In Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b ist in § 25a Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 die Angabe "Absatz 1 Satz 3 Nummer 4" durch die Angabe "Absatz 1 Satz 6 Nummer 3" zu ersetzen.
Begründung
Im Zuge der Finanzmarktkrise wurden Missstände bei der Anlageberatung offenbar.
Schätzungen zufolge belaufen sich die durch Fehlberatungen verursachten Verluste auf jährlich 20-30 Milliarden Euro. Eine wesentliche Ursache für Fehlberatungen ist, dass Mitarbeiter der Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute durch variable Vergütungsanteile dazu verleitet werden, nicht in erster Linie diejenigen Produkte zu empfehlen, die am besten den Bedürfnissen des Kunden entsprechen. Vielmehr werden häufig solche Produkte angepriesen, für deren Vermittlung besonders hohe Provisionen gezahlt werden. Solche Fehlanreize wirken umso stärker, je höher der Anteil variabler erfolgsabhängiger Bestandteile an der Vergütung der Geschäftsleiter und Mitarbeiter ist. Das gilt um so mehr, als häufig bereits die erfolgreiche Vermittlung eines Anlageproduktes als Anknüpfungspunkt für die variablen Vergütungsanteile gewählt wird. Die Vergütungssysteme kollidieren daher mit den gesetzlichen (z.B. § 31 Absatz 1 Nummer 1 WpHG, § 33 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 WpHG) und vertraglichen Pflichten, die Dienstleistung im Interesse des Kunden zu erbringen und Interessenkollisionen zu vermeiden.
Auch bei der Vergabe von Krediten schaffen Vergütungssysteme mit hohen variablen Vergütungsbestandteilen Fehlanreize, die die Erfüllung der vertraglichen Pflichten der Kreditinstitute gegenüber ihren Kunden, insbesondere die Pflicht, vollständig und richtig über die in Betracht kommenden Finanzierungsarten zu beraten, gefährden.
Vor diesem Hintergrund sollte Fehlentwicklungen in der Vergütungspolitik nicht nur zu dem Zweck, die Stabilität einzelner Unternehmen sicherzustellen, entgegengewirkt werden können. Genauso wichtig ist es, durch Vergütungsmodelle ausgelöste Fehlanreize im Interesse der Kunden vermeiden zu können.
Zur Erreichung dieses Zwecks sind mildere gleich geeignete Mittel nicht ersichtlich.
Insbesondere kann die Offenlegung bestehender Interessenkonflikte nicht als gleich geeignetes, aber milderes Mittel betrachtet werden. Denn auch ein offen gelegter Interessenkonflikt ist nicht ausgeräumt. Die vorgeschlagene Erweiterung der in § 25a KWG zu berücksichtigenden Belange stellt im Übrigen die logische Konsequenz der in § 33 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 WpHG geregelten Organisationspflicht dar.
Der Änderungsvorschlag sieht daher vor, anstelle der in der Vorlage in § 25a Absatz 1 Satz 3 KWG neu angefügten Nummer 4 eine neue Nummer 3 in § 25a Absatz 1 Satz 6 KWG anzufügen.
2. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b (§ 25a Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 KWG)
In Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b sind in § 25a Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 nach den Wörtern "negativer Vergütungsparameter" die Wörter "auch zur Verhinderung von Fehlanreizen zu Lasten der Kunden" einzufügen.
Begründung
Das Bundesministerium der Finanzen wird mit der Vorschrift ermächtigt, detaillierte Vorgaben zur konkreten Ausgestaltung der Vergütungssysteme durch Rechtsverordnung zu erlassen. Diese Verordnungsermächtigung sollte auch die Befugnis umfassen, eine Ausgestaltung der Vergütungssysteme vorzugeben, die Fehlanreize zu Lasten der Kunden vermeidet.
3. Zum Gesetzentwurf insgesamt
- a) Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen die Standards für solide Vergütungspraktiken, die auf dem Gipfeltreffen der G20-Staaten im September 2009 ausgehandelt worden sind, umsetzt.
