836. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2007
A
- 1. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, das Einvernehmen zu der Zustimmung zu dem Vorhaben gemäß § 5 Abs. 3 EUZBLG zu erklären und die Bundesregierung jedoch aufzufordern dafür Sorge zu tragen, dass in Anhang III des Vorschlags folgende Protokollerklärung veröffentlicht wird:
- "Die Bundesrepublik Deutschland geht davon aus, dass mit den Verfahren für Einsätze innerhalb der Gemeinschaft keine operativen Befugnisse der EU verbunden sind und der ersuchende Mitgliedstaat weiterhin die Einsatzleitung vollumfänglich wahrzunehmen hat.
Die Bundesrepublik Deutschland geht weiterhin davon aus, dass die ergänzenden Maßnahmen der EU keinen Ersatz der mitgliedstaatlichen Ressourcen bedeuten und es bei der Verpflichtung der Mitgliedstaaten bleibt, die erforderlichen Ressourcen in ausreichendem Maße vorzuhalten."
- (bei Annahme entfällt Ziffer 2)
- 1. Der Bundesrat hat in zahlreichen Beschlüssen zum europäischen Katastrophenschutz stets die Einführung operativer Befugnisse für die Kommission entschieden abgelehnt, vgl. Stellungnahmen des Bundesrates in den BR-Drucksachen 026/07(B) , 101/06(B) , 323/05(B) , 318/05(B) , 312/05(B) und 280/04(B) .
- 2. Der Bundesrat hat in den vorgenannten Beschlüssen zudem stets betont, dass der betroffene Staat weiterhin die Einsatzleitung wahrzunehmen hat.
- 3. Das nur rudimentär geregelte Verfahren für Einsätze innerhalb der Gemeinschaft lässt Konstruktionen offen, die Mitgliedstaaten bei Einsätzen innerhalb der Gemeinschaft den Ausstieg aus der nationalen Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung ermöglichen und damit der EU faktisch operative Eingriffsmöglichkeiten einräumen. Dies widerspräche der Intention des Bundesrates.
- 4. Die Koordinierung des Einsatzes muss dem betroffenen Mitgliedstaat obliegen. Er muss hierzu fähig sein und bleiben. Artikel 8 Absätze 2 und 3 des Vorschlags darf nicht dazu führen, seine Verantwortung im Katastrophenfall nur auf "abstrakte" Leitlinien zu beschränken und die Verantwortung für die konkrete Einsatzführung Dritten zu überlassen. Insbesondere darf eine solche Delegationsbefugnis des betroffenen Mitgliedstaats nicht zu einer Koordinierungsfunktion der Kommission (etwa über Artikel 4 Abs. 1 Buchstabe d Nr. ii) vor Ort bei Einsätzen innerhalb der Gemeinschaft und damit faktisch zu operativen Befugnissen der EU führen.
- 5. Der Bundesrat hat es in seiner Stellungnahme vom 7. April 2006 (BR-Drucksache 101/06(B) ) als inakzeptabel bezeichnet, dass sich die Kommission zum Zwecke der operativen Koordinierung von Einsätzen nicht der Mitgliedstaaten bedient, sondern des Staats, der jeweils den Vorsitz im Rat der EU hat. Dieser soll zudem nur politisch tätig werden. Durch den Vorschlag in seiner aktuellen Form wird gemäß Artikel 9 Abs. 2 nicht nur diese abgelehnte Vorkehrung etabliert. Durch Absätze 3, 4 und 5 kann hier sogar der gesamte Einsatz faktisch durch die Kommission in politischer, strategischer und operativer Hinsicht koordiniert werden, da die Entscheidung über die Wahrnehmung weiterer operativer Aufgaben lediglich mit dem Ratsvorsitz zu treffen ist.
- 6. Die Vorgehensweise der Kommission veranlasst den Bundesrat zu der Forderung nach einer klarstellenden, zu veröffentlichenden Protokollerklärung, in der eindeutig festgelegt wird, dass "ergänzende" Maßnahmen der Kommission - wie in seiner Stellungnahme vom 7. April 2006 (BR-Drucksache 101/06(B) ) gefordert - keine Ergänzung oder gar Ersatz von Ressourcen der Mitgliedstaaten bedeuten.
