Der Hessische Ministerpräsident Wiesbaden, den 18. August 2003
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Prof. Dr. Wolfgang Böhmer
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Hessische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat die anliegende Entschließung des Bundesrates zum Verbot der Haltung bestimmter wildlebender Tierarten im Zirkus und zur Einrichtung eines Zirkuszentralregisters zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der Bundesratssitzung am 26. September 2003 zu setzen.
Mit freundlichen Grüßen
Roland Koch
Anlage
Entschließung des Bundesrates zum Verbot der Haltung bestimmter wildlebender Tierarten im Zirkus und zur Einrichtung eines Zirkuszentralregisters
Der Bundesrat möge beschließen:
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung:
- 1. dem Bundesrat unverzüglich eine Rechtsverordnung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Tierschutzgesetz zuzuleiten, die das Halten von Tieren wildlebender Arten, und zwar von Affen, Elefanten und Großbären, in Zirkusbetrieben, nach entsprechenden Übergangszeiten für vorhandene Tiere, verbietet
- 2. dem Bundesrat unverzüglich eine Rechtsverordnung gemäß § 16 Abs. 5 Nr. 5 Tierschutzgesetz zur zentralen Erfassung von mobilen Tierschauen und Zirkusbetrieben mit Tierhaltung zuzuleiten.
Begründung:
Wildtiere sind nicht domestiziert und stellen daher häufig besonders hohe Ansprüche an ihre Unterbringung, Ernährung und Pflege, sowie an die Sachkunde des Halters.
Bei einigen Tierarten können diese Ansprüche in einem reisenden Zirkus schon im Grundsatz nicht erfüllt werden, denn
- - sie verbringen einen Großteil ihres Lebens in engen Transportwagen (Fahrt, Auf- und Abbauzeit). Die Zeit für freie Bewegung und artgemäßes Verhalten ist dadurch stark eingeschränkt, - die notwendige Einrichtung von ausreichend großen, ausbruchsicheren und artgerecht ausgestatteten Gehegen kollidiert mit der Notwendigkeit zur fortwährenden Mobilität,
- - die wenigsten Zirkusbetriebe verfügen über geeignete, beheizbare Winterquartiere, die auch bei schlechter Witterung eine artgerechte Haltung kälteempfindlicher Wildtierarten ermöglichen,
- - viele Zirkusbetriebe sind wirtschaftlich nicht in der Lage, die finanziellen Mittel für erforderliche Anschaffungen, Unterhalts- und (Spezial-) Tierarztkosten aufzubringen, zudem erschweren oft auch der niedrige Bildungsgrad und das Leben in einem eigenen Wertesystem das notwendige Verständnis für die Erfordernisse einer modernen, tiergerechten Haltung von Wildtieren.
Die Folgen für die Tiere sind schwerwiegend und zeigen sich oft in Verhaltungsstörungen, Erkrankungen aber auch in Todesfällen.
Besonders betroffen sind Affen, Elefanten und Großbären: Affen und Elefanten verfügen über ein hochkomplexes Sozialverhalten, weit entwickelte kognitive Fähigkeiten und haben besondere Klimaansprüche. Großbären zeigen ein sehr vielfältiges, arttypisches Verhalten (z.B. Klettern, Schwimmen, Graben) und sind von großer Körperkraft. Die Erfahrung zeigt, dass schon allein diese Punkte eine tiergerechte Haltung dieser Arten in der Praxis im Zirkus unmöglich machen.
Auf der Vollzugsebene ist die Problematik nicht lösbar. Eine Verweigerung einer Erlaubnis nach § 11 Tierschutzgesetz ist nur im Einzelfall anwendbar, aber zur generellen Regelung von Missständen nicht geeignet. Ebenso wenig lassen sich bei bestimmten Tierarten grundlegende Verbesserungen der Tierhaltung über Verfügungen nach § 16 Tierschutzgesetz praktisch durchsetzen. Und auch die Wegnahme und anderweitige Unterbringung von Tieren scheitert meist, selbst in akuten Fällen, in denen Tiere offenkundig schwer leiden oder bereits zu Schaden gekommen sind, weil gerade für die aufwendig zu haltenden Wildtierarten Aufnahmekapazitäten in geeigneten Einrichtungen wie Zoos oder Auffangstationen fehlen.
Bemühungen um eine Verbesserung der Auffangmöglichkeiten machen wenig Sirm, solange nicht gleichzeitig verhindert wird, dass ständig neue Wildtiere in den Zirkus gelangen, die dann mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder zum "Notfall" werden. Auch das Einschläfern von Zirkustieren, die haltungsbedingte Leiden oder Schäden aufweisen und die nicht anderweitig untergebracht werden können, kann nur im Ausnahmefall ethisch vertretbar sein.
Um der Problematik wirkungsvoll begegnen zu können, muss daher verhindert werden, dass die Tierarten, die absehbar gefährdet sind, weiter in Zirkussen gehalten werden. Andere Länder sind diesen Schritt längst gegangen.
Die zentrale Erfassung aller Wanderzirkusse muss endlich durch Rechtsverordnung geregelt werden, weil dies für eine wirkungsvolle länderübergreifende Überwachung unabdingbar ist. Kostenaufwendige Kontrollen und Verwaltungsmaßnahmen ändern sonst weiterhin kaum die Lebenssituation betroffener Tiere.