962. Sitzung des Bundesrates am 24. November 2017
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Finanzausschuss (Fz) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission die Notwendigkeit der Überarbeitung des Verordnungsvorschlags zur Schaffung eines Europäischen Einlagenversicherungssystems (EDIS) (BR-Drucksache 640/15 (PDF) ) erkannt und mit der Mitteilung einen modifizierten Ansatz vorgelegt hat.
- 2. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission im Rahmen ihrer Überlegungen zur Einführung eines Europäischen Einlagenversicherungssystems (EDIS) die Notwendigkeit einer Überarbeitung ihres ursprünglichen Legislativvorschlags erkannt hat und der Verknüpfung von Risikoteilung und Risikoabbau und somit dem Prinzip einer vorherigen signifikanten Risikoreduzierung etwa durch eine vorherige Überprüfung der Aktiva-Qualität ein stärkeres Gewicht beimisst.
- 3. Der Bundesrat sieht die Modifikationen vor allem vor dem Hintergrund, dass die Kommission zeitnah Fortschritte bei der Einführung von EDIS als erforderlich ansieht und diese mit dem Abschluss der politischen Verhandlungen bis 2018 anstrebt.
- 4. Grundsätzliche Bedenken, die der Bundesrat bereits in der Vergangenheit gegen EDIS geäußert hat - wie die mit dessen Einführung verbundene Gefahr von Fehlanreizen oder die unzureichende Berücksichtigung der Besonderheiten des deutschen Kreditwesens, insbesondere der Institutssicherungssysteme der Sparkassen und Genossenschaftsbanken - bleiben hingegen auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Kommission in der vorliegenden Mitteilung bestehen.
- 5. Der Bundesrat hält weiterhin an seiner Stellungnahme vom 29. Januar 2016 zum Verordnungsvorschlag zur Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems (BR-Drucksache 640/15(B) ) fest [und bekräftigt seine Ablehnung von EDIS].
- 6. Er bestätigt seine Ansicht, dass eine leistungsfähige, verlässliche Einlagensicherung wesentlich dazu beiträgt, das Vertrauen der Einlegerinnen und Einleger in das Bankensystem zu erhalten und im Krisenfall einen massiven Abzug von Spareinlagen - den sogenannten Bank-Run - zu vermeiden.
- 7. Ein EDIS kann nur und erst dann einen zusätzlichen Beitrag zur Stabilität des Bankensystems und zur Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte leisten, wenn die Risiken in einer Bankenunion ausgeglichen verteilt sind.
- 8. Gleichwohl kommt der Bundesrat zu dem Schluss, dass auch der nun vorliegende modifizierte Ansatz die in der Stellungnahme vom 29. Januar 2016 zum Ausdruck gebrachten Bedenken nicht ausräumen kann. Insbesondere führt das nunmehr zweistufige System im finalen Stadium beim Ausfall einer Bank nach wie vor zu einer vollständigen Liquiditäts- und Verlustdeckung durch das EDIS. Dies bedeutet de facto eine Vergemeinschaftung der nationalen Einlagensicherung der teilnehmenden Mitgliedstaaten in voller Höhe.
- 9. Darüber hinaus lehnt der Bundesrat den modifizierten Ansatz auch aus folgenden Punkten im Einzelnen ab:
- - Die Kommission schlägt bei der Einführung von EDIS einen zu den verschiedenen Maßnahmen der Risikominderung parallelen Prozess vor. Der Bundesrat hält es demgegenüber - auch mit Blick auf das Vertrauen der Einlegerinnen und Einlieger - aufgrund der immer noch zu stark divergierenden Robustheit von Banken in den verschiedenen Mitgliedstaaten nicht für zielführend, schon mit der Einführung einer Einlagensicherung auf europäischer Ebene zu beginnen. Zunächst sollten die Finalisierung und Umsetzung von Risikominderungsmaßnahmen (zum Beispiel Einführung von TLAC-Standard und der MREL-Quote, überarbeitete Eigenkapitalvorgaben (CRR/CRD) und Abwicklungsprozess (BRRD)) sowie die Strategie für notleidende Kredite in Bankbilanzen angegangen werden, um eine einheitliche europäische Basis zu schaffen. Der Bundesrat stellt zudem fest, dass nach wie vor erhebliche Unterschiede bei der Umsetzung der Richtlinie 2014/49/EU vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme (DGSD-Richtlinie) in den Mitgliedstaaten bestehen, und fordert weiterhin die vollständige Umsetzung in allen Mitgliedstaaten. - Bestehende Altlasten sollten bereits vor Beginn der Stufe 1 auf ein Minimum reduziert werden. Die im modifizierten Ansatz vorgeschlagene Überprüfung der Qualität der Bilanzaktiva (AQR) und eine spätere Verknüpfung von anzugehenden Defiziten mit Bedingungen hält der Bundesrat demgegenüber für unzureichend. Es wird ein erhebliches Risiko darin gesehen, dass eine tatsächliche, maßgebliche Reduzierung der Altlasten allenfalls zu einem noch nicht absehbaren Zeitpunkt in der Zukunft - voraussichtlich erst nach Beginn der Stufe 2 - erwartet werden kann. In jedem Fall kann die Entscheidung über den AQR nicht der Kommission allein obliegen. Der Bundesrat sieht hier neben der Kommission auch eine Mitwirkung von Rat und Parlament als erforderlich an.
