Der Bundesrat hat in seiner 823. Sitzung am 16. Juni 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die im Weißbuch formulierten Ziele der Kommission, in der europapolitischen Diskussion auf mehr Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern zu setzen, sie in den Mittelpunkt einer europäischen Kommunikationspolitik zu stellen und verstärkt dezentral zu handeln. Diese strategischen Ziele entsprechen den Eckpunkten zur künftigen Ausgestaltung der europapolitischen Öffentlichkeitsarbeit, wie sie der Bundesrat zuletzt in seiner Stellungnahme zur Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften "Der Beitrag der Kommission in der Zeit der Reflexion und danach: Plan D für Demokratie,
Dialog und Diskussion vom 10. Februar 2006 (BR-Drucksache 910/05(B) ) festgelegt hat. Die Länder erneuern ihr Angebot einer partnerschaftlichen und auf Dialog ausgerichteten Zusammenarbeit mit der Kommission.
- 2. Vor dem Hintergrund der Reflexionsphase zum Vertrag über eine Verfassung für Europa und der Diskussion zur Zukunft Europas betont der Bundesrat, dass es zur Umsetzung der genannten strategischen Ziele jedoch einer grundlegenden Neuausrichtung der europapolitischen Kommunikationsarbeit bedarf.
Die klassische Öffentlichkeitsarbeit hat bisher nicht ausgereicht, um die Akzeptanz für die europäische Integration zu verbessern und den Bürgerinnen und Bürgern den Mehrwert der EU überzeugend zu verdeutlichen. Dafür ist es notwendig künftig alle Formen der Öffentlichkeitsarbeit auf europäischer, nationaler regionaler und kommunaler Ebene verstärkt zu nutzen.
- 3. Der Bundesrat unterstreicht, dass europäische Kommunikationspolitik insbesondere auf kommunaler bzw. regionaler Ebene wirksam ist. In Deutschland ist daher die Kommission zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Ländern aufgefordert. Der Bundesrat bestätigt, dass eine wirksame europäische Kommunikationspolitik dazu beitragen muss, die Kenntnisse der Bürgerinnen und Bürger jeden Alters sowie die aller gesellschaftlichen Akteure über die europäischen Bezüge in den sie betreffenden Politikfeldern zu verbessern. Es geht deshalb darum, die Europafähigkeit zu verbessern und Mitgestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten von Akteurinnen und Akteuren angesichts der wachsenden Bedeutung europäischer Entwicklungen in allen Bereichen zu erweitern. Aufgabe einer europäischen Kommunikationspolitik ist daher:
- - die Vermittlung von Kenntnissen über die unterschiedlichen Dimensionen Europas,
- - die Fortbildung zur kompetenten Nutzung europäischer Instrumente,
- - die Mitwirkung an Entscheidungsprozessen auf europäischer Ebene.
- 4. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die im Weißbuch vorgeschlagenen Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele nicht ausreichen werden. Viele Maßnahmen beziehen sich auf zentral gesteuerte und bürgerferne Verfahren und sind daher ungeeignet, mehr Akzeptanz und Transparenz zu schaffen. Die Kommunikationsstrategie muss daher eine Flexibilisierung der Instrumente der Kommission zur Erhöhung von deren Effizienz für die Kommunikationspolitik auf regionaler und kommunaler Ebene erreichen. Daher ist die Überarbeitung der im Weißbuch vorgeschlagenen Maßnahmen unter Nutzung der vorhandenen Netzwerke auf der Ebene der Mitgliedstaaten, Länder und Regionen - unter Einbeziehung kleinerer lokaler Vereine und Verbände - erforderlich. Im Rahmen einer solchen "europäischen Kommunikationspartnerschaft" muss sich die Kommission als dialogbereite Teilnehmerin verstehen.
- 5. In diesem Zusammenhang lehnt der Bundesrat insbesondere eine "Europäische Charta" oder einen "Europäischen Verhaltenskodex" mit zentralen Vorgaben für die europäische Kommunikation aus kompetenziellen und Subsidiaritätsgründen ab.
- 6. Der Bundesrat kritisiert auch, dass für 2006 die EU-Mittel für die Europawoche und das Europe-Direct-Netzwerk gekürzt worden sind, und erwartet, dass für die dezentrale Umsetzung der Maßnahmen zukünftig ausreichend Mittel bereitgestellt werden mit denen auch kleine Projekte unterstützt werden können.
- 7. Der Bundesrat hält weiterhin an seiner Forderung fest, dass der Verwaltungsaufwand bei der Durchführung von Maßnahmen der Kommunikations- und Informationspolitik seitens der Kommission auf ein Mindestmaß zu reduzieren ist damit die Kapazitäten und das Engagement der regionalen und lokalen Akteure nicht in unnötiger Weise durch interne Verwaltungsarbeit gebunden werden.
- 8. Der Bundesrat befürchtet, dass insbesondere durch die beabsichtigte Einrichtung eines "Europäischen Meinungsforschungsinstituts" umfangreiche Mitteilungs- und Berichtspflichten für die Mitgliedstaaten entstehen, die dem Ziel des Bürokratieabbaus und der Begrenzung der Schaffung neuer Institutionen auf europäischer Ebene zuwiderlaufen. Deshalb bittet der Bundesrat die Bundesregierung, die von der Kommission vorgeschlagene Einrichtung eines Europäischen Meinungsforschungsinstituts abzulehnen. Stattdessen sollte die Kommission neben dem bereits vorhandenen Instrument der Eurobarometer-Umfragen die in den Mitgliedstaaten vorhandenen Einrichtungen, Daten und Verfahren zur Informations- und Meinungsanalyse stärker einbeziehen.
- 9. Der Bundesrat teilt nicht die pauschale Kritik an der Berichterstattung in den Medien und sieht keine Notwendigkeit zu Maßnahmen in diesem Bereich, die über eine Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit hinausgehen; insbesondere lehnt der Bundesrat eine finanzielle Unterstützung europäischer Rundfunkprogramme als Verstoß gegen den Grundsatz der Staatsferne des Rundfunks ab.
- 10. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, auf eine Überarbeitung der Kommunikationsstrategie im Sinne von größerer Subsidiarität, Entbürokratisierung und Bürgernähe im beschriebenen Sinne hinzuwirken und ihre Position mit den Ländern eng abzustimmen.