Der Bundesrat hat in seiner 882. Sitzung am 15. April 2011 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates zur Eröffnung der Möglichkeit, Aufträge zur Vermittlung schwerbehinderter Menschen freihändig zu vergeben
I. Der Bundesrat stellt fest:
- 1. Im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wurde eine gemeinsame Verantwortung von Integrationsämtern, der Bundesagentur für Arbeit und der anderen Auftraggeber für die Integrationsfachdienste verankert, um eine einheitliche und regional vernetzte Struktur zur Vermittlung und Begleitung von schwerbehinderten Menschen im Arbeitsleben zu gewährleisten.
- 2. Eine Verpflichtung der Bundesagentur für Arbeit zur Ausschreibung von Leistungen für die Integration schwerbehinderter Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt wird dieser gemeinsamen Verantwortung nicht gerecht, weil dadurch verlässliche Strukturen weder aufgebaut noch erhalten werden können.
II. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf,
durch entsprechende Rechtsänderungen dafür Sorge zu tragen, dass die Bundesagentur für Arbeit künftig wieder Aufträge zur Vermittlung schwerbehinderter Menschen an Integrationsfachdienste freihändig vergeben kann.
Begründung:
Integrationsfachdienste sind für die Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben schwerbehinderter Menschen ein unverzichtbarer Bestandteil. Mit ihnen hat der Gesetzgeber eine Struktur von Dienstleistern geschaffen, die kontinuierlich und umfassend besonders intensive und zielgruppenspezifische Hilfestellung für schwerbehinderte Menschen erbringen und gleichzeitig für die regionalen Arbeitgeber kompetente Ansprechpartner sind.
Mit Inkrafttreten der Vergabeverordnung (VgV) am 1. Mai 2010 ist die Verdingungsordnung für die Ausschreibung von Leistungen (VOL/A) wirksam geworden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sieht es deshalb für notwendig an, Vermittlungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit auszuschreiben.
Ausschreibungen von Leistungen sind aber nicht geeignet, erfolgreich die individuellen Dienstleistungen der Vermittlung und Begleitung schwerbehinderter Menschen am Arbeitsmarkt zu organisieren. Erfolgreiche Arbeit in diesem Bereich setzt Kontinuität der Ansprechpartner beginnend von der ersten Kontaktaufnahme über die Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bis hin zu Begleitenden Hilfen, Erfahrung und die Einbindung in formelle und informelle regionale Netzwerke voraus. Die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen basiert nicht selten auf dem Vertrauen beider Seiten - des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers -, dass mit dem Integrationsfachdienst ein verlässlicher Ansprechpartner besteht.
Demgegenüber führen Ausschreibungen zu wechselnden Anbietern, was Übergangszeiten und neu zu knüpfende Kontakte zu Unternehmen und Verwaltung erforderlich macht und in der Sache den Vermittlungserfolg behindert.
Die Einführung der Ausschreibungspflicht für Leistungen der Vermittlung von schwerbehinderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gefährdet daher das grundlegende Ziel, mit den Integrationsfachdiensten einen umfassend zuständigen und für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen verlässlichen Ansprechpartner zu haben.
Das Vergaberecht lässt unter Beachtung des EU-Rechts grundsätzlich die Möglichkeit der freihändigen Vergabe zu. Besonders für den sozialen Bereich ist es dringend geboten, von dieser Befugnis der Mitgliedstaaten des EU-Rechts Gebrauch zu machen und begründete Ausnahmeregelungen im Vergaberecht beizubehalten. In diesem Zusammenhang wird auf die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Februar 2009 zur Sozialwirtschaft (BR-Drs. 250/09 (PDF) ) hingewiesen. Darin stellt das Europäische Parlament fest, "dass für sozialwirtschaftliche Unternehmen die Wettbewerbsvorschriften nicht in der gleichen Weise angewandt werden sollten wie für andere Unternehmen und dass sie einen sicheren Rechtsrahmen benötigen, der auf der Anerkennung ihrer besonderen Werte basiert." Dieser Ansicht schließen sich die Länder an.