- - Zudem birgt die Rückversicherungsphase auch im modifizierten Ansatz erkennbare Elemente einer möglichen Risikoteilung und Vergemeinschaftung: Bereits mit Beginn der Rückversicherungsphase sollen Beiträge aller Banken zu dem gemeinsamen Einlagenversicherungsfonds (DIF) fällig werden. Kommt es zum Ausfall einer Bank, sollen Liquiditätsdefizite der nationalen Einlagensicherungssysteme sodann - bis zu 100 Prozent - in Form von Krediten des europäischen Einlagensicherungssystems überbrückt werden. Diese Kredite sollen durch Beiträge - oder im äußersten Fall auch in Form einer Nachschusspflicht ("Expost-Beiträge") - aller Banken finanziert werden. Bereits diese Form der Liquiditätsdeckung ist so angelegt, dass sie zu Lasten des gesamten europäischen Bankensektors gehen kann und insofern falsche Anreize auf Seiten der Banken und der nationalen Aufseher schafft.
- - Darüber hinaus zielt die im modifizierten Ansatz vorgesehene Mitversicherungsphase auf eine vollständige Vergemeinschaftung der Haftung. So ist in dieser Phase sukzessiv eine zunächst zwischen nationalem und europäischem Einlagensicherungssystem geteilte Verlustdeckung bis hin zur vollständigen Verlustdeckung durch das EDIS im letzten Stadium vorgesehen. Dies bedeutet eine Vergemeinschaftung der Haftung im Umfang des Anteils der Mithaftung des EDIS, also bereits zu Beginn der Mitversicherungsphase zu 30 Prozent. Eine Vergemeinschaftung der Haftung in diesem Umfang lehnt der Bundesrat ausdrücklich ab. Andernfalls müssten sämtliche Fehlentwicklungen in anderen Mitgliedstaaten auf dem Rücken der heimischen Sparerinnen und Sparer geschultert werden. - Zudem behebt die Modifikation des ursprünglichen Vorschlags nicht den Mangel der ungeeigneten Rechtsgrundlage (Artikel 114 AEUV).
- - Die Bankenunion hat in der Praxis kleine und mittlere Banken übermäßig mit Regulierungsanforderungen und Bürokratie belastet. Bei einem EDIS müssen die Leistungen von Institutssicherungssystemen, denen die Mehrheit dieser Banken angehört, adäquat berücksichtigt werden.
- 10. Dies ist nach der vorliegenden Mitteilung der Kommission nach wie vor nicht der Fall.
- 11. Auch vor dem Hintergrund der vorliegenden Mitteilung fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass vor weiteren Überlegungen in Sachen EDIS alle erforderlichen Maßnahmen zur Risikoreduzierung in den Banken konsequent ergriffen und notleidende Kredite in den Bankbilanzen abgebaut werden.
- 12. Der Bundesrat teilt zwar die Auffassung der Kommission, dass eine signifikante Reduktion des Bestandes an notleidenden Krediten in den Banken einiger europäischer Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Kreditvergabefähigkeit der betroffenen Banken von hoher Bedeutung ist. Die primäre Verantwortung hierbei sollte aber bei den Mitgliedstaaten und den Banken selbst liegen.
- 13. Der Bundesrat sieht daher nach wie vor auch den von der Kommission vorgelegten Richtlinienvorschlag über präventive Restrukturierungsmaßnahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren (BR-Drucksache 1/17) sehr kritisch und verweist in diesem Zusammenhang auf seine Stellungnahme vom 10. März 2017 (BR-Drucksache 1/17(B)). Es ist dringend zu vermeiden, dass ein neues, dem bisherigen Instrumentarium des Insolvenzrechts vorgelagertes Verfahren eingeführt wird, das voraussichtlich zu großen Teilen das abgestimmte und gut funktionierende deutsche Insolvenzrecht außer Kraft setzt.
- 14. Der Bundesrat betont, dass in Deutschland derzeit keine Anzeichen für ein systemweites Problem im Hinblick auf den Bestand notleidender Kredite bestehen. Hierzu haben nicht zuletzt die hohen Kreditvergabestandards des deutschen Bankensektors mit seiner Vielzahl an kleinen und mittelständischen Sparkassen, Genossenschaftsbanken und privaten Banken maßgeblich beigetragen. Der Bundesrat spricht sich daher dafür aus, dass im Hinblick auf neue regulatorische Maßnahmen, die auf den Abbau des Altbestands notleidender Kredite oder auf die Prävention gegen neue notleidende Kredite zielen, dieser Umstand angemessen berücksichtigt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unbedingt beachtet wird. Unnötige bürokratische Belastungen, die ihrerseits die Kreditvergabekapazitäten solider Banken einschränken, sind zu vermeiden.
- 15. Der Bundesrat sieht zudem noch erheblichen Konkretisierungs- und Klärungsbedarf bezüglich der von der Kommission vorgeschlagenen Schaffung eines geeigneten Rahmens für die Entwicklung von staatsanleihebesicherten Wertpapieren (Sovereign Bond-Backed Securities). Eine Vergemeinschaftung bestehender Schulden auf diesem Weg lehnt der Bundesrat strikt ab.
- 16. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 17. Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.