- 7. Der Bundesrat verkennt nicht, dass die Verhandlungen im Rat ein fortgeschrittenes Stadium erreicht haben. Er weist aber darauf hin, dass er zuletzt erneut und explizit in seiner Stellungnahme vom 16. Februar 2007 (BR-Drucksache 026/07(B) ) angekündigt hat, dass er mit Blick auf die - nicht zuletzt durch den so genannten Barnier-Bericht geförderte - fortbestehende Erwartungshaltung anderer Mitgliedstaaten und der Kommission entsprechenden Ausdehnungstendenzen für den Bereich der operativen Befugnisse der EU entgegentreten wird. Der Bundesrat nimmt in dieser Hinsicht die Äußerungen der Kommissarin Ferrero-Waldner vom 11. Juli 2007 im Europäischen Parlament zur Kenntnis, in denen sie den Ausbau des europäischen Katastrophenschutzes im Sinne des Barnier-Reports durch die Kommission erneut unterstrichen hat.
B
- 2. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union empfiehlt dem Bundesrat, das Einvernehmen zu der Zustimmung zu dem Vorhaben gemäß § 5 Abs. 3 EUZBLG zu erklären.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Bereits mit Beschluss vom 8. Juli 2005 - BR-Drucksache 323/05(B) - und sodann mit Beschluss vom 7. April 2006 - BR-Drucksache 101/06(B) - hat der Bundesrat zum Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (Neufassung) Stellung genommen.
Dabei hat der Bundesrat schon in erstgenanntem Beschluss Themen und Aufgabenschwerpunkte benannt denen bei der Erarbeitung der Neufassung des Gemeinschaftsverfahrens Priorität zukommen sollte. Hervorgehoben wurden insoweit u. a. das Erfordernis der Entwicklung modularer Ansätze (Baukastenprinzip) auf der Basis der nationalen Katastrophenschutzmodule, die Weiterentwicklung der Schulungen und Übungen sowie der Austausch von Experten, die Verbesserung der analytischen Fähigkeit und Planungskapazität des Beobachtungs- und Informationszentrums der Kommission (MIC) und die Verbesserung der Koordinierungskapazität vor Ort und auf Zentralebene innerhalb der EU.
Gleichzeitig ist der Bundesrat allen Tendenzen und Bestrebungen innerhalb der EU entgegengetreten, den Katastrophenschutz nach und nach zu "vergemeinschaften".
In diesem Zusammenhang wurde insbesondere der (Teil-)Finanzierung des Kapazitätenaufbaus in den Mitgliedstaaten und der Schaffung gemeinschaftseigener Kapazitäten (wie Unterstützungs- oder Bereitschaftsmodule) eine eindeutige Absage erteilt.
Diesen Anforderungen des Bundesrates wird das Verhandlungsergebnis auf europäischer Ebene zur Neufassung des Gemeinschaftsverfahrens im Wesentlichen gerecht. So konnte dem deutschen Anliegen, dass die Vorhaltung und Einsatzentscheidung hinsichtlich autarker Module bei den Mitgliedstaaten verbleibt Rechnung getragen werden.
Für einsatzleitende operative Befugnisse der EU, EU-eigene Einheiten und einheitliche EU-Uniformen bietet die Neufassung keinen Raum, womit einer zentralen Forderung des Bundesrates aus den Beschlüssen vom 14. Mai und 24. September 2004 - BR-Drucksachen 280/04(B) und 280/04(B) (2) - sowie vom 8. Juli 2005 - BR-Drucksache 323/05(B) - und 7. April 2006 -BR-Drucksache 101/06(B) - entsprochen wurde.
Ebenso wenig findet die Forderung verschiedener Mitgliedstaaten nach einem gemeinschaftsfinanzierten Kapazitätenaufbau in der Neufassung eine Grundlage.
Bei dieser Sachlage war das Einvernehmen zu erteilen. Wie auch mit Beschluss vom 16. Februar 2007 - BR-Drucksache 026/07(B) - zu dem hiermit in sachlichem Zusammenhang stehenden Finanzierungsinstrument für den Katastrophenschutz zum Ausdruck gebracht, geschieht dies in der Erwartung, dass die bisherigen Bundesratsbeschlüsse maßgeblicher Bestandteil der deutschen Verhandlungslinie auch bei zukünftigen Erörterungen auf europäischer Ebene bleiben. Hierbei wird es insbesondere darauf ankommen, Zentralisierungs- und Vergemeinschaftungstendenzen anderer Mitgliedstaaten, die diese u. a. aus dem sogenannten Barnier-Bericht ableiten, entgegenzutreten.