847. Sitzung des Bundesrates am 19. September 2008
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat erkennt zwar an, dass die in der Mitteilung vorgesehene einheitliche Asylverfahrens- und Entscheidungspraxis auf EU-Ebene Vorteile bringen kann, da sie weniger Anlass für Sekundärbewegungen bietet und damit gegebenenfalls einhergehende Pullfaktoren vermieden werden. Er weist aber zugleich daraufhin, dass die Harmonisierung des Asylrechts unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten auf das erforderliche Maß beschränkt, ein effizientes Asylverfahren gewährleistet sowie die Schaffung neuer Pullfaktoren und ein weiterer Aufbau von Bürokratie verhindert werden muss.
- 2. Der Bundesrat unterstreicht seine zum Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem beschlossene Stellungnahme - BR-Drucksache 414/07(B) -.
Insbesondere und ergänzend weist er auf nachfolgende Punkte hin:
- 3. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission von ihrem Ziel, die zweite Phase der Asylrechtsharmonisierung bis zum Jahre 2010 abzuschließen, Abstand genommen hat. Dies erscheint vor dem Hintergrund der in der ersten Phase aufgetretenen Verzögerungen zwingend erforderlich. Nach der Konzeption des Haager Programms soll die Harmonisierung des Asylrechts schrittweise vorangetrieben werden, wobei die Auswirkungen bereits getroffener Maßnahmen ein wichtiges Gestaltungskriterium für zukünftige Schritte sind. Diese für weitere Maßnahmen notwendigen Erkenntnisse liegen jedoch noch nicht vor. Die Evaluierung der bereits in Kraft getretenen Rechtsakte ist nicht abgeschlossen und mangels ausreichender EU-weiter Erfahrungen auch noch nicht möglich. Das Vorhaben der Kommission, bereits in den Jahren 2008 und 2009 neue Richtlinienvorschläge vorzulegen, erscheint vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll. Der Bundesrat erachtet es als notwendig, den neuen Zeitplan den aktuellen Gegebenheiten anzupassen, damit die Schnelligkeit der Arbeit nicht zu Lasten der Qualität geht. Es sollte zunächst der erste Schritt vollendet werden, bevor mit dem zweiten Schritt begonnen wird.
- 4. Soweit die Kommission eine Verbesserung des Niveaus und der Art der materiellen Aufnahmebedingungen vorschlägt, wird betont, dass sich das nationale System des Asylbewerberleistungsgesetzes bewährt hat. Es muss insbesondere darauf geachtet werden, dass weiterhin eine Beschränkung auf Sachleistungen und bei Verstoß gegen Mitwirkungs- und Verhaltenspflichten eine Leistungseinschränkung möglich ist.
- 5. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Zielsetzung, Flüchtlingen bereits während laufender Verfahren den Zugang zu den Arbeitsmärkten zu erleichtern, dem Interesse der Mitgliedstaaten zuwiderläuft. Im Hinblick auf die relativ geringen Anerkennungsquoten in den Asylverfahren ist die Mehrheit der um Schutz nachsuchenden Personen gehalten, nach Abschluss der Verfahren wieder in ihre Heimatländer zurückzukehren. Die von der Kommission angekündigten EU-weit verbindlichen Erleichterungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt tragen jedoch die erhebliche Gefahr einer faktischen Aufenthaltsverfestigung in sich, welche eine Rückführung erheblich erschweren oder ganz unmöglich machen würde. Auch wegen der unerwünschten Anreizwirkung, sich auf dem Wege von Asylverfahren einen erleichterten Zugang zu den Arbeitsmärkten zu verschaffen und so innerstaatliche Beschränkungen umgehen zu können, ist dieses Vorhaben der Kommission abzulehnen.
Darüber hinaus weist der Bundesrat erneut daraufhin, dass die Entscheidung über Art und Maß des Arbeitsmarktzugangs für Drittstaatsangehörige ohne verfestigten Aufenthaltsstatus ausschließlich in den nationalen Kompetenzbereich fällt, so dass die angekündigten EU-weit verbindlichen Erleichterungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt erheblichen Bedenken im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip begegnen.
- 6. Auch bei einer weiteren Angleichung der Verfahrensregeln sind Überlegungen zu effizienteren, schnelleren und somit auch kostengünstigeren Asylverfahren in den Vordergrund und nicht im Gegenteil bewährte Regelungen zur Verfahrensvereinfachung in Frage zu stellen. Dies gilt insbesondere für spezielle nationale Verfahren wie das Flughafenverfahren, die Möglichkeit der Verweigerung der Einreise bei Verstoß gegen nationale Sicherheitsinteressen oder das System sicherer Staaten. Der drohenden Aufweichung dieser bewährten Asylstandards durch EU-Regelungen ist entschieden entgegenzuwirken.
- 7. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass für die Einführung eines einheitlich hohen Schutzstandards ein annähernd gleicher wirtschaftlicher Standard in den Mitgliedstaaten unabdingbare Voraussetzung ist. Er geht davon aus, dass auch auf längerfristige Sicht zwar eine Angleichung, jedoch keine vollständige Harmonisierung möglich ist. Hinzu kommt, dass eine Absenkung des in einigen wirtschaftlich stärkeren EU-Mitgliedstaaten gewährten hohen Niveaus bereits aus rechtlichen Gründen nicht zulässig wäre. Diese Problematik muss berücksichtigt und die existierenden Niveauunterschiede müssen in die Lösungsvorschläge einbezogen werden. Darüber hinaus gibt der Bundesrat zu bedenken, dass ein höheres Leistungs- und Schutzniveau einen zusätzlichen Anreiz für eine Asylantragstellung mit sich bringt.
- 8. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die angekündigte europäische Unterstützungsagentur keine Weisungs- oder Entscheidungsbefugnis haben soll. Unbeschadet der Förderung einer einheitlichen Anwendung von Asylrechtsnormen bleibt er aber der Auffassung, dass die Neuschaffung dieser Agentur zur Verbesserung der praktischen Zusammenarbeit nicht erforderlich ist und auf zusätzliches Personal und eine ausufernde Bürokratie hinausläuft. Als Plattform können vielmehr bestehende Einrichtungen genutzt werden.
- 9. Der Bundesrat äußert Bedenken zu der im Strategieplan vorgeschlagenen vorübergehenden Aussetzung des bewährten Dublin-Systems für den Fall, dass die Aufnahmekapazitäten in einem Mitgliedstaat erschöpft sind.
- 10. Der Bundesrat begrüßt, dass im nächsten Jahr ein Vorschlag zur Änderung der EURODAC-Verordnung mit dem Ziel vorgelegt werden soll, den Polizei- und Justizbehörden der Mitgliedstaaten sowie Europol zum Zwecke der Strafverfolgung Zugang zu EURODAC zu gewähren.
- 11. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass neben Erwägungen zur Schutzgewährung den Überlegungen zu einer effektiveren Bekämpfung des Missbrauchs des Asylverfahrens ein größeres Gewicht beigemessen werden und dies in den angekündigten Rechtsakten Niederschlag finden muss; dieser Punkt wird wie schon im Grünbuch Asyl auch in der Mitteilung zur künftigen Asylstrategie nur am Rande erwähnt.