Der Bundesrat hat in seiner 860. Sitzung am 10. Juli 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag der Kommission, die bestehende Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern und der Steuern auf Versicherungsprämien durch ein Regelwerk zu ersetzen, das den Anforderungen an die Amtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten im Zeitalter der Globalisierung gerecht wird. Er sieht hierin einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerumgehung, zur Gewährleistung funktionierender Steuersysteme und zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen und negativen Auswirkungen für den Binnenmarkt.
- 2. Ein EU-weit einheitliches Amtshilfeverfahren dient insbesondere der effizienten und schnellen Beitreibung von Forderungen der einzelnen Mitgliedstaaten. Mit der "Einziehung" von Beiträgen zur Sozialversicherung befassen sich auch Artikel 92 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und Artikel 84 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004. Regelungen, die die Zusammenarbeit der zuständigen Träger bei der Beitreibung von Beiträgen zur Sozialversicherung betreffen, sind in Titel IV Kapitel III des Vorschlags der Verordnung für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 enthalten. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass Überschneidungen im Interesse von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu vermeiden sind. Er bittet die Bundesregierung, sich bei den Verhandlungen auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass zu überprüfen ist, ob in Hinsicht auf sozialversicherungsrechtliche Regelungen das bestehende Verordnungsrecht in diesem Bereich als ausreichend angesehen werden kann. Sofern im weiteren Verfahren Forderungen der Sozialversicherungsträger Gegenstand der Richtlinie bleiben, ist eine Überschneidung von Rechtsvorschriften auszuschließen.
- 3. Der Bundesrat sieht es im Hinblick auf die Souveränität der Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten als kritisch an, dass die Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags mit Unterstützung durch den "Ausschuss für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Steuerbereich" Leitlinien zum Informationsaustausch über einzelstaatliche Rechtsvorschriften für die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden, zu Risikomanagementtechniken und zu anderen für den Erfahrungsaustausch notwendigen Maßnahmen aufstellen kann. Derartige Leitlinien sind zur Verbesserung der Zusammenarbeit der Steuerbehörden der Mitgliedstaaten nicht erforderlich; dies gilt insbesondere für sogenannte "Risikomanagementtechniken", die ihre Grundlage im steuerlichen Verfahrensrecht des jeweiligen Mitgliedstaats haben. Über diese Rechte erlangt die Kommission letztlich Einwirkungsmöglichkeiten auf den inländischen Steuervollzug, obwohl es eine diesbezügliche gemeinschaftsrechtliche Grundlage nicht gibt. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, in den weiteren Beratungen darauf hinzuwirken, dass die Kommission keinen unmittelbaren Einfluss auf den Steuervollzug des Bundes und der Länder erlangt.
- 4. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den weiteren Verhandlungen zu prüfen, ob die in der Richtlinie vorgesehenen Regelungen hinsichtlich der Rückmeldung von Ergebnissen (Artikel 13) und der Weitergabe von Informationen (z.B. an andere Behörden (Artikel 15) und an Drittstaaten (Artikel 23)) mit der inländischen Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses im Einklang stehen.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung ferner um Prüfung, inwieweit die in Artikel 10 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Übertragung hoheitlicher Befugnisse zu Gunsten Bediensteter anderer Mitgliedstaaten verfassungsrechtlich zulässig ist und mit der Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses im Einklang steht.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Rahmen der weiteren Erörterungen darauf hinzuwirken, dass die wesentlichen Regelungen (insbesondere zum Inhalt und zu den Modalitäten des automatischen Auskunftsaustauschs, zur Datenerhebung zwecks Evaluierung, zur Mindesthöhe beim Auskunftsaustausch) im Richtlinientext selbst enthalten sind und nicht durch den Komitologieausschuss verhandelt werden.
- 7. Der Bundesrat unterstützt den Vorschlag, die Vordrucke für den Informationsaustausch zu vereinheitlichen und den Informationsaustausch auf elektronischem Wege abzuwickeln. Er bittet jedoch die Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass zur Vermeidung eines Anpassungsaufwands "technische Zwischenlösungen" möglichst vermieden werden und zusammen mit den Ländern im Sinne einer praxisorientierten Anwendung eine technische Lösung erarbeitet wird.
- 8. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den weiteren Verhandlungen auf folgende Änderungen des Richtlinienvorschlags hinzuwirken:
- - Zu Artikel 4 (Organisation)
Zusätzlich zur Delegation der Zuständigkeit des Informationsaustausches auf zu benennende Beamte sollte sichergestellt werden, dass eine einzelfallbezogene Übertragung der Zuständigkeit weiterhin möglich sein wird. Es sollte insoweit eine Klarstellung erfolgen.
- - Zu Artikel 7 (Fristen)
Grundsätzlich wird die Einführung von Fristen zur Beantwortung von Ersuchen begrüßt, da diese zur Beschleunigung des Informationsaustausches beitragen könnten. Allerdings wird insbesondere die in der Richtlinie vorgesehene Ein-Monats-Frist für zu kurz bemessen erachtet. Es sollte daher darauf hingewirkt werden, in den Fällen des Absatzes 1, 2. Unterabsatz, des Absatzes 4 und des Absatzes 6 eine einheitliche Frist von drei Monaten einzuführen.
- - Zu Artikel 8 und 9 (Automatischer Auskunftsaustausch/Spontaner Auskunftsaustausch)
Die Abgrenzung zwischen den Anwendungsbereichen beider Artikel bedarf einer Klärung. Dies ist insbesondere unter dem Gesichtspunkt der inländischen Anhörungspflicht gemäß § 117 Absatz 4 Satz 3 der Abgabenordnung (allgemei/steuerao_ges.htm ) und deren Ausnahmen nach § 91 Absatz 2 und 3 AO geboten.
- - Zu Artikel 10 (Anwesenheitsrechte/Teilnahme an behördlichen Ermittlungen)
Der Umfang der "Prüfungsbefugnisse" der ausländischen Bediensteten ist nicht eindeutig erkennbar. Es bedarf insoweit - auch unter dem rechtlichen Aspekt des § 7 AO (Amtsträger) und der Problematik der eventuellen Nichtigkeit von Verwaltungsakten ausländischer Bediensteter (§ 125 AO) - einer klaren Definition.
- - Zu Artikel 13 (Rückmeldungen)
Zur Vermeidung von Verwaltungs- und Arbeitsaufwand sollte - soweit das deutsche Steuergeheimnis einer Rückmeldung nicht grundsätzlich entgegensteht - darauf hingewirkt werden, von einer in jedem Einzelfall verpflichtenden Rückmeldung abzusehen und diese nur auf jene Fälle zu beschränken, in denen eine Rückmeldung vom anderen Mitgliedstaat ausdrücklich gewünscht wird.
- - Zu Artikel 20 (Praktische Vorkehrungen)
Die Regelungen zur Kostentragung sollten offener gehalten werden, um auch andere außergewöhnliche Kosten dem ersuchenden Mitgliedstaat auferlegen zu können. Die Kostenfrage sollte zudem in Artikel 16 aufgeführt werden.
- - Zu Artikel 27 (Umsetzung)
Der vorgesehene Umsetzungstermin sollte hinausgeschoben werden, damit den Mitgliedstaaten nach Verabschiedung der Richtlinie ausreichend Zeit für die Durchführung erforderlicher technischer und organisatorischer Maßnahmen verbleibt.
- - Zu Artikel 4 (Organisation)