878. Sitzung des Bundesrates am 17. Dezember 2010
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die mit der Mitteilung der Kommission vorgelegte Strategie für eine neue Industriepolitik, in der die Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit der europäischen Industrie den wichtigsten Platz einnehmen soll.
- 2. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Kommission mit der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Industrie, der Stärkung des Binnenmarkts und des internationalen Handels sowie der Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen aus wirtschafts- und ordnungspolitischer Sicht richtige und wichtige Schwerpunkte in der Industriepolitik setzt.
- 3. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die Bedeutung von kleinen und mittleren Unternehmen heraushebt und diese im Zentrum der neuen Industriepolitik hinsichtlich Gründung, Entwicklung und Internationalisierung stehen.
- 4. Der Bundesrat begrüßt, dass Schritte hin zu einer "intelligenten Regulierung" unternommen werden sollen, indem alle politischen Vorschläge mit erheblichen Auswirkungen auf die Industrie auf ihre Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit hin analysiert werden. Der Bundesrat betont, dass auch die bereits bestehenden Regelungen überprüft werden sollten. Bisher wurden die Auswirkungen von Maßnahmen mit anderen Zielen, wie z.B. dem Klimaschutz, zu wenig berücksichtigt. Hierdurch sind Regelungen entstanden, die die europäische Industrie im Vergleich zum internationalen Wettbewerb belasten.
- 5. Der Bundesrat lehnt die von der Kommission angestrebte wirksamere Steuerung und Koordinierung der Industriepolitik auf europäischer Ebene wegen der damit verbundenen Zentralisierungstendenzen ab. Der Bundesrat lehnt die Schaffung eines EU-Ordnungsrahmens für die Industriepolitik auf europäischer Ebene und dessen Verknüpfung mit den Maßnahmen zur umfassenderen wirtschaftspolitischen Koordinierung aus grundsätzlichen Erwägungen ab und sieht dies auch nicht durch Artikel 173 AEUV abgedeckt. Die EU sollte sich darauf beschränken, für fairen und gleichen Wettbewerb im Binnenmarkt zu sorgen und geeignete Rahmenbedingungen für eine innovative und erfolgreiche Industrie zu setzen. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen sollten die Mitgliedstaaten eine auf ihre jeweiligen Industriestrukturen angepasste Politik zur Stärkung des verarbeitenden Gewerbes verfolgen können. Ein fairer Wettbewerb der Mitgliedstaaten untereinander auf diesem Gebiet um die nachhaltigsten und erfolgreichsten Strategien ist mittel- und langfristig für die EU insgesamt vorteilhafter.
- 6. Auch bei der Sicherung des Zugangs von Unternehmen zu Finanzierungsmitteln sollte sich die EU auf geeignete Rahmenbedingungen und Regulierungen für funktionierende Finanzmärkte konzentrieren. Europäische Finanzierungsinstrumente, die einspringen sollen, wenn der Markt bei der Finanzierung von Kleinunternehmen und von Innovationen angeblich versagt, lehnt der Bundesrat wegen ordnungspolitischer Bedenken ab. Es droht hier die Gefahr, dass mit öffentlichen Geldern Vorhaben und Unternehmen finanziert werden, die am Markt nicht bestehen können.
- 7. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auf die wichtige Rolle der europäischen Strukturfonds für die Unternehmensförderung und sieht in dezentral aufgestellten und umgesetzten Strukturfondsprogrammen eine sinnvolle Verknüpfung von Unterstützungsleistungen im Mehrebenensystem.
- 8. Der Bundesrat steht der von der Kommission geplanten Initiative zur Förderung der umfassenden und rechtzeitigen Verbreitung, Übernahme und Vermarktung von wettbewerbsfähigen wichtigen Grundlagentechnologien skeptisch gegenüber, da dabei die Gefahr einer politischen Produktionslenkung besteht. Die Innovationspolitik sollte grundsätzlich technologieoffen und -neutral sein. Es muss dem Markt überlassen werden, über Auswahl und Erfolg von Grundlagentechnologien zu entscheiden. Zur Stärkung der industriellen Innovation sollte vor allem auf einen erleichterten Wissensaustausch zwischen Wirtschaft und Wissenschaft etwa in Form der Cluster- und Netzwerkförderung gesetzt werden.
- 9. Der Bundesrat betont, dass beim Übergang zu einer kohlenstoffarmen sowie ressourcen- und energieeffizienten Wirtschaft auf marktorientierte Maßnahmen gesetzt werden sollte. Bei allen Maßnahmen müssen die bereits erfolgten Anstrengungen der europäischen Industrie im Hinblick auf die Ressourcen- und Energieeffizienz und die Auswirkungen auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen angemessen berücksichtigt werden. Es ist zu begrüßen, dass die Kommission energieintensive Industriezweige besonders berücksichtigen will. Eine Unterstützung der Unternehmen bei Innovationen zur CO₂- Reduzierung und Energieeffizienz wird begrüßt.
- 10. Derzeit finden die Vorarbeiten der Kommission zur Ergänzung der gemeinschaftlichen Leitlinien für staatliche Umweltschutzbeihilfen statt, wodurch es den Mitgliedstaaten ermöglicht werden soll, stromintensive Unternehmen für die auf die Strompreise abgewälzten CO₂-Kosten zu entschädigen. Eine restriktive Handhabung der Kompensationsmöglichkeiten an stromintensive Unternehmen würde den Belastungen der im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen nicht gerecht. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich bei der Kommission dafür einzusetzen, dass Kompensationszahlungen an stromintensive Unternehmen in einem Umfang ermöglicht werden, der den industriepolitischen Belangen Rechnung trägt und energiepreisbedingte Produktionsverlagerungen vermeidet.
- 11. Darüber hinaus ist es zwar prinzipiell notwendig, wie von der Kommission angeregt, die Anpassung an strukturelle Überkapazitäten mit geeigneten Maßnahmen zu flankieren.
- 12. Einen weiteren Ausbau des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (European Globalisation Adjustment Fund - EGF) hält der Bundesrat aber nicht für zielführend. Es liegt in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, die richtigen flankierenden sozial-, bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu treffen.
- 13. Die Entscheidung über die Zukunft des EGF erfordert allerdings eine vorherige Evaluation. Bereits jetzt weist der Bundesrat darauf hin, dass es in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt, die richtigen flankierenden sozial-, bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu treffen.
- 14. Ein stärkerer Einsatz von EU-Mitteln ist nicht erforderlich. Zudem sollten die Anpassungsmaßnahmen grundsätzlich auf das unabdingbar notwendige Maß beschränkt werden. Der Strukturwandel darf nicht mit hohen Kosten unnötig und letztendlich vergebens verzögert werden.
B
- 15. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, der Ausschuss für Kulturfragen, der Rechtsausschuss, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und der Verkehrsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß § § 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.