Punkt 28 der 885. Sitzung des Bundesrates am 8. Juli 2011
Der Bundesrat möge ergänzend wie folgt beschließen:
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass börsennotierte Unternehmen gesetzlich gehalten sein sollten, für ein besseres Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern in den Verwaltungsräten zu sorgen. Er stimmt der Einschätzung der Kommission zu, dass ein solches Gleichgewicht (auch) geschäftlich von großer Bedeutung ist. An hochqualifiziertem weiblichen Nachwuchs fehlt es nicht. Dennoch zeigt sich auch im Jahr 2011 in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten ein seit langer Zeit unverändertes Bild: Frauen sind in Verwaltungsräten, Vorständen und Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften stark unterrepräsentiert. Der Bundesrat hält daher die Einführung einer gesetzlich geregelten Geschlechterquote für Führungspositionen der Wirtschaft für dringend geboten.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder haben auf ihrer 82. Konferenz in Halle (Saale) am 18./19. Mai 2011 ihre Auffassung bekräftigt, dass die Einführung einer bundesgesetzlich geregelten Geschlechterquote für Führungspositionen der Wirtschaft dringend geboten ist (TOP I.7 der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister). Eine gesetzliche Geschlechterquote ist mit Verfassungs- und Europarecht grundsätzlich vereinbar. Dem Interesse der Unternehmen an Rechts- und Planungssicherheit ist nach dem Beschluss der Justizministerkonferenz ebenso Rechnung zu tragen wie einer an Qualität und den besonderen Bedingungen einzelner Branchen orientierten unternehmerischen Personalpolitik. Die Justizministerinnen und Justizminister haben daher eine möglichst einfache und dennoch wirksame gesetzliche Lösung empfohlen, die eine Einhaltung der gesetzlichen Geschlechterquote gewährleistet, aber auf unangemessene und die Rechtssicherheit beeinträchtigende Sanktionen verzichtet.
Auch die Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister der Länder haben auf ihrer 21. Konferenz in Plön am 17. Juni 2011 eine gesetzliche Quotenregelung gefordert, die bis zum Jahr 2017 wirksam wird, wenn sie bis dahin nicht durch die Selbstverpflichtung der Unternehmen entbehrlich geworden ist.
Es hat sich gezeigt, dass Bemühungen auf der Grundlage von freiwilligen Vereinbarungen oder "Soft Law" entweder gar nicht oder nur schleppend vorangekommen sind. Eine Erhöhung des Frauenanteils auch in Führungspositionen war ausdrücklicher Bestandteil der von der Bundesregierung im Juli 2001 mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft geschlossenen Vereinbarung. Dennoch hat sich fast zehn Jahre später nur wenig getan. Auch das Ende März diesen Jahres geführte Gespräch der Bundesregierung mit den Personalvorständen von 25 der 30 im DAX notierten Unternehmen hat keine Hoffnungen wecken können, eine hinreichende Beteiligung von Frauen an Führungspositionen könne doch noch im Wege von freiwilligen Selbstverpflichtungen erreicht werden. Die Wirtschaft ist auch anlässlich dieses Treffens nicht konkret genug geworden, was Konzepte, Zahlen und Zielvorstellungen angeht.
Das Grünbuch zum Europäischen Corporate-Governance-Rahmen lässt offen, ob zur Erhöhung der geschlechterspezifischen Diversität lediglich Selbstverpflichtungen der Unternehmen, ggf. verbunden mit Maßnahmen der transparenten Unternehmensführung, oder auch weitergehende Maßnahmen wie gesetzliche Quoten angestrebt werden sollten. Es hebt jedoch unter Verweis auf die Unzulänglichkeit der Einführung von Quoten oder Zielen vor allem die Bedeutung von Diversitätsstrategien hervor, die zur Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben von Männern und Frauen beitragen könnten, wobei es in erster Linie den Unternehmen obliegen solle, entsprechende Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Die Aufsichtsräte sollten gehalten werden, eine konkrete Diversitätspolitik zu erwägen und ihre diesbezüglichen Beschlüsse offenzulegen. Die Stellungnahme des Bundesrates sollte demgegenüber dazu genutzt werden, gegenüber der Kommission auf die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Geschlechterquote hinzuweisen und auf diese Weise der Vorstellung entgegenzuwirken, dass das Ziel der geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten allein durch die Vorgabe von Diversitätspolitiken der Unternehmen selbst verfolgt werden sollte. Letzteres wäre gegenüber dem Beschluss der Justizministerinnen und Justizminister vom 18./19. Mai 2011 sowie dem Beschluss der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister vom 16./17. Juni 2011 ein Rückschritt.