832. Sitzung des Bundesrates am 30. März 2007
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Agrarausschuss (A), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U), der Verkehrsausschuss (Vk) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen: (Bei Annahme von Buchstabe A entfällt Buchstabe B)
Konzeption des EU-Ausschusses
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Beschlüsse des Europäischen Rates in Brüssel vom 8./9. März 2007 zur integrierten Klimaschutz- und Energiepolitik. Die EU hat sich unter deutscher Ratspräsidentschaft auf einem zentralen Politikfeld als handlungsfähig erwiesen und mit ihren Beschlüssen zur verpflichtenden Reduzierung der CO₂-Emissionen um 20 % bis 2020 - unabhängig von internationalen Verhandlungen - zur Verbesserung der Energieeffizienz mit Einsparung von 20 % des Energieverbrauchs und zur verpflichtenden Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien auf 20 % des Gesamtenergieverbrauchs weltweit Maßstäbe gesetzt. Der Bundesrat begrüßt und unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung, auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm auf dieser Grundlage weitere konkrete Vereinbarungen zum Klimaschutz, insbesondere zum Post-Kyoto-Prozess, zu treffen. Im Übrigen behält sich der Bundesrat vor, zu den ausstehenden noch im Bundesrat zu beratenden Vorschlägen der Kommission im Einzelnen Stellung zu nehmen.
Begründung
Die vorliegende Mitteilung ist Teil umfassender strategischer Überlegungen der Kommission zur künftigen Klima- und Energiepolitik der EU, die der Vorbereitung des Europäischen Rates dienten. Zu diesen strategischen Überlegungen der Kommission hat der Rat am 8./9. März 2007 Schlussfolgerungen gezogen und einen Aktionsplan Energiepolitik verabschiedet. Die Kommission wird nun die Umsetzung vorantreiben und ihre strategischen Überlegungen weiterentwickeln. Hinzu wird der Bundesrat im Einzelnen Stellung nehmen.
Die Regierungschefs der Länder haben sich im Rahmen einer Besprechung mit Bundeskanzlerin Merkel und Kommissionspräsident Barroso am 7. März 2007 in Brüssel im Lichte der erwarteten Ergebnisse des Frühjahrsrates positioniert.
Im Hinblick darauf sieht der Bundesrat von einer weiteren Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt ab.
B
Konzeption des Ausschüsse A, U, Vk, Wi
- 2. Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen der EU, die negativen Auswirkungen des rasch voranschreitenden Klimawandels durch eine erhebliche Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen zu begrenzen. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass hierfür dringender Handlungsbedarf besteht.
- 3. Der Bundesrat begrüßt insbesondere die Zielsetzung der Kommission, durch die frühzeitige Festlegung einer europäischen Position zum Klimaschutz bessere Voraussetzungen für eine neue globale Vereinbarung zu schaffen, die nach 2012 an die ersten Verpflichtungen im Rahmen des Kyoto-Protokolls anknüpft.
- 4. Er betont die Notwendigkeit ehrgeiziger Zielsetzungen, weist aber darauf hin, dass angesichts des relativ kurzen Zeitraums bis zum Jahr 2020 die Möglichkeiten der Treibhausgasreduzierung begrenzt sind. Der Vorschlag der Kommission, bis zum Jahr 2020 im Rahmen von internationalen Verhandlungen eine Senkung der Treibhausgas-Emissionen der Industrieländer um 30 % (gegenüber dem Stand von 1990) anzustreben, erscheint angesichts der Tatsache, dass in den vergangenen 15 Jahren in der Summe der Industrieländer keine Reduzierung erreicht wurde, nur sehr schwer erreichbar. (bei Annahme entfällt Ziffer 7)
- 5. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass bereits der Vorschlag der Kommission, die EU solle sich unabhängig vom Fortgang internationaler Verhandlungen zu einer Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 20 % bis 2020 verpflichten, sehr ehrgeizig ist. Im Jahr 2004 lagen die Treibhausgas-Emissionen für die EU-15 trotz der bisher unternommenen Anstrengungen und hoher CO₂-Minderungen durch einmalige Effekte (Umstrukturierung in den neuen Ländern; verstärkter Einsatz von Gas statt Kohle in Großbritannien) nur knapp 1 % unter den Werten von 1990; in der EU-25 lag der Rückgang infolge der Umwälzungen in den neuen EU-Mitgliedstaaten bei circa 7 %. (bei Annahme entfällt Ziffer 7)
- 6. Nach Auffassung des Bundesrates ist selbst bei einschneidenden Maßnahmen zur effizienteren und sparsamen Verwendung von Energie und zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien die angestrebte Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 20 % bis zum Jahr 2020 nicht sichergestellt. (bei Annahme entfällt Ziffer 7)
- 7. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag der Kommission, dass die entwickelten Länder bis zum Jahr 2020 im Rahmen einer internationalen Vereinbarung ihre Treibhausgas-Emissionen zur Begrenzung des Klimawandels auf 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau um 30 % gegenüber 1990 senken sollen. Unabhängig davon sollte sich die EU verpflichten, die Treibhausgas-Emissionen um mindestens 20 % zu reduzieren, um ihre Vorreiterrolle im Klimaschutz zu unterstreichen und damit internationalen Verhandlungen für ein Post-Kyoto-Abkommen den Weg zu ebnen. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass die Mitgliedstaaten die vereinbarten Kyoto-Ziele bis 2012 erreichen. Hierzu sind noch erhebliche Anstrengungen erforderlich.
