830. Sitzung des Bundesrates am 16. Februar 2007
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS), der Ausschuss für Familie und Senioren (FS), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In), der Ausschuss für Kulturfragen (K) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die mit der Vorlage des Grünbuchs "Angesichts des demografischen Wandels - eine neue Solidarität zwischen den Generationen" begonnene Diskussion fortführt und dabei ausdrücklich den Perspektivwechsel von der Herausforderung zur Chance betont. (bei Annahme entfällt Ziffer 2)
- 2. Er begrüßt die Initiative der Kommission, den tiefgreifenden demografischen Wandel als wichtigen Politikschwerpunkt verstärkt aufzugreifen und dabei den Perspektivwechsel von der Herausforderung zu den Chancen vorzunehmen.
- 3. Er unterstützt auch die Absicht der Kommission, alle zwei Jahre ein "Forum über die demografische Entwicklung Europas" durchzuführen, um den europäischen Erfahrungsaustausch für die weitere gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in den europäischen Regionen zu nutzen.
- 4. Der Ansatz der Kommission, einen Austausch der Erfahrungen und eine europäische Diskussion zum Umgang mit dem demografischen Wandel zu initiieren, die im zweijährigen Abstand während eines "Forums über die demografische Entwicklung Europas" zusammengefasst werden soll, ist ein wichtiger Beitrag zur Unterstützung der Mitgliedstaaten sowie der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften. Die Schaffung und Unterstützung von Netzwerken der Regionen auf der europäischen Ebene und die Propagierung und Anwendung von bestpractice-Beispielen wird einen erheblichen Beitrag zu einer konstruktiven und zukunftsgerichteten Diskussion dieses Themas leisten.
- 5. Der Bundesrat hat bereits zu dem der Mitteilung vorausgegangenen Grünbuch "Demografie" Stellung genommen (BR-Drucksache 213/05(B) ).
- 6. Der Bundesrat erneuert seine Auffassungen, die er in dieser Stellungnahme zum Ausdruck gebracht hat. Er sieht in der vorliegenden Mitteilung der Kommission einige Aspekte seiner Stellungnahme aufgenommen. Andere Aspekte, wie z.B. der nur sehr langfristig wirkende Einfluss einer wünschenswerten Steigerung der Geburtenrate auf den Umfang der Bevölkerungsentwicklung oder die Feststellung, dass von der Gestaltung des demografischen Wandels insbesondere die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft auf regionaler und lokaler Ebene abhängt, werden in der Mitteilung nicht ausreichend berücksichtigt.
- 7. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten bei diesem Thema primär zuständig sind. Die Kommission sollte ergänzend ihre Vorstellungen zu den Handlungsmöglichkeiten im europäischen Kontext darlegen. Der Bundesrat unterstützt die Forderung zur Entwicklung einer globalen Strategie, sowohl auf der EU- als auch auf der nationalen Ebene, für ein Europa, das die demografische Erneuerung begünstigt. Der Erfahrungsaustausch mit anderen Mitgliedstaaten wäre für politische Initiativen in den europäischen Regionen hilfreich. Der Wissenstransfer sollte auch auf europäischer Seite ausgebaut und Netzwerke dazu gefördert werden. Die relevanten Förderprogramme 2007 bis 2013 sollten in der Umsetzung genutzt werden, um den in der Mitteilung genannten Schwerpunkten gerecht zu werden. Der Bundesrat betont, dass in den verschiedenen Prozessen der Offenen Methode der Koordinierung (OMK) das Thema "demografischer Wandel" bereits berücksichtigt werden kann und in diesem Rahmen auch weiterhin in alle europäischen Politikbereiche einfließen sollte.
