Der Bundesrat hat in seiner 912. Sitzung am 5. Juli 2013 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates "Gute Bildung und gute Wissenschaft für Deutschland"
1. Bildungschancen in Deutschland
Bildung ist der Schlüssel zur gleichberechtigten Teilhabe jedes Menschen am gesellschaftlichen Leben in Deutschland, die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und die Sicherung des Wohlstandes und damit unerlässlich für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Demokratie.
In Deutschland führen Bildungsferne, fehlende soziale oder ökonomische Grundlagen und ein Migrationshintergrund bei zu vielen jungen Menschen auch heute noch zu strukturellen Benachteiligungen im Bildungssystem.
Ungleich verteilte Bildungschancen sind eine der drängendsten gesellschaftlichen Herausforderungen in Deutschland und Bildungserfolg hängt oftmals noch von sozialer Herkunft und dem Geldbeutel der Eltern ab.
Bildungspolitik muss deshalb Angebote zur optimalen Entwicklung jeder und jedes Einzelnen bereitstellen und für Chancengleichheit im lebenslangen Bildungsprozess sorgen.
Bildungschancen sind in der modernen Gesellschaft immer auch Zukunftschancen. Bildung ist unerlässlich für die Zukunft unserer Demokratie. Bund, Länder und Gemeinden müssen daher "Aufstieg durch Bildung" ermöglichen, damit für alle das Recht auf Bildung verwirklicht werden kann, gleich welche Neigungen, Talente oder individuellen Bedürfnisse bestehen und gleich welchen sozialen oder ökonomischen Familienhintergrund die jungen Menschen haben.
2. Finanzielle Verantwortung
Die Länder sind aufgrund der föderalen Ordnung verantwortlich für die Schaffung der grundlegenden materiellen und personellen Voraussetzungen in allen Bildungsbereichen und -institutionen. Sie tragen den weitaus größten Anteil an den öffentlichen Ausgaben für die Bildung.
Mit 80,3 Milliarden Euro tragen die Länder mit Abstand die Hauptlast der öffentlichen Bildungsausgaben, die im Jahr 2012 laut Bildungsfinanzbericht bei insgesamt 110,3 Milliarden Euro lagen. Der Länderanteil an den öffentlichen Bildungsausgaben liegt damit bei rund 73 Prozent, der Anteil der Kommunen bei rund 20 Prozent (2012: 22,6 Milliarden Euro) und der Bundesanteil bei 7 Prozent (2012: 7,3 Milliarden Euro).
Der Bundesrat weist darauf hin, dass eine weitere Steigerung der Bildungs- und Wissenschaftsausgaben in den Ländern mit den vorhandenen Ressourcen und unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Schuldenregeln in den nächsten Jahren erheblichen Schwierigkeiten begegnen kann.
Um die Qualität von Bildung, Wissenschaft und Forschung weiter zu steigern, die öffentlichen Bildungsinfrastrukturen und -einrichtungen zu stärken und mit den erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen auszustatten, Chancengleichheit zu verwirklichen und das Vertrauen der Menschen in die öffentlichen Bildungsinstitutionen und den Bildungsföderalismus zurückzugewinnen, müssen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam handeln.
Der Bundesrat ist vor diesem Hintergrund der Auffassung, dass der Bund die Länder zur Erreichung der gemeinsamen bildungs- und wissenschaftspolitischen Ziele im Rahmen der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung zukünftig mit zusätzlichen Ressourcen unterstützen muss.
3. Kita-Ausbauprogramm
Der Bundesrat weist darauf hin, dass im Bereich der frühkindlichen Bildung und Erziehung weiterhin große Finanzierungsherausforderungen bestehen. Er verweist auf die Ergebnisse empirischer Studien, die wissenschaftlich belegen, dass Investitionen in diesem Bereich mit starken positiven Effekten auf den Bildungserfolg verbunden und deshalb unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten besonders vorteilhaft sind. Nur mit dem weiteren Ausbau des Angebotes an Kita-Plätzen und einer Verbesserung der Qualität der Bildungsangebote wird der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz umfassend eingelöst.
