Der Deutsche Bundestag hat in seiner 152. Sitzung am 14. März 2008 zu dem von ihm verabschiedeten Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) - Drucksachen 016/7439, 016/7486, 016/8525 - die beigefügte Entschließung unter Nummer 5 der Beschlussempfehlung auf Drucksache 016/8525 angenommen.
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
- 1. Die zum 1. Januar 1995 eingeführte Pflegeversicherung hat bei Versicherten und Pflegebedürftigen sowie den Angehörigen ein hohes Maß an Akzeptanz erreicht. Dennoch besteht Weiterentwicklungsbedarf, um die Pflegeversicherung besser auf die Wünsche und Bedürfnisse der Betroffenen auszurichten. Mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz wird die Pflegeversicherung in diesem Sinne inhaltlich ausgebaut und auf die kommenden Herausforderungen der gesellschaftlichen und demographischen Entwicklungen vorbereitet.
- 2. Der Deutsche Bundestag begrüßt die zur Zeit stattfindende Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes im Sinne des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) durch den vom Bundesministerium für Gesundheit eingerichteten Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Vor Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines neuen Begutachtungsinstruments müssen allerdings die Ergebnisse aus der derzeitigen Erprobung alternativer Modelle und Handlungsoptionen und die daraus hervorgehende Empfehlung des Beirats vorliegen. Insbesondere ist die Frage - auch mittels Modellversuchen - zu beantworten, wie sich mögliche Änderungen in finanzieller Hinsicht auf die Pflegeversicherung und andere Leistungsbereiche auswirken.
Ein umfassendes Begutachtungsinstrument und ein übergreifender Pflegebedürftigkeitsbegriff können auch dazu beitragen, die Voraussetzungen für eine bedarfsorientierte und personenzentrierte Budgetbemessung im Rahmen eines trägerübergreifenden Budgets zu verbessern.
- 3. Das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz führt zu erheblichen Fortschritten - auch für behinderte Menschen mit Pflegebedarf. Über diese Maßnahmen hinaus muss geprüft werden ob und wie das trägerübergreifende Budget nach § 17 SGB IX verstärkt als eine zukunftsorientierte und selbstbestimmte Komplexleistung in der Umsetzung befördert werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch die Pflegeversicherung immer wieder aufgefordert, nicht nur das Pflegegeld nach § 37 SGB XI als Budgetleistung zur Verfügung zu stellen, sondern vielmehr die bisherige Beteiligung der Pflegeversicherung an dem trägerübergreifenden Budget dahingehend zu ändern, dass die nach § 35a SGB XI in Form von Gutscheinen zur Verfügung gestellten Sachleistungen in Höhe der Sachleistungsbeträge der jeweiligen Pflegestufe budgetfähig sind. Hierdurch soll die Pflegeversicherung besser als bisher die selbstbestimmte Versorgung und Betreuung von pflegebedürftigen und behinderten Menschen absichern; Hemmnisse bei der praktischen Umsetzung des trägerübergreifenden Budgets sollen überwunden werden. Vor einer solchen Neuregelung bedarf es allerdings, insbesondere zur Vermeidung einer finanziellen Überforderung der Pflegeversicherung und zur Wahrung des dort geltenden Sachleistungssystems, der ausreichenden Erprobung einer entsprechenden künftigen Beteiligung der Pflegeversicherung an dem trägerübergreifenden Budget. Hierfür eignet sich in besonderem Maße eine Modellförderung durch die Spitzenverbände der Pflegekassen im Rahmen des § 8 Abs. 3 SGB XI, um die notwendigen Kenntnisse und Entscheidungskriterien für eine künftige Änderung der Beteiligung der Pflegeversicherung nach § 35a SGB XI an dem trägerübergreifenden Budget zu erhalten.
Zudem müssen die europarechtlichen Auswirkungen einer Änderung des geltenden § 35a SGB XI näher geprüft werden.
- 4. Veränderungen im Bereich der gesetzlichen Sozialversicherungen sind unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Strukturen wirkungsgleich in das Beamten- und Versorgungsrecht des Bundes zu übertragen. Gerade im Bereich der Pflegeversicherung ist eine solche Verfahrensweise geboten, weil sich die Beihilfevorschriften im Bereich der Pflege sehr eng an das Recht der Pflegeversicherung anlehnen.
- 5. Der Deutsche Bundestag erwartet, dass die mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz eingeführten Neuregelungen zur Sicherung der Qualität der pflegerischen Versorgung von den Pflegekassen, den Pflegeeinrichtungen und Einrichtungsträgern sowie den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung umfassend und mit dem Anspruch stetiger Verbesserung umgesetzt werden.
- 6. Die Fristen zur Begutachtung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung müssen an die Bedürfnisse angepasst werden. Daher wird die Begutachtungsfrist für Personen, die sich in einem Hospiz befinden oder in häuslicher Umgebung palliative Leistungen erhalten verkürzt, um dieser besonderen Situation Rechnung zu tragen. Bei diesem Personenkreis ist die Einhaltung dieser verkürzten Frist aufgrund der besonderen Lebenssituation von außerordentlicher Bedeutung.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
- 1. dafür Sorge zu tragen, dass im Rahmen von Modellprojekten die Inanspruchnahme von Leistungen in Form eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets auch in der Pflegeversicherung unter Aufhebung der bisherigen Gutscheinlösung gemäß § 35a SGB XI, bei Gewährung der ambulanten Sachleistungsbeträge als Budgetleistung und auch bei nicht zugelassenen Pflegeeinrichtungen oder nicht zugelassenen Einzelpflegekräften vertieft erprobt wird, wobei insbesondere zu prüfen ist,
- - welche Personen aus dem Kreis der pflegebedürftigen Menschen als Budgetnehmer/innen in Frage kommen und wie groß dieser Kreis ist,
- - ob und wie sichergestellt werden kann, die finanzielle Belastung der Pflegeversicherung wirksam zu begrenzen,
- - welche rechtlichen Auswirkungen einschließlich des Europarechts eine Änderung des geltenden § 35a SGB XI hätte.
- 2. sicherzustellen, dass auch die mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz verbundenen Änderungen, soweit dies möglich ist, wirkungsgleich in die Beihilferegelungen für Beamtinnen und Beamte sowie Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger und ihre jeweils berücksichtigungsfähigen Angehörigen übernommen werden.
- 3. die Einhaltung der reduzierten Begutachtungsfrist des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung für Pflegebedürftige, die sich in einem Hospiz befinden oder in häuslicher Umgebung palliativ versorgt werden zu beobachten. Dem Deutschen Bundestag ist nach spätestens 2 Jahren ein Bericht hierüber vorzulegen.