- 8. Der Bundesrat stellt fest, dass die zu erwartenden Folgen der demografischen Entwicklung eine der wesentlichen politischen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte darstellen - sowohl für die EU insgesamt als auch für die meisten ihrer Mitgliedstaaten. Es gibt zudem keine fertigen und erprobten Strategien und Programme, mit denen die europäischen Gesellschaften angemessen auf diese Entwicklung reagieren könnten. Deshalb begrüßt der Bundesrat den offenen Zugang der Kommission zu diesem Thema. Er hält es für notwendig auf europäischer Ebene einen konstruktiven Dialog über die angemessenen Antworten der Gemeinschaft, der Mitgliedstaaten und der Regionen zu organisieren.
- 9. Der Bundesrat sieht die von der Kommission genannten Faktoren des demografischen Wandels - nämlich den Rückgang der durchschnittlichen Kinderzahl pro Frau, den steigenden Anteil alter und sehr alter Menschen an der Gesamtbevölkerung, die gestiegene und weiter steigende Lebenserwartung [und den nur teilweisen Ausgleich dieser Veränderungen der Bevölkerungsstruktur durch Immigration] - als notwendigerweise zu berücksichtigende Grundlagen für die künftige Politikgestaltung auf der gesamteuropäischen Ebene und auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten an. Insofern wird die Auffassung, dass die Gestaltung des demografischen Wandels ein Querschnittsthema der Politik sein muss, unterstützt.
- 10.
- 11. Demgegenüber stellt der Bundesrat jedoch fest, dass die Anpassung an die Folgen des demografischen Wandels auch auf kleinräumiger (regionaler und kommunaler) Ebene erfolgen muss. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die demografischen Veränderungen in Europa mit ihren vergleichbaren Ursachen, aber auch mit ihren vielfältigen und regional differenzierten Auswirkungen und Folgen als Grundlage für das politische Handeln erkannt werden.
- 12. Der Bundesrat vermisst in der Mitteilung der Kommission eine Beschreibung der Rolle der nationalen sowie der regionalen und lokalen Politiken. Demografische Entwicklungen sind in besonderem Maße regionale und lokale Entwicklungen, auf die bereits auf nationaler Ebene intensiv reagiert wird:
- 13. So kann der Stadtumbau in Ost- und zunehmend auch in Westdeutschland ein Beispiel sein für den angemahnten Paradigmenwechsel weg vom Wachstum hin zur Bewältigung der Schrumpfungsprozesse.
- 14. Der in der Mitteilung durch die Aggregierung der Aussagen auf nationaler und europäischer Ebene entstehende Eindruck, die Fragen seien vorrangig auf diesen Ebenen zu lösen, ist aus Sicht des Bundesrates nicht sinnvoll. Vielmehr wird dadurch die Wahrnehmung der wachsenden regionalen Disparitäten und der Gefährdung der territorialen Kohäsion verhindert. Der Bundesrat betont die dringende Notwendigkeit, die demografischen Entwicklungen auf regionaler Ebene differenziert zu betrachten, da sich einerseits innerhalb der Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Entwicklungen gleichzeitig vollziehen und andererseits bestimmte typische Muster der Entwicklung in verschiedenen Regionen Europas zu erkennen sind.
- 15. Der Bundesrat stellt fest, dass in der Mitteilung durch die Darlegungen auf der Makroebene der Eindruck erweckt wird, aus der Bewältigung der Folgen des alterstrukturellen Wandels erwachse die einzige Herausforderung des demografischen Wandels.
- 16. Er ist aber der Auffassung, dass die Bewältigung der Folgen des alterstrukturellen Wandels nicht die einzige Herausforderung des demografischen Wandels darstellt.
- 17. Die regionale Entwicklung wird jedoch in erheblichem Umfang durch Migrationsbewegungen beeinflusst. Beispielsweise üben wirtschaftlich prosperierende Ballungsräume insbesondere für junge Menschen eine hohe Anziehungskraft aus, während die bereits bestehenden Probleme in den weniger attraktiven Herkunftsgebieten durch den Wanderungsverlust von jungen Menschen drastisch verschärft werden. Insofern stellt der Bundesrat fest, dass sich die bestehenden regionalen Disparitäten weiter verstärken und verfestigen können. In Bezug auf die Einwohnerzahl vollzieht sich im nationalen wie im internationalen Kontext ein Nebeneinander von regionalen Wachstums- und Schrumpfungsprozessen.