Besondere Anstrengungen wurden deshalb von den Ländern, in Zusammenarbeit mit dem Bund, den Kommunen und den Trägern von Kindertageseinrichtungen in den letzten Jahren beim Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren unternommen, um den ab 1. August 2013 bestehenden Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz zu erfüllen. Das Kita-Invest-Programm zeigt, dass ein deutlich höheres finanzielles Engagement des Bundes erfolgreich den gesellschaftlichen Fortschritt durch Bildung voranbringen kann. In den Folgejahren muss es darum gehen, das finanzielle Engagement des Bundes im Bereich der frühkindlichen Bildung zu verstetigen, um die geschaffenen Betreuungsplätze zu erhalten und weiter auszubauen. Dazu muss die Bundesbeteiligung an den Betriebskosten für Betreuungsplätze in den Kindertagesstätten ausgeweitet werden.
Die finanziellen Mittel, die für das Betreuungsgeld ausgegeben werden müssen, sollten vom Bund sinnvollerweise zur Finanzierung der frühkindlichen Bildung eingesetzt werden.
4. Ganztagsschulprogramm
Jede Schülerin und jeder Schüler ist einzigartig, deshalb sind die individuellen Stärken und Schwächen der Lernenden in jeder Lerngruppe unterschiedlich verteilt. In dieser Heterogenität liegen aber auch Reserven für das Erreichen maximaler Lernerfolge und die Ausprägung sozialer Kompetenz. Eine gute Schule ist ein Ort, an dem Lehrkräfte orientiert an den individuellen Stärken und Schwächen der Lernenden erfolgreich pädagogisch handeln können. Ziel dieser individuellen Förderung ist es, jede Schülerin und jeden Schüler auf ihrem individuellen Weg zu einem möglichst guten Schulabschluss zu führen.
Individuelle Förderung bedarf eines Lernortes, der flexibel und eigenverantwortlich mit den unterschiedlichen Ansprüchen, Begabungen und Neigungen, kurz mit Heterogenität umgehen kann, der den Schülerinnen und Schülern Zeit und Raum zum Lernen und zur Kompetenzentwicklung bietet. Bundesweit vergleichbare Bildungsstandards, in Verbindung mit kompetenzorientierten Lehrplänen sowie mehr Budgetverantwortung und stärkere Mitsprache bei der Personalauswahl ermöglichen Schulen solche Handlungsspielräume, um noch bessere Bildungserfolge zu erreichen.
Eine Ganztagsschule ist ein solcher Lernort und bietet die Möglichkeit, jede und jeden individuell stärker zu fördern und sorgt dadurch für Chancengleichheit. Alle Kinder und Jugendlichen, die dies wollen, müssen deshalb perspektivisch die Möglichkeit haben, eine Ganztagsschule zu besuchen - egal wo und in welcher Schulform.
Der Bundesrat unterstützt daher Überlegungen für ein von Bund und Ländern gemeinsam finanziertes Ganztagsschulprogramm in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages. Ziel eines solchen Programms sollte ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen in Deutschland sein.
Aus dem Ganztagsschulprogramm sollen die Kosten für die notwendigen Baumaßnahmen für Funktionsräume (Küchen, Mensen, Sport- und Fachräume, Aufenthaltsräume usw.) und Einrichtungen getragen werden.
Ein starker Akzent in dem Ganztagsschulprogramm soll auf die Betreuungs- und Bildungsqualität gesetzt werden. Denn nur qualitativ hochwertige Ganztagsangebote schaffen Raum und Zeit für eine bessere individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler. Dabei ist auch den Anforderungen der Inklusion Rechnung zu tragen. Ein Teil dieses Ganztagsschulprogramms sollte deshalb zur nachhaltigen Finanzierung von Personal genutzt werden, das zusätzlich zu Lehrerinnen und Lehrern an den Ganztagsschulen zur Erfüllung des pädagogischen Auftrags notwendig ist, z.B. Schulpsychologen, Schulsozialarbeiter, Freizeitpädagogen, Personen ortsansässiger Vereine und der Jugendhilfe. Dazu wird den Schulen aus dem Ganztagsschulprogramm ein Budget zur Verfügung gestellt, über das sie eigenständig verfügen können. Die Einzelheiten sind zwischen Bund und Ländern vertraglich zu regeln.
Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang auch auf seinen "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Weiterfinanzierung von Schulsozialarbeit und Mittagessen in Horteinrichtungen" vom 3. Mai 2013 (BR-Drucksache 319/13(B) ) hin, der beim Deutschen Bundestag eingebracht wurde. Durch diese Gesetzesinitiative soll die Finanzierung der Schulsozialarbeit durch den Bund im Rahmen der Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung der kommunalen Grundsicherungsträger in Höhe von 400 Millionen Euro jährlich, die zum 3 1. Dezember 2013 ausläuft, entfristet werden.
5. Inklusion
Im Dezember 2006 verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die seit dem 26. März 2009 auch in Deutschland verbindliche Rechtsgrundlage ist. Das Recht auf Bildung für Menschen mit Behinderungen wird in Artikel 24 der Konvention geregelt. Demnach hat sich Deutschland verpflichtet, "dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen". Die Möglichkeit jede und jeden individuell zu fördern und Inklusion als grundlegendes Prinzip sind auch eine Basis für mehr Chancengleichheit in der Schule.
Der Bundesrat betont, dass die UN-Behindertenrechtskonvention eine große Chance darstellt. Sie kann für alle Akteure Impulsgeber für eine gemeinsame Umgestaltung des deutschen Bildungssystems sein. Dabei ist Inklusion nicht auf bestimmte Schülergruppen oder Schularten beschränkt, sondern alle Kinder können profitieren. In einer inklusiven Schule wird jedes Kind so aufgenommen, wie es ist und individuell mit seinen Stärken und Schwächen gefördert und erhält dabei die Unterstützung, die es benötigt. Der gemeinsame Schulbesuch fördert die Emanzipation von Menschen mit Behinderung, indem sie Teilhabe und Selbstbestimmung erfahren. Am Ende profitieren alle Kinder von mehr individueller Förderung und sozialer Vielfalt.
Inklusion ist für alle Akteure eine große Herausforderung und stellt große Anforderungen an die personellen und materiellen Rahmenbedingungen. Ganztagsschulen bieten dafür die besten Voraussetzungen.
Der Bundesrat weist darauf hin, dass mit dem Bekenntnis der Bundesrepublik Deutschland zur UN-Menschenrechtskonvention und der damit verbundenen Verpflichtung zum Aufbau eines inklusiven Bildungssystems Bund und Länder und Kommunen allerdings vor großen, auch finanziellen Herausforderungen stehen, die nur gemeinsam gemeistert werden können. Dazu ist eine höhere und nachhaltige finanzielle Beteiligung des Bundes unerlässlich.
6. Hochschulen, Wissenschaft und Forschung
Eine international wettbewerbsfähige Wissenschafts- und Forschungslandschaft ist für die Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland von entscheidender Bedeutung. Den Hochschulen kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu. Sie sind mit ihrer Einheit aus Forschung und Lehre das zentrale Fundament des Wissenschaftssystems. In Verbindung mit der Aufgabe des Wissens- und Technologietransfers tragen sie entscheidend zur Innovationsfähigkeit Deutschlands in einer zunehmend globalisierten Welt bei.
Deutschland hat im Jahr 2011 den historischen Höchstwert von 2,88 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung ausgegeben - die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung von Wirtschaft und öffentlicher Hand beliefen sich auf 74,6 Milliarden Euro. Dazu leisten die Länder, bei denen die Hauptverantwortung für die Hochschulen liegt, angesichts des Konsolidierungsbedarfs in Zeiten der Schuldenbremse unter schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen ihren stetig zunehmenden Beitrag. Auch der Bund und private Unternehmen haben ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung weiter erhöht. Das deutsche Wissenschaftssystem ist im internationalen Vergleich damit sehr gut aufgestellt - im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf den vorderen Plätzen, aber (noch) nicht an der Spitze.
Der Bundesrat betont daher: Die Dynamik darf nach dem absehbaren Erreichen des Drei- Prozent-Ziels nicht nachlassen. Eine weitere Steigerung dieser Ausgaben ist für eine Bildungs- und Forschungsnation wie Deutschland erstrebenswert. Es muss Ziel der deutschen Politik in enger Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Unternehmen sein, sich in der internationalen Spitzengruppe zu behaupten. Um Deutschland zum weltweiten Spitzenreiter bei den Investitionen in Forschung und Entwicklung zu machen, bedarf es einer zunehmend stärkeren finanziellen Beteiligung des Bundes.
