888. Sitzung des Bundesrates am 14. Oktober 2011
A
Der federführende Rechtsausschuss (R) und der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz (AV) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 2 (§ 312g Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 1 BGB)
Artikel 1 Nummer 2 § 312g ist wie folgt zu ändern:
- a) In Absatz 2 Satz 1 sind die Wörter "im elektronischen Geschäftsverkehr zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher" zu streichen sowie die Wörter "dem Verbraucher" durch die Wörter "dem Kunden" und die Wörter "der Verbraucher" durch die Wörter "der Kunde" zu ersetzen.
- b) In Absatz 3 Satz 1 ist das Wort "Verbraucher" durch das Wort "Kunde" zu ersetzen.
Begründung:
Der Anwendungsbereich der neuen Absätze 2 bis 4 sollte, wie auch derjenige des Absatzes 1, nicht auf Verbraucher beschränkt werden. Unternehmer sind als potenzielle Opfer unseriöser Geschäftsmodelle wie Kosten- und Abofallen, bei denen die Kostenpflichtigkeit bewusst verschleiert wird, ebenfalls schutzbedürftig und schutzwürdig.
Hauptbetroffene der Kostenfallen im Internet sind zwar Verbraucher. Dennoch erscheint die vorgeschlagene Beschränkung auf Verträge mit Verbrauchern schon aus systematischen Gründen bedenklich. In § 312g Absatz 1 BGB werden allgemein Pflichten eines Unternehmers gegenüber seinen Kunden im elektronischen Geschäftsverkehr geregelt. Auch die Informationspflichten nach Artikel 246 § 3 EGBGB gelten für sämtliche Verträge im elektronischen Rechtsverkehr. Dieser Anwendungsbereich müsste konsequenterweise auch der im Zusammenhang mit diesen Normen stehenden Neuregelung zugrunde gelegt werden.
Auch nach dem Schutzzweck der Regelung ist kein Grund ersichtlich, Personen, die nicht Verbraucher sind, von der Button-Lösung auszunehmen. Sie sind ebenso wie Verbraucher von einer unklaren und irreführenden Gestaltung von Internetseiten, die die Kostenpflichtigkeit eines Angebots verschleiern, betroffen. Zudem steht ihnen anders als Verbrauchern kein Widerrufsrecht nach § 312d BGB zu.
Eine umfassende Einführung der sogenannten Button-Lösung dürfte auch kaum zu Mehraufwand für die Adressaten der Norm führen, weil Unternehmer ihr Angebot zumeist an Verbraucher und Unternehmer gleichermaßen richten und damit den Bestellvorgang ohnehin einheitlich gestalten.
2. Zu Artikel 1 Nummer 2 (§ 312g Absatz 2 Satz 1 BGB)
In Artikel 1 Nummer 2 § 312g Absatz 2 Satz 1 sind vor dem Wort "unmittelbar" die Wörter "zeitlich und räumlich" einzufügen.
Begründung:
Wie die Begründung des Gesetzentwurfs zutreffend ausführt, müssen die Informationen auch im räumlichen Zusammenhang mit der Abgabe der Bestellung stehen. Die Aufmerksamkeit des Kunden, der im Begriff ist, die Schaltfläche - wie sie im Regelfall vorgesehen ist - zu betätigen, soll sich auch auf diese Informationen richten, ohne dass trennende Gestaltungselemente davon ablenken oder den Eindruck erwecken, zwischen den Vertragsinformationen und der Bestellschaltfläche bestünde kein innerer Zusammenhang.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Wort "bevor" jedoch überwiegend mit einem allein zeitlichen Sinngehalt verknüpft, weshalb die räumliche Komponente aus Klarstellungszwecken unmittelbar in den Gesetzeswortlaut aufgenommen werden sollte.
3. Zu Artikel 1 Nummer 2 (§ 312g Absatz 4 BGB)
Artikel 1 Nummer 2 § 312g Absatz 4 ist wie folgt zu fassen:
(4) Ein Vertrag nach Absatz 2 Satz 1 kommt nur zustande, wenn der Unternehmer seine Pflicht aus Absatz 3 erfüllt."
Begründung:
Es handelt sich um eine redaktionelle Änderung, die sich am gängigen Formulierungsstil des BGB orientiert, die Beweislastverteilung klarer fasst und die Verständlichkeit erhöht.
