901. Sitzung des Bundesrates am 12. Oktober 2012
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U), der Verkehrsausschuss (Vk) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt das Ziel der Kommission, den globalen Klimawandel auf einen Temperaturanstieg von maximal zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Wert zu begrenzen.
- 2. Der Bundesrat erkennt die Bedeutung einer wirksamen Reduktion der Treibhausgasemissionen im Verkehrsbereich an und sieht dies als Beitrag zum klimapolitischen Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2050 die CO₂-Emissionen um mindestens 80 Prozent gegenüber 1990 zu senken.
- 3. Angesichts der Tatsache, dass die Definition des WLTP-Messzyklus derzeit noch nicht abgeschlossen ist, hält es der Bundesrat für erforderlich, dass eine Festlegung der Ziele für die Zeit nach 2020 erst im Jahr 2017 erfolgt, wenn die Auswirkungen des neuen Messzyklus berechenbar werden.
- 4. Der Bundesrat unterstützt im Grundsatz den Vorschlag der Kommission, die Senkung der durchschnittlichen CO₂-Emissionen von neuen Personenkraftwagen ab 2020 bereits jetzt rechtlich verbindlich festzuschreiben.
- 5. (Hauptempfehlung)
Der Bundesrat hält es angesichts der Klimaschutzziele und des bereits heute erreichten Standes der Technik bei der Verbrauchsreduktion von Personenkraftwagen jedoch für geboten, einen mit 80 g CO₂/km ambitionierteren Zielwert für die Zeit ab 2020 festzulegen. Dabei soll sichergestellt werden, dass es nicht zu Verzögerungen im Zeitplan kommt.
- 6. (Hilfsempfehlung)
Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich den Ansatz der Kommission, die auf Gemeinschaftsebene bereits vereinbarte Senkung der durchschnittlichen CO₂- Emissionen neuer Personenkraftwagen ab 2020 auf 95 g CO₂/km nunmehr rechtlich bindend zu regeln. Der verbindliche CO₂-Grenzwert für Pkw ab 2020 ist geeignet, maßgeblich zur Verringerung der Ölabhängigkeit beizutragen und die Treibhausgasemissionen des Straßenverkehrs zu senken.
- 7. Der Bundesrat hält am Ziel von 95 g CO₂/km für die durchschnittliche neue Fahrzeugflotte im Jahr 2020 fest.
Der Bundesrat hält die Weiterführung des bisher geltenden "Integrated Approach" für erforderlich, um das gemeinsame Ziel von 95 g CO₂/km für das Jahr 2020 überhaupt erreichen zu können.
- 8. (Hauptempfehlung)
Der Bundesrat plädiert auch in Hinblick auf die Investitions- und Planungssicherheit für die Automobilindustrie schon jetzt für die Festlegung eines weiteren CO₂-Reduktionszieles im Verkehrsbereich für die Zeit ab 2025. Der Bundesrat fordert daher für die Zeit ab 2025 die Festlegung eines Zielwertes für die durchschnittlichen Emissionen der Flotte neuer Personenkraftwagen von 60 g CO₂/km.
- 9. (Hilfsempfehlung)
Die Bundesregierung hat im Energiekonzept vom 28. September 2010 festgelegt, sich auf europäischer Ebene für eine ambitionierte Ausgestaltung der CO₂-Grenzwerte für Neufahrzeuge einzusetzen. Der Bundesrat begrüßt dies und spricht sich dafür aus, für die Zeit nach 2020 einen weiteren CO₂-Grenzwert festzulegen, der mit den Klimaschutzzielen der EU korrespondiert. Aufgrund der fortgeschrittenen Fahrzeugtechnologie und ihrer Potentiale sollte dieser Grenzwert in 2025 nicht mehr als 80 g CO₂/km betragen.
- 10. Der Bundesrat lehnt die Abflachung der Regressionsgeraden zur Berechnung des zulässigen CO₂-Verbrauchs pro Fahrzeugflotte auf eine Steigung von 0,0333 (Annex I) ab. Der Bundesrat hält es für unerlässlich, dass die ursprüngliche Steigung von 0,0457, die als Kompromiss aller Beteiligten zur Verordnung (EG) Nr. 443/2009 schließlich Zustimmung gefunden hat, beibehalten wird. Die im Vorschlag vorgesehene Abflachung auf 0,0333 führt zu einer überproportionalen Lastenverteilung zu Gunsten der Massenhersteller von Kleinwagen, denen durch diesen Verlauf der Geraden kaum Anreize zu klimapolitisch erwünschten und erforderlichen Innovationen oder zur Produktion CO₂-effizienter Pkw gesetzt wird. Insofern wirkt die Abflachung der Geraden kontraproduktiv. Der Bundesrat lehnt die Abflachung der Geraden auch aus handelspolitischen Gesichtspunkten ab. Die CO₂-Gesetzgebung der EU wird weltweit als Vorbild betrachtet. Eine übertrieben flache Gerade würde in den für die europäischen Automobilhersteller weltweit wichtigsten außereuropäischen Absatzmärkten eine starke negative Signalwirkung hin zu einer Bevorzugung der einheimischen Massenhersteller entwickeln.
