Gesetzesantrag des Landes Schleswig-Holstein
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Berufsgeheimnisträgern im Strafprozessrecht

A. Problem und Ziel

§ 53 Absatz 1 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO) gewährleistet Geistlichen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger (Nummer 1), Verteidigern (Nummer 2), Rechtsanwälten einschließlich ihnen gleichgestellten sonstigen Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer sowie Patentanwälten, Notaren, Wirtschaftsprüfern, vereidigten Buchprüfern, Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten, Ärzten, Zahnärzten, Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apothekern und Hebammen (Nummer 3), Mitgliedern und Beauftragten anerkannter Beratungsstellen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (Nummer 3 Buchstabe a), Beratern für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit in Beratungsstellen einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts (Nummer 3 Buchstabe b) und Abgeordneten (Nummer 4) in gleicher Weise das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses über das zu, was ihnen in dieser beruflichen Eigenschaft anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist. Gleiches gilt für Angehörige journalistischer Berufe (§ 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5, Satz 2 StPO) in Form eines umfassenden Quellen- und Informantenschutzes.

Zweck dieser Regelung ist der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen den genannten Berufsangehörigen und denen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen. Die Vorschrift des § 53 Absatz 1 StPO unterscheidet dabei nicht nach Art und Intensität der dem Schutzzweck unterfallenden Vertrauensverhältnisse. Auch sonst nimmt der Gesetzgeber in § 53 Absatz 1 StPO eine Differenzierung zwischen den zur Zeugnisverweigerung Berechtigten der einzelnen Berufsgruppen nicht vor, sondern geht gleichermaßen von der Schutzwürdigkeit aller Vertrauensverhältnisse aus.

§ 160a StPO greift den Schutzzweck des § 53 StPO auf und schränkt flankierend strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen ein, mit denen Erkenntnisse gewonnen würden, die in einer Vernehmungssituation dem Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Absatz 1 Satz 1 StPO genannten Berufsgeheimnisträger unterlägen. Hierbei differenziert die Schutzvorschrift des § 160a StPO jedoch in einem abgestuften System von Beweiserhebungs- und -verwendungsverboten, das - mit Ausnahme der Maßnahmen nach § 97 StPO (Beschlagnahmeverbot) und § 100c Absatz 6 StPO (Verbot der akustischen Wohnraumüberwachung), vgl. § 160a Absatz 5 StPO - für sämtliche offenen und verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gilt: Für Geistliche in ihrer Eigenschaft als Seelsorger, Verteidiger, Abgeordnete, Rechtsanwälte, nach § 206 der Bundesrechtsanwaltsordnung in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommene Personen und Kammerrechtsbeistände ordnet § 160a Absatz 1 StPO ein absolutes Beweiserhebungs- und - verwendungsverbot an. Für die übrigen gemäß § 53 Absatz 1 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträger (u.a. Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Ärzte, Psychotherapeuten sowie Presse- und Medienangehörige) gewährt § 160a Absatz 2 StPO nur einen relativen Schutz, indem strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall unterworfen und die überwiegende Zahl der zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträger einem abwägungsgebundenen Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot unterstellt werden.

Diese Differenzierung zwischen bestimmten Gruppen von Berufsgeheimnisträgern wird als nicht sachgerecht erachtet. Die Gewährung eines unterschiedlichen Schutzumfanges in § 160a StPO bei einem im Übrigen einheitlichen Zeugnisverweigerungsrecht in § 53 StPO verkennt die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Angehörigen der benannten Berufsgruppen und denen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen.

B. Lösung

Der absolute Schutz des § 160a Absatz 1 StPO vor strafprozessualen Beweiserhebungs- und -verwendungsmaßnahmen wird auf alle in § 53 Absatz 1 Satz 1 StPO genannten Berufsgeheimnisträger erstreckt.

C. Alternativen

Beibehaltung des jetzigen Rechtszustandes, der jedoch aus den zu A. genannten Gründen nicht befriedigt.

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Keine. Insbesondere entsteht kein Vollzugsaufwand, da vorhandene strafprozessuale Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote lediglich erweitert werden.

E. Sonstige Kosten (auch Bürokratiekosten)

Keine.

Gesetzesantrag des Landes Schleswig-Holstein
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Berufsgeheimnisträgern im Strafprozessrecht

Der Ministerpräsident Kiel, den 22. Februar 2012

des Landes Schleswig-Holstein

An den Präsidenten des Bundesrates Herrn Ministerpräsidenten Horst Seehofer

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Schleswig-Holstein hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Berufsgeheimnisträgern im Strafprozessrecht mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag gemäß Artikel 76 Abs. 1 Grundgesetz zu beschließen.

Ich bitte Sie, den Gesetzesantrag gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 893. Sitzung des Bundesrates am 2. März 2012 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Peter Harry Carstensen

Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Berufsgeheimnisträgern im Strafprozessrecht

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel ... des Gesetzes vom ... (BGBl. I S. ...) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung:

A. Allgemeiner Teil

I. Ausgangslage, Zielsetzung und Ausgestaltung

II. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Änderung der Strafprozessordnung folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes (gerichtliches Verfahren).

