Der Bundesrat hat in seiner 798. Sitzung am 2. April 2004 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Grundsätzlich ist das Anliegen einer Sicherung und Verbesserung der Lebensverhältnisse in Städten und städtischen Gebieten unter der Maxime einer nachhaltigen Entwicklung zu begrüßen, nicht zuletzt auch deshalb, weil funktionsfähige städtische Räume (Verdichtungsräume/Ballungsräume) wichtige Impulsgeber für die Entwicklung im ländlichen Raum sind.
Die Vorlage der Kommission sollte jedoch wegen fehlender Kompetenzen der Europäischen Union abgelehnt werden.
- 2. Eine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik umfasst gleichgewichtig soziale, wirtschaftliche gesellschaftliche und regionale Aspekte und lässt sich nicht auf Aspekte zur städtischen Umwelt beschränken.
- 3. Alle vorgeschlagenen Maßnahmen oder geplanten Leitlinien, die zu einer Kompetenzausweitung der EU führen, sind abzulehnen. Die EU verfügt über keinerlei Kompetenzen im Bereich Stadtentwicklung. In Deutschland steuern die Gemeinden im Rahmen ihres verfassungsrechtlich verbürgten Selbstverwaltungsrechts in eigener Zuständigkeit und Verantwortung ihre städtebauliche Erneuerung und Entwicklung. Eine Ausweitung der Kompetenzen würde dem Subsidiaritätsprinzip widersprechen.
- 4. Umweltschützende Belange müssen bei der städtebaulichen Entwicklung und Erneuerung von den Gemeinden im Planungsprozess berücksichtigt und mit anderen Belangen abgewogen werden. Mit dem Gesetzentwurf zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau - EAG Bau) wird die Bedeutung der Umweltbelange nochmalig gestärkt.
Somit sind Umweltschutzaspekte integrierte Bestandteile der Stadtentwicklung.
- 5. Der Bundesrat befürwortet die von der Kommission angestrebte Strategie für eine städtische Umwelt auch insofern nicht, als die Kommission anstrebt, Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern aufzugeben, einen städtischen Umweltmanagementplan und einen Plan für nachhaltigen städtischen Verkehr zu entwickeln und umzusetzen. Für den Bereich Verkehr erwägt die Kommission zusätzlich, zur Ergänzung und Unterstützung dieser lokalen Pläne die Mitgliedstaaten aufzufordern, eine klare Politik zur Förderung der Nachhaltigkeit des städtischen Verkehrs zu verfolgen und dabei durch Erhebung von Abgaben, Maut und Nutzungsgebühren den Grundsatz der Internalisierung externer Kosten anzuwenden.
Die Entscheidung über die Notwendigkeit zur Einführung eines zusätzlichen städtischen Umweltmanagementplans inklusive eines Umweltmanagementsystems und die Einführung eines Plans für nachhaltigen städtischen Nahverkehr, wie sie die Kommission vorsieht, ist Teil des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden und fällt in ihren Kompetenzbereich. Die zwingende Einführung dieser Pläne läuft hingegen Bemühungen um eine Vereinfachung und Beschleunigung von Verwaltungsprozessen zuwider.
- 6. Die Bundesregierung wird gebeten, sich bei den anstehenden Beratungen in den Gremien der Europäischen Gemeinschaft im Sinne des Beschlusses grundsätzlich gegen eine Weiterverfolgung des von der Kommission gewählten Ansatzes auszusprechen.
- 7. Entsprechendes gilt für die Wasserversorgung, für die die Kommission Leitlinien entwickeln möchte, da auch die Wasserversorgung zum Kernbereich der verfassungsrechtlich verbürgten Selbstverwaltung gehört.
- 8. Die Steuerung der Flächennutzung und die Organisation des städtischen Nahverkehrs sind zentrale Themenbereiche einer nachhaltigen Stadtentwicklung.
Für Leitlinien und Vorschriften auf der Gemeinschaftsebene, die Kernbereiche der Stadtplanung umfassen (Leitlinien für hohe Bebauungsdichten und für vielfältige Nutzungen in der Flächennutzungsplanung; Leitlinien für spezielle Fragen der Stadtgestaltung; Vorschriften zu städtischen Nahverkehrsplänen), besitzt die Kommission keine Kompetenz. Gerade im Bereich der nachhaltigen Entwicklung können tragfähige Lösungen nur auf lokaler Ebene unter Berücksichtigung der jeweiligen besonderen regionalen und lokalen Verhältnisse gefunden werden.
- 9. Die von der EU verfolgte thematische Strategie bietet auch keine Grundlage, auf die Koordinierung und Verteilung von Zuständigkeiten bei der Behandlung der wichtigsten Fragen der städtischen Umwelt und damit auf die gemeindliche Organisationshoheit als Teil der verfassungsrechtlich verbürgten Selbstverwaltung Einfluss zu nehmen.
- 10. Die Kommission schlägt daneben Anreize zur vorrangigen Nutzung von brachliegenden Flächen vor der Neuerschließung vor. Zudem werden Mindestbesiedelungsdichten angeregt um höhere Bebauungsdichten zu unterstützen und der Landschaftszersiedelung entgegenzuwirken. Die Notwendigkeit für vereinheitlichte und gegebenenfalls weiterführende Anreize zur Brachflächenaktivierung und zusätzliche Regelungen für Besiedelungsdichten wird nicht gesehen.
- 11. Die aufgezeigten Handlungsansätze berühren gerade auch die Aufgabengebiete der Raumordnung bzw. Landes- und Regionalplanung sowie der Bauleitplanung, wofür die Europäische Union keine Kompetenz hat. Ein Tätigwerden der Kommission ist auch nicht erforderlich, weil ein durch die Mitgliedstaaten erarbeitetes Europäisches Raumentwicklungskonzept bereits vorliegt, in dem auch Zielsetzungen zur Entwicklung der Städte enthalten sind.
- 12. Sollte das Vorhaben dennoch auf EU-Ebene weiterverfolgt werden, weist der Bundesrat darauf hin, dass die Aussagen bezüglich der Integration der Strategie in die Gemeinschaftspolitiken unzureichend sind. Die Bundesregierung wird deshalb gebeten, bei der Kommission auf deutliche Nachbesserungen hinzuwirken.
Insbesondere eine Verzahnung mit der Bodenschutzstrategie (KOM (2002) 179 endg.; Ratsdok. 8344/02) ist wegen der Bedeutung des Bodenschutzes in Ballungsgebieten wünschenswert.
- 13. Darüber hinaus sollte die Kommission ihre Förderpolitik dahin gehend überprüfen, dass diese mit den Zielen dieser neuen thematischen Strategie übereinstimmt.
Denn bei der finanziellen Situation der Städte ist es unerlässlich, dass zur Unterstützung der Kommunen bei der Umsetzung der Strategie entsprechende Fördermittel zur Verfügung gestellt werden.