Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Strafbarkeit der Werbung für Suizidbeihilfe (... StRÄndG) - Antrag des Landes Rheinland-Pfalz -

876. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2010

Der federführende Rechtsausschuss und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes in folgender Fassung beim Deutschen Bundestag einzubringen:

'Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe (... StrÄndG)

A. Problem und Ziel

In Deutschland zeichnen sich mit erheblichen Gefahren verbundene Entwicklungen ab, die zum Ziel haben, Suizidbeihilfe in gewerblicher und/oder organisierter Form anzubieten. Bieten Gewerbetreibende zur Selbsttötung geeignete Mittel und Gegenstände oder Organisationen einen vermeintlich leichten Weg in den Tod an, so wird es Menschen geben, die, etwa in einer momentanen Verzweiflungssituation, die unumkehrbare Entscheidung zum Suizid treffen, wohingegen sie dies ohne die erleichterte Verfügbarkeit von zur Selbsttötung geeigneten Mitteln und Gegenständen oder auf sich allein gestellt nicht getan hätten. Dabei ist keinesfalls gewährleistet, dass es sich um in freier Verantwortung getroffene Suizidentscheidungen handelt.

Durch die Existenz von Suizidbeihilfe-Organisationen kann im Übrigen ein, wenn auch nur subjektiv empfundener, Erwartungsdruck auf schwer kranke und alte Menschen entstehen, den Suizid auch tatsächlich zu wählen. Langfristig lässt sich selbst nicht ausschließen, dass sich durch die scheinbare Normalität der Selbsttötung, wie sie in einem darauf gerichteten Dienstleistungsangebot ihren Ausdruck findet, eine gesellschaftliche Erwartungshaltung entwickelt, dass schwer kranke und alte Menschen ihren Angehörigen oder der Gemeinschaft nicht dauerhaft zur Last fallen.

Hinzu kommt die Gefahr der Kommerzialisierung. Es widerspricht dem Menschenbild des Grundgesetzes, wenn mit dem Suizid und mit dem Leid anderer Menschen Geschäfte gemacht werden.

Der sich daraus ergebenden Gefährdung menschlichen Lebens, wie sie mit der individuellen Beteiligung an fremdem Suizid nicht verbunden ist, ist mit den Mitteln des Strafrechts zu begegnen. Der Entwurf zielt darauf ab, der gewerblichen und der organisierten Suizidbeihilfe die Basis zu entziehen.

B. Lösung

Es wird ein Straftatbestand gegen gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe geschaffen.

C. Alternativen

Keine

D. Kosten der öffentlichen Haushalte

Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

Keine

Vollzugsaufwand

Durch die Einführung des neuen Straftatbestandes kann ein gewisser Mehraufwand bei den Strafverfolgungsbehörden und den Strafgerichten entstehen, dessen Umfang nicht hinreichend genau abschätzbar ist.

E. Sonstige Kosten

Keine

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe (... StrÄndG)

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 217 wie folgt gefasst:

" § 217 Gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe"

2. Nach § 216 wird folgender § 217 eingefügt:

" § 217 Gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung:

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung des Gesetzentwurfs

In Deutschland zeichnen sich mit erheblichen Gefahren verbundene Entwicklungen ab, die zum Ziel haben, Suizidbeihilfe in gewerblicher und/oder organisierter Form anzubieten. Bieten Gewerbetreibende zur Selbsttötung geeignete Mittel und Gegenstände oder Organisationen einen vermeintlich leichten Weg in den Tod an, so wird es Menschen geben, die, etwa in einer momentanen Verzweiflungssituation, die unumkehrbare Entscheidung zum Suizid treffen, wohingegen sie dies ohne die erleichterte Verfügbarkeit von zur Selbsttötung geeigneten Mitteln und Gegenständen oder auf sich allein gestellt nicht getan hätten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach den Ergebnissen der Suizidforschung nur ein kleiner Teil der Suizidentscheidungen in freier Verantwortung getroffen wird. Vielfach werden psychisch kranke, auch altersdemente, depressive oder unter akutem Liebeskummer leidende Personen betroffen sein.

Zudem kann nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden, dass durch die Existenz von Suizidbeihilfe-Organisationen ein, wenn auch nur subjektiv empfundener, Erwartungsdruck auf schwer kranke und alte Menschen entsteht, den Suizid auch tatsächlich zu wählen. Langfristig lässt sich selbst nicht ausschließen, dass sich durch die scheinbare Normalität der Selbsttötung, wie sie in einem darauf gerichteten Dienstleistungsangebot ihren Ausdruck findet, eine gesellschaftliche Erwartungshaltung entwickelt, dass schwer kranke und alte Menschen ihren Angehörigen oder der Gemeinschaft nicht dauerhaft zur Last fallen. Diese besondere Gefährdung menschlichen Lebens ergibt sich nicht aus der individuellen Beteiligung an fremdem Suizid, sondern gerade daraus, dass eine entsprechende Dienstleistung organisiert und beworben wird.

