Siehe Drucksachen
772/11(B) und
772/11(B) (2)
Europäische Kommission
Brüssel, den 19.10.2012
C(2012) 7067 final
Herrn Horst Seehofer
Präsident des Bundesrates
Leipziger Straße 3-4
10117 Berlin
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Kommission dankt dem Bundesrat für seine Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung) (KOM (2011) 793 endgültig}. Bitte entschuldigen Sie unsere verspätete Antwort.
Die Kommission begrüßt die detaillierten Anmerkungen und Vorschläge des Bundesrates und weiß diesen sehr konstruktiven Beitrag zur Diskussion über die Kommissionsvorschläge zu schätzen.
Die Kommission teilt die Auffassung des Bundesrates, dass die Verbraucher in der Lage sein müssen, ihre Rechte nicht nur vor Gericht, sondern auch im Wege der alternativen Streitbeilegung geltend zu machen. Sie nimmt die Beobachtungen des Bundesrates zur Kenntnis, insbesondere hinsichtlich des Anwendungsbereichs der vorgeschlagenen Richtlinie, ihrer Rechtsgrundlage und ihrer Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip.
Artikel 1 der vorgeschlagenen Richtlinie zielt darauf ab, die Bedingungen für die Verwirklichung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern, indem dafür gesorgt wird dass mit Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern Stellen befasst werden können, die unparteiische, transparente, effektive und faire Verfahren der alternativen Streitbeilegung anbieten. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Existenz, Qualität und Bekanntheit der alternativen Streitbeilegungsverfahren und die Auswirkungen dieser Unterschiede auf das Funktionieren des Binnenmarktes werden in der Begründung zu der vorgeschlagenen Richtlinie beschrieben'. Grundlage für die Angleichung der Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten ist daher Artikel 114 AEUV.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann der Unionsgesetzgeber, sofern die Bedingungen für die Inanspruchnahme des Artikels 114 AEUV als Rechtsgrundlage erfüllt sind, nicht daran gehindert werden, sich auf diese Rechtsgrundlage zu berufen, da dem Verbraucherschutz bei den zu treffenden Entscheidungen maßgebende Bedeutung zukommt.2 In Artikel 1 der vorgeschlagenen Richtlinie wird nicht nur ausgeführt, dass die Richtlinie auf eine Verbesserung der Bedingungen für die Verwirklichung und das Funktionieren des Binnenmarktes abstellt, sondern auch - in diesem Zusammenhang - darauf zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen.
Um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen, hat die Kommission beschlossen, eine Richtlinie vorzuschlagen, die sowohl auf grenzübergreifende als auch auf inländische Streitigkeiten Anwendung findet. Es sei darauf hingewiesen, dass die materiellen Verbraucherrechte, die sich aus dem EU-Verbraucherrecht ergeben, unterschiedslos auf grenzübergreifende und inländische Sachverhalte Anwendung finden. Wäre der Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie auf grenzübergreifende Sachverhalte beschränkt, so wühlen bei allen inländischen Streitigkeiten die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Existenz, Qualität und Bekanntheit alternativer Streitbeilegungsverfahren weiterhin bestehen. Das Verbraucherschutzniveau würde dann davon abhängen, ob der Verbraucher grenzübergreifende oder inländische Geschäfte tätigt. Nach der Auffassung der Kommission sollte für Verbraucher in beiden Fällen das gleiche Schutzniveau gelten.
Wie unter 3.2 der Begründung zum Richtlinienvorschlag beschrieben, führen wachsende Unterschiede in den nationalen Strategien der Mitgliedstaaten in Bezug auf Streitbeilegungsverfahren zur Zersplitterung in diesem Bereich, wodurch die Ungleichbehandlung von Verbrauchern und Unternehmern im Binnenmarkt und die Unterschiede hinsichtlich des Umfangs des Rechtsschutzes für Verbraucher innerhalb der EU verstärkt werden. Dies gilt sowohl für grenzübergreifende als auch für inländische Streitigkeiten. Einschlägige Maßnahmen auf EU-Ebene generieren einen klaren Mehrwert, da sie eine einheitliche Verfügbarkeit, Qualität und Bekanntheit der alternativen Streitbeilegung gewährleisten und damit für einen einheitlichen Schutz der Verbraucherrechte in der gesamten Union sorgen.
