und Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament und den Rat zur Einrichtung eines gemeinsamen Neuansiedlungsprogramms der EU KOM (2009) 447 endg.; Ratsdok. 12986/09
Der Bundesrat hat in seiner 864. Sitzung am 27. November 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt die Bestrebungen der Kommission, die Strukturen und Verfahren zur Koordinierung der Neuansiedlungen in der EU aufeinander abzustimmen, um eine engere praktische Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und eine wirksamere Koordinierung auf EU-Ebene zu ermöglichen. Er setzt dabei voraus, dass die Teilnahme der Mitgliedstaaten an dem gemeinsamen Neuansiedlungsprogramm, wie von der Kommission vorgeschlagen, weiterhin ausschließlich freiwillig erfolgt. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat darauf hin, dass Deutschland seine humanitären Verpflichtungen aus dem (inter-)nationalen Flüchtlingsschutz - neben der Schutzgewährung im Asylverfahren - in der Vergangenheit durch anlassbezogene Aufnahmen aus akuten Krisenregionen stets zuverlässig erfüllt hat. Deutschland hat beispielsweise in den siebziger und achtziger Jahren indochinesische Bootsflüchtlinge (vor allem aus Vietnam, aber auch aus Kambodscha und Laos) sowie in den neunziger Jahren vor allem Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien und dem Kosovo sowie albanische Botschaftsflüchtlinge aufgenommen. Seit Dezember letzten Jahres nimmt Deutschland 2 500 besonders schutzbedürftige irakische Flüchtlinge aus Syrien und Jordanien auf und leistet dadurch - auch im internationalen Vergleich - einen beachtlichen humanitären Beitrag zur Linderung der Folgen der irakischen Flüchtlingskrise.
- 2. Die Aufnahme von Flüchtlingen aus humanitären Gründen aus Drittstaaten wird auch mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon weiterhin in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten bleiben. Diese umfasst insbesondere die Fragen, ob und wie viele Flüchtlinge im jeweiligen Einzelfall aufgenommen werden können und sollen. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, in den aktuellen Verhandlungen, aber auch bei einer etwaigen zukünftigen Diskussion über die Ausweitung des freiwilligen Neuansiedlungsprogramms, jeglichen Bestrebungen entgegenzutreten, die darauf abzielen, den Mitgliedstaaten - auch nur stufenweise - feste jährliche Aufnahmequoten verbindlich vorzugeben.
- 3. Der Bundesrat erkennt an, dass eine EU-weite jährliche Festlegung von Neuansiedlungsprioritäten dazu beitragen kann, die bisher ausschließlich nationalen Neuansiedlungsmaßnahmen strategisch zu koordinieren und besser in die externe Politik der EU zu integrieren. Allerdings bewertet er das von der Kommission hierzu vorgeschlagene Konsultations- und Entscheidungsverfahren kritisch. Der Bundesrat weist darauf hin, dass nationale Spielräume der Mitgliedstaaten bei der Auswahl der aufzunehmenden Flüchtlinge unbedingt aufrecht erhalten bleiben müssen. Als Auswahlkriterien müssen - neben der individuellen Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge - deren Integrationsfähigkeit sowie familiäre Bindungen nach Deutschland einbezogen werden können, um eine rasche und nachhaltige Integration des aufgenommenen Personenkreises zu gewährleisten. Der Bundesrat ist hierzu der Auffassung, dass eine differenzierte Betrachtung - wie in der Aufnahmeanordnung des Bundesministeriums des Innern zur Aufnahme irakischer Flüchtlinge aus Syrien und Jordanien vom 5. Dezember 2008 - grundsätzlich erforderlich ist. Die vorrangige Neuansiedlung medizinischer bzw. pflegerischer Notfälle darf angesichts der unkalkulierbaren finanziellen Folgelasten für Länder und Kommunen keinesfalls einseitig von der Kommission vorgegeben werden. Auch wenn es den Mitgliedstaaten weiterhin freisteht, Flüchtlinge anderer Kategorien aufzunehmen, hängt die finanzielle Förderung aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF) maßgeblich von der Prioritätenfestlegung der Kommission ab. Der Bundesrat ist im Übrigen der Auffassung, dass zur Klärung, ob und in welchem Rahmen künftige Aufnahmeaktionen gestaltet werden könnten, eine Evaluierung der derzeit noch andauernden Aufnahme der irakischen Flüchtlinge aus Syrien und Jordanien sinnvoll ist.