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung der Strafprozessordnung)

Zu Nummer 1 ( § 160a StPO)

Mit der Änderung zu Nummer 1 Buchstabe a werden Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte, Ärzte, Zahnärzte, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apotheker und Hebammen, Mitglieder oder Beauftragte einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes sowie Berater für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit in einer Beratungsstelle, die eine Behörde oder eine Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt oder bei sich eingerichtet hat, künftig von § 160a Absatz 1 StPO mit erfasst und damit in den absoluten Schutz, den die Vorschrift vor strafprozessualen Erhebungs- und Verwertungshandlungen gewährt, einbezogen. Ermittlungsmaßnahmen, die sich gegen die genannten Berufsgeheimnisträger richten und voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würden, über die diese das Zeugnis verweigern dürften, werden damit nach § 160a Absatz 1 Satz 1 StPO-E unzulässig. Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nach § 160a Absatz 1 Satz 2 StPO nicht verwendet werden. Aufzeichnungen hierüber sind nach § 160a Absatz 1 Satz 3 StPO unverzüglich zu löschen und die Tatsache ihrer Erlangung und der Löschung der Aufzeichnungen nach § 160a Absatz 1 Satz 4 StPO aktenkundig zu machen. Dieses Verwertungsverbot gilt nach § 160a Absatz 1 Satz 5 StPO auch für den Fall, dass sich die Ermittlungsmaßnahme zwar nicht gegen den in Satz 1 der Vorschrift in Bezug genommenen Berufsgeheimnisträger richtet, sie aber dazu führt, dass unmittelbar von ihm Erkenntnisse erlangt werden, über die er das Zeugnis verweigern dürfte. Letzteres kommt etwa in Betracht, wenn im Rahmen einer gegen einen die Hilfe und Sachkunde der genannten Berufsgeheimnisträger in Anspruch Nehmenden gerichteten Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme Gespräche zwischen diesem und dem Berufsgeheimnisträger erfasst werden. Von dem Verwertungsverbot nicht erfasst werden hingegen Erkenntnisse, die von einer dritten Person, an die der Berufsgeheimnisträger die Information weitergegeben hat, erlangt wurden.

Nummer 1 Buchstaben b bis e enthalten lediglich redaktionell gebotene Folgeänderungen:

Mit der Aufhebung der Differenzierung im Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger durch die Einbeziehung auch der bislang in § 160a Absatz 2 StPO genannten Berufsgeheimnisträger in den von § 160a Absatz 1 StPO gewährleisteten absoluten Schutz ist die Regelung in § 160a Absatz 2 StPO obsolet und deshalb zu streichen (Nummer 1 Buchstabe b).

Die Änderungen in § 160a Absätze 3 bis 5 StPO (Absatzbezeichnungen und Verweise innerhalb der Vorschrift) sind als Folgeänderungen der Änderungen in § 160a Absatz 1 StPO und der Streichung von § 160a Absatz 2 StPO erforderlich (Nummer 1 Buchstaben c bis e):

§ 160a Absatz 3 StPO wird § 160a Absatz 2 StPO-E. Der in der Regelung enthaltene Verweis hat sich nach Änderung von § 160a Absatz 1 StPO und Streichung von § 160a Absatz 2 StPO nur noch auf § 160a Absatz 1 StPO-E zu beziehen (Nummer 1 Buchstabe c).

§ 160a Absatz 4 StPO wird § 160a Absatz 3 StPO-E. Der in der Regelung enthaltende Verweis hat sich nach Änderung von § 160a Absatz 1 StPO, Streichung von § 160a Absatz 2 StPO und der Folgeänderung von § 160a Absatz 3 StPO nur noch auf § 160a Absätze 1 und 2 StPO-E zu beziehen (Nummer 1 Buchstabe d). Die - inhaltlich unveränderte - Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen einem Berufsgeheimnisträger und einem bei ihm Rat und Hilfe Suchenden nicht darauf gerichtet ist, den Berufsgeheimnisträger im Falle des auf bestimmte Tatsachen gegründeten Verdachts, sich selbst strafbar gemacht zu haben, vor staatlichen Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen (vgl. BT-Drs. 016/5846, S. 37; BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 zu den oben genannten Aktenzeichen, Absätze 272, 273 sowie Beschlüsse vom 22. Mai 2000 - 2 BvR 291/92 -, NJW 2000, S. 3557 <3558> zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient und vom 27. Februar 2002 - 2 BvR 1979/01 -, NJW 2002, S. 2090 <2091> zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant).

§ 160a Absatz 5 StPO wird - inhaltlich unverändert - § 160a Absatz 4 StPO-E (Nummer 1 Buchstabe e).

Zu Nummer 2 ( § 97 StPO) und Nummer 3 (§ 100c StPO)

Die Änderungen in § 97 StPO und § 100c StPO sind als Folgeänderungen erforderlich. Durch die Streichung von § 160a Absatz 2 StPO mit der Folge, dass die nachfolgenden Regelungen in § 160a Absätze 3 bis 5 StPO (jeweils mit Folgeänderungen) zu § 160a Absätze 2 bis 4 StPO-E werden, sind die Verweise in § 97 Absatz 5 Satz 2 StPO und § 100c Absatz 6 Satz 3 StPO entsprechend anzupassen:

In § 97 Absatz 5 Satz 2 StPO-E wird nunmehr auf § 160a Absatz 3 Satz 2 StPO-E verwiesen (Nummer 2).

In § 100c Absatz 6 Satz 3 StPO-E wird nunmehr auf § 160a Absatz 3 StPO-E verwiesen (Nummer 3).

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten. Danach soll das Gesetz am Tag nach der Verkündung in Kraft treten.