876. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2010
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Kulturfragen (K) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt [grundsätzlich] die mit der vorliegenden Kommissionsmitteilung eingeleiteten Schritte zur geplanten Leitinitiative Innovationsunion und unterstützt die Überlegungen der Bundesregierung in ihrem Positionspapier.
- 3. Für die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas wird der Erfolg der Europa-2020-Strategie maßgeblich sein. Der Bundesrat begrüßt deshalb, dass mit der Flaggschiff-Initiative "Innovationsunion" ein grundsätzlich tragfähiger Politikansatz gefunden wurde und dass die Initiative die Definition des Begriffs Innovation weit fasst, dabei die großen Herausforderungen unserer Gesellschaft in den Fokus nimmt und Schlüsseltechnologien berücksichtigt. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit der vorgelegten Mitteilung die Leistungen der Regionen und Zivilgesellschaften mit einbezieht und die Regionen als bedeutende Akteure sieht.
- 4. Der ganzheitliche Ansatz der Innovationsunion - "von der Idee bis zum Markt" - sollte bei der Diskussion immer im Auge behalten werden. Eine Schwerpunktsetzung auf den Technologietransfer hin zu den Unternehmen oder auf wirtschaftlich unmittelbar verwertbare Innovationen wird ausdrücklich begrüßt. Gleichermaßen zu berücksichtigen bleibt die Rolle der Grundlagen- und Pionierforschung. Diese konzentriert sich zunächst nicht auf konkrete Produkte, sondern schafft die Wissensgrundlagen für mögliche, noch zu entwickelnde Produkte. Sie ist damit eine notwendige Voraussetzung, um Innovationen, die die Wettbewerbschancen der Zukunft tragen, nicht auf längere Sicht die Grundlagen zu entziehen.
Die Länder unterstützen daneben die Vorschläge der Kommission, alle Formen der Innovation, einschließlich nichttechnischer wie z.B. sozialer Innovationen, in den Fokus zu nehmen.
Bei der Verbreitung und Nutzung von Forschungsergebnissen ist auf eine gleichrangige Berücksichtigung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Vergleich zu Unternehmen, vor allem bei den Beteiligungsregeln und den Rechten am geistigen Eigentum, hinzuwirken. Auch ist darauf hinzuwirken, dass in diesen Fragen eine gleichberechtigte Beachtung der Belange von KMU gewährleistet wird.
- 5. Es wird begrüßt, dass die Forschungsrahmen- und Innovationsprogramme zentrale Instrumente zur Realisierung des Europäischen Forschungs- und Innovationsraums sein werden. Dabei sollte das künftige 8. Forschungsrahmenprogramm (FRP) aber sein Kernanliegen, die forschungsgetriebene Seite der Innovation einschließlich der Entwicklung von Technologien zu fördern, im Fokus behalten. Die Politiken des Europäischen Forschungsraums müssen ihren Beitrag flankierend zur Optimierung der Rahmenbedingungen leisten. Daneben sollte gelten: Das Programm "Kooperationen" mit seiner bisherigen Architektur der Teilnehmer von Hochschule, Forschung und Wirtschaft sollte ausgebaut werden und es sollte thematisch flexibel genug bleiben, um Herausforderungen und neue Ansätze aufgreifen zu können. Der European Research Council (ERC) und die Pionierforschung als Träger zukünftiger Innovationen sollten gestärkt werden. Bei einer Flexibilisierung der Programmlinien ist eine Vereinfachung zu begrüßen und auf einheitliche Beteiligungsregeln hinzuwirken (siehe auch BR-Drucksache 183/10 (PDF) zum 8. FRP). Dabei sollte die Forschungsförderung ergebnisoffen bleiben. Wo angebracht, sollten die Forschungsförderprogramme den Aspekt der Verwertung berücksichtigen. Demonstrationstätigkeiten und Prototypenentwicklung sind in diesem Zusammenhang wichtige Wertschöpfungsbausteine, die noch stärker in die Themenkonzeption einbezogen werden sollten.