- 18. Der Bundesrat stellt fest, dass ohne Berücksichtigung des regionalen Kontextes im nationalen wie im europäischen Maßstab maßgebliche demografische Herausforderungen nicht wahrgenommen werden. Für den überwiegenden Teil Ostdeutschlands wie auch für einige westdeutsche und westeuropäische Teilräume sowie für viele Regionen der beigetretenen Mitgliedstaaten wird neben dem alterstrukturellen Wandel die Bewältigung der Schrumpfungsprozesse zentrale Herausforderung des demografischen Wandels in den kommenden Jahrzehnten sein. So ist die künftige Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland bereits maßgeblich durch die demografischen Entwicklungen seit 1990 vorbestimmt. Eine Umkehr der Schrumpfungsprozesse in Ostdeutschland ist zumindest kurz- und mittelfristig nicht zu erreichen, denn die Bevölkerungsentwicklung der 90er Jahre hat dazu geführt, dass die künftige Elterngeneration zahlenmäßig sehr schwach ausgeprägt ist. In der Folge des demografischen Echoeffektes wird es nach 2015 zu einem weiteren erheblichen Rückgang der Geburtenzahl kommen.
- 19. Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass weitere wesentliche Aspekte des demografischen Wandels wie die Sicherung funktionsfähiger Siedlungsstrukturen bei zurückgehender Bevölkerung, die Anpassung der Infrastruktur in schrumpfenden Regionen und die damit verbundenen Fragen des regionalen Umbaus stärker berücksichtigt werden. (bei Annahme entfällt Ziffer 20)
- 20. Der Bundesrat bedauert, dass wesentliche Aspekte des demografischen Wandels, wie die Sicherung funktionsfähiger Siedlungsstrukturen bei zurückgehender Bevölkerung, die Anpassung der Infrastruktur in schrumpfenden Regionen und die damit verbundenen Fragen des regionalen Umbaus, weitgehend unberücksichtigt bleiben.
- 21. Insbesondere schrumpfende Regionen stehen vor der Herausforderung, einerseits Einrichtungen der Daseinsvorsorge, andererseits aber auch Standort-, Netz- und Linien- sowie Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen und darüber hinaus das gesamte gesellschaftliche Leben der rückläufigen Bevölkerungszahl, der sich verändernden und reduzierenden Nachfrage sowie einer sich stark verdünnenden Siedlungsstruktur bedarfsgerecht anzupassen.
- 22. Auch wenn diese Fragen der regionalen Entwicklung eher auf der nationalen und der regionalen Ebene zu lösen sind, so sind sie doch auch Gegenstand einer notwendigen Diskussion des Einsatzes des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), des Europäischen Sozialfonds (ESF) sowie des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER).
- 23. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die langfristige Sicherung des Wirtschaftswachstums zu den zentralen Herausforderungen des demografischen Wandels zählt.
- 24. Bevölkerungsrückgang und -alterung bewirken in den betroffenen Regionen zunächst eine Verminderung des Angebots an Arbeitskräften. Damit schrumpfen die Produktionsmöglichkeiten, das gesamtwirtschaftlich erzielbare Wachstum des Bruttoinlandsprodukts wird gedämpft.
- 25. Die Schätzungen, wonach sich die jährliche durchschnittliche Zuwachsrate des BIP der EU der 25 von 2,4 % im Zeitraum 2004 bis 2010 auf 1,2 % im Zeitraum 2030 bis 2050 verringern könnte, muss von den Mitgliedstaaten als Warnsignal begriffen werden.
