Antrag des Landes Rheinland-Pfalz
Gesetz zur Änderung wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010
(Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 - WehrRÄndG 2010)

Punkt 17a der 873. Sitzung des Bundesrates am 9. Juli 2010

Der Bundesrat möge beschließen:

Begründung:

1. Die verkürzte Behandlung der Sache in dem kurzfristig terminierten Gesetzgebungsverfahren war nicht sachdienlich:

Zu kritisieren ist insbesondere die ungenügende Beteiligung und Einbeziehung der Verbände in das Gesetzgebungsvorhaben. Unter anderem wurde die Anhörungszeit verkürzt; die Anhörung im Deutschen Bundestag fand am 14. Juni 2010 statt, die 2./3. Lesung bereits am 18. Juni 2010. Die Behandlung des Entwurfs erfolgte fristverkürzt. Das gesamte Gesetzgebungsverfahren fand in großer Hast statt. Hierdurch war eine gründliche Beurteilung aller Auswirkungen des Gesetzes nur schwer möglich, da durch die Diskussion der vergangenen Wochen die Wehrpflicht insgesamt in Frage steht.

Es wäre daher sinnvoll, den Abschluss des Verfahrens zu diesem Gesetz aufzuschieben, bis im Herbst eine abgestimmte Position der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen zur Verkürzung bzw. Aussetzung oder der Abschaffung der Wehrpflicht vorliegt. Die erst kürzlich von der Bundesregierung eingesetzte Strukturkommission zur Zukunft der Bundeswehr muss zudem die Chance erhalten, konstruktive Vorschläge zu erarbeiten. Wenn zeitgleich dieses Gesetzgebungsvorhaben übereilt abgeschlossen wird und über eine Aussetzung bzw. Abschaffung der Wehrpflicht entschieden werden soll, ist eine konstruktive und an der Sache orientierte Arbeit auch der Kommission nicht mehr möglich.

2. Die Regelungen des Gesetzes sind vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um eine Aussetzung oder Abschaffung der Wehrpflicht voreilig:

Die von Artikel 12a des Grundgesetzes vorgesehenen militärischen und zivilen Dienstpflichten stellen als zeitweise Aussetzung der von Artikel 12 des Grundgesetzes garantierten Berufsfreiheit einen besonders erheblichen Grundrechtseingriff dar. Regelungen in diesem Bereich unterliegen daher einer besonders intensiven Prüfpflicht im Hinblick auf ihre Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Hierbei sind Fragen der Wehrgerechtigkeit ebenso zu berücksichtigen wie Fragen des Vertrauensschutzes. Insbesondere letzterer macht es erforderlich, Regelungen zu finden, die es den Bürgerinnen und Bürgern (ob in Uniform oder nicht) ermöglichen abzusehen, welche Auswirkungen Rechtsänderungen im Bereich des Artikels 12a des Grundgesetzes in absehbarer Zeit für ihre persönlichen ebenso wie für die gesellschaftlichen Verhältnisse mit sich bringen werden.

Diesem Anspruch wird das Gesetz in seiner derzeitigen Form nicht gerecht.

Klärungsbedürftig ist beispielsweise, wie sich die Verkürzung auf die Fähigkeit der Bundeswehr zur Landesverteidigung und die Rolle Deutschlands als Bündnispartner auswirken wird, welche Folgen sie für den sozialen Bereich sowie den Zivil- und Katastrophenschutz mit sich bringt und welche logistischen und regionalen Veränderungen damit einhergehen.

Die öffentliche Debatte über die Zukunft der Bundeswehr und insbesondere der Wehrpflicht ist in vollem Gange. Die durch den Bundesminister der Verteidigung einberufene Strukturkommission hat innerhalb dieses Prozesses eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Solange die von der Kommission bis Ende 2010 zu erarbeitenden Eckpunkte für eine effiziente Organisationsstruktur der Bundeswehr nicht vorliegen, scheint eine Entscheidung über eine Verkürzung des Wehrdienstes daher verfrüht.

Durch die Verkürzung der Wehr- und Zivildienstzeit sollen kurzfristig 150 Mio. Euro im Bundeshaushalt eingespart werden. Hierbei verursacht die Verkürzung des Grundwehrdienstes laut Berechnungen der Koalition allerdings zunächst einmal Kosten von rund 26,2 Mio. Euro. Dem stehen Berechnungen im Hinblick auf Einsparungen von etwa 180 Mio. Euro durch die Verkürzung des Wehrdienstes gegenüber. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über die Aussetzung oder Abschaffung der Wehrpflicht wird die Bundeswehr damit zu zusätzlichen überflüssigen Strukturveränderungen gezwungen, die zusätzliche Kosten verursachen und erheblich Personal binden. Ein Nutzen für die Truppe und für den Bereich des Ersatzdienstes selbst ist nicht zu erkennen.

