Der Bundesrat hat in seiner 827. Sitzung am 3. November 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission ergriffene Initiative zur Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens für Ehesachen in der EU und insbesondere die Harmonisierung der Kollisionsnormen für die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebands. Sie schafft für die Parteien größere Rechtssicherheit und erleichtert die Trennung und Scheidung "internationaler Paare" erheblich.
- 2. Der Verordnungsvorschlag begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der gemeinschaftlichen Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Allerdings bestehen Bedenken hinsichtlich der konkreten Vorgehensweise: Der gegenwärtig auf europäischer Ebene beschrittene Weg zur Erarbeitung kollisionsrechtlicher Lösungen im Bereich des Familienrechts birgt Gefahren für die Kohärenz des Gemeinschaftsrechts. Neben der in Rede stehenden Kommissionsinitiative zu Ehesachen werden zurzeit auch Vorbereitungen für den Bereich des Unterhalts- und Güterrechts getroffen. Im Interesse einer umfassenden, in sich stimmigen Regelung sollten diese Bemühungen zusammengefasst werden, um eine einheitliche Lösung der kollisionsrechtlichen Fragen zu erreichen.
- 3. Entsprechend seiner Stellungnahme vom 23. September 2005 zum Grünbuch über das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen (BR-Drucksache 214/05(B) zu Frage 11) hält der Bundesrat es auch weiterhin für wichtig, so weit wie möglich einen Gleichlauf im Hinblick auf die Anknüpfungspunkte für die gerichtliche Zuständigkeit und das anwendbare Recht herzustellen. Ein derartiger Gleichlauf führt zu einer höheren Qualität der Rechtsprechung, da hierdurch gesichert wird, dass die Gerichte in der Regel zur Anwendung der "lex fori" gelangen und damit das ihnen bekannte inländische materielle Recht anwenden können. Dies führt auch zu einer erheblichen Arbeitserleichterung und Verfahrensvereinfachung für die Gerichte der Mitgliedstaaten sowie zu einer deutlichen Verfahrensbeschleunigung, da die Gerichte nicht gezwungen sind, ihnen unbekanntes ausländisches Recht anzuwenden.
Die Einholung von Rechtsgutachten über das anzuwendende ausländische Recht, die nicht nur mit erheblichem Zeitaufwand, sondern auch mit erheblichen Kosten verbunden ist, unterbleibt. Zudem würde ein "Wettlauf vor Gericht" verhindert.
Ein derartiger Gleichlauf wird nach Auffassung des Bundesrates durch den Verordnungsvorschlag nicht konsequent hergestellt. Der Verordnungsvorschlag lässt die bisherigen wahlweise nebeneinander bestehenden Zuständigkeitsgründe nach Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 unberührt, während er in dem neu einzufügenden Artikel 20b für die Kollisionsregeln eine Stufenregelung vorsieht. Dies kann dazu führen, dass die gerichtliche Zuständigkeit und das anwendbare Recht auseinanderfallen.
Ein Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht kann dadurch erreicht werden, dass dieselben Anknüpfungspunkte und dieselbe Rangfolge für die Zuständigkeit wie für die Kollisionsregeln gewählt werden. Daher spricht der Bundesrat sich dafür aus, über die jetzt vorgelegte Initiative hinauszugehen und die Zuständigkeitsgründe des Artikels 3 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 nicht wahlweise, sondern in Form einer "Stufenleiter" und abgestimmt auf den durch den vorliegenden Verordnungsvorschlag eingefügten Artikel 20b auszugestalten.
Zu den einzelnen Vorschriften
4. Zu Artikel 1 Abs. 2 (Artikel 3a Abs. 1 - neu - der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003)
Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die durch Artikel 1 Abs. 2 des vorliegenden Verordnungsvorschlags in die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 eingefügte Regelung des Artikels 3a und die darin vorgesehene Möglichkeit der Gerichtsstandsvereinbarung.
Dies stärkt die Rechtssicherheit und bietet den Parteien die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen ihrem eigenen Parteiwillen mehr Geltung und Gewicht zu verschaffen.
Im Interesse der Rechtsklarheit hält der Bundesrat es für sinnvoll, dass Artikel 3a Abs. 1 in Anlehnung an Artikel 23 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 044/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (ABl. Nr. L 12 vom 16. Januar 2001, S. 1) um eine Bestimmung ergänzt wird, wonach das von den Parteien bestimmte Gericht oder die Gerichte des bestimmten Mitgliedstaates ausschließlich zuständig sind, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben.