Ich hoffe, dass diese Erläuterungen und die Antworten auf die in Ihrer Stellungnahme angesprochenen spezifischeren Punkte (siehe Anhang) die Bedenken des Bundesrates ausräumen können.
Ich freue mich auf die künftige Fortsetzung unseres politischen Dialogs. Mit freundlichen Grüßen
Anhang - Antwort auf die Stellungnahme des Bundesrates zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung) (KOM (2011) 793 endgültig)
1. Kohärenz mit der vorgeschlagenen Verordnung über Online-Streitbeilegung
Die Kommission teilt die Auffassung des Bundesrates, dass zwischen dem Vorschlag für eine Richtlinie über alternative Streitbeilegung und dem Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (Verordnung über Online-Streitbeilegung) (KOM (2011) 794 endg.}, der sich auf ersteren stützt, uneingeschränkter Gleichlauf bestehen sollte, insbesondere hinsichtlich der verwendeten Terminologie.
Der Kommission ist bekannt, dass sich in den deutschen Sprachfassungen der beiden Rechtsetzungsvorschläge eine abweichende Wortwahl an Stellen findet, die identisch sein sollten. Die Vorbereitungsgremien des Rates befassten sich mit dieser Frage und es wurde vorgeschlagen, in der deutschen Sprachfassung die erforderlichen Korrekturen vorzunehmen, wenn der Rechtsakt von den gesetzgebenden Organen verabschiedet wird.
2. Anwendungsbereich
Die Kommission nimmt die Anregung des Bundesrates zur Kenntnis, den Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie auf vorvertragliche Streitigkeiten auszuweiten und die Begriffsbestimmung der "grenzübergreifenden Streitigkeit" in Artikel 4 Buchstabe d der vorgeschlagenen Richtlinie dem Konzept der "grenzübergreifenden Verträge" gemäß Artikel 4 des Vorschlags der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht {KOM (2011) 635 endgültig) anzugleichen. Darüber hinaus nimmt die Kommission die Argumente des Bundesrates zur Kenntnis, die auf eine engere Fassung des Anwendungsbereichs der Richtlinie abstellen, um Beschwerden der Unternehmer über Zahlungsrückstände und -ausfälle durch die Verbraucher auszuschließen.
Die Kommission ist davon überzeugt, dass die vorgeschlagene Richtlinie nur dann einen einheitlichen Verbraucherschutz sicherstellen kann, wenn sie unabhängig davon gilt, ob die Verbraucher im Inland oder im Ausland Geschäfte tätigen. Deshalb lehnt sie es ab, den Anwendungsbereich des Vorschlags auf grenzübergreifende Streitigkeiten zu beschränken.
3. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der AS-Stellen
Die Kommission ist davon überzeugt, dass die vorgeschlagene Richtlinie ausreichende Vorkehrungen enthält, die die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der AS-Stellen sichern.
4. Abweisung von Beschwerden
Die vorgeschlagene Richtlinie soll sicherstellen, dass alle in ihren Anwendungsbereich fallenden Streitigkeiten einer AS-Stelle vorgelegt werden können. Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Richtlinie lehnt es die Kommission im Allgemeinen ab, AS-Stellen zu ermöglichen, ihnen vorgelegte Beschwerden abzuweisen. Sie erkennt jedoch an, dass die AS-Stellen für eine wirksame Funktionsweise sorgen müssen, und dass in Ausnahmefällen ein alternatives Streitbeilegungsverfahren für den Umgang mit einer Streitigkeit ungeeignet sein könnte.
