859. Sitzung des Bundesrates am 12. Juni 2009
A.
Der Agrarausschuss (A), der Rechtsausschuss (R) und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) empfehlen dem Bundesrat, die Entschließung nach der Überschrift wie folgt zu fassen:
- 1. Der Bundesrat teilt die wachsende Besorgnis im Bereich der Landwirtschaft und in Teilen der Öffentlichkeit, dass landwirtschaftlich genutzte Tiere und Pflanzen unter Patentschutz gestellt werden könnten.
- 2. Der Bundesrat ist insbesondere beunruhigt darüber, dass dabei auch klassische Züchtungsverfahren, die auf Kreuzung und Selektion beruhen, unter Patentschutz gestellt werden könnten, wenn ein technischer Verfahrensschritt hinzukommt.
- 3. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass schon nach geltendem Recht für traditionelle Verfahren der Pflanzen- und Tierzucht und die daraus hervorgegangenen Tiere und Pflanzen Patente nicht erteilt werden dürfen, und zwar auch dann nicht, wenn zu traditionellen Züchtungsverfahren ein technischer Verfahrensschritt hinzukommt.
- 4. Der Bundesrat erwartet, dass die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in den Fällen "Brokkoli" und "Tomaten" diese Rechtsauffassung bestätigt.
- 5. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich für notwendige Änderungen der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (ABl. L 213 vom 30. Juli 1998, Seite 13) mit folgenden Zielen einzusetzen:
- - Sicherstellung, dass für klassische Verfahren der Pflanzen- und Tierzucht durch biologische Verfahren wie Kreuzung und Selektion und die daraus hervorgegangenen Tiere und Pflanzen sowie deren Fortpflanzungsprodukte Patente auch dann nicht erteilt werden können, wenn zu diesem klassischen Verfahren ein technischer Schritt hinzukommt;
- - keine Beeinträchtigung der herkömmlichen gartenbaulichen und land- und forstwirtschaftlichen Zuchttätigkeit durch Patentansprüche;
- - keine Behinderung der notwendigen Züchtungsfortschritte zur Anpassung von Nutzpflanzen und Nutztieren an den Klimawandel und zur Sicherung der Ernährungsgrundlagen;
- - keine Gefährdung der genetischen Vielfalt von Tieren und Pflanzen durch Patente.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Der Entschließungsantrag Hessens greift das derzeit in der Öffentlichkeit wie auf Fachebene intensiv diskutierte Thema von Patenten im Zusammenhang mit landwirtschaftlich genutzten Tieren und Pflanzen sowie Züchtungsverfahren auf. Der Neufassungsvorschlag teilt die Intention des hessischen Antrags. Dabei benennt er die Besorgnisse klarer (Ziffern 1 und 2), verzichtet nicht auf eine wichtige Rechtsposition, sondern bekräftigt diese (Ziffern 3 und 4) und erhebt zielgenaue Forderungen für notwendige Änderungen der Richtlinie (Ziffer 5).
Der Antrag Hessens will in Satz 1 erreichen, dass eine Patentierung von Erfindungen, deren Gegenstand Pflanzen und Tiere sind, zukünftig ausgeschlossen wird, wenn sie auf klassischen Züchtungsverfahren wie Kreuzung und Selektion beruhen. Damit unterstellt der Antrag, dass derartige Patente derzeit zulässig sind. Dies ist aber gerade strittig und nach Auffassung des Neufassungsvorschlags nicht der Fall. Der Bundesrat sollte diese Position nicht übernehmen. Sie würde die Situation der deutschen Landwirte auch in den anstehenden Verfahren vor dem Europäischen Patentamt schwächen. Der Bundesrat sollte im Gegenteil die Auffassung bekräftigen, dass derartige Patente schon nach geltendem Recht unzulässig sind.
Entscheidend ist die Frage, wie der Ausschluss der Patentierbarkeit für "im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren" (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie, Artikel 53 Buchstabe b des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ)) von der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts, der dazu zwei Vorlageentscheidungen ("Brokkoli" und "Tomaten") vorliegen, ausgelegt wird.
Unabhängig von dieser Frage fordert der Neufassungsvorschlag notwendige Änderungen der Richtlinie entsprechend der Intention in Satz 2 des hessischen Antrags. Sollte insbesondere die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer anders ausfallen, können auf der Basis der dann vorliegenden Entscheidungsgründe zur Auslegung der Vorschriften die notwendigen Änderungen der Richtlinie wirksam gefordert und effektiv begründet werden.
Die Forderung in Satz 3 des Antrags Hessens, dass künftig der Erwerb von Patentansprüchen auf Tiere und Pflanzen, die aus patentierten Verfahren hervorgehen, untersagt wird, ist in ihrer Reichweite unklar und könnte auch das Ende der anerkannten Biotechnologieforschung im Bereich der roten und grauen Gentechnik bedeuten. Auch stellt sich die Frage eines Schutzes der daraus hervorgegangenen Tiere und Pflanzen gar nicht mehr, wenn schon das Verfahren der Züchtung nicht patentierbar ist, was daher der primäre Ansatzpunkt sein muss. Schließlich würde die Forderung eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Stoffschutz bei Arbeits- und Herstellungsverfahren erfordern. Die Ziele werden daher im Neufassungsvorschlag genauer formuliert und um weitere Gesichtspunkte ergänzt.
B.
- 6. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, die Entschließung nicht zu fassen.
C.
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Kulturfragen haben ihre Beratungen zu der Vorlage noch nicht abgeschlossen.*)
- *) Das Land Hessen hat mit Schreiben vom 5. Juni 2009 beim Präsidenten des Bundesrates die Aufsetzung der Vorlage auf die Tagesordnung der 859. Sitzung des Bundesrates am 12. Juni 2009 und die sofortige Sachentscheidung beantragt.