- 11. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich bei den weiteren Verhandlungen für die Umsetzung der im Verordnungsvorschlag vorgesehenen Zielwertkurve einzusetzen. Diese bleibt linear bei einer Neigung von 60 Prozent gemessen an der Referenzflotte, die weiterhin der Flotte von 2006 entspricht und mit der Grenzwertkurve von 2015 in Einklang steht.
- 12. Der Bundesrat teilt die Einschätzung, dass die Entwicklung in Bezug auf spezifische CO₂-Emissionen hocheffizienter Fahrzeuge wirtschafts- und wettbewerbspolitisch für die Hersteller und Zulieferer in der Automobilindustrie von enormer Bedeutung ist.
- 13. Der Bundesrat hält den Verfahrensweg der delegierten Rechtsakte (Artikel 13, 14, 14a), speziell hinsichtlich der Anpassung der Zielvorgaben für 2020 nach Änderung des Prüfmessverfahrens für die Messung der spezifischen CO₂- Emissionen, für sehr problematisch. Die Arbeiten an dem neuen Fahrzyklus sowie der dazugehörigen Prüfmethodik (WLTP) dauern noch an. Die Ermächtigung für die Kommission im Rahmen der delegierten Rechtsakte lässt eine breite Varianz des am Ende gültigen Ergebnisses zu. Aus Sicht des Bundesrates besteht hier eine erhebliche Rechts- und Investitionsunsicherheit für alle europäischen Automobilhersteller. Es sollte daher im Verordnungsvorschlag festgeschrieben werden, dass die Erfüllung des 95 g CO₂/km-Ziels mit dem heutigen Zyklus (NEDC) festgestellt wird.
- 14. Der Bundesrat kann vor dem Hintergrund der gemeinsamen Anstrengungen von EU, Mitgliedstaaten und Regionen zur Förderung der Elektromobilität die im Vorschlag getroffenen Einschränkungen zu den so genannten Super Credits nicht nachvollziehen. Der Bundesrat fordert daher, die Mehrfachanrechnung von Pkw mit alternativen Antrieben ohne eine mengenmäßige Begrenzung der anrechenbaren Fahrzeuge zu ermöglichen. Dazu müssen auch effiziente PlugIn-Hybride und Range-Extender-Fahrzeuge in allen Fahrzeugklassen zählen. Die "Super Credits" stellen ein effizientes, haushaltsneutrales und wirksames Anreizinstrument für alternative Antriebsformen wie der Elektromobilität dar. Damit würde gewährleistet, dass die EU bei alternativen Antriebsformen im weltweiten Vergleich nicht ins Hintertreffen gerät und die eigene Position beim Wettbewerb um diese Schlüsseltechnologie gestärkt wird.
- 15. Der Bundesrat fordert stärkere Flexibilität für die Hersteller bei der Erreichung des Ziels für 2020. Dies kann über die Einführung eines freiwilligen Verrechnungsmodells auf der Basis eines herstellerspezifischen linearen Minderungspfades erfolgen. Der Bundesrat hält es auch für klimapolitisch begrüßenswert, wenn Hersteller auf Grund ihres herstellerspezifischen Minderungspfads das Ziel in Teilen früher als 2020 erreichen.
- 16. Der Bundesrat sieht allerdings die im Kommissionsvorschlag festgelegte Beibehaltung der Fahrzeugmasse als Nutzwertparameter kritisch, insbesondere mit Blick auf die notwendigen absoluten CO₂-Reduktionen im Straßenverkehr. Nach der zum Verordnungsvorschlag vorgelegten Folgenabschätzung würden dagegen mit der Fahrzeugstandfläche als Nutzwertparameter mehr Anreize zur Gewichtsreduzierung geboten. Auf dieser Basis könnte die Automobilindustrie stärker angespornt werden, in neue Technologien zu investieren und damit Innovationen in energieeffiziente und umweltverträgliche Autos zu generieren. Das von der Kommission zur Beibehaltung der Fahrzeugmasse angeführte Argument der Planungssicherheit überzeugt indes nicht, da die bis 2020 verbleibenden acht Jahre zur Entwicklung neuer Modellreihen ausreichen und den typischen Entwicklungszeiten eines Pkw-Modells entsprechen. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich im Rat dafür einzusetzen, dass für den CO₂-Grenzwert ab 2020 der Nutzwertparameter Fahrzeugstandfläche zugrunde gelegt wird.