5. Zugang zu AS-Stellen; Frist für den Abschluss von alternativen Streitbeilegungsverfahren
Die Kommission nimmt den Vorschlag zur Kenntnis, demzufolge klargestellt werden sollte, dass AS-Stellen nicht nur auf elektronischem Wege, sondern auch mittels konventioneller Kommunikationsformen erreichbar sein müssen, und dass die in Artikel 8 Buchstabe d der vorgeschlagenen Richtlinie vorgesehene Frist von 90 Tagen sich auf den Zeitpunkt des Abschlusses des alternativen Streitbeilegungsverfahrens beziehen sollte, und nicht auf den Zeitpunkt der Beilegung der Streitigkeit.
6. Festlegung der Zuständigkeit, wenn mehrere AS-Stellen in Betracht kommen
Die Kommission hält es nicht für erforderlich, in der vorgeschlagenen Richtlinie festzulegen, welche AS-Stelle mit einer Streitbeilegung befasst werden kann, wenn mehrere AS-Stellen dafür in Betracht kommen. Die Kommission ist davon überzeugt, dass es - im Einklang mit dem freiwilligen Charakter der alternativen Streitbeilegung -den Parteien überlassen bleiben sollte, in einem solchen Fall zu entscheiden, welcher AS-Stelle die Streitigkeit vorgelegt wird Der Vorschlag beschränkt nicht die Freiheit der Parteien, eine solche Wahl zu treffen.
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass in der vorgeschlagenen Richtlinie zwar starke Anreize für Unternehmer gesetzt werden, Verfahren der alternativen Streitbeilegung zu nutzen, etwa durch die Verpflichtung, den Verbrauchern Informationen über die für sie zuständige AS-Stelle bereitzustellen und anzugeben, ob sie in Bezug auf gegen sie erhobene Verbraucherbeschwerden die Zuständigkeit einer AS-Stelle anerkannt haben oder nicht. Die vorgeschlagene Richtlinie sieht jedoch keine Verpflichtung für Unternehmer vor, an einem alternativen Streitbeilegungsverfahren teilzunehmen.
7. Informationspflichten für Unternehmer
Die Kommission nimmt die Anregung des Bundesrates zur Kenntnis, dass die Unternehmer den Verbrauchern die Informationen nach Artikel 10 Absatz 1 der vorgeschlagenen Richtlinie zusätzlich dann zur Verfügung stellen sollten, wenn ein Verbraucher dem Unternehmer, einem von diesem betriebenen System zur Bearbeitung von Verbraucherbeschwerden oder Unternehmens-Ombudsleuten eine Beschwerde vorlegt.
Die Verpflichtung für Unternehmer, die Informationen gemäß Artikel 10 Absatz 1 der vorgeschlagenen Richtlinie auf Rechnungen und Quittungen bereitzustellen, ist ein wesentliches Instrument zur Sicherstellung dass den Verbrauchern das Konzept der alternativen Streitbeilegung bekannt ist und die betreffenden Verfahren genutzt werden.
Daher folgt die Kommission nicht der Analyse des Bundesrates, nach der diese spezifischen Informationspflichten mit einem übermäßigen Verwaltungsaufwand für die Unternehmer einhergehen.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Angabe der betreffenden Informationen auf den Rechnungen und Quittungen nicht mehr als zwei Zeilen in Anspruch nehmen würde. Angesichts des Umsetzungszeitraums der vorgeschlagenen Richtlinie haben die Händler außerdem ausreichend Zeit, die entsprechenden Anpassungen ihrer Kassen und Geschäftsunterlagen im Rahmen ihres normalen Geschäftsbetriebs zu berücksichtigen. Allerdings nimmt die Kommission den Vorschlag des Bundesrates zur Kenntnis, eine Ausnahme von den Informationspflichten nach Artikel 10 Absatz 1 der vorgeschlagenen Richtlinie für solche Verträge zu machen, die Geschäfte des täglichen Lebens zum Gegenstand haben und zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sofort erfüllt werden.
8. Verjährungsfristen
Die Kommission nimmt die Empfehlung zur Kenntnis, in die vorgeschlagene Richtlinie eine Bestimmung aufzunehmen, nach der die einschlägigen Verjährungsfristen für die gesamte Dauer des alternativen Streitbeilegungsverfahrens ausgesetzt werden sollten. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass derartige Bestimmungen in verschiedenen Mitgliedstaaten bereits in Kraft sind und die vorgeschlagene Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, einschlägige Regelungen in ihren Rechtsvorschriften beizubehalten oder einzuführen.