Die allgemeine Wehrpflicht hat sich in den vergangenen 54 Jahren bewährt. Sie steht dafür, dass sich die Gesellschaft in ihrer gesamten sozialen Breite und unterschiedlichen weltanschaulichen Überzeugung in der Bundeswehr widerspiegelt. Die Beibehaltung, Ausgestaltung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssten zwingend sicherheitspolitisch begründet werden. Hierfür sind grundlegende Überlegungen notwendig; eine vorschnelle, unausgewogene Regelung wie im WehrRÄndG 2010 vorgesehen ist nicht sachgerecht.

3. Die Regelungen des Gesetzes sind insgesamt unausgereift:

Mit der Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate müssen jährlich mehr Rekruten eingezogen werden; die Zahl der Wehrpflichtigen soll bundesweit von 40 000 auf 50 000 steigen. Hiermit kann zwar, wie durch das Gesetz vorgesehen, die Wehrgerechtigkeit leicht verbessert werden. Allerdings wurden bislang von den jährlich bundesweit rund 400 000 zur Verfügung stehenden jungen Männern nur circa 13% pro Jahr tatsächlich zum Wehrdienst einberufen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in einem Beschluss 2005 ausgeführt, dass die Einberufungspraxis der Bundeswehr nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Ausnahmen vom Wehrdienst aus Gesundheits- oder anderen Gründen könne der Gesetzgeber festschreiben. Es komme für die Frage der Wehrgerechtigkeit dabei nicht darauf an, dass mindestens ein bestimmter Prozentsatz eines Geburtsjahrganges zum Wehrdienst einberufen werde. Entscheidend sei, dass keine übermäßige Lücke zwischen der Zahl der Einberufenen und der Zahl der verfügbaren Wehrpflichtigen entstehe (BVerwG, Beschluss vom 19.01.2005, 6C9.04 -). Die hier bestehende Lücke ändert sich durch die vorgesehene Neuregelung jedenfalls nicht wesentlich.

Zu kritisieren ist jedoch, dass ein sinnvoller Dienst der Wehrpflichtigen in den Streitkräften in sechs Monaten nicht mehr möglich ist. Nach der verkürzten Grundausbildung sind die Grundwehrdienstleistenden so kurze Zeit in der Truppe, dass sie für eine Entlastung der Kräfte, die sich auf die Einsätze vorbereiten müssen, nicht zur Verfügung stehen können. Der Grundwehrdienst besteht aus zwei getrennten Teilen. In der allgemeinen Grundausbildung bei der Ausbildungseinheit erwirbt der Rekrut allgemeinmilitärische Grundfertigkeiten. Nach drei Monaten verlässt der Soldat die auszubildende Einheit und wird in seine Stammeinheit versetzt, in der er die übrigen drei Monate verbleibt. In dieser Zeit wird er zumeist im Geschäftszimmer eingesetzt und in Funktionsdiensten verwendet. Mit einer Erhöhung der Zahl der Wehrpflichtigen und der Verkürzung der Wehrdienstzeit wird somit der Ausbildungsaufwand an Personal, Material und Infrastruktur erheblich zunehmen.

Zudem basiert die Verkürzung der Wehrpflicht nicht auf einem sicherheitspolitisch begründeten Gesamtkonzept zur Restrukturierung der Bundeswehr, zumal parallel über die Aussetzung bzw. gänzliche Abschaffung der Wehrpflicht nachgedacht wird. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über die Aussetzung oder Abschaffung der Wehrpflicht wird die Bundeswehr zu zusätzlichen überflüssigen Strukturveränderungen gezwungen, die laut Berechnungen der Koalition Kosten von rund 26,2 Mio. Euro. verursachen und erheblich Personal binden. Ein Nutzen für die Truppe selbst ist nicht zu erkennen.

4. Bei weiteren Überlegungen zur Reform des Wehrdienstes müssen deren Auswirkungen auf den Zivildienst einschließlich aller Folgewirkungen vor allem auf die Jugendfreiwilligendienste und die soziale Infrastruktur maßgeblich berücksichtigt und die Länder bei gesetzlichen Vorhaben dieser Bedeutung künftig frühzeitiger beteiligt werden:

Die mit der Kürzung des Wehrdienstes geplante Kürzung des Zivildienstes könnte erhebliche Auswirkungen im rettungsdienstlichen und sozialen Bereich haben.

