Der Bundesrat hat in seiner 903. Sitzung am 23. November 2012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt im Grundsatz die Überlegungen der Kommission zur weiteren Gestaltung des Europäischen Forschungsraumes (EFR). Auch er sieht die Notwendigkeit, die Forschungsleistungen Europas im Hinblick auf die Förderung von Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu optimieren. Er unterstützt das Ziel, die Effizienz und Exzellenz der öffentlichen Forschungssysteme zu erhöhen, Freizügigkeit für Forscherinnen und Forscher zu schaffen und einen freien Verkehr von Wissen zu ermöglichen. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auch auf seine Stellungnahmen vom 6. Juli 2007 (BR-Drucksache 251/07(B) ) und vom 10. Oktober 2008 (BR-Drucksache 401/08(B) sowie BR-Drucksache 521/08(B) ).
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass die von der Kommission genannten Schwerpunktbereiche zur Schaffung des EFR in Deutschland bereits weitgehend umgesetzt werden und dass in den vergangenen Jahren - wie das auch in der Kommissionsmitteilung festgestellt wird - wesentliche Fortschritte bei der Entwicklung des EFR erreicht worden sind.
- 3. Der Bundesrat bekräftigt die Feststellung der Kommission, dass die nationalen Forschungssysteme der Mitgliedstaaten weiterhin die Basis für den EFR bilden. Er unterstützt die Absicht, zur Schaffung eines global wettbewerbsfähigen EFR die nationalen Systeme gegenseitig stärker zu öffnen und miteinander zu verknüpfen, sofern die geplanten Maßnahmen auf freiwilliger Basis erfolgen und die Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten und die unterschiedlichen Gegebenheiten der nationalen Systeme berücksichtigt werden.
- 4. Der Bundesrat ist wie die Kommission der Auffassung, dass Investitionen in Forschung und Innovation und der effiziente Mitteleinsatz Voraussetzungen für die Erhaltung der globalen Wettbewerbsfähigkeit Europas sind. Die Erreichung des 3-Prozent-Ziels und die Verbesserung der Forschungszusammenarbeit in Europa müssen daher weiterhin mit Nachdruck betrieben werden.
- 5. Der Bundesrat teilt die Einschätzung, dass die Vielfalt der Forschungssysteme in Europa den Wettbewerb und damit Wissenschaft und Innovation fördern. Dabei gilt es, ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Wettbewerb und Zusammenarbeit sicherzustellen. Daher begrüßt der Bundesrat den Ansatz, europäische Forschungsprogramme aufeinander abzustimmen, um Forschungs- und Innovationspotenziale in den Mitgliedstaaten besser auszuschöpfen.
- 6. Die Kooperation muss im Rahmen der Festsetzung von Forschungsschwerpunkten zwischen den Mitgliedstaaten, die den Großteil der Finanzierung der Programme sicherstellen, und in enger Abstimmung mit den direkt betroffenen Forschungs- und Forschungsförderorganisationen geschehen. Die Forschungs- und Fördereinrichtungen legen die Bedingungen ihrer Zusammenarbeit selbstständig fest. Eine kommissionsgesteuerte Koordinierung wird abgelehnt.
- 7. Allerdings bestehen nach Auffassung des Bundesrates auch Grenzen der Integration. Bei der Verbesserung des Leistungsniveaus der Forschung müssen daher jedem Mitgliedstaat auch eigenverantwortliche Entscheidungsspielräume vorbehalten bleiben. Erst dadurch wird eine Forschungsförderung nach dem jeweiligen regionalen Bedarf sichergestellt.
- 8. Der Bundesrat hat in diesem Zusammenhang insbesondere Bedenken gegen den von der Kommission in Abschnitt 2.1 skizzierten Schwerpunktbereich "Effektivere nationale Forschungssysteme" und sieht weder Bedarf zur Reformierung noch zur Vereinheitlichung von Rechtsvorschriften.
Bei der Vergabe von Fördermitteln werden die genannten Konzepte des Wettbewerbs sowie des "Peer Review" in Deutschland bereits erfolgreich angewandt.
Der Bundesrat ist ebenfalls der Auffassung, dass eine transparente Vergabe von Forschungsmitteln im Wettbewerb und eine regelmäßige Evaluierung der Forschungseinrichtungen die Qualität der Forschung sichert. In Deutschland hat sich bereits seit langem eine umfassende Evaluationskultur durchgesetzt, die sämtliche Bereiche der Bildung und der Forschung umfasst.
Dabei stellt die wettbewerbsgestützte Vergabe von Fördermitteln jedoch nur eine Option dar, die in passenden Fällen genutzt wird. In anderen Fällen werden offene Förderprogramme aufgelegt, die es erlauben, im Rahmen der vorhandenen Haushaltsmittel laufend Forschungsprojekte zu unterstützen. Diese Förderprogramme sind auf die besonderen Bedürfnisse von KMU ausgelegt, die mit den terminlichen Grenzen in einem wettbewerbsgestützten Verfahren nur in seltenen Fällen arbeiten können. Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, dass eine ausschließlich auf wettbewerblichen Kriterien basierende Vergabe von Fördermitteln die differenzierten Ansätze zur regionalen Forschungsförderung unmöglich machen würde.