9. Veröffentlichung von Beginn und Ausgang von alternativen Streitbeilegungsverfahren; Bezeichnung für AS-Stellen, die die EU-Vorgaben erfüllen
Die Kommission nimmt die Anregung zur Kenntnis, in der vorgeschlagenen Richtlinie festzulegen, dass AS-Stellen spezifische Informationen über einzelne alternative Streitbeilegungsverfahren veröffentlichen müssen. Allerdings möchte die Kommission den Bundesrat darauf hinweisen, dass eine Verpflichtung zur Veröffentlichung derartiger Informationen einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand für die AS-Stellen nach sich ziehen könnte.
Die Kommission wird den Vorschlag sorgfältig prüfen, wonach eine besondere Bezeichnung für AS-Stellen, die die in der vorgeschlagenen Richtlinie festgelegten Qualitätsanforderungen erfüllen, eingeführt und nur diesen AS-Stellen erlaubt werden soll, eine solche Bezeichnung zu führen.
10. Überwachung von AS-Stellen
Die Kommission ist davon überzeugt, dass es für eine einheitliche Anwendung der in der vorgeschlagenen Richtlinie festgelegten Mindestqualitätsanforderungen im Binnenmarkt notwendig ist, in dem Vorschlag auch einen harmonisierten Durchsetzungsrahmen vorzusehen. Die Kommission teilt die Auffassung dass dieser Durchsetzungsrahmen nicht zu einem unverhältnismäßigen Bürokratie- und Verwaltungsaufwand für die Mitgliedstaaten führen darf Daher hat sie in den Artikeln 15 bis 17 der vorgeschlagenen Richtlinie einen entsprechenden Durchsetzungsrahmen vorgeschlagen. Die von den zuständigen Behörden vorzunehmenden Durchsetzungsmaßnahmen sollen eine regelmäßige Beurteilung der AS-Stellen anhand der in Kapitel II des Vorschlags dargelegten Anforderungen umfassen. AS-Stellen, die den Qualitätsanforderungen gemäß Kapitel II der vorgeschlagenen Richtlinie genügen, werden in eine Liste aufgenommen; AS-Stellen, die diese Qualitätsanforderungen nicht erfüllen, werden nicht in die Liste aufgenommen bzw. aus ihr gestrichen.
Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass nach Auffassung des Bundesrates der in der vorgeschlagenen Richtlinie dargelegte begrenzte Umfang des Durchsetzungsrahmens möglicherweise nicht ausreichend klar aus dem Wortlaut der Artikel 15 bis 17 hervorgeht.
11. Unterstützung der AS-Stellen
In ihrer Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss "Alternative Verfahren zur Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten im Binnenmarkt" (KOM (2011) 791 endg.} hat die Kommission eine Reihe von flankierenden Maßnahmen im Hinblick auf die Weitergabe von Informationen und Schulungen ermittelt, die die Kommission durchzuführen beabsichtigt, um den Zugang zu AS-Stellen und die Nutzung dieser Stellen zu verbessern. Auch den AS-Stellen werden diese Maßnahmen zugute kommen. Die Kommission wird außerdem technische Hilfe für AS-Stellen bereitstellen, um diese bei der Anmeldung bei der OS-Plattform zu unterstützen, die in der vorgeschlagenen Verordnung über Online-Streitbeilegung vorgesehen ist. Die Kommission beabsichtigt jedoch nicht, die Einrichtung von AS-Stellen in den Mitgliedstaaten finanziell zu unterstützen.
- 1. Siehe auch Erwägungsgründe 2 und 3.
- 2. Vgl. Urteil des EuGH vom 5. Oktober 2000, Rs. C-376/98 Bundesrepublik Deutschland gegen Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union, Randnr. 88; Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01 British American Tobacco, Randnr. 62; Urteil vom 8. Juni 2010, Rs. C-58/08 Vodafone, Randnr. 36 (alle zu Artikel 95 EGV).