Da häufig kleinere Projekte den Kern von Innovationen ausmachen, sollten die Bedarfe der KMU und kleineren anwendungsorientierten Forschungseinrichtungen sowie der Fachhochschulen berücksichtigt werden. Bei der Ausgestaltung der einzelnen Maßnahmen zur Umsetzung der Innovationsunion soll die Umsetzung des Small Business Act gewährleistet und bei dessen Überprüfung die Innovationsleistung gerade von KMU besonders gewürdigt werden. Das European Enterprise Network (EEN) hat sich u.a. mit Blick auf KMU bewährt und sollte deshalb im bestehenden Rahmen weitergeführt werden.
Der Bundesrat begrüßt, dass das Europäische Institut für Innovation und Technologie (EIT) als derzeit größter und wichtigster Modellversuch für Innovation und seine Wissens- und Innovationsgemeinschaften (KICs) in den Mittelpunkt der Überlegungen gerückt werden.
Der Bundesrat betont die Bedeutung der Strukturfonds für die Innovation. Das schließt die Förderung von Energietechnologien und ressourcensparender Technik zur Erreichung der Klimaziele mit ein. Die Strukturfonds müssen weiterhin allen Mitgliedstaaten und Regionen zugute kommen. Die Strukturpolitik fördert Innovationen in der Breite und konzentriert sich dabei auf die praktische Anwendung und auf den Transfer. Dabei nutzt und unterstützt die Strukturpolitik auf Basis ihres regionalen Ansatzes die endogenen Entwicklungspotenziale. Dank ihrer dezentralen Implementierungsverfahren sind sie in besonderer Weise geeignet, maßgeschneiderte regionale Innovationssysteme zu unterstützen. Dadurch können die in den Regionen vorhandenen Innovationspotenziale gerade der kleineren Akteure deutlich besser mobilisiert werden als zentrale und nur punktuell einsetzende Förderinstrumente auf nationaler oder auf EU-Ebene. Der regionale Ansatz der Strukturpolitik und die dezentrale Mittelvergabe müssen daher erhalten bleiben.
- 6. Der Bundesrat hält jedoch die Aufforderung für problematisch, unverzüglich mehr der im aktuellen Programmplanungszeitraum noch verfügbaren Ressourcen aus dem EFRE in intelligentes Wachstum zu investieren. Die Mittel sind entsprechend den ursprünglich festgelegten und von der Kommission genehmigten Programmschwerpunkten weitgehend vergeben oder verplant. Inwieweit gegebenenfalls zusätzliche Mittel für die Ziele von Europa 2020 umgewidmet werden, muss daher ausschließlich auf regionaler Ebene entschieden werden können.
- 7. Mit Blick auf den Programmplanungszeitraum 2014 bis 2020 fordert der Bundesrat die Kommission auf, bei der Fokussierung der regionalpolitischen Maßnahmen auf die Ziele der Strategie Europa 2020 mit Augenmaß vorzugehen. Den Regionen müssen noch ausreichend Spielräume bleiben für ihre eigenen regionalpolitischen Zielsetzungen, die parallel zu Europa 2020 fortbestehen. Die Ausgestaltung der Förderinstrumente darf vor allem die Teilhabe von KMU nicht behindern und die Wirtschaft in den strukturschwächeren (Teil-)Regionen nicht überfordern.
- 8. Da Innovation in den Regionen stattfindet, sollten die in ihnen vorhandenen Strukturen genutzt und ihre innovativen Netzwerke eingebunden werden. Starke Regionen sollen als Treiber von Innovation und Forschung eingesetzt werden. Auch deshalb sollten die Strukturfonds starken Regionen weiterhin zur Verfügung stehen.