- 26. Welche Folgen dies für die Wirtschaftsentwicklung haben wird, hängt wesentlich vom erreichbaren Produktivitätsfortschritt und der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung ab. Zum Ausgleich des demografischen Effektes wäre bei konstanter Erwerbsbeteiligung ein zusätzliches Produktivitätswachstum von 0,75 Prozentpunkten pro Jahr erforderlich. Vor diesem Hintergrund und bei unveränderten derzeitigen Tendenzen und politischen Rahmenbedingungen stimmt der Bundesrat der Einschätzung der Kommission zu, dass sich langfristig die jährliche durchschnittliche Zuwachsrate des BIP der EU der 25 halbieren könnte, sofern Produktivität und Erwerbsbeteiligung nicht erhöht werden. Durch Produktivitätsfortschritte und eine höhere Erwerbsbeteiligung [begleitet durch Strategien lebenslangen Lernens] lassen sich die negativen Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf das Wirtschaftswachstum jedoch verringern und - in Abhängigkeit vom Ausmaß der Erhöhung - eventuell sogar ganz vermeiden.
- 27. Gerade Deutschland als größte Volkswirtschaft der EU muss größte Anstrengungen unternehmen, um mit geeigneten Wirtschaftsreformen bessere Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum zu schaffen.
- 28. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass die Verringerung der Zahl junger Menschen nicht zwangsläufig dazu führt, dass diese einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels müssen alle politischen Anstrengungen unternommen werden, um die Chancen junger Menschen wie aller anderen Gruppen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Hierzu sind Arbeitsmarktreformen zur Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, etwa im Arbeits- und Tarifrecht, unerlässlich.
- 29. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag der Kommission, der Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern über 55 Jahre eine strategische Bedeutung beizumessen.
- 30. Der Bundesrat begrüßt daher, dass die Kommission die Mitgliedstaaten noch einmal ausdrücklich auffordert, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die auf der Tagung des Europäischen Rates von Stockholm 2001 eingegangene Verpflichtung zu erfüllen, die Beschäftigungsquote der Arbeitnehmer von über 55 Jahren auf über 50 % zu steigern. Dazu sind Maßnahmen zum Erhalt und zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit in den Bereichen Gesundheit, lebenslanges Lernen und Arbeitsorganisation, aber auch eine Rückführung von Vorruhestandsmöglichkeiten erforderlich.
- 31. Gerade auch in Deutschland sind weitere Reformschritte notwendig, um die auf der Tagung des Europäischen Rates von Stockholm 2001 eingegangene Verpflichtung, die Beschäftigungsquote der Arbeitnehmer von über 55 Jahren auf über 50 % zu steigern, zu erfüllen. Die von der Bundesregierung bisher eingeleiteten Maßnahmen sind nicht hinreichend, um dieses Ziel zu erreichen.
- 32. Nach Auffassung des Bundesrates stehen Maßnahmen wie die Verlängerung der Geltungsdauer des § 428 SGB III im Dezember 2005 in Widerspruch zur Zielsetzung, die Beschäftigungsquote von Personen über 55 Jahren bis 2010 auf über 50 % zu erhöhen. Deshalb darf die Geltungsdauer dieser Regelung unter keinen Umständen nochmals über den 31. Dezember 2007 hinaus verlängert werden.
- 33. Nach Auffassung des Bundesrates sind entschlossene Schritte zur Beseitigung von Beschäftigungshemmnissen für Ältere notwendig, um deren bessere Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen. Dazu gehören neben der Senkung der Lohnzusatzkosten und dem Abbau kostenträchtiger Senioritätsvorteile vor allem die Abschaffung aller Varianten der Frühverrentung und die Erhöhung der Lebensarbeitszeit. Die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung Älterer ist unter demografischen Gesichtspunkten, unter dem Aspekt der gesellschaftlichen Teilhabe und auch mit Blick auf die Finanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme unabdingbar.
- 34. Der Bundesrat erkennt an, dass die Integration von Zugewanderten entscheidend für die Zukunft der Gesellschaft ist.
- 35. Der Bundesrat unterstützt deshalb den Vorschlag der Kommission, Europa besser auf die Aufnahme und Integration von Migranten vorzubereiten.