Derzeit sieht die Ausbildung im Bereich des Rettungsdienstes so aus, dass die Zivildienstleistenden eine dreimonatige Ausbildung als Rettungssanitäter absolvieren und dann rund viereinhalb Monate eingesetzt werden. Bei einer Verkürzung des Zivildienstes ergäbe dies keinen Sinn mehr. Hinzu kommt, dass sich derzeit aus dem Potential der Zivildienstleistenden rund 25 Prozent später für einen Beruf im Rettungsdienst oder in der Pflege entscheiden. Durch die Kürzung werden die Einsatzmöglichkeiten erheblich eingeschränkt und dies führt zu Überlegungen, ob überhaupt noch Zivildienstleistende eingestellt werden können.

Es muss zudem dafür Sorge getragen werden, dass die Eigenständigkeit der Jugendfreiwilligendienste, wie sie im Gesetz zur Förderung der Jugendfreiwilligendienste vom 16. Mai 2008 geregelt sind, auch mittel- und langfristig gewahrt bleibt.

Die Absenkung der Förderung für Kriegsdienstverweigerer nach § 14c ZDG führt in einigen Bereichen der Jugendfreiwilligendienste zu Finanzierungsproblemen der Träger und Einsatzstellen. Zu begrüßen ist die Absicht der Bundesregierung, die Jugendfreiwilligendienste durch Bundesmittel zu verstärken und die Bundesmittel in Höhe von jährlich 35 Mio. Euro, die durch die Absenkung der Förderung nach § 14c ZDG frei geworden sind, künftig zur Förderung der Jugendfreiwilligendienste zu verwenden.

Mit Blick auf die Folgen des Gesetzes für die Länder müssen die Mittel für die Jugendfreiwilligendienste generell angehoben und die Förderhöhen bei FSJ und FÖJ unter Berücksichtigung der jeweiligen Strukturen dem erheblich angewachsenen Bedarf an pädagogischer Betreuung angepasst werden. Auch die Träger der Jugendfreiwilligendienste müssen in die Förderung einbezogen werden, die nach § 10 JFDG von den zuständigen Landesbehörden zugelassen sind und keinem der acht bundeszentralen Träger angehören.

Wehrdienst und Zivildienst müssen nach dem Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 des Grundgesetzes und dem damit verbundenen Willkürverbot gleich behandelt werden. Das kann folglich nicht nur für Grundwehr- und Zivildienstleistende gelten, die künftig einen nach dem Gesetz vorgesehenen sechsmonatigen Pflichtdienst absolvieren, sondern das muss gleichermaßen auch für Dienstleistende gelten, die einen freiwilligen zusätzlichen Wehr- oder Zivildienst leisten.

Die Regelungen im Gesetz hätten zur Folge, dass im freiwilligen zusätzlichen Zivildienst ein öffentlichrechtliches Dienstverhältnis geschaffen würde, für das Löhne gezahlt werden, die unter vier Euro die Stunde liegen. Damit würde im Rahmen eines öffentlichrechtlichen Dienstverhältnisses ein Niedriglohnsektor geschaffen, obwohl gerade erst ein Mindestlohn von 8,50 Euro im Westen bzw. 7,50 Euro im Osten für Pflegehilfskräfte eingeführt wurde. Für die freiwillig den Zivildienst verlängernden Zivildienstleistenden muss daher ein Zivildienstzuschlag entsprechend § 8c Absatz 2 WSG vorgesehen werden, der den Zivildienststellen nach Maßgabe des § 6 Absatz 2 Satz 2 ZDG erstattet wird. Weiter muss für die freiwillig den Zivildienst verlängernden Zivildienstleistenden ein erhöhtes Entlassungsgeld entsprechend § 9 Absatz 3 WSG vorgesehen werden.

Nach den geplanten Regelungen sollen Zivildienstleistende zwar die Möglichkeit haben, nach Ablauf der Dienstzeit von künftig sechs Monaten noch drei bis sechs Monate weiterzuarbeiten. Ob angesichts von jährlich durchschnittlich 65 000 Zivildienstleitenden und knapp mehr als 10 Prozent der jungen Frauen und Männer, die ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr ableisten, diese Erwartung erfüllt werden kann, ist fraglich.