Hinzu kommt die Gefahr der Kommerzialisierung. Es widerspricht dem Menschenbild des Grundgesetzes, wenn mit dem Suizid und mit dem Leid anderer Menschen Geschäfte gemacht werden. Ein Markt für Suizidbeihilfeleistungen würde nach den Gesetzen des Marktes beispielsweise dazu führen, dass zur Selbsttötung geeignete Mittel oder Gegenstände quasi als Ware zum Verkauf, auch im Wege des Versandhandels, angeboten und "Kunden" akquiriert werden. Derartiges ist schlechterdings nicht hinnehmbar.

Aus den genannten Gründen ist der Entwicklung mit den Mitteln des Strafrechts zu begegnen. Der Entwurf zielt darauf ab, der gewerblichen und der organisierten Suizidbeihilfe die Basis zu entziehen.

Um der Etablierung der gewerblichen und/oder der organisierten Gewährung oder Verschaffung der Gelegenheit zur Selbsttötung, wie sie sich in neuerer Zeit in Deutschland abzuzeichnen droht, zu begegnen, ist die Pönalisierung des Betriebs einschlägiger Gewerbe und der Gründung von Suizidbeihilfe-Organisationen sowie der Betätigung des Führungspersonals solcher Organisationen zur Förderung von deren Zielen erforderlich, aber auch ausreichend. Dadurch wird es möglich, den Betrieb solcher Gewerbe und die Neugründung von Suizidbeihilfe-Organisationen zu verhindern. Für bestehende Suizidbeihilfe-Organisationen reicht es aus, das Führungspersonal strafrechtlich zu erfassen, weil die Tätigkeit der Vereinigung rasch zum Erliegen kommen wird, wenn die sie tragenden Personen durch das Strafrecht an einer weiteren Betätigung gehindert werden. Dabei kann sich die Strafbarkeit im Zusammenhang mit Suizidbeihilfe-Organisationen auf Fälle beschränken, in denen für diese werbend an die Öffentlichkeit getreten wird.

Dieser Lösungsansatz beschränkt sich darauf, die Etablierung von Gewerbetreibenden und Vereinigungen oder Organisationen zu verhindern, die Gelegenheit zur Selbsttötung vermitteln oder verschaffen. Es besteht kein hinreichender Anlass, durch eine weitergehende Strafvorschrift schwierige und ungeklärte Fragen der Strafbarkeit einer Beteiligung an fremdem Suizid aufzugreifen.

II. Gesetzgebungskompetenz

Bei den vorgeschlagenen Regelungen handelt es sich um auf Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 GG gestützte Änderungen des Strafgesetzbuches.

Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar.

III. Auswirkungen

Durch die Einführung neuer Straftatbestände kann mehr Aufwand bei den Strafverfolgungsbehörden und den Strafgerichten entstehen, dessen Umfang im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht hinreichend genau abschätzbar ist. Abgesehen davon wird das Vorhaben Bund, Länder und Gemeinden nicht mit nennenswerten Mehrkosten belasten. Da sich der Entwurf auf die Einführung von Strafvorschriften beschränkt, die die Wirtschaft nicht mit zusätzlichen Kosten belasten, sind Auswirkungen auf Einzelpreise, das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, oder die Umwelt nicht zu erwarten.

B. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches) Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)

Redaktionelle Folgeänderung im Hinblick auf die Einfügung des § 217 (Nummer 2).

Zu Nummer 2 (§ 217)

In Absatz 1 werden der Betrieb eines Gewerbes, dessen Gegenstand die Gewährung oder Verschaffung der Gelegenheit zur Selbsttötung ist, sowie die Gründung einer Vereinigung unter Strafe gestellt, deren Zweck oder Tätigkeit darauf gerichtet ist, anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren oder zu verschaffen. Absatz 2 pönalisiert die Tätigkeit des Führungspersonals von Suizidbeihilfe-Organisationen. Der Entwurf schafft demgemäß auch Organisationsdelikte. Die Vorschrift fügt sich in den Sechzehnten Abschnitt des besonderen Teils des Strafgesetzbuchs ein, weil sie mittelbar dem Schutz menschlichen Lebens dient.

Ungerechtfertigte Strafbarkeitslücken sind nicht zu befürchten. Suizidbeihilfe, wie sie der Entwurf im Blick hat, erfordert eine Gewinnerzielungsabsicht und/oder einen nicht unerheblichen logistischen Aufwand, der nur von einer Personenmehrheit bewältigt werden kann. Andererseits wäre es nicht wünschenswert, etwa denjenigen unter Strafe zu stellen, der einem todkranken Angehörigen Hilfestellung leisten will.