- 36. Er geht davon aus, dass trotz der gebotenen verstärkten Bildungsanstrengungen zur besseren Nutzung des Potenzials der nachwachsenden Generation ein Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften aus Staaten außerhalb Europas gegeben ist.
- 37. Bereits heute sind qualifizierte Arbeitskräfte trotz erheblicher Arbeitslosigkeit auf dem heimischen Arbeitsmarkt in verschiedenen Bereichen nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Der bereits heute feststellbare Fachkräftemangel könnte sich durch die demografische Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten dramatisch verschärfen. Die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland kann mit dazu beitragen, dieses Problem zu entschärfen. Dabei hat der internationale Wettbewerb um die besten Fachleute längst begonnen. Darauf deuten auch die Abwanderungszahlen aus Deutschland hin, die im Jahr 2005 ein neues Rekordniveau erreicht haben. Vor diesem Hintergrund müssen die Rahmenbedingungen für Zuwanderer weiter verbessert werden, damit Deutschland im internationalen Wettbewerb um die "besten Köpfe" bestehen kann.
- 38. Der wichtige Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte wird jedoch nur eingeschränkte Auswirkungen auf die demografische Entwicklung entfalten. Der Bundesrat sieht allerdings keinen Bedarf an unqualifizierten Arbeitskräften von außerhalb Europas.
- 39. Nach Auffassung des Bundesrates muss das Zuwanderungsrecht dringend angepasst werden, damit Deutschland endlich attraktiver für hoch qualifizierte Zuwanderer wird. Notwendig ist insbesondere eine Absenkung der überzogenen Einkommensgrenze für einwanderungswillige Arbeitnehmer sowie der geforderten Investitionssumme für Selbständige, die sich in Deutschland niederlassen möchten.
- 40. Der Bundesrat teilt die in der Mitteilung geäußerte Meinung der Kommission, dass die derzeitigen politischen Strategien noch keine langfristige Tragfähigkeit aufweisen, da sie weder der erwarteten Verringerung der Zahl der wirtschaftlich aktiven Menschen noch den finanzpolitischen Rahmenbedingungen gerecht werden. Auch der Bundesrat geht davon aus, dass die derzeitigen politischen Strategien nicht ausreichend sind, um sich erfolgreich auf europäischer, Bundes- wie auch auf Länder- und Kommunalebene auf die neue demografische Situation einzustellen.
- 41. Der Bundesrat teilt die Sorge der Kommission, dass die öffentlichen Finanzen in vielen Ländern insgesamt nicht mehr tragfähig sind und dass daher das zukünftige Gleichgewicht der Renten- und Sozialversicherungssysteme grundsätzlich gefährdet sein könnte. Gerade auch in Deutschland sind deshalb weitere, grundlegende Reformen der Sozialversicherungssysteme notwendig, um Wirtschaftswachstum und Beschäftigung zu sichern. Auf Grund der altersabhängigen Sozialversicherungsrisiken wird der Finanzierungsbedarf in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung infolge der demografischen Entwicklung dramatisch ansteigen. Soweit die Finanzierbarkeit der Sozialversicherungssysteme durch erhebliche Beitragssteigerungen gesichert werden sollte, würde dies zu einer weiteren erheblichen Erhöhung der Arbeitskosten und damit zu einer Verschlechterung der Beschäftigungschancen führen. Die gesetzliche Rentenversicherung gerät jenseits der heute bereits bestehenden Finanzierungsprobleme durch die annähernde Verdopplung des Alterslastquotienten zusätzlich unter massiven Druck.
- 42. Der Bundesrat teilt ferner die Auffassung der Kommission, dass die öffentlichen Haushalte bei gleichbleibenden politischen Rahmenbedingungen in den meisten Mitgliedstaaten nicht zukunftsfähig und daher nachhaltige Anstrengungen im Hinblick auf eine Haushaltskonsolidierung erforderlich sind. Auch in Deutschland müssen verstärkt Maßnahmen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte durch Aufgabenabbau, Reformen der Sozialen Sicherungssysteme und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Wachstum und Beschäftigung ergriffen werden.