Ebenso wird das "Peer Review" eng in Abhängigkeit von Aufwand und Nutzen durchgeführt. Das bedeutet, dass bei niedrigen Fördersummen allenfalls ein Sachverständiger hinzugezogen wird, während bei größeren Vorhaben mehrere Sachverständige und in Fällen mit internationalen Bezügen auch internationale Sachverständige einbezogen werden. Der Bundesrat befürchtet in diesem Zusammenhang, dass das Ziel, exzellente Forschungsleistungen zu fördern, durch die Etablierung von aufwändigen formalen Verfahren, die über die bisherige differenzierte Praxis hinausgehen und den bürokratischen Aufwand für jeden Einzelfall erhöhen, konterkariert würde. Ein internationales "Peer-Review" wird daher nicht in allen Fällen, z.B. bei regionaler FuE-Förderung, für erforderlich gehalten.
- 9. Die Mitteilung der Kommission weist den Organisationen der Forschungsakteure eine aktive Rolle zu. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die angesprochenen Organisationen und Dachorganisationen wie z.B. "Science Europe" nur im Rahmen der ihnen übertragenen Kompetenzen und Entscheidungsspielräume handeln können.
- 10. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission geforderte Öffnung der Arbeitsmärkte für Forscherinnen und Forscher sowie die Verbesserung ihrer Mobilität zwischen den Mitgliedstaaten. Er begrüßt die Fortschritte, die dabei bereits erreicht wurden.
- 11. Der Bundesrat weist darauf hin, dass offene, transparente und leistungsbezogene Einstellungsverfahren in Deutschland bereits praktiziert werden. Er ist der Auffassung, dass bei Bekanntmachung von Stellenangeboten die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muss. Insbesondere müssen legitime Interessen und Grundsätze der Personalentwicklung der Einrichtungen gewahrt bleiben.
- 12. Der Bundesrat erkennt den Nutzen des von der Kommission initiierten EURAXESS-Portals für die Stellensuche und Karriereplanung für Forscherinnen und Forscher an. Eine verpflichtende Ausschreibung sämtlicher Stellenangebote über dieses Portal wird jedoch nicht für notwendig erachtet, da es in Deutschland verschiedene Anbieter von Portalen für die Stellensuche gibt. Stattdessen sollte die Kooperation zwischen den verschiedenen Anbietern von Portalen für die Stellensuche und Karriereplanung für Forscherinnen und Forscher unterstützt werden.
- 13. Der Bundesrat stellt fest, dass die Empfehlungen der Europäischen Charta für Forscher und der Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern vom 11. März 2005 und die Human-Ressources-Strategie (HR-Strategie) in Deutschland bereits weitgehend angewendet werden. Die Anwendung von Forschercharta, Kodex und HR-Strategie muss jedoch weiterhin freiwillig bleiben. Insbesondere darf die Teilnahme an europäischen Forschungs- und Innovationsprogrammen und die Vergabe von Fördermitteln nicht direkt oder indirekt von der formellen Annahme von Forschercharta und Kodex oder der Umsetzung der HR-Strategie abhängig gemacht werden.
- 14. Der Bundesrat unterstützt die Bemühungen, die Qualität der Doktorandenausbildung durch die Einführung strukturierter Doktorandenprogramme zu steigern, betont jedoch, dass die Entscheidung über die Organisation der Doktorandenausbildung als autonome Entscheidung bei den Hochschulen liegt. In Deutschland gibt es an Hochschulen und Forschungseinrichtungen bereits eine Vielzahl solcher Programme. Mit der Exzellenzinitiative wurde eine umfangreiche eigene Förderlinie zum Aufbau von Graduiertenschulen aufgelegt. Neben der strukturierten Graduiertenausbildung müssen jedoch auch individuelle Promotionswege weiterhin offen bleiben. Die unterschiedliche Fächerkultur sollte in den angebotenen Promotionswegen Berücksichtigung finden.
- 15. Der Bundesrat sieht die Bedeutung von Transparenz und Zusammenarbeit im Bereich der Sozialen Systeme für den Abbau von Mobilitätshindernissen. Er begrüßt, dass auch die Kommission die Forscherinnen und Forscher als Teil der gesamten Arbeitnehmergruppe mit hoher Mobilität innerhalb der EU sieht. Er unterstreicht aber, dass die EU hier nicht über eine harmonisierende Zuständigkeit verfügt. Insoweit verweist der Bundesrat auf seine Stellungnahme zum Weißbuch der Kommission "Eine Agenda für angemessene, sichere und nachhaltige Pensionen und Renten" vom 30. März 2012 (BR-Drucksache 094/12(B) ).