- 17. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
Begründung zu den Ziffern 1, 2, 4, 5, 8, 11 und 12 (nur gegenüber dem Plenum):
Um effektiven Klimaschutz zu betreiben, müssen die globalen Emissionen bis 2050 weltweit um mindestens 50 Prozent, gemessen an den Werten von 1990, reduziert werden. Der Europäische Rat hat das Ziel der EU bekräftigt, im Rahmen der Emissionsreduktionsverpflichtung der Gruppe der Industriestaaten bis 2050 eine Emissionsverringerung von 80 bis 95 Prozent, gemessen an den Werten von 1990, zu verwirklichen. [Mit den derzeitigen Maßnahmen würde bis 2050 nur eine Verringerung der Treibhausgas-(THG)-Emissionen von 40 Prozent realisiert werden können. Während die Emissionen anderer Sektoren in der Regel zurückgehen, ist der Straßenverkehr einer der wenigen Sektoren, deren Ausstoß rapide zugenommen hat - zwischen 1990 und 2008 um 26 Prozent. Im Jahr 2008 konnten etwa 70 Prozent der CO₂-Emissionen aus dem Verkehrssektor dem Straßenverkehr zugeordnet werden. Er ist folglich die zweitgrößte THG-Emissionsquelle in der EU und für ungefähr ein Fünftel der gesamten CO₂-Emissionen der EU verantwortlich.
Mit Beginn der Diskussion um verbindliche Verbrauchsvorgaben seit 2007 sind die durchschnittlichen CO₂-Emissionen von Neuwagen in der EU um mehr als 3 Prozent pro Jahr gesunken. Schon heute kann damit die erstmalige Festlegung eines CO₂-Zielwerts für Pkw im Jahr 2009 für das Jahr 2015 als großer Erfolg bei der Senkung des Verbrauchs gewertet werden. Die jährliche CO₂-Reduktion der Neuwagenflotte hat sich seit Festlegung der Zielwerte weiter beschleunigt. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Hersteller den für ihre Flottenzusammensetzung maßgeblichen Zielwert für 2015 unterbieten werden.]
{Mit Blick auf den jüngsten Vorstoß der Kommission für weniger Biospriteinsatz in Europa ist die Autoindustrie noch dringlicher zum Bau sparsamerer Autos aufgerufen. Wenn die Kommission die Planung, den für 2020 geplanten Bio-Anteil in den Kraftstoffen niedriger anzusetzen, realisiert, müssten die Autohersteller folgerichtig einen strengeren CO₂-Zielwert für ihre Neuwagenflotte einhalten, um die gleichen Emissionseinsparungen zu erzielen. Denn bei der Zielwertsetzung 2009 wurden statt der ursprünglich von der EU für 2015 geforderten 120 g CO₂/km nur 130 g CO₂/km als Wert festgesetzt, der Rest sollte unter anderem über den Einsatz von Biokraftstoffen erbracht werden.
Für die verbraucherfreundliche Marktdurchdringung besonders sparsamer Autos sind ambitionierte CO₂-Vorgaben die wirksamste Maßnahme. Ein Zielwert von 80 g/km entspräche in etwa einem Benzinverbrauch von 3,4 Liter Benzin bzw. 3,1 Liter Diesel pro 100 km. Nach Berechnungen des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen würde ein Auto mit diesem Grenzwert im Durchschnitt pro Jahr 600 Euro an Kraftstoffkosten sparen. Bei Fortschreibung des Zielwertes für 2025 von 60 g CO₂/km, was einem Kraftstoffverbrauch von 3 Liter Benzin bzw. 2,7 Liter Diesel pro 100 km entspräche, würden die Kraftstoffkosten entsprechend weiter sinken.
Die erstmalige Zielwertfestsetzung 2009 hat nicht wie zunächst befürchtet zu einem Anstieg des Kaufpreises für Neufahrzeuge geführt. Im Jahr 2010 wurde EU-weit der Flottenzielwert von 140 g CO₂/km erreicht. Berechnungen der europäischen Kommission zeigen, dass Fahrzeuge zwischen 2002 und 2010 nicht teurer, sondern um 13% billiger geworden sind (inflationsbereinigt). Für ein typisches Fahrzeug für 20 000 € bedeutet dies eine Preisreduktion von 2600 €. Gerade vor dem Hintergrund weiter steigender Kraftstoffpreise führt die höhere Effizienz der Fahrzeuge für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu Kostensenkungen, da die Kraftstoffkosten sinken, während der Kaufpreis nicht steigt.
Ambitionierte Zielwerte dienen über die notwendige Minderung der CO₂-Emissionen hinaus auch der Verringerung der Importabhängigkeit von Kraftstoff-Rohprodukten. Eine ambitionierte Zielwertfestsetzung mit Folgewerten für die kommenden Jahre trägt zur Erreichung der klimapolitischen Ziele bei und kann die Innovationsdynamik für die weitere Entwicklung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen sowie die fortgesetzte Verbesserung der konventionellen Antriebe in der deutschen Automobilindustrie aufrechterhalten und stärken. Mit Blick auf die Entwicklungszeiten resp. Modellwechselzyklen in der Automobilbranche ist die frühzeitige Festlegung des Folgezielwertes ein Beitrag zur Planungssicherheit. Angesichts der Zunahme der globalen Automobilität und der absehbaren Verknappung und damit Verteuerung konventioneller Kraftstoffe stellen hocheffiziente Fahrzeuge im internationalen Wettbewerb um die besten Antriebskonzepte von Morgen einen Wettbewerbsvorteil für die Automobilindustrie dar. }
B
- 18. Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.