Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat
... Strafrechtsänderungsgesetz - §§ 180b, 181 StGB
(... StrÄndG)

Der Bundesrat hat in seiner 806. Sitzung am 26. November 2004 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 28. Oktober 2004 verabschiedeten Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes aus folgenden Gründen einberufen wird:

1. Zu Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe a (Inhaltsübersicht), Nr. 5a - neu - ( § 180a Abs. 1 StGB), Nr. 6a - neu - (§181a Abs. 2 StGB)

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Begründung

Die mit dem Prostitutionsgesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) vorgenommene Aufhebung des § 180a Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. sowie die Einschränkung des § 181a Abs. 2 StGB wirken sich gerade mit Blick auf die Bekämpfung des Menschenhandels kontraproduktiv aus. Durch diese Maßnahmen wurde von der Bordell- und Zuhälterszene in weitem Umfang der Druck der Strafverfolgung genommen. Die Strafverfolgungsbehörden haben keine zureichenden Ermittlungsansätze mehr, um in das Rotlichtmilieu einzudringen und die Opfer des Menschenhandels effektiv vor Ausbeutung zu schützen. Der Antrag zielt darauf ab, das alte, bewährte Recht wiederherzustellen.

2. Zu Artikel 1 Nr. 10 (§ 232 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4a - neu - StGB)

In Artikel 1 Nr. 10 ist § 232 wie folgt zu ändern:

Begründung

Der im Gesetz für das Verbringen von Kindern in die Prostitution vorgesehene Strafrahmen von lediglich einem Jahr bis zu 10 Jahren wird dem Unrechts- und Schuldgehalt des unter Strafe gestellten Verhaltens in keiner Weise gerecht. Er steht darüber hinaus in eklatantem Widerspruch zur Wertung des § 176a Abs. 2 und 3 StGB, wo beispielsweise der im Rahmen einer echten Liebesbeziehung vollzogene Beischlaf eines 18jährigen mit einer 13jährigen mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren bedroht ist. Für die Fälle des § 232 Abs. 3 Nr. 1 StGB muss zumindest derselbe Strafrahmen vorgesehen werden wie für den schweren Kindesmissbrauch.

3. Zu Artikel 1 Nr. 10 ( § 232 StGB)

Es ist ein spezifischer Tatbestand gegen den Verkauf von Menschen zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung und die darin liegende Degradierung des Menschen zur Handelsware zu schaffen.

Begründung

Wie schon das geltende Recht enthält auch das vorliegende Gesetz keinen spezifischen Tatbestand gegen den eigentlichen Menschenhandel, also den Verkauf einer Person an eine andere namentlich zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung. Einschlägige Handlungen können allenfalls als Teilnahme am Menschenhandel erfasst werden, soweit Verbrechen in Frage stehen, u.U. auch nach § 30 StGB. In Teilbereichen kann der Straftatbestand der Zuhälterei (§ 181a StGB) eingreifen.

Dies erscheint nicht länger hinnehmbar. Die Degradierung von Menschen zur Handelsware muss spezifisch strafrechtlich erfasst werden. Damit wird auch der Wertungswiderspruch beseitigt, dass nach geltendem Recht zwar der Handel mit Organen zu Zwecken der Transplantation strafbar ist (§§ 17, 18 TPG), nicht aber der Handel mit dem Menschen selbst.

Entscheidend kommt hinzu, dass das Gesetz trotz des neu eingefügten § 233a StGB den EU-Rahmenbeschluss immer noch nicht vollständig umsetzen dürfte. Denn diese Vorschrift stellt das "Vorschubleisten" zu einem von anderen begangenen Menschenhandel unter Strafe und dürfte damit voraussetzen, dass dieser Menschenhandel begonnen und noch nicht beendet ist. Beim Menschenhandel tritt Beendigung jedoch in der Regel in dem Zeitpunkt der Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution ein (vgl. Tröndle/Fischer, StGBKomm., § 180b Rnr. 23; § 181 Rnr. 18). Für danach liegende Handlungsakte läuft der neue Tatbestand deshalb ins Leere.

4. Zu Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe c (Inhaltsübersicht), Nr. 1a - neu - (§ 5 Nr. 8 Buchstabe b StGB), Nr. 10 (§§ 232a - neu -, 233c - neu - StGB)

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Begründung

Es erscheint unabdingbar, Strafvorschriften gegen die sexuelle Ausbeutung von Menschenhandelsopfern einzuführen. Tag für Tag macht sich eine Vielzahl von "Freiern" die Notlage namentlich von Zwangsprostituierten im Grenzgebiet zu den ehemaligen Ostblockstaaten zunutze. Betroffen sind jedoch auch Frauen und Mädchen, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus den ehemaligen Ostblockstaaten oder der Dritten Welt nach Deutschland gelockt und dort in die Prostitution verbracht worden sind. Selbst dann, wenn den "Freiern" bewusst ist oder sie angesichts der Umstände damit rechnen, dass es sich bei den Prostituierten um Opfer skrupelloser Frauen- und Mädchenhändler handelt, machen sie sich nach geltendem Strafrecht in der Regel nicht strafbar. Denn die Straftaten des Menschenhandels sind zu diesem Zeitpunkt fast ausnahmslos bereits endgültig beendet, weswegen eine strafbare Teilnahme, etwa in Form der Beihilfe, nicht mehr möglich ist.

