Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euroraum KOM (2010) 524 endg.; Ratsdok. 14498/10 Drucksache: 605/10 (PDF) und zu 605/10 (PDF) und
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euroraum KOM (2010) 525 endg.; Ratsdok. 14512/10 Drucksache: 606/10 (PDF) und zu 606/10 (PDF) und
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung der Koordinierung der Wirtschaftspolitiken KOM (2010) 526 endg.; Ratsdok. 14520/10 Drucksache: 607/10 (PDF) und zu 607/10 (PDF) und
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte KOM (2010) 527 endg.; Ratsdok. 14515/10 Drucksache: 608/10 (PDF) und zu 608/10 (PDF)
Der Bundesrat hat in seiner 877. Sitzung am 26. November 2010 gemäß § § 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zu BR-Drucksachen 603/10 (PDF) , 605/10 (PDF) , 606/10 (PDF) , 607/10 (PDF) und 608/10 (PDF)
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die mit den Vorschlägen für eine Verordnung
- - zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1647/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, - über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euroraum,
- - über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euroraum,
- - zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung der Koordinierung der Wirtschaftspolitiken sowie
- - über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte verfolgte Zielsetzung, neue Krisen zu vermeiden, die durch steigende Staatsverschuldungen sowie große makroökonomische Verwerfungen in einzelnen Mitgliedstaaten entstehen könnten. Mit obigen Vorschlägen wird nicht nur eine breitere und verbesserte Überwachung der Haushaltspolitik, sondern auch der allgemeinen Wirtschafts- und Strukturreformpolitik, die den Schwächen der derzeitigen Rechtsvorschriften Rechnung trägt, angestrebt.
- 2. Insbesondere betont der Bundesrat die Notwendigkeit wirksamer Durchsetzungsmechanismen, um Fehlern in der Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten rechtzeitig entgegenwirken zu können. Der Bundesrat begrüßt daher insbesondere die vorgesehene Installierung erweiterter präventiver und korrektiver Komponenten im Stabilitäts- und Wachstumspakt, die stärkere Berücksichtigung des Schuldenstands eines Mitgliedstaats bei der Entscheidung, ob ein Defizitverfahren eingeleitet werden soll, sowie die Einführung des "Grundsatzes einer vorsichtigen Haushaltspolitik" zur Operationalisierung der mittelfristigen Haushaltsziele.
- 3. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Feststellung eines übermäßigen Defizits und die Verhängung von Sanktionen bei Verstößen gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt möglichst geringen taktischen und politischen Einflüssen unterliegen sollten. Er begrüßt daher den Vorschlag der Kommission zur Einführung des Verfahrens der "umgekehrten Abstimmung", nach dem Empfehlungen der Kommission für Sanktionen verbindlich werden, wenn der Rat sie nicht innerhalb von zehn Tagen mit qualifizierter Mehrheit ablehnt.
- 4. Der Bundesrat begrüßt ausdrücklich den Beschluss des Europäischen Rats vom 28./29. Oktober 2010 zur Einrichtung eines ständigen Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzmarktstabilität im gesamten Euro-Währungsgebiet im Zuge einer begrenzten Vertragsänderung und unter Beibehaltung der "No-Bail-Out"- Klausel. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass nur mit der Möglichkeit einer geordneten Umschuldung, verbunden mit einer Beteiligung der Gläubiger, die Euroraum-Mitglieder wirklich starke Anreize haben, für geordnete Staatsfinanzen zu sorgen. Die Erfahrung der Vergangenheit lehrt, dass rein politische Auflagen oder die Androhung von finanziellen Sanktionen nicht den gleich hohen Anreiz setzen, der durch die Märkte erreicht werden kann.
- 5. Die Kommission schlägt vor, Maßnahmen gegen übermäßige bzw. große makroökonomische Ungleichgewichte zu ergreifen. Der Bundesrat vermisst dabei nach wie vor die eindeutige Klarstellung der Kommission, dass der Abbau der Ungleichgewichte nicht über eine Schwächung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Überschussländer gehen kann.
- 6. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Entwicklung eines Frühwarnsystems mit Indikatoren zum Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit und zur Warnung vor schwerwiegenden makroökonomischen Ungleichgewichten.
- 7. Der Bundesrat lehnt den Vorschlag der Kommission ab, aus dem Frühwarnsystem Sanktionen abzuleiten, wenn Indikatoren durch Faktoren bestimmt werden, die in einer Marktwirtschaft nicht oder nicht ausreichend durch die nationale Wirtschaftspolitik gesteuert werden können, z.B. die Tarifpolitik oder hohe Leistungsbilanzsalden. Letztlich besteht die Gefahr, dass die Koordination durch Märkte durch zentrale staatliche Koordination verdrängt wird.
- 8. Der Bundesrat verweist auf seine Stellungnahmen vom 9. Juli 2010 (BR-Drucksache 313/10(B) ) und 24. September 2010 (BR-Drucksache 432/10(B) ) zu den vorangegangenen Mitteilungen der Kommission.
Zu BR-Drucksache 603/10 (PDF)
- 9. Der Bundesrat begrüßt, dass künftig Höhe und Entwicklung des Gesamtschuldenstands ein größeres Gewicht zukommen soll.
- 10. Soweit bei der stärkeren Gewichtung von Höhe und Entwicklung des Gesamtschuldenstands allerdings weitere Faktoren wie Inflation oder Privatverschuldung berücksichtigt werden sollen, schafft dies weiteren Interpretationsspielraum bei der Rechtfertigung von Schuldenständen jenseits des Referenzwerts.