- 43. Der Bundesrat stimmt der Feststellung zu, dass auf der Ebene der EU als auch auf nationaler Ebene die bestehenden Politiken neu bewertet werden müssen mit dem Ziel, diese gegebenenfalls in Hinsicht auf die demografischen Veränderungen zu modifizieren und die demografische Herausforderung in die künftigen politischen Entscheidungen einzubeziehen.
- 44. Der Bundesrat sieht dabei die Notwendigkeit, dass das bisher alleinige wachstumsorientierte Politikverständnis durch ein Paradigma der Schrumpfung und des Umbaus zu ergänzen ist.
- 45. Regionen mit schrumpfender Bevölkerung müssen sich auf veränderte Entwicklungskonzepte einstellen, Infrastruktur muss für eine geringere Bevölkerung bezahlbar und erhalten bleiben, regionale Entwicklungskonzepte müssen Bedürfnisse einer geringeren Zahl von Menschen angemessen berücksichtigen. Insofern werden in diesen Regionen auch Prozesse des Rückbaus, der Stabilisierung, der Revitalisierung und der qualitativen Entwicklung zu gestalten sein.
- 46. Ebenso notwendig sind Verbesserungen in der Infrastruktur von wachstumsstärkeren Regionen, um Wirtschaftswachstum im demografischen Wandel zu sichern.
- 47. Der Bundesrat hält es für erforderlich, beim Einsatz der Strukturfonds und des ELER auch die Handlungserfordernisse der demografisch wachsenden und der schrumpfenden Regionen ausreichend zu berücksichtigen. (bei Annahme entfällt Ziffer 48)
- 48. Der Bundesrat hält es für notwendig, die Strukturfonds und den ELER daraufhin zu überprüfen, ob die Handlungserfordernisse der demografisch wachsenden und der schrumpfenden Regionen in den Instrumenten ausreichend berücksichtigt werden.
- 49. Es bestehen noch nicht gelöste Probleme etwa bei der Entwicklung von Infrastrukturen, die noch für einige Jahre von großer Bedeutung sind, deren Auslastung aber mit großer Wahrscheinlichkeit im Zeitablauf sinken wird oder auch bei der Rückentwicklung von nicht mehr gebrauchten Infrastrukturen. Noch nicht gelöst ist auch die Bestimmung von Erfolgs- und Wirksamkeitsindikatoren für die Unterstützung von Schrumpfungsprozessen. Der Bundesrat hält es für notwendig, dass [die Anwendung] des Prinzips der Additionalität der EU-Strukturfondsförderung im Hinblick auf die demografische Entwicklung und deren Konsequenzen {wie z.B. das Schrumpfen von Haushalten} für die innerstaatliche Aufgabenwahrnehmung angepasst wird.
- 51. Der Bundesrat begrüßt die Ankündigung der Kommission, bis Ende 2008 Vorschläge zu unterbreiten, wie die Bedürfnisse einer alternden Bevölkerung bei der Daseinsvorsorge berücksichtigt werden können.
- 52. Diese Vorschläge sollten rechtzeitig vorgelegt werden, um sie noch bei der weiteren Umsetzung der von 2007 bis 2013 laufenden Förderperiode berücksichtigen zu können.
- 53. Der Bundesrat erachtet es darüber hinaus jedoch für notwendig, dass die erwarteten Vorschläge zur Sicherstellung der Daseinsvorsorge für ältere Menschen zwingend um Vorschläge ergänzt werden müssen, wie die Daseinsvorsorge für alle Menschen in Regionen mit starkem Bevölkerungsrückgang aufrechterhalten oder neu organisiert werden kann. (bei Annahme entfällt Ziffer 54)
- 54. Der Bundesrat würde es begrüßen, wenn die erwarteten Vorschläge zur Sicherstellung der Daseinsvorsorge für ältere Menschen um Vorschläge ergänzt würden, wie die Daseinsvorsorge für die Menschen in Regionen mit starkem Bevölkerungsrückgang aufrechterhalten oder neu organisiert werden kann.