- 9. Mit den geplanten Innovationspartnerschaften sollen die Hauptakteure eines Themenfeldes der europäischen, nationalen und regionalen Ebenen zusammengeführt und ihre Interessen und Aktivitäten abgestimmt werden. Vorhandene Erfahrungen und Instrumente sollen die Grundlage sein. Das gilt für nationale Verbünde und Kooperationen, insbesondere aber auch für die europäischen Verbünde und Plattformen des 7. FRP und die Initiativen des Europäischen Forschungsraums (ERA).
Bei Überlegungen zur Einführung zusätzlicher Programme und Instrumente im Rahmen der Innovationspartnerschaften sollte große Zurückhaltung geübt werden. Die große Zahl und Vielfalt der bestehenden Initiativen soll durch die Innovationspartnerschaften nicht weiter gesteigert werden. Vielmehr sollten das Zusammenspiel und die Optimierung bereits erfolgreich ausgestalteter Forschungsförder- und Innovationsmechanismen im Vordergrund stehen. Doppelungen und Überschneidungen zwischen Innovationspartnerschaften und bestehenden Strukturen und Initiativen gilt es zu vermeiden. Innovationspartnerschaften sollten einen Mehrwert darstellen und sich thematisch von Initiativen mit ähnlichen Zielen deutlich abheben.
Bei der Entwicklung der Innovationspartnerschaften sollten daher die bisherigen Initiativen der Gemeinsamen Programmplanung und Überlegungen der hochrangigen Gruppe (GPC-ERAC) Berücksichtigung finden, zur Kritik und Umsetzung der Initiativen der Gemeinsamen Programmplanung siehe Stellungnahme des Bundesrates vom 10. Oktober 2008 - BR-Drucksache 521/08(B) -. Wie bei der Gemeinsamen Programmplanung sollte auch bei den Innovationspartnerschaften gelten: Die Verantwortung muss maßgeblich in den Händen der Mitgliedstaaten bleiben.
Da eine enge Kooperation von europäischer, nationaler und regionaler Ebene angestrebt wird, sollten Ländervertreter in den Steering Boards der Innovationspartnerschaften und - falls vorhandene Strukturen, wie z.B. Joint Programming Sekretariate, genutzt werden - auch dort vertreten sein.
Für alle Ebenen der Innovationspartnerschaften und ihre Steuerungsgremien sollte generell gelten: Die Strukturen müssen den Regeln der Offenheit (auch für neue Themen), des offenen Zugangs, der Wettbewerblichkeit, der Exzellenz, aber auch der Freiwilligkeit folgen. Begrüßt wird, dass zunächst eine Pilotinitiative etabliert und einer Testphase unterzogen wird. Die in der Mitteilung vorgeschlagenen Themen für die Pilotinitiative und zukünftige Innovationspartnerschaften werden auch von den Ländern als Bereiche mit großer gesellschaftlicher Relevanz angesehen.
Hier stehen die Länder als aktive Partner zur Verfügung.
- 10. Der Bundesrat begrüßt die Überlegungen, den Zugang zu Kapital zu verbessern. Die Entwicklung von neuen, speziell zugeschnittenen Finanzierungsmitteln für innovative Firmen wird begrüßt, insbesondere da die bisherige Risk Sharing Finance Facility (RSFF) nur für Großprojekte geeignet ist und innovative KMU davon bisher nicht profitieren konnten. Bei der Ausgestaltung der Finanzierungsinstrumente sollte auf eine hohe Flexibilität für eine gute Praktikabilität geachtet werden; die Zusammenarbeit der Europäischen Investitionsbank (EIB) und des Europäischen Investitionsfonds (EIF) mit regionalen Förderbanken (nicht nur national tätigen Förderbanken) sollte ermöglicht werden. Auch die Möglichkeit der Nutzung der RSFF durch Hochschulen sollte mit bedacht werden. Die bisher bestehenden Programme für Hochschulen zur Nutzung der RSFF laufen ins Leere.