Die gesetzliche Festlegung von Mindestanforderungen an das Risikomanagement und an transparente und angemessene Vergütungssysteme sowie die Ausweitung der aufsichtsrechtlichen Befugnisse sind wichtige Schritte, um die Mitursachen der Finanzkrise zu bekämpfen. Auf kurzfristigen Unternehmenserfolg ausgerichtete Vergütungssysteme, die einseitig Erfolge belohnen, ohne Misserfolge einer Sanktion zu unterziehen, setzen Fehlanreize für zu hohe Risiken. Die Korrektur von Anreizstrukturen für die Banken und derjenigen, die in den Banken tätig sind, sollte auch dazu beitragen, dass die Kundeninteressen stärker berücksichtigt werden.
- b) Im Rundschreiben 022/2009 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vom 22. Dezember 2009 wurden bereits aufsichtsrechtliche Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten aufgestellt. Unter Punkt 4.1. Ziffer 4b) ist festgelegt, dass sich der individuelle Erfolgsbeitrag für die Bemessung der Vergütung von Geschäftsleitern und entsprechenden Mitarbeitern auch an nichtfinanziellen Parametern, wie z.B. erlangte Qualifikation und Kundenzufriedenheit, zu bestimmen hat. Der Bundesrat sieht in diesem Kriterium eine wichtige Möglichkeit, die Kundeninteressen bei der Vergütungsstruktur zu berücksichtigen, und bittet daher die Bundesregierung sicherzustellen dass die in § 25a Absatz 5 KWG-E erwähnte Rechtsverordnung auch diese verbraucherrelevante Anforderung berücksichtigt.
Insbesondere sollte die Bundesregierung prüfen, wie die Aufsichtsbehörde diese Parameter effizient prüfen kann, um Verstöße nach § 45b KWG entsprechend sanktionieren zu können.
4. Zum Gesetzentwurf insgesamt
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Entgeltgleichheit von Frauen und Männern, insbesondere durch entsprechend erweiterte Verordnungsermächtigungen, sicherzustellen. Dies betrifft insbesondere die Ausgestaltung, Überwachung und Weiterentwicklung der Vergütungssysteme, die Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten, die Zusammensetzung der Vergütung, die Ausgestaltung der Vergütungsparameter, die Leistungszeiträume sowie die Offenlegung der Ausgestaltung der Vergütungssysteme und der Zusammensetzung der Vergütung.
Begründung
Die Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern liegt im EU-Durchschnitt bei 17,4 Prozent. Deutschland liegt dabei mit einem Durchschnitt von 23 Prozent an 21. Stelle der Entgeltungleichheit.
Angesichts dieser gleichstellungspolitisch unbefriedigenden Sachlage sollten grundsätzlich alle Möglichkeiten genutzt werden, auf die Vergütung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in allen Bereichen in diesem Sinne Einfluss zu nehmen. Es ist somit dringend erforderlich, die Vergütungssysteme so zu gestalten dass eine Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern vermieden wird. Im Zusammenhang mit den geplanten Gesetzesänderungen und den vorgesehenen konkretisierenden Rechtsverordnungen des Bundesministeriums der Finanzen besteht für Deutschland die Möglichkeit, diesem Ziel näher zu kommen, indem eine geschlechtergerechte Entgeltgestaltung als Kriterium bei den Anforderungen an die Vergütungssysteme eingeführt wird.
Die Forderung, die Entgeltdiskriminierung von Frauen aufzuheben, entspricht Artikel 141 des Vertrags von Lissabon sowie Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes.
Begründung (nur für das Plenum):
Bei der 19. GFMK 2009 erfolgte einstimmig unter TOP 8.3 "Maßnahmen zur Entgeltgleichheit" in Ziffer 4 folgende Aussage:
- "Die Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister, -senatorinnen und -senatoren der Länder sehen allerdings mit Sorge, dass Deutschland bisher noch keine nachhaltigen Erfolge vorweisen kann und im EU-Vergleich nach wie vor einen der hinteren Plätze einnimmt. Sie können nicht erkennen, wie die Bundesregierung ihre im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie gegebene Zusage, die geschlechtsspezifische Lohnlücke bis zum Jahr 2010 auf 15 Prozent und bis zum Jahr 2020 auf 10 Prozent zu reduzieren, auf der Grundlage der bisher freiwilligen Maßnahmen einlösen kann." Eine gleichlautende einstimmige Aussage erfolgte seitens der 86. ASMK 2009 unter Punkt 5. ihres Beschlusses zu TOP 7.3 "Maßnahmen zur Entgeltgleichheit".
B.
- 5. Der federführende Finanzausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.