- 55. Besondere Aufmerksamkeit sollte den Bedingungen zuteil werden, die für die Entwicklung von Hilfsangeboten für hilfebedürftige Personen und ihre Familien erforderlich sind, [sowie einer potentiellen Rolle der Strukturfonds in diesem Bereich.]
- 57. Angesichts der Komplexität der aus dem demografischen Wandel erwachsenen Herausforderungen sieht auch der Bundesrat eine globale Strategie als unverzichtbar an.
- 58. Diese globale Strategie kann allerdings nur einen Rahmen setzten, unter dem durch die Kommission regional angepasste und differenzierte Strategien unterstützt werden, bei denen flexible, auf die jeweilige Region zugeschnittene Lösungen gefunden werden,
- 59. und außerdem die Entwicklung angepasster Lösungskonzepte in den betroffenen Regionen nicht ersetzen.
- 60. Insofern ist eine kritische Überprüfung aller diesbezüglichen Normen und Standards notwendig. Insbesondere in den schrumpfenden Gebieten sind Mindeststandards neu zu definieren und räumlich abgestufte Angebote von sozialen Diensten und Leistungen zu entwickeln.
- 61. Der Bundesrat unterstützt die Kommission nachdrücklich darin, einen neuen Generationen-Pakt zu erreichen. Das heißt:
- - Die Rechte und Interessen jeder einzelnen Generation müssen gewahrt bleiben. Partizipationsmöglichkeiten an Bildungssystemen, Arbeitsmarkt und gesellschaftlichem Leben der einzelnen Generationen gewinnen an Stellenwert. Insbesondere Kinder und Jugendliche, deren proportionaler Anteil an der Bevölkerung zurückgeht, brauchen gute und verlässliche Teilhabemöglichkeiten in einer alternden Gesellschaft. Die Arbeit für ... einzelne Altersgruppen ist insgesamt zu verstärken, wiederum mit besonderem Blick auf die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen, aber auch durch die Verankerung neuer und differenzierter Bilder vom Alter.
- - Der Austausch von Erfahrungen, Kompetenzen und Unterstützung zwischen den Generationen ist eine Voraussetzung für gesellschaftliche Entwicklungsfähigkeit und solidarisches Zusammenleben. Dieser Austausch findet vorrangig in der Familie statt. Auf Grund von Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen etwa im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt sowie einer größeren Zahl von Alleinlebenden gewinnen die Generationenbeziehungen auch außerhalb von Familie im demografischen Wandel an Bedeutung. Dies muss auch auch auf europäischer Ebene künftig mehr Beachtung finden. Denn durch generationsübergreifende Handlungsansätze können vorhandene Potenziale besser als bisher für die Gestaltung des demografischen Wandels genutzt werden. Netzwerke und Initiativen, die generationsübergreifende Handlungsansätze realisieren, sollten daher künftig mehr Unterstützung und Förderung erfahren.
- - Von europäischer Ebene aus sollte der neue Generationen-Pakt darum zum Thema eines kontinuierlichen Wissens- und Erfahrungsaustausches mit "Best Practice Modellen" zur gesellschaftlichen Entwicklung im demografischen Wandel gemacht werden. Dies gilt auch für die Fortsetzung des "Forums über die demografische Entwicklung Europas".
- 62. Der Bundesrat hebt hervor, dass der demografische Wandel erhebliche Chancen bietet, durch neue Produkte und Dienstleistungen die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern und so in Europa neue Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum zu schaffen sowie die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu verbessern.
- 63. Der Bundesrat stimmt der Einschätzung der Kommission zu, dass die zunehmende Alterung der Bevölkerung auch die Gelegenheit bietet, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu steigern. Die demografischen Veränderungen in Europa beinhalten Chancen zur Erschließung neuer Markt- und Beschäftigungsfelder, wenn Güter und Dienstleistungen an die Bedürfnisse älterer Kunden angepasst werden.