- 8. Für Deutschland hält er die Erreichung eines aus dem EU-Ziel abgeleiteten angemessenen Reduktionsziels für ausgeschlossen, wenn die CO₂-freie Kernenergie in der Stromerzeugung nicht mehr eingesetzt werden darf.
- 9. Die zur Erreichung dieser Reduktionsziele von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen werden grundsätzlich begrüßt. Der Bundesrat sieht insbesondere in der Erhöhung der Energieeffizienz, dem Ausbau der erneuerbaren Energien, der Stärkung des Emissionshandelssystems und dem Einstieg in Technologien zur Kohlendioxidspeicherung und -lagerung (CCS) in geologisch geeigneten Formationen außer der Tiefsee große Chancen, die Kohlendioxidemissionen zu reduzieren und damit den globalen Klimawandel zu begrenzen. Durch den Einsatz von wirksamen Steuerungsinstrumenten (unter anderem finanzielle Zuwendungen, Lenkungsabgaben, Steuern, Zertifikate-Handel) können für alle Bereiche - Energieversorgung, Industrie und Gewerbe, Verkehr und Gebäudebereich - hinreichende Anreize geschaffen werden, um die angestrebten anteiligen Minderungsziele kosteneffizient zu erreichen.
- 10. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den weiteren Diskussionen und Verhandlungen zu den einzelnen Maßnahmen jedoch darauf zu achten, dass es in allen Mitgliedstaaten zu vergleichbaren Anstrengungen kommt und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie Produktionsverlagerungen in Nicht-EU-Länder mit weniger ambitionierten Klimaschutzzielen vermieden werden. Standortverlagerungen energieintensiver Industrien führen nur zum Abbau von Arbeitsplätzen in der EU, ohne zum Klimaschutz beizutragen.
- 11. Die Klimaerwärmung ist ein globales Problem, dem nur durch entschiedenes weltweites Handeln erfolgreich begegnet werden kann. Langfristig kann das 2-Grad-Ziel nur erreicht werden, wenn die Treibhausgas-Emissionen in den Industriestaaten um 60 bis 80 % im Laufe des 21. Jahrhunderts verringert werden. Im Rahmen der Verhandlungen zur Fortschreibung des Kyoto-Protokolls müssen daher alle führenden Industriestaaten, aber auch die Schwellenländer, auf eine wirkungsvolle Minderungsstrategie verpflichtet werden. Die Schwellenländer, die nach vorliegenden Prognosen ohne entsprechende Umsteuerungen bis 2020 ca. 50 % des weltweit freigesetzten Kohlendioxids emittieren werden, tragen daher auch eine große klimapolitische Verantwortung. Der Bundesrat unterstützt das Ziel der Kommission, dass bis 2020 in diesen Ländern nur ein moderater Anstieg und danach eine Reduktion der Emission klimaschädlicher Gase angestrebt werden sollten. Der Bundesrat fordert deshalb in diesem Zusammenhang die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass sich die EU für entsprechende internationale Vereinbarungen sowohl auf dem Feld der Umwelt wie auch der internationalen Wirtschafts- und Handelspolitik einsetzt und deren Umsetzung unterstützt.
- 12. Der Bundesrat unterstützt den Vorschlag der Kommission, die Investitionen in Forschung und Entwicklung für den Bereich Energieerzeugung und Energiesparen ab 2013 nochmals zu erhöhen, und bittet die Bundesregierung, sich mit Nachdruck für weitere Budgeterhöhungen einzusetzen. Die Zugänglichkeit zu diesen Mitteln sollte besonders für klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) zukünftig verbessert werden.
- 13. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat erneut auf die gravierenden Mängel des EU-Emissionshandelssystem in seiner bisherigen Konzeption hin (insbesondere Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Zuteilungsregelungen in den Mitgliedstaaten und gestiegene Strompreise infolge der Einpreisung der kostenlos zugeteilten Zertifikate).
Die von der Kommission vertretene Auffassung (Mitteilung KOM (2006) 676 endg. vom 13. November 2006), dass bezüglich etwaiger Änderungen der Richtlinie noch weitere Evaluierungen vorgenommen und weitere Erfahrungen gesammelt werden müssen und eine Anpassung deshalb erst 2013 möglich sei, ist nicht akzeptabel. Die Kommission muss umgehend Vorschläge für eine grundlegende Überarbeitung der EU-Richtlinie vorlegen.