Zu Absatz 1

Dass Krankenhäuser, Hospize und andere palliativmedizinische Einrichtungen nicht unter den Vereinigungsbegriff fallen, versteht sich von selbst. Deren Tätigkeit ist nicht dadurch geprägt, dass sie die Gelegenheit zur Selbsttötung gewähren oder verschaffen. Einer besonderen Regelung bedarf es daher nicht.

"Gelegenheit" ist gewährt bei Herbeiführung äußerer Umstände, durch die die Selbsttötung ermöglicht oder wesentlich erleichtert wird. "Verschaffen" umfasst beispielsweise den Nachweis oder das Besorgen eines geeigneten Orts, der erforderlichen Geräte oder das Zurverfügungstellen von zur Selbsttötung geeigneten Mitteln oder Gegenständen. Auch Vermittlungstätigkeiten sind einbezogen.

Zu Absatz 2

Durch Absatz 2 wird die Tätigkeit des Führungspersonals von Suizidbeihilfe-Organisationen unter Strafe gestellt. Zu deren Führungspersonal zählen sowohl Mitglieder als auch Nichtmitglieder der Organisation, sofern sie auf die Organisationsstruktur, Zielsetzung oder die konkreten Planungen usw. bestimmenden Einfluss haben. Zur Bestimmung des Führungspersonals wird das im Strafgesetzbuch bewährte Begriffspaar "Rädelsführer oder Hintermann" verwendet, so dass die Rechtsanwender durch gefestigte Auslegung konturierte Begriffe vorfinden (vgl. § § 84, 8 5, 8 8, 129, 129a StGB).

Aus der Pönalisierung nur des Führungspersonals ergibt sich zugleich, dass die Strafdrohung nicht etwa das "einfache", Beitrag zahlende Mitglied einschlägiger Vereine erfasst, und zwar auch nicht in Form der Beihilfe ( § 27 StGB). Denn in Absatz 2 werden bewusst nur hervorgehobene, zur Täterschaft verselbstständigte Beihilfehandlungen unter Strafe gestellt.

Auch hier reicht es aus, die Strafbarkeit auf die Fälle zu beschränken, in denen für die Vereinigung werbend an die Öffentlichkeit getreten wird. Anders als in Absatz 1 muss hier die Werbung nicht vom Täter selbst ausgehen, weil ansonsten Umgehungsmöglichkeiten auf der Hand lägen.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

Begründung (nur für das Plenum):

Der Gesetzentwurf des Landes Rheinland-Pfalz ist nicht geeignet, die strafwürdigen Auswüchse im Zusammenhang mit der Unterstützung fremden Suizids im erforderlichen Umfang zu sanktionieren und zu unterbinden. Er erfasst ausschließlich und unter engen Voraussetzungen die Werbung für Dienstleistungen oder Mittel für einen Suizid. Wer seine Tätigkeit ohne die entsprechende Werbung ausübt, könnte strafrechtlich unbehelligt seinen Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass er anderen zum Tod verhilft. Das erscheint nicht hinnehmbar und entspricht auch nicht der Entschließung des Bundesrates vom 4. Juli 2008, vgl. BR-Drs. 436/08(B) HTML PDF . Nach Nummer 2 der Entschließung soll das Betreiben eines entsprechenden Gewerbes sowie das gewerbliche Anbieten und Vertreiben von Mitteln zur Selbsttötung unter Strafe gestellt werden, nicht lediglich die qualifizierte Werbung dafür.

Der vorliegende Antrag trägt diesem Anliegen der Entschließung Rechnung. Im Übrigen entspricht er weitgehend der übereinstimmenden Einbringungsempfehlung des Rechtsausschusses und des Gesundheitsausschusses in BR-Drs. 436/08 (PDF) vom 24. Juni 2008 zur 846. Sitzung des Bundesrates am 4. Juli 2008. Die geänderte Formulierung des § 217 Absatz 1 StGB-E vermeidet sprachliche Ungenauigkeiten. Außerdem ist zur noch engeren Begrenzung der Strafbarkeit im Zusammenhang mit Suizidbeihilfe-Vereinigungen als einschränkendes Merkmal in Absatz 1 und 2 des § 217 StGB-E aufgenommen, dass durch öffentliche Werbung eine den Rechtsgüterschutz besonders gefährdende Außenwirkung entstehen muss. Schließlich wird in § 217 Absatz 2 StGB-E zur Kennzeichnung des Führungspersonals das in verschiedenen Strafnormen verwendete Begriffspaar "Rädelsführer oder Hintermann" verwendet, um die Rechtsanwendung durch den Rückgriff auf gefestigte Auslegung zu erleichtern.