Der Bundesrat hat in seiner 893. Sitzung am 2. März 2012 gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Vorschlag mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht im Einklang steht. Denn nach Artikel 5 Absatz 3 EUV darf die EU in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig werden, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.
- 2. Der Bundesrat sieht seine zuletzt mit Stellungnahme vom 11. Februar 2011 zur Binnenmarktakte (BR-Drucksache 698/10(B) ) geäußerten Bedenken durch den vorgelegten Richtlinienvorschlag nicht ausgeräumt und lehnt diesen daher ab.
- 3. Dienstleistungskonzessionen sind gegenwärtig gemäß Artikel 17 der Richtlinie 2004/18/EG (Vergabekoordinierungsrichtlinie) und Artikel 18 der Richtlinie 2004/17/EG (Sektorenrichtlinie) nach einer bewussten Entscheidung des EU-Gesetzgebers vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen. Dies geschah insbesondere, um den Besonderheiten der Dienstleistungskonzessionen in den einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen und den öffentlichen Auftraggebern und Auftragnehmern eine gewisse Flexibilität zu ermöglichen.
- 4. Die Kommission legt nicht ausreichend dar, dass eine sekundärrechtliche Regelung der Dienstleistungskonzession auf europäischer Ebene erforderlich ist. Schwerwiegende Wettbewerbsverzerrungen oder eine Marktabschottung, mit denen die Kommission ihren Richtlinienvorschlag begründet, sind bislang nicht ausreichend belegt. Die Kommission legt keinen Beleg dafür vor, dass sich der Anteil von Dienstleistungskonzessionen an öffentlichprivaten Partnerschaften in den letzten Jahren negativ entwickelt hätte und eine solche Entwicklung kausal auf die von ihr behaupteten Mängel zurückzuführen wäre.
- 5. Auch das Europäische Parlament hat in seinen Entschließungen, zuletzt vom 25. Oktober 2011 (2011/2048(INI)), ausdrücklich festgestellt, dass eine schwerwiegende Wettbewerbsverzerrung oder eine Marktabschottung bislang nicht erkennbar ist. Infolgedessen hielt es einen Rechtsakt über Dienstleistungskonzessionen nicht für notwendig.
- 6. Dienstleistungskonzessionen werden auch heute nicht in einem rechtsfreien Raum vergeben. Die für sie aus den primärrechtlich verankerten Grundfreiheiten abgeleiteten Grundsätze sind durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie Mitteilungen der Kommission näher konkretisiert worden. Für die öffentlichen Auftraggeber sind somit die wesentlichen Grundsätze für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen vorgegeben. Danach müssen Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz gewährleistet sein. Eine Regulierung auf europäischer Ebene stünde zudem im Widerspruch zu den Bestrebungen der EU, die europäischen Vergabevorschriften zu vereinfachen sowie Bürokratie abzubauen und Verwaltungslasten zu reduzieren.
- 7. Die aus den Regelungen des Primärrechts abgeleiteten Prinzipien gelten in allen Mitgliedstaaten gleich. Ihnen wird durch den Europäischen Gerichtshof Geltung verschafft, der gemäß Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 EUV die Aufgabe hat, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu sichern.
- 8. Durch den zum 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon ist der Spielraum der EU, eine allgemeine Regelung für Dienstleistungskonzessionen zu schaffen, die auch Kommunen betrifft, nochmals eingeschränkt worden. Denn die EU hat nach Artikel 4 Absatz 2 Satz 1 EUV die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen, einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung, zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus schreiben Artikel 14 AEUV und Protokoll Nr. 26 des Vertrags von Lissabon die wichtige Rolle und den weiten Ermessensspielraum, insbesondere der lokalen Behörden, in der Frage fest, wie Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich entsprechende Weise zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind. Diesem besonderen Schutz der kommunalen Selbstverwaltung muss im Hinblick auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen dahingehend Rechnung getragen werden, dass kommunale Gestaltungs- und Verhandlungsspielräume erhalten und insbesondere die Belange der kommunalen Daseinsvorsorge besonders berücksichtigt werden.
- 9. Auch wenn man wie die Kommission aus ordnungspolitischen Gründen für einen Regelungsrahmen zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen plädiert, ist es nicht nachvollziehbar, weshalb die Regelungsdichte des Richtlinienvorschlags weit über die derzeit bestehenden Regelungen für Baukonzessionen hinausgehen muss. Die von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen zu technischen Spezifikationen, Auswahlkriterien, Vergabekriterien und Veröffentlichungserfordernissen führen zu einem unverhältnismäßigen Aufwand. Sie sind mit Blick auf das von der Kommission mit ihrem Richtlinienvorschlag verfolgte Ziel der Förderung von öffentlichprivaten Partnerschaften kontraproduktiv. Eine Regelung auf nationaler oder regionaler Ebene ist vor dem Hintergrund von Artikel 5 Absatz 3 EUV ausreichend.
- 10. Der Rettungsdienst fällt unter die ausschließliche Zuständigkeit der Länder. Traditionell bedingt ist er im föderalen System sehr unterschiedlich geregelt. In einigen Ländern besteht zwischen Rettungsdienst und Katastrophenschutz eine logische und auch konzeptionell bedeutende und systembedingt unaufhebbare Bindung. Zur Wahrung der Inneren Sicherheit ist der Erhalt dieses Verbundsystems zwingend notwendig. Dies lässt sich aber nur gewährleisten, wenn von einer generellen Ausschreibung des Rettungsdienstes auch bei bisher nicht ausschreibungspflichtigen Dienstleistungskonzessionen abgesehen wird.
Die Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit durch Rettungsdienst und Katastrophenschutz ist eine Kernaufgabe der Daseinsvorsorge. Eine offene
Ausschreibung unter dem Gesichtspunkt der Kostenminimierung und anderen vergaberechtlichen Aspekten würde dazu führen, dass die Schnittstelle zwischen Rettungsdienst und Katastrophenschutz ebenfalls kommerzialisiert würde. Im Ergebnis würde dies massive Qualitätsverluste mit sich bringen. Darüber hinaus würde auch das in Deutschland sehr bedeutende ehrenamtliche Element in diesem Verbundsystem des Bevölkerungsschutzes in Frage gestellt.
Es wird daher gebeten, darauf hinzuwirken, dass der Rettungsdienst in den Ausnahmekatalog des Artikels 8 Absatz 5 der vorgeschlagenen Richtlinie aufgenommen wird.