Dies erscheint nicht länger hinnehmbar. Die Täter beuten die typischerweise gegebene Schwächesituation der Menschenhandelsopfer aus. Derartige Schwächesituationen werden auch sonst vom Sexualstrafrecht geschützt (z.B. in den §§ 174 bis 174c und 182 StGB). Es erscheint geboten, auch in diesem Bereich strafrechtlichen Schutz zu gewähren.

Abgezielt wird ferner darauf, den Menschenhändlern die Basis für ihre Machenschaften zu entziehen. Gäbe es nicht die "Freier", die die Situation gehandelter Frauen und Mädchen missbrauchen, so könnten die Verbrecherringe nicht ihre immensen Gewinne erzielen. Mit einer Verringerung der Nachfrage geht demnach auch eine Verringerung dieser Gewinne einher. Es wird nicht verkannt, dass der Kampf gegen den Menschenhandel nicht allein mit strafrechtlichen Mitteln geführt werden kann. Notwendig ist neben einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den Heimatstaaten der Opfer auch eine Bewusstseinsänderung. Zu dieser Bewusstseinsänderung trägt der neue Tatbestand bei, indem er ein Zeichen setzt. Er bringt klar zum Ausdruck, dass die Rechtsordnung bislang vielfach bedenkenlos begangene Taten der sexuellen Ausbeutung von Menschenhandelsopfern nicht länger hinzunehmen bereit ist und zu deren Eindämmung mit dem Strafrecht zu seiner schärfsten Waffe greift.

Im Einzelnen:

Zu Buchstabe a:

Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Einfügung der neuen §§ 232a und 233c StGB.

Zu Buchstabe b:

§ 5 Nr. 8 Buchstabe b StGB erstreckt die deutsche Strafgewalt auf Straftaten Deutscher im Zuge des "Sextourismus" nach § 232a - neu - StGB. Andernfalls könnten Täter, die sich an der sexuellen Ausbeutung von Menschenhandelsopfern etwa in den Staaten des ehemaligen Ostblocks oder auch der Dritten Welt beteiligen (s. unten), in der Regel nicht durch die deutsche Strafjustiz belangt werden.

Zu Buchstabe c:

Zu Doppelbuchstabe aa (§ 232a - neu - StGB):

Kern des Straftatbestandes nach Absatz 1 ist der Missbrauch der durch eine Straftat des Menschenhandels geschaffenen Lage der Menschenhandelsopfer zu sexuellen Handlungen. Typischerweise wird es um Prostitution gehen. Im Hinblick darauf, dass bereits die Ausbeutung der Schwächesituation als solche strafwürdig und strafbedürftig ist, wird jedoch eine Entgeltlichkeit vom Tatbestand nicht verlangt. Denn es sind Konstellationen denkbar, in denen das Opfer ausgebeutet wird, ohne dass Geld fließt. Die Norm bildet insoweit auch einen Auffangtatbestand zur Vergewaltigung in Form der Nötigung zu sexuellen Handlungen unter Ausnutzung einer hilflosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Anders als dort ist insbesondere nötigendes Verhalten nicht erforderlich. Zur Kennzeichnung des verpönten Unrechts wird statt des gleichfalls in Betracht kommenden, aber etwas weniger aussagekräftigen Terminus der "Ausnutzung" der Begriff des "Missbrauchs" verwendet. Darunter ist die bewusste Ausnutzung gerade des Schwächezustands zu verstehen (vgl. Lackner/Kühl, StGB, § 174 Rnr. 9). Der Begriff des Missbrauchs wird in Tatbeständen herangezogen, bei denen an die Möglichkeit gedacht werden muss, dass sich das Verhalten des Täters aus besonderen Gründen als nicht verwerflich darstellt (vgl. Begründung des E 1962, S. 360 f. (vor § 204)). Im hier vorliegenden Zusammenhang dient er namentlich der Ausgrenzung echter Liebesbeziehungen.

Das Spektrum der relevanten sexuellen Handlungen ist bewusst weit umschrieben. Umfasst sind neben der Prostitution auch sexuelle Handlungen im Rahmen der Pornografie, von Peepshows oder des so genannten Heiratshandels.