Der Bundesrat betont daher die Bedeutung einer zunehmenden Kooperation von Bund und Ländern in der Wissenschaftspolitik.
In den letzten Jahren haben die drei großen Initiativen "Hochschulpakt 2020", "Exzellenzinitiative" und "Pakt für Forschung und Innovation" wesentlich zur Weiterentwicklung der Wissenschaftslandschaft in Deutschland beigetragen und stellen eine wichtige gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern dar. Dadurch sind u.a. strategisch angelegte Forschungskooperationen von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit hohem Entwicklungspotential entstanden. Der Bundesrat betont die Notwendigkeit, die genannten Initiativen und Programme weiterzuentwickeln, an zukünftige Entwicklungen anzupassen und zu verstetigen. Darüber hinaus sind die Kooperationen zwischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen auszubauen sowie die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu stärken.
Erfolge in Wissenschaft und Forschung basieren auf einer hervorragenden Studienqualität und einer exzellenten Lehre. Die wichtigste Voraussetzung für gute Lehre sind gute Betreuungsrelationen an den Hochschulen. Gute Lehre muss denselben Stellenwert bekommen wie gute Forschung. Deshalb liegt der Schlüssel für gute Lehre in einer verbesserten Grundfinanzierung der Hochschulen. Für eine wachsende Zahl von Studierenden müssen gute Studien- und Forschungsbedingungen bereitgestellt werden.
Von ebenso großer Bedeutung für die Qualität des Studiums ist die soziale Infrastruktur, die in hervorragender Qualität zumeist von den lokalen Studierendenwerken bereitgestellt wird. Wohnheimplätze, Mensen und Cafeterien sowie Beratungsangebote müssen mit der steigenden Zahl von Studienplätzen mithalten. Vor allem bei der Zahl der Wohnheimplätze ist in den nächsten Jahren ein hoher, wenn auch regional sehr unterschiedlicher Bedarf absehbar, dem das aktuelle Angebot nicht gerecht werden kann. Der Bundesrat unterstützt daher Überlegungen für ein Bund-Länder-Sonderprogramm Wohnheimbau. Auch Studierende mit Kindern sollen durch Betreuungsangebote an den Hochschulen bei der Vereinbarkeit von Studium und Familie unterstützt werden.
Das deutsche Bildungs- und Wissenschaftssystem als Ganzes steht aktuell und zukünftig vor großen Herausforderungen. Hierzu zählen insbesondere:
- - die Weiterentwicklung der frühkindlichen Bildung, - die Bekämpfung des funktionalen Analphabetismus und die weitere drastische Reduzierung der Zahl der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher,
- - der weitere quantitative und qualitative Aufbau von Ganztagsschulen,
- - die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bildungsbereich, - die Stärkung der Integrationspolitik durch Bildung, - die soziale Öffnung der Hochschulen,
- - die Sicherung kommunaler Bildungsinfrastrukturen,
- - die Schaffung zusätzlicher Studienplätze sowie
- - die Stärkung der Grundfinanzierung der Hochschulen und der entsprechenden wissenschaftlichen Infrastrukturen.
Der Bundesrat hält es mit Blick auf die genannten Herausforderungen, angesichts der bisher beschriebenen Handlungsnotwendigkeiten und in Anerkennung der Erfahrungen der Auswirkungen der Föderalismusreform II für angemessen, in der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages mit dem Bund zügig Gespräche über eine Erhöhung der Umsatzsteuerbeteiligung der Länder sowie eine Änderung des Grundgesetzes zu führen. Ziel sind nachhaltige und dauerhafte Verbesserungen im Wissenschafts- und Bildungsbereich. Dazu gehört auch die Erhöhung der Bundesbeteiligung an einer angemessenen Finanzausstattung aller Bildungsbereiche.
Dabei kann der Blick nicht auf die Herausforderungen im Wissenschaftssystem begrenzt bleiben. Denn gute Wissenschaft braucht gute Bildung.