Positiv zu bewerten ist, dass die Wahlmöglichkeit nicht uneingeschränkt besteht, sondern auf die Mitgliedstaaten beschränkt wird, zu denen die Parteien einen engen Bezug haben. Allerdings bestehen seitens des Bundesrates Zweifel daran dass bei den in Artikel 3a Buchstabe b und c genannten Anknüpfungspunkten ein solch enger Bezug tatsächlich vorliegt.
Bezüglich der in Artikel 3a Abs. 1 Buchstabe b vorgesehenen Möglichkeit, die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates zu wählen, welcher der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthaltsort der Ehegatten während mindestens drei Jahren war, gibt der Bundesrat zu bedenken, dass in bestimmten Konstellationen ein ausreichender Gegenwartsbezug zur Ehe fehlen kann. Die gewählte Formulierung eröffnet die Möglichkeit, dass einer vor vielen Jahren in einem Mitgliedstaat gelebten Ehe mit einem Mal zuständigkeitseröffnende Bedeutung zukommt, obgleich keiner der Ehegatten dort noch bzw. wieder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Auch hinsichtlich des in Artikel 3a Abs. 1 Buchstabe c vorgesehenen Anknüpfungspunkts ist die Intensität des Bezugs fraglich, wird doch die bloße Staatsangehörigkeit als zuständigkeitsbegründendes Moment bislang entweder nur in Kombination mit dem gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe a, 6. Tiret der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003) oder als gemeinsame Staatsangehörigkeit beider Eheleute (vgl. Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003) anerkannt.
Der Bundesrat ist außerdem der Auffassung, dass die sehr weitgehenden Wahlmöglichkeiten des Artikels 3a Abs. 1 der Verwirklichung eines Gleichlaufs zwischen Kollisionsnormen und Zuständigkeitsregelungen abträglich sind. So haben die Parteien nach dem Verordnungsvorschlag die Möglichkeit, hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit und hinsichtlich des anwendbaren Rechts eine unterschiedliche Wahl zu treffen. Ein Auseinanderfallen von gerichtlicher Zuständigkeit und anwendbarem Recht ist zudem dann möglich, wenn die Parteien nur eine der Wahlmöglichkeiten - Gerichtsstand oder anwendbares Recht - wahrnehmen.
Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass auch im Bereich der Gerichtsstands- und Rechtswahlvereinbarung möglichst weitgehend auf einen Gleichlauf zwischen Kollisionsnormen und Zuständigkeitsregeln geachtet werden sollte.
5. Zu Artikel 1 Abs. 2 (Artikel 3a Abs. 2 - neu - der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003)
Die durch Artikel 1 Abs. 2 des vorliegenden Verordnungsvorschlags in Artikel 3a Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 niedergelegten Formvorschriften stoßen auf schwerwiegende Bedenken seitens des Bundesrates. Diese Norm trägt weder der erheblichen Bedeutung der Vereinbarung Rechnung, noch gewährleistet sie einen ausreichenden Schutz der Eheleute vor übereilten Handlungen sowie eine neutrale und sachkundige Beratung. Auch ein Ausnutzen der in der Praxis vielfach festzustellenden Überlegenheit eines Ehegatten wird dadurch nicht ausreichend verhindert. Zum Schutz des schwächeren Vertragspartners und im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit sollte daher gefordert werden, dass eine solche Vereinbarung zu ihrer Wirksamkeit der notariellen Beurkundung bedarf bzw. vor einem Gericht oder einer vom Mitgliedstaat bestimmten besonders befugten Stelle getroffen werden muss. Alternativ könnte auch Bezug genommen werden auf die Formerfordernisse, die nach dem gewählten Recht oder am Ort der Rechtswahl für Eheverträge vorgeschrieben sind. Entsprechendes gilt für die in Artikel 20a Abs. 2 niedergelegten Formvorschriften für die Rechtswahl.
6. Zu Artikel 1 Abs. 7 (Artikel 20a Abs. 1 - neu - der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003)
Im Interesse der Flexibilität und der Stärkung der Privatautonomie befürwortet der Bundesrat die durch Artikel 1 Abs. 7 des Verordnungsvorschlags in Artikel 20a der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 nunmehr vorgesehene Möglichkeit einer Rechtswahl. Weiterhin begrüßt er, dass die Rechtswahl nicht auf das Recht von Mitgliedstaaten begrenzt wird, da die Anwendung eines anderen ausländischen Rechts durchaus sachgerecht sein kann.