Die vorgesehene Regelung einer freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes wird auch deshalb grundsätzlich abgelehnt, weil das Gesetz vorsieht, dass

Gemäß Artikel 12a Absatz 2 des Grundgesetzes ist der Zivildienst ausschließlich als Ersatzdienst für ansonsten zu leistenden Wehrdienst verfassungsrechtlich zulässig. Die Ausgestaltung des Pflichtteils des Wehrdienstes ist deshalb die entscheidende Vorgabe für die Ausgestaltung des Zivildienstes. Beide Dienste sind Ergebnis der Wehrpflicht und im Grundsatz gleich zu behandeln.

Der Sold für Wehrpflichtige wie für Zivildienstleistende beträgt seit 1. Januar 2008

Freiwillig zusätzlichen Wehrdienst Leistende erhalten nach § 8c WSG künftig ab dem siebten Monat Wehrdienst einen Wehrdienstzuschlag in Höhe von 613,50 Euro, ab dem 13ten Dienstmonat in Höhe von 675 Euro und ab dem 19ten Dienstmonat in Höhe von 736,20 Euro. Freiwillig zusätzlichen Wehrdienst Leistende ersetzen damit Zeitsoldaten mit kurzen Verpflichtungszeiten und übernehmen deren Aufgaben im Inland. Durch den Wehrdienstzuschlag wird die Gehaltsdifferenz zum Zeitsoldaten ausgeglichen.

Das WehrRÄndG 2010 enthält nun Regelungen zum Sold und zum Entlassungsgeld bei einem freiwillig zusätzlichen Zivildienst, die von den oben geschilderten gesetzlichen Regelungen für freiwillig zusätzlichen Wehrdienst Leistende abweichen: Ein Zivildienstzuschlag liegt lediglich im Ermessen der Dienststellen, die diesen Zuschlag in voller Höhe zu tragen haben.

Diese Ungleichbehandlung der Zivildienstleistenden ist nicht nachvollziehbar. Bei allen Trägern des Zivildienstes besteht ein erhebliches Interesse der Einsatzstellen an einer Verlängerung, das dann folgerichtig auch mit einem Zuschlag bezahlt werden sollte.

Das Entlassungsgeld erhöht sich gemäß den vorgeschlagenen Regelungen durch den freiwilligen zusätzlichen Zivildienst nicht, da laut Begründung Fehlzeiten bis zum Ausbildungs- oder Studienbeginn, deren Überbrückung aus dem Entlassungsgeld finanziert werden soll, durch die verlängerte Dienstzeit gerade vermieden werden sollen. Beim freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst diene das dort sehr wohl erhöhte Entlassungsgeld zudem ebenso wie der obligatorische Soldzuschlag auch dem Ziel der Anerkennung der erklärten Bereitschaft zum Auslandseinsatz bzw. einer anderen besonderen Verwendung. Eine vergleichbare Situation sei im Zivildienst nicht gegeben. Auch diese Begründung ist nicht nachvollziehbar.

Auch wird der Druck auf die Zivildienstleistenden erhöht, die Dienstzeit freiwillig zu verlängern. Zwar wurde beschlossen, dass die Männer erst zwei Monate nach Dienstantritt angeben müssen, wie lange sie bleiben wollen. Damit soll verhindert werden, dass die attraktiven Plätze nur an diejenigen vergeben werden, die am längsten bleiben.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Verlängerung nicht schon in den Vorstellungsgesprächen angesprochen wird, denn zahlreichen Presseberichten war zu entnehmen, dass viele Zivildiensteinrichtungen notwendig auf die "freiwillig verlängerte" Dienstdauer setzen. Zivildienstpflichtige, die aufgefordert werden, sich einen Zivildienstplatz zu suchen, werden daher möglicherweise künftig nur noch in Ausnahmefällen einen Platz finden, auf dem ein sechsmonatiger Zivildienst angeboten wird.

Nach alledem würde insbesondere der vereinbarte Mindestlohn in der Pflege durch einen solchen neu geschaffenen Dienst im sozialen Bereich konterkariert. Der Versuch, die fehlenden Kapazitäten bei den Rettungsdiensten und in der Pflege mit einer Verlängerung des Zivildienstes zu kompensieren, ist aufgrund der oben beschriebenen Regelungsdefizite nicht zielführend und wertschätzt in keinster Weise die zu leistenden Tätigkeiten gerade in diesen für die Gesellschaft zunehmend wichtiger werdenden Bereichen.