Er weist darauf hin, dass von Seiten der Länder nicht beabsichtigt ist, am bewährten System der Zusatzversorgung für Forschende im öffentlichen Bereich grundsätzlich etwas zu ändern.
Aufgrund des neuen Instruments der sogenannten "ERA-Pakte" unterstreicht er, dass die unterzeichnenden Parteien nur im Rahmen der ihnen durch Verfassung und Gesetze zustehenden Kompetenzen weitere Vereinbarungen treffen können. Der Bundesrat begrüßt deshalb, dass die Kommission erklärt, dass sie mit Akteuren nur im Rahmen von deren Zuständigkeiten verhandelt.
Die Länder unterstützen Aktivitäten, durch die Hemmnisse im Rahmen von grenzüberschreitender Mobilität abgebaut werden können, soweit die Stabilität und die Sicherheit der bestehenden und erfolgreich arbeitenden Einrichtungen der Zusatzversorgung in den Mitgliedstaaten unberührt bleiben. Aus ihrer Sicht ist hier vorrangig eine auf die Bedürfnisse der mobilen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zugeschnittene Transparenz und Information erforderlich, um diesen den Umgang mit den verschiedenen Alterssicherungssystemen zu erleichtern.
Der Bundesrat begrüßt daher ausdrücklich die Initiative von europäischen Versorgungsträgern für öffentlichrechtlich beschäftigte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, mit der im Rahmen eines Wissensportals im Internet "Find your Pension Portal" Transparenz und Information hinsichtlich der staatlichen und betrieblichen Altersversorgung hergestellt werden soll. Unter Einbeziehung von gesetzlichen Rentenversicherungsträgern der Mitgliedstaaten wird hierdurch ein wichtiger Schritt getan, um gemeinsam Hemmnisse bei der internationalen Mobilität zu beseitigen sowie die Zusammenarbeit der europäischen Versorgungsträger zu vertiefen.
- 16. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass das gesamte Potenzial des EFR nur ausgeschöpft werden kann, wenn alle Regionen und Akteure die Möglichkeit zur Partizipation entsprechend ihrem Entwicklungsstand haben. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass die Unterschiede zwischen den in Forschung und Entwicklung sowie deren Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten weit entwickelten Mitgliedstaaten und solchen mit Aufholbedarf erheblich sind. Er begrüßt daher den Ansatz der Kommission, den Einsatz der Strukturfonds verstärkt mit den Zielen des künftigen Rahmenprogramms für Forschung und Innovation abzustimmen, um verstärkt Mittel in die Förderung der Forschungsinfrastruktur, des Technologietransfers und des Humankapitals investieren zu können.
- 17. Wie die Kommission betont der Bundesrat die Notwendigkeit, einen für Frauen und Männer gleichermaßen attraktiven Arbeitsmarkt zu schaffen, um das Potenzial des EFR voll ausschöpfen zu können.
- 18. Der Bundesrat teilt die Auffassung hinsichtlich der Bedeutung des Zugangs zu Kenntnissen aus der öffentlichen Forschung sowie hinsichtlich der Notwendigkeit des Wissenstransfers in die Wirtschaft. Er begrüßt daher die Absicht der Kommission, den offenen Zugang zu Veröffentlichungen zu einem allgemeinen Prinzip für alle EU-finanzierten Projekte im neuen Rahmenprogramm für Forschung und Innovation zu machen und sicherzustellen, dass dabei den Anliegen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Unternehmen im Hinblick auf geistiges Eigentum und Nutzungsrechte umfassend Rechnung getragen wird.
- 19. Auch der Bundesrat ist der Auffassung, dass die internationale Vernetzung von Wissenschaft und Forschung weiter gesteigert werden muss; er unterstreicht die Notwendigkeit der inner- und außereuropäischen Kooperation und des Austauschs von Wissen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Der Bundesrat weist jedoch darauf hin, dass die EU keine Regelungskompetenz für akademische Ausbildungsprogramme hat. Gleiches gilt für die Ausgestaltung der Hochschulverfassungen in den einzelnen Mitgliedstaaten.
- 20. Der Bundesrat fordert die Kommission auf, die Entwicklung des angekündigten EFR-Überwachungsmechanismus und die Auswahl der Indikatoren in einem transparenten Prozess unter Beteiligung der Mitgliedstaaten vorzunehmen. Die Auswahl und Zahl der Indikatoren sollte sich auf das für die Beurteilung des Fortschritts bei der Vollendung des EFR erforderliche Mindestmaß beschränken. Bei der Auswahl wie bei der Implementierung sollte auf etablierte Verfahren in der Zusammenarbeit von Eurostat mit den nationalen statistischen Ämtern zurückgegriffen werden. Ein unmittelbarer Zugriff der Kommission auf Forschungseinrichtungen und Hochschulen wird abgelehnt.
- 21. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.