- 64. Betroffen sind alle Handlungsfelder, die das unabhängige und aktive Leben älterer Menschen fördern: in Handwerk, Industrie, Handel und Sozialverbänden, so u. a. in den Branchen Tourismus, Kultur, haushaltsnahe Dienstleistungen, Mobilitätsdienste oder Finanzdienstleistungen. Der Bundesrat unterstützt daher die Bundesregierung darin, dass die Bedürfnisse älterer Menschen und die Chancen der sogenannten "silvereconomy" im Rahmen der EU-Präsidentschaft auch auf EU-Ebene stärker integriert werden, dazu gehört auch eine Einbindung in die Lissabon-Strategie.
- 65. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass der Zusammenhang zwischen Innovationsfähigkeit und Qualifikation im demografischen Wandel noch wichtiger wird. Frauen, insbesondere Müttern, sollte es künftig ermöglicht werden, ihre Qualifikationen entsprechend den eigenen Wünschen und Bedürfnissen einbringen zu können. Zudem müssen sich Bildungssysteme und Betriebe schon heute sukzessive auf eine wachsende Zahl von Älteren und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte einstellen und in enger Kooperation neue Formen des lebensbegleitenden Lernens zur Praxis machen.
- 66. Der Bundesrat sieht in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine wichtige Rahmenbedingung für die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte, die auch mit der europäischen Beschäftigungspolitik gestärkt werden soll und die gerade im Rahmen der Strategieentwicklung für ein Europa, das die demografische Entwicklung begünstigt, eine wichtige Rolle spielt. Fragen der Familienpolitik fallen jedoch weiterhin in die Kompetenz der Mitgliedstaaten.
- 67. Nach Auffassung des Bundesrates weisen die Überlegungen der Kommission zur Steigerung der Geburtenrate daher in die richtige Richtung. Hinsichtlich der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollten auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene auch die privatwirtschaftlichen Möglichkeiten in den Bereichen Kinderbetreuung und Pflege stärker als bisher in die notwendigen Überlegungen einbezogen werden. Darüber hinaus weist der Bundesrat nachdrücklich auf die Wirkung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der Bedingungen des Arbeitsmarkts, für die individuelle Familienplanung hin. Langfristig ist eine Steigerung der Geburtenrate nur bei gesichertem Wohlstand für breite Bevölkerungskreise und einer ausreichend vorhandenen Unterstützungsstruktur von Betreuungseinrichtungen erwartbar. Letztlich sind dafür die aus einer Erwerbstätigkeit erzielbaren Markteinkommen entscheidend. Staatliche Umverteilung kann nur korrigieren und unterstützen, wirtschaftliche Schwächen aber nicht langfristig ausgleichen.
- 68. Ende Oktober 2006 fand das erste Europäische Demografieforum statt, das in der Mitteilung der Kommission angekündigt wurde und zweijährlich wiederholt werden soll. Im Hinblick auf die geplante und beim Demografieforum vorgestellte "Europäische Allianz für Familien" weist der Bundesrat darauf hin, dass es zutreffend ist, dass die Geburtenrate in Deutschland sehr niedrig ist. Er betont, dass er hier Chancen sieht, von anderen Mitgliedstaaten im Rahmen eines Austausches erfolgreicher Politiken zu lernen und diese auch in Deutschland zu übernehmen. Der Bundesrat begrüßt, dass die geplante "Europäische Allianz für Familien" nicht zur Schaffung neuer Kompetenzen für die EU führen soll. Der Bundesrat begrüßt, dass durch die geplante Allianz Familienfreundlichkeit als Standortfaktor betont wird. Er erkennt an, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Wachstumschancen in hohem Maße beeinflusst. Er betont, dass die Länder diese Ansätze im Rahmen ihrer Verantwortung und Zuständigkeit für Kinderbetreuung und Bildung unterstützen werden.
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- 69. Der Verkehrsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.