Der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz Mainz, den 21. September 2010
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister
Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat beschlossen, beim Bundesrat den in der Anlage mit Begründung beigefügten Antrag für eine Entschließung des Bundesrates für einen einheitlichen "Freiwilligen sozialen Dienst" einzubringen.
Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der 874. Sitzung des Bundesrates am 24. September 2010 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Kurt Beck
Entschließung des Bundesrates für einen einheitlichen "Freiwilligen sozialen Dienst"
Der Bundesrat möge beschließen:
Die Bundesregierung hat am 23. August 2010 verschiedene Modelle für die künftige Struktur und den künftigen Umfang der Bundeswehr vorgestellt. Das favorisierte Modell fußt auf einem Aussetzen der Wehrpflicht. Da Wehrpflicht und Zivildienst in Abhängigkeit voneinander stehen, muss auch für den jetzigen Zivildienst eine neue Lösung gefunden werden. Die Bundesregierung hat dazu vorgeschlagen, einen bundesweiten "Freiwilligen Zivildienst" mit staatlicher Förderung zu schaffen, der neben den bestehenden Freiwilligendiensten wie Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) und Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) gebildet werden soll.
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass Doppelstrukturen nicht sinnvoll sind, da beide Dienste - "Freiwilliger Zivildienst" auf der einen und die bestehenden Freiwilligendienste auf der anderen Seite - das gleiche Ziel haben, junge Menschen für eine zeitlich befristete Tätigkeit im sozialen Bereich zu gewinnen.
Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Weichen für einen einheitlichen "Freiwilligen sozialen Dienst" durch den konsequenten Ausbau der bestehenden Jugendfreiwilligendienste gestellt werden, falls die Wehrpflicht ausgesetzt wird.
Der Gesetzentwurf soll sicherstellen, dass
- - die durch das Aussetzen der Wehrpflicht und des Zivildienstes entfallenden Zivildienstplätze als Plätze der bestehenden Jugendfreiwilligendienste FSJ und FÖJ als Bildungsdienst für junge Frauen und Männer von 16 bis 27 Jahren nach den Qualitätsmaßstäben des Jugendfreiwilligendienstegesetzes weitergeführt werden,
- - der Bund die Zuständigkeit für die Freiwilligendienste und damit auch die Finanzierungskompetenz übernimmt, indem eine Bundesverwaltung als Förderbehörde und zur Trägerzulassung geschaffen wird,
- - die Träger des "Freiwilligen sozialen Dienstes" die Selbstständigkeit in ihren inhaltlichen Konzeptionen behalten,
- - die Länder auch Träger sein können,
- - ein Beirat mit ausreichender Vertretung der Länder als Beteiligungsorgan gegründet wird,
- - auch kleine, nicht bundesweit tätige Träger Bundesförderung bekommen und in ihren Interessen angemessen berücksichtigt werden,
- - attraktive Anreize für einen "Freiwilligen sozialen Dienst" geschaffen werden, vor allem
- 1. die Zahlung eines angemessenen Entgeltes, der Erwerb einer dem Ausbildungsstand entsprechenden (Teil-)Abschlussqualifikation im jeweiligen Tätigkeitsbereich,
- 2. die Anerkennung bei der Zulassung zu weiterqualifizierenden Ausbildungswegen,
- 3. die Anerkennung bei der Berechnung der späteren Altersrente,
- 4. die Möglichkeit des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen zwischen Bund und Industrie/Handwerk, privaten Dienstleistern oder freien Berufen zur Ausgestaltung der Übernahme von Dienstleistenden,
- 5. die Schaffung von Übernahmequoten im öffentlichen Dienst.
- - die Freiwilligen bei Bundeswehr und sozialen Diensten gleichgestellt werden, was Anerkennung, Bezahlung und Bonus-System angeht,
- - der mit dem Wehrrechtsänderungsgesetz eingeführte freiwillige Zivildienst abgeschafft wird.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die durch den Wegfall des Zivildienstes frei werdenden Mittel vollständig für den den Ausbau der bestehenden Freiwilligendienste zur Verfügung zu stellen.