- 11. Besorgt sieht der Bundesrat Bestrebungen, durch eine Änderung der Berechnungsmethoden für das staatliche Haushaltsdefizit diese weiter aufzuweichen, wie von der Kommission bei den Kosten der Reformen der Rentensysteme vorgeschlagen.
- 12. Der Bundesrat lehnt den Vorschlag der Kommission ab, dass eine unzureichende Befolgung von Empfehlungen, die im Rahmen der Überwachung von Ungleichgewichten ausgesprochen werden, bei der Bewertung der Haushaltslage im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakt als erschwerender Faktor gewertet werden kann. Wirtschafts- und fiskalpolitische Empfehlungen sollten nicht vermischt werden. Insbesondere dürfen die Verschuldungskriterien nicht durch andere Faktoren überfrachtet werden.
Zu BR-Drucksache 605/10 (PDF)
- 13. Der Bundesrat begrüßt, dass das Defizitverfahren dadurch beschleunigt werden soll, dass Sanktionen schon in einem früheren Stadium des Verfahrens als bisher verhängt werden sollen.
- 14. Der Bundesrat gibt aber zu bedenken, dass das Defizitverfahren im Primärrecht ausführlich geregelt ist. Vor diesem Hintergrund könnte für die Einführung von Sanktionen auf einer früheren Stufe als in Artikel 126 AEUV vorgesehen eine Änderung des Vertrags erforderlich sein.
Zu BR-Drucksache 607/10 (PDF)
- 15. Der Bundesrat begrüßt, dass mit der vorgeschlagenen Verordnung die präventive Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts gestärkt werden soll.
Zu BR-Drucksachen 605/10 (PDF) und 607/10 (PDF)
- 16. Der Bundesrat weist aber darauf hin, dass die Entscheidung über die Höhe der staatlichen Ausgaben den Kernbereich der Haushaltsautonomie der mitgliedstaatlichen Parlamente betrifft.
- 17. Der Bundesrat hält eine Obergrenze der Ausgabenentwicklung in Relation zur Entwicklung des BIP auf europäischer Ebene nicht für erforderlich, um eine Einhaltung der mittelfristigen Haushaltsziele der Mitgliedstaaten sicherzustellen.
- 18. Der Bundesrat unterstützt den Vorschlag der Task Force (Abschlussbericht Nr. 20), die präventive Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts dadurch zu stärken, dass Sanktionen auch dann zu verhängen sind, wenn ein Mitgliedstaat selbst bei einem Defizit von unter 3 Prozent erheblich von dem im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Anpassungspfad abweicht und die Abweichung nicht korrigiert.
Zu BR-Drucksache 607/10 (PDF)
- 19. Der Bundesrat lehnt es deshalb ab, die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten anhand der Entwicklung der mitgliedstaatlichen Ausgaben zu beurteilen.
Zu BR-Drucksache 605/10 (PDF)
- 20. Der Bundesrat lehnt in diesem Zusammenhang auch Sanktionen, die an eine strikt regelbasierte Beurteilung des Ausgabenwachstums der Mitgliedstaaten geknüpft werden, ab.
- 21. Bei den Sanktionen zur Durchsetzung der Haushaltsdisziplin hat sich die Kommission auf verzinsliche und unverzinsliche Einlagen sowie die Verhängung von Geldbußen konzentriert. Das ist aus Sicht des Bundesrates nicht ausreichend: Im Rahmen der Sanktionen ist auch der rigorosere Einsatz von EU-Ausgaben nötig, was auch das Sperren oder endgültige Streichen von EU-Fördermitteln umfassen muss.
- 22. Der Bundesrat bekräftigt, dass auf EU-Ebene Regelungen für eine Insolvenz für überschuldete Mitgliedstaaten geschaffen werden sollten. Restrukturierung und Insolvenzverfahren sollen Rechts- und Verfahrenssicherheit schaffen, systemische Risiken vermeiden und in jedem einzelnen Fall die Beteiligung der Gläubiger regeln (BR-Drucksache 432/10(B) ).
- 23. Zum permanenten Krisenmechanismus, der nun unter Beibehaltung der "NoBail-Out"-Klausel erarbeitet werden soll, betont der Bundesrat bereits jetzt, dass ein solcher permanenter Krisenmechanismus - beispielsweise über die Gründung eines Europäischen Währungsfonds - nicht zu einer Transferunion führen darf, das Problem des Moral Hazard vermeiden muss und das Verfahren keinen Anreiz setzen darf, es in Anspruch zu nehmen. Deshalb muss sichergestellt sein, dass im Ergebnis überschuldete Mitgliedstaaten bzw. ihre Gläubiger haften. Eine Haftung der Euro-Gemeinschaft für unsolides Haushalten, verfehlte Wirtschaftspolitik oder wirtschaftliche Risiken eines ihrer Mitglieder muss ausgeschlossen sein.
Zu BR-Drucksache 608/10 (PDF)
- 24. Der Bundesrat begrüßt die mit der vorgeschlagenen Verordnung anhand eines Scoreboards mit Indikatoren zur Erkennung, Vermeidung und Korrektur schwerwiegender makroökonomischer Ungleichgewichte verfolgte Verbesserung der wirtschaftspolitischen Koordinierung innerhalb der EU.
- 25. Der Bundesrat hält es aber für erforderlich, dass die Indikatoren durch eine Verordnung im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens beschlossen werden.
- 26. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Task Force in ihrem Abschlussbericht, wonach politische Maßnahmen am dringendsten in denjenigen Mitgliedstaaten erforderlich sind, die anhaltend hohe Leistungsbilanzdefizite und eine stark eingeschränkte Wettbewerbsfähigkeit aufweisen.