An dieser Stelle möchte der Bundesrat erneut unterstreichen, wie wichtig auch im Bereich der Gerichtsstands- und Rechtswahlvereinbarung ein möglichst weitgehender Gleichlauf zwischen Kollisionsnormen und Zuständigkeitsregeln ist. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der in Artikel 20a Abs. 1 Buchstabe c vorgesehenen Wahlmöglichkeit, welche bereits vom Wortlaut her nicht mit der Regelung des Artikels 3a Abs. 1 Buchstabe b harmoniert. Eine Konstellation, wonach die Wahl des Rechts eines Staates zugelassen wird, in dem keiner der Ehegatten (mehr) wohnt, dessen Staatsangehörigkeit die Ehegatten nicht besitzen und in dem das Scheidungsverfahren nicht durchgeführt wird, sollte vermieden werden. Allein der Umstand, dass die Ehegatten zu einem früheren Zeitpunkt in diesem Staat gewohnt haben, rechtfertigt es nicht, dem zuständigen Gericht abzuverlangen, fremdes Recht anwenden zu müssen.
Hinsichtlich der Formulierung des Artikels 20a Abs. 1 Buchstabe d sieht der Bundesrat noch Präzisierungsbedarf: Dem Wortlaut des Artikels 20a Abs. 1 zufolge kann eine Rechtswahlvereinbarung zu jedem Zeitpunkt getroffen und muss nicht zwingend im Zusammenhang mit der Einleitung eines Scheidungsverfahrens geschlossen werden. Vereinbaren die Beteiligten jedoch z.B.ginn ihrer Ehe für die Scheidung "das Recht des Mitgliedstaates, in dem der Antrag gestellt wird", so ist nicht voraussehbar, welcher Staat dies sein wird. Die Rechtswahlvereinbarung nach Buchstabe d sollte insoweit zeitlich eingeschränkt werden.
7. Zu Artikel 1 Abs. 7 (Artikel 20b - neu - der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003)
Der Bundesrat begrüßt, dass der Verordnungsvorschlag in der durch Artikel 1 Abs. 7 in die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 eingefügten Vorschrift des Artikels 20b hinsichtlich des anwendbaren Rechts eine hierarchische Anknüpfungsleiter wählt. Wie bereits in der Stellungnahme zum Grünbuch (a. a. O.) deutlich gemacht favorisiert der Bundesrat allerdings eine vorrangige Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten. Er hält dieses Kriterium für am besten geeignet, Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit im Bereich des Kollisionsrechts herzustellen. Zur sicheren Anwendung in der Praxis sind klare und einfach feststellbare Anknüpfungspunkte dringend notwendig. Der Wohnsitz und der gewöhnliche Aufenthalt sind als Anknüpfung weniger stabil als die Staatsangehörigkeit. Angesichts der gesteigerten internationalen Mobilität ist es außerdem oft schwierig festzustellen, wo der gewöhnliche Aufenthalt einer Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ist oder war.
Die aktuell im Verordnungsvorschlag vorgesehene vorrangige Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt ist aus Sicht des Bundesrates zwar ein gangbarer Weg, stellt aber aus den oben angeführten Gründen die deutlich weniger geeignete Anknüpfungsvariante dar, die nur gewählt werden sollte, wenn gegen die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit gewichtige Gründe sprechen.
Der Bundesrat gibt weiterhin zu bedenken, dass nach dem Wortlaut des Artikels 20b das Scheidungsstatut jederzeit, auch nach Einleitung des Scheidungsverfahrens, wandelbar ist, was dem Grundsatz der Rechtssicherheit widerspricht.
Ab Einleitung des Scheidungsverfahrens sollte das anwendbare Recht unwandelbar sein. Bezüglich des Zeitpunkts, wann ein Gericht als angerufen gilt könnte auf Artikel 16 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 verwiesen werden.
8. Zu Artikel 1 Abs. 7 (Artikel 20e - neu - der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003)
Die durch Artikel 1 Abs. 7 des Verordnungsvorschlags vorgesehene Normierung eines Ordrepublic-Vorbehalts in Artikel 20e der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 wird vom Bundesrat befürwortet. Es entspricht einem zentralen Grundprinzip des internationalen Privatrechts, dass die inländischen Gerichte durch die kollisionsrechtlichen Verweisungen auf ausländisches Recht nicht zu Entscheidungen veranlasst werden dürfen, die im Ergebnis grundlegenden deutschen Rechtsanschauungen widersprechen. Der Bundesrat erwartet, dass ein entsprechender ordrepublic-Vorbehalt bei der Anwendung der Rechtsordnung eines Mitgliedstaats der EU in der Regel kaum eine Rolle spielen wird, weil die gesellschaftlichen und rechtlichen Wertvorstellungen in einem hohen Maße übereinstimmen werden. Um jedoch im Einzelfall Friktionen zu verhindern und die nationalen Rechts- und Verfassungstraditionen zu wahren, kann es im Einzelfall für ein nationales Gericht dennoch erforderlich sein, unter Berufung auf die ordrepublic-Regelung die Anwendung des ausländischen Rechts abzulehnen.