Begründung:
Der geforderte Gesetzentwurf wendet sich gegen Pläne der Bundesregierung, einen freiwilligen Zivildienst neben dem FSJ/FÖJ einzuführen, weil Doppelstrukturen nicht sinnvoll sind, da beide Dienste das gleiche Ziel haben, junge Menschen für eine zeitlich befristete Tätigkeit im sozialen Bereich zu gewinnen. Die Etablierung eines freiwilligen Zivildienstes, der neben das bisherige Erfolgsmodell FSJ und FÖJ treten würde, stellt eine existenzielle Gefährdung der seit Jahrzehnten bestehenden Jugendfreiwilligendienste dar. Das FSJ gibt es in Deutschland seit 1964, das FÖJ seit 1993.
Die Übernahme der Zuständigkeit für die Freiwilligendienste eröffnet dem Bund die Finanzierungshoheit für die im Jugendfreiwilligendienstegesetz geregelten Bildungsdienste Freiwilliges soziales Jahr (FSJ) und Freiwilliges ökologisches Jahr (FÖJ).
Dadurch wird es dem Bund verfassungsrechtlich ermöglicht, die durch den Wegfall des Zivildienstes im Haushalt des Bundes eingestellten Mittel vollständig in den Ausbau der Jugendfreiwilligendienste fließen zu lassen. Somit würde eine Doppelstruktur mit der Schaffung eines Freiwilligen Zivildienstes neben den bestehenden Jugendfreiwilligendiensten überflüssig.
Der Freiwilliger Zivildienst, wie ihn der Bund derzeit plant, ist als nachteilig anzusehen:
- - Die Doppelstruktur stellt eine existenzielle Gefährdung der seit Jahrzehnten bestehenden Jugendfreiwilligendienste dar.
- - Es werden öffentlichrechtliche Dienstverhältnisse mit einer Bezahlung unterhalb des Mindestlohnes z.B. in der Pflege geschaffen.
- - Die Planungen sehen keine Anreize zur Attraktivitätssteigerung vor, wie sie beim freiwilligen Wehrdienst diskutiert werden.
- - Die Unterschiede im Status der Freiwilligen (ein freiwillig Zivildienst Leistender steht im öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis zum Bund, ein das FSJ oder FÖJ Leistender hat ein privates Vertragsverhältnis zum Träger) sind nicht hinnehmbar. In der öffentlichen Darstellung sowie der Information und Beratung der Freiwilligen und Einsatzstellen sind zwei verschiedene Freiwilligendienstformen schwer zu vermitteln.
- - Es besteht die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft bei den jungen Menschen, deren Eltern beim FSJ/FÖJ Kindergeld gewährt wird, während die Eltern der freiwillig Zivildienst Leistenden kein Kindergeld bekämen.
- - Der Grundsatz der Nachrangigkeit von staatlichem gegenüber bürgerschaftlichem Engagement wird in Frage gestellt.
- - Der Bund will bei 25 vorgesehenen Seminartagen fünf Tage für politische Bildung nutzen, was grundlegend dem bestehenden Bildungskonzept der Jugendfreiwilligendienste widerspricht.
- - Für die Träger und Einsatzstellen ergibt sich ein zusätzlicher kostenintensiver Verwaltungsaufwand durch zwei verschiedene Förderrichtlinien und Abrechnungsmodalitäten.
- - Die Chance, das Aussetzen der Wehrpflicht und das Freiwerden umfangreicher Haushaltsmittel für einen einheitlichen Jugendfreiwilligendienst zu nutzen und damit das bürgerschaftliche Engagement aufzuwerten, wird durch die bisherigen Überlegungen vertan.
Der geforderte Gesetzentwurf bietet nicht nur den Trägern der Jugendfreiwilligendienste durch die erhöhte Förderung Vorteile, sondern stellt für die jungen Menschen eine besondere Chance der Bildungsförderung dar. Die sozialen Dienste werden in ihrer Attraktivität gesteigert, was eine berufliche Orientierung hin zu diesen gesuchten Berufszweigen befördert. Die jungen Menschen werden mit der Ableistung des mit attraktiven Anreizen ausgestatteten Jugendfreiwilligendienstes bessere Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt haben. Darüber hinaus sind Freiwilligendienste für junge Menschen attraktiv, weil sie wichtige Bildungsdienste (nonformales und informelles Lernen) sind und besondere Formen des Engagements darstellen.