Absatz 1 normiert ein Vorsatzdelikt. Bedingter Vorsatz genügt. Der Täter muss zumindest damit gerechnet und billigend in Kauf genommen haben, dass er sich die durch eine Straftat des Menschenhandels geschaffene Lage des Opfer zunutze macht. Damit sind naturgemäß Nachweisprobleme aufgeworfen. Diese wohnen jedoch auch den sonstigen Tatbeständen des Menschenhandels inne und sprechen nicht entscheidend gegen die Pönalisierung. Zunächst ist auf die Signalwirkung des Tatbestands hinzuweisen (vgl. oben). Ferner wird es Konstellationen geben, in denen die äußeren Umstände so sehr auf einen vollführten Menschenhandel hinweisen, dass der Einwand des Täters, er habe nichts geahnt, als bloße Schutzbehauptung gelten kann (z.B. schlechter körperlicher Zustand, Merkmale von Gewaltanwendungen).

Der Strafrahmen von fünf Jahren entspricht dem vergleichbarer Straftatbestände des Sexualstrafrechts (§ 174 Abs. 1, §§ 174b, 174c StGB).

Absatz 2 stellt den Versuch unter Strafe.

Zu Doppelbuchstabe bb (§ 233c - neu - StGB):

Straftaten des Menschenhandels sind den so genannten Kontrolldelikten zuzurechnen. Dies bedeutet, dass auf Grund der spezifischen Situation mit Strafanzeigen nicht zu rechnen ist. Es erscheint deshalb dringend erforderlich, Kronzeugenregelungen zu schaffen. Sie bieten auch die Grundlage, Kooperationsbemühungen von "Freiern" in besonderer Weise bei der Strafzumessung zu honorieren. Die Förderung der Kooperationsbereitschaft solcher Personen erscheint erforderlich, um an die Hintermänner heranzukommen.

5. Zu Artikel 1 Nr. 10 (§ 233 Abs. 1 Satz 1 StGB)

In Artikel 1 Nr. 10 § 233 Abs. 1 Satz 1 sind nach dem Wort "Schuldknechtschaft" die Wörter "oder eine der Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft entsprechende Lage" einzufügen.

Begründung

Durch die beantragte Ergänzung wird eine allzu enge Auslegung des Tatbestandes verhindert. Vor allem wird dem möglichen Einwand, dass ein entsprechender Vorsatz nicht nachweisbar sei, da es diese Formen der Abhängigkeit in der Bundesrepublik Deutschland aus rechtlichen Gründen nicht geben könne, entgegengewirkt.

6. Zu Artikel 1 Nr. 10 ( § 233b Abs. 2 StGB)

In Artikel 1 Nr. 10 § 233b ist Absatz 2 wie folgt zu fassen:

(2) § 73d ist anzuwenden

Begründung

Die restriktive Anwendungsmöglichkeit des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB ist unverändert aus § 181c StGB übernommen worden und bedarf einer Regelung ohne Beschränkung auf banden- oder gewerbsmäßiges Handeln. § 73d StGB eröffnet die Möglichkeit, die Gewinnabschöpfung aus krimineller Tätigkeit effektiv zu gestalten. Menschenhandel ist ein überwiegend auf Gewinn abzielendes Delikt mit vorwiegend organisatorischem Charakter. Wie § 33 Abs. 1 Nr. 2 BtMG beim Vorliegen von Verbrechen nach den §§ 29a, 30 und 30a BtMG auf die Vorschrift des erweiterten Verfalls verweist, ohne dies von gewerbs- oder bandenmäßigem Handeln abhängig zu machen, sollte auch die Anwendungsmöglichkeit des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB zumindest bei den Verbrechenstatbeständen des § 232 Abs. 3 und 4 StGB nicht auf gewerbsmäßiges Handeln oder Handeln als Mitglied einer Bande beschränkt sein. Ein solcher § 233b Abs. 2 Nr. 1 StGB würde die Gewinnabschöpfung aus der kriminellen, erwerbsgerichteten Tätigkeit effektiver gestalten, ohne dass verfassungsrechtliche Einwände zu erheben wären.

7. Zu Artikel 2 Nr. 2 (§ 100a Satz 1 Nr. 2 StPO)

In Artikel 2 Nr. 2 § 100a Satz 1 Nr. 2 sind die Wörter " § 232 Abs. 3, 4 oder Abs. 5, § 233 Abs. 3, jeweils soweit es sich um Verbrechen handelt," durch die Angabe " §§ 232, 233 oder 233a," zu ersetzen.

Begründung

Es entspricht den Erfahrungen der Praxis und den Ergebnissen der Sachverständigenhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages vom 30. Juni 2004, dass der Menschenhandel typischerweise konspirativ verübt wird, weswegen der Ermittlungsmaßnahme der Überwachung der Telekommunikation höchster Stellenwert zukommt. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht vertretbar, die Maßnahme auf schwerste Fälle mit Verbrechenscharakter zu beschränken. Dies gilt zumal deswegen, weil die Dimensionen der Straftat in einem frühen Stadium der Ermittlungen oftmals noch gar nicht abzusehen sind.