- 4. Nach dem in der Mitteilung für das freiwillige Neuansiedlungsprogramm beschriebenen Verfahren sollen den Mitgliedstaaten nach der jährlichen Festlegung der Prioritäten durch die Kommission lediglich zwanzig Kalendertage verbleiben, um die eigenen Kontingente für die Aufnahme von Flüchtlingen rückzumelden. Mit Blick auf den notwendigen Abstimmungsprozess zwischen Bund und Ländern bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich für eine angemessene Verlängerung dieser Frist einzusetzen.
- 5. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, den Ländern vor der endgültigen Entscheidung über die Teilnahme am Neuansiedlungsprogramm seine Vorstellungen für ein nationales Verteilungsverfahren zu unterbreiten. Klärungsbedürftig ist insbesondere, welche allgemeinen und für die Länder gleichmäßig anzuwendenden Verteilungskriterien gelten und in welchem Verfahren die nationalen Aufnahmekontingente unter Berücksichtigung der bestehenden nationalen Regelungen für Flüchtlinge und unerlaubt eingereiste Ausländer verteilt werden sollen.
- 6. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die bundesrechtlichen Rahmenbedingungen über die sozialrechtliche Zuständigkeitsverteilung in der Praxis dazu führen, dass der zuständige Sozialleistungsträger nicht bereits vor der Einreise der Flüchtlinge bzw. Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland ermittelt werden kann. Die Vorbereitung der Aufnahme hilfebedürftiger Menschen vor Ort wird hierdurch erheblich erschwert. Die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen sollten insoweit überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Zudem sollte ein Vorschlag zur Festlegung der Kostentragungspflicht im Sinne des § 108 Absatz 5 SGB XII vorgelegt werden.
- 7. Mit Blick auf die zu erwartenden finanziellen Folgelasten bittet der Bundesrat die Bundesregierung, einen Regelungsvorschlag zur Verteilung der Mittel aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds zwischen Bund, Ländern und Kommunen vorzulegen.
- 8. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass für den Erfolg des Neuansiedlungsprogramms - sowohl bei der Festlegung der gemeinsamen Prioritäten als auch der praktischen Kooperation - eine enge Zusammenarbeit mit UNHCR und weiteren mit Neuansiedlungsfragen befassten Nichtregierungsorganisationen wichtig ist. Er gibt aber zu bedenken, dass die wesentlichen Planungs- und Steuerungsentscheidungen den EU-Ratsgremien bzw. den zuständigen nationalen Stellen vorbehalten bleiben müssen. Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die konzeptionellen Vorstellungen des UNHCR zum Resettlement teilweise erheblich von denjenigen der Länder abweichen. Dies gilt vor allem für die Frage der Rechtsstellung der aufgenommenen Personen (Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention) sowie hinsichtlich der Kriterien für die Auswahl der Personen, die für eine Neuansiedlung in Frage kommen (Integrationsfähigkeit als Auswahlkriterium).
- 9. Die praktische Zusammenarbeit durch den Informationsaustausch und die Ermittlung bewährter Verfahren bei Aufnahme und Integration der Flüchtlinge in den jeweiligen Mitgliedstaaten wird ebenfalls begrüßt. Der Bundesrat weist aber darauf hin, dass nicht nur die internationalen und lokalen Nichtregierungsorganisationen, sondern auch die einschlägigen Sozialverbände und Kirchen zu beteiligen sind, da diese auf integrative Helfernetzwerke zurückgreifen können.
- 10. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass Bestrebungen zur Ausweitung von Neuansiedlungen aus humanitären Gründen mit weiteren Anstrengungen einhergehen müssen, den Asylmissbrauch wirkungsvoll einzudämmen. Hierzu gehören die effektive Bekämpfung der illegalen Einwanderung ebenso wie eine konsequente Rückführungspolitik. Der Bundesrat betrachtet in diesem Zusammenhang mit Sorge, dass die Kommission gemeinsame Standards für die Aufnahme von illegalen Einwanderern vorschlagen will, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können (siehe Nummer 5.1.4 und 5.2.1 der Mitteilung zum Stockholmer Programm, KOM (2009) 262 endg.). Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, etwaigen Bestrebungen zur Legalisierung einer Aufenthaltsverfestigung vollziehbar ausreisepflichtiger Personen, die ihre Rückführung durch Verletzung von Mitwirkungspflichten - insbesondere bei der Passbeschaffung - unmöglich machen, entschieden entgegenzuwirken.