- 14. Branchen bzw. Unternehmen mit einer geringen Anzahl an Emissionsberechtigungen werden überproportional durch die mit dem Emissionshandel verbundenen administrativen Kosten belastet. Bei Zuteilungsmengen unterhalb von 50 000 Emissionsberechtigungen pro Jahr entstehen für die Unternehmen durch das umweltpolitische Instrument Emissionshandel betriebswirtschaftliche Belastungen, bei denen die Verhältnismäßigkeit zwischen Kosten und Nutzen in besonderer Weise in Frage zu stellen ist. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, [dass in Nummer 5 Buchstabe c der Mitteilung berücksichtigt werden möge,] dass bei der anstehenden Revision der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgas-Emissionszertifikaten in der Gemeinschaft (ABl. EU (Nr. ) L 275 S. 32) ein emissionsabhängiger Schwellenwert zwischen 10 000 und 50 000 t CO₂ pro Jahr als Kriterium für die Verpflichtung zur Teilnahme am Emissionshandel zur Entlastung von Kleinbetrieben und Verwaltungen eingeführt wird.
- 15. Hinsichtlich des Ziels einer Emissionsbegrenzung bei Pkw begrüßt der Bundesrat grundsätzlich die Bereitschaft der Kommission, im Wege eines integrierten Ansatzes neben den Fahrzeugherstellern weitere Akteure in die Pflicht zu nehmen und hierbei der Vielfalt europäischer Automobilhersteller gerecht zu werden, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
- 16. Der Bundesrat bekräftigt in diesem Zusammenhang die in seiner Stellungnahme vom 16. Februar 2007 - BR-Drucksache 745/06(B) - zum Ausdruck gebrachte Forderung, dass Zielwerte - entsprechend den geltenden Regelungen für Haushaltsgeräte - nicht pauschal für alle Pkw, sondern gestaffelt, z.B. nach Gewichtsklassen, festgelegt werden.
- 17. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Land- und Forstwirtschaft vom Klimawandel in vielfältiger Weise betroffen ist. So ändern sich voraussichtlich die natürlichen Rahmenbedingungen für den landwirtschaftlichen Pflanzenbau, für forstlich bedeutsame Baumarten, in der Tierhaltung, beim Wald- und Pflanzenschutz sowie bei der Bekämpfung von Tierseuchen. Die damit verbundenen erheblichen landeskulturellen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen erfordern Anpassungsstrategien, die über den Sektor hinaus auch einen Beitrag von Staat und Gesellschaft erfordern.
- 18. Der Bundesrat stellt fest, dass die Land- und Forstwirtschaft bereits heute einen aktiven Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasen durch die Speicherung von Kohlenstoff sowie die Produktion von nachwachsenden Rohstoffen und Energieträgern leistet. Durch Erhöhung des Anteils an Biomasse zur stofflichen und energetischen Verwertung, insbesondere auch durch stärkere Verwendung von Holz beim Bauen, ließe sich der Beitrag des Sektors zum Klimaschutz noch erheblich steigern.
- 19. Der Bundesrat betrachtet die Intensivierung der Forschung und Entwicklung neuer Methoden, Techniken und Verfahren als wesentliche Voraussetzungen für einen noch effektiveren Beitrag der Land- und Forstwirtschaft, um sowohl die Treibhausgas-Emissionen aus diesem Sektor weiter zu reduzieren, als auch die Bereitstellung von erneuerbaren Energien aus Biomasse und die Kohlenstoffbindung und -speicherung zu erhöhen.
- 20. Der Bundesrat sieht in einer Abschaffung der obligatorischen Flächenstilllegung in der EU in Verbindung mit einer damit einhergehenden Entbürokratisierung eine weitere, schnell umsetzbare Möglichkeit, den Anbau nachwachsender Rohstoffe zu unterstützen.
- 21. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die vor Kurzem getroffene Entscheidung der Bundesregierung, ab 2008 die CO₂-Speicherfähigkeit der Wälder auf die nationalen Reduktionsverpflichtungen im Rahmen des Artikels 3.4 des Kyoto-Protokolls anrechnen zu lassen. Daraus sich ergebende Erlöse sollen primär der Forstwirtschaft zu Gute kommen. Der Bundesrat weist auf offene Fragen im Hinblick auf zeitweilige Vorratsschwankungen hin. Er fordert die Bundesregierung auf, die dafür bedeutsamen Verfahrensfragen gemeinsam mit den Ländern zeitnah zu klären, und bittet, die Möglichkeit zur Anerkennung des Produktspeichers "Holz" in einem Kyoto-Folgeabkommen zu prüfen.
C
- 22. Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.