- 11. Für die Verwirklichung des Europäischen Forschungs- und Innovationsraumes sollten die begonnenen Initiativen fortgeführt und bewährte Instrumente genutzt werden.
- 12. Der Bundesrat begrüßt alle Anstrengungen zum Ausbau der Kapazitäten der Schulen und Hochschulen mit dem Ziel, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Auch die Strategien zur Verbesserung der Qualität der Ausbildung an den Hochschulen sind zu unterstützen. Hier ist jedoch der Grundsatz der Subsidiarität zu beachten. Viele der genannten Forderungen werden an deutschen Hochschulen bereits erfolgreich umgesetzt. Der Vorschlag für ein jährliches internationales Hochschulranking wird begrüßt. Bei der Konzeption eines Rankings sollten auch die Länder einbezogen werden.
- 13. Der Bundesrat hält es zur Verbesserung des Innovationsgeschehens in Europa für essentiell, das Patentierungssystem zu verbessern. Daher wird die Einführung eines EU-Patents, welches einfach und kostengünstig beantragt werden kann, als besonders dringliche Aufgabe angesehen. Bei der Sprachenregelung muss ein tragfähiger Konsens gefunden werden, wobei der Bundesrat es unterstützt, dass Deutsch als eine der Amtssprachen des Europäischen Patentamts entsprechend des derzeit vorliegenden Vorschlags der Kommission (KOM (2010) 350 endg. - BR-Drucksache 414/10 (PDF) ) Berücksichtigung finden soll.
Weiterhin sollte neben der Einführung des EU-Patents gleichzeitig auch der Aufbau einer effizienten Europäischen Patentgerichtsbarkeit weiterverfolgt werden. Bei allen Erwägungen sollten die in Deutschland bestehenden, gut funktionierenden Systeme und Mechanismen einbezogen werden.
Das Patentierungssystem wird jedoch nur dann seinen Beitrag leisten können, wenn der Umgang mit geistigem Eigentum, einschließlich des Wissenstransfers, weiter professionalisiert wird. Hier sollten Maßnahmen auf EU-Ebene in der Innovationsunion auf der Ratsresolution vom 20. Mai 2008 sowie den Arbeiten der ERAC-Arbeitsgruppe zum Wissenstransfer aufbauen.
- 14. Öffentliche Aufträge machen einen erheblichen Marktanteil aus und können damit einen Beitrag zur Innovation und Markteinführung neuer Produkte leisten. Der Umsetzung einer festgelegten Quote steht der Bundesrat kritisch gegenüber, da öffentliche Beschaffungen vorrangig der Deckung des Bedarfs dienen, den die öffentlichen Einrichtungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen, und dabei die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und des derzeitigen Wettbewerbsrechtes gewahrt werden müssen. Das öffentliche Beschaffungswesen und das Potenzial des öffentlichen Sektors (z.B. Gesundheitswesen, Bildung, Transport, Energie- und Wasserversorgung) sollten freiwillig stärker für Innovation und insbesondere nachhaltiges Wachstum genutzt werden.
- 15. Der Bundesrat hat jedoch erhebliche Zweifel an der unter Abschnitt 3.2 der Mitteilung getroffenen Aussage, dass das öffentliche Auftragswesen ein gewaltiges Potenzial zur Innovationsförderung darstelle. In aller Regel setzen sich Innovationen auf dem Markt durch, wenn die Politik für die entsprechenden Rahmenbedingungen gesorgt hat. Dies gilt gleichermaßen für die öffentliche wie auch für die private Auftragsvergabe. Bereits nach geltendem Recht bestehen mit der funktionellen Leistungsbeschreibung, dem Verhandlungsverfahren oder dem wettbewerblichen Dialog bewährte und effiziente vergaberechtliche Instrumente, um die Innovationskraft der Bieter bei jedem Projekt neu auszuschöpfen.