4. Zu Artikel 1a - neu - (§ 14 Nummer 3 Halbsatz 2, § 15a - neu - RDG)
(bei Ablehnung entfällt Ziffer 5)
Nach Artikel 1 ist folgender Artikel 1a einzufügen:
Das Rechtsdienstleistungsgesetz vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2840), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu § 15 folgende Angabe eingefügt:
"Teil 3a
Inkassodienstleistungen bei Fernabsatzverträgen und Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr
§ 15a Unterrichtung des Verbrauchers bei der Einziehung von Forderungen aus Fernabsatzverträgen und Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr"
2. In § 14 Nummer 3 Halbsatz 2 werden nach dem Wort "gegen" die Wörter "Unterrichtungspflichten nach § 15a oder" eingefügt.
3. Nach § 15 wird folgender Teil 3a eingefügt:
"Teil 3a
Inkassodienstleistungen bei Fernabsatzverträgen und Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr
§ 15a Unterrichtung des Verbrauchers bei der Einziehung von Forderungen aus Fernabsatzverträgen und Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr
Wer bei der Erbringung von Inkassodienstleistungen eine Forderung aus einem Fernabsatzvertrag ( § 312b des Bürgerlichen Gesetzbuches) oder einem Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr (§ 312g des Bürgerlichen Gesetzbuches) gegenüber einem Verbraucher geltend macht, hat den Verbraucher, der dem Bestand der Forderung widersprochen hat, bei einer folgenden Zahlungsaufforderung nach Maßgabe des Satzes 2 zu unterrichten. Die Unterrichtung des Verbrauchers muss folgende Angaben enthalten:
- 1. die Identität und ladungsfähige Anschrift des Unternehmers, mit dem der behauptete Vertrag geschlossen wurde,
- 2. eine Erklärung, ob der Verbraucher seine Willenserklärung zum Vertragsschluss am Telefon (fernmündlich), im elektronischen Geschäftsverkehr (online), in Textform (E-Mail, Telefax), schriftlich oder in einer sonstigen, näher zu bezeichnenden Form abgegeben hat,
- 3. im Fall der im elektronischen Geschäftsverkehr (online) abgegebenen Willenserklärung eine Erklärung, ob, wann und in welcher Form der Unternehmer die Vorgaben des § 312g Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches erfüllt hat,
- 4. eine Erklärung, ob der Verbraucher die Willenserklärung zum Vertragsschluss widerrufen hat.
Die vorstehenden Angaben sind dem Verbraucher gemeinsam mit der Zahlungsaufforderung in der für die Zahlungsaufforderung gewählten Form mitzuteilen." '
Begründung:
Um unseriöse, zum Schaden einer großen Zahl von Verbrauchern betriebene Geschäftsmodelle wirksam eindämmen zu können, bedarf es neben einer Verbesserung materieller Kundenschutzrechte und eines konsequenten Vorgehens auf Grundlage der Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb auch einer Stärkung der Anforderungen für Inkassodienstleistungen im Zusammenhang mit Forderungen aus Fernabsatzverträgen und Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr. Die in § 15a RDG-E vorgesehenen Informationspflichten sollen sicherstellen, dass der Schuldner die notwendigen Angaben zu wesentlichen Umständen des Vertragsschlusses erhält, aus denen er Schlüsse zur Berechtigung der geltend gemachten Forderung ziehen kann. Zugleich werden die Unternehmen durch diese Pflichten dazu angehalten, die formalen Anforderungen an einen wirksamen Vertragsschluss im Fernabsatz und im elektronischen Geschäftsverkehr, insbesondere die Erfüllung der Vorgaben für die Bestellsituation nach § 312g Absatz 3 BGB-E, vor einer Inkassobeauftragung zu prüfen. Kommen sie diesen Verpflichtungen in beharrlicher Weise nicht nach, eröffnet die vorgesehene Ergänzung des § 14 Nummer 3 Halbsatz 2 RDG-E als äußerste Sanktionsmöglichkeit den Widerruf der Registrierung.
Die mit Artikel 1a einzuführenden Informationspflichten sollen nur gelten, wenn der Verbraucher der Zahlungsaufforderung widersprochen hat. Sie sind den betroffenen Unternehmen auch zuzumuten, da sie lediglich bestehende Verhaltensanforderungen konkretisieren, nachdem sorgfältig und redlich handelnde Inkassodienstleister die vom Schuldner erhobenen Einwendungen ohnehin zu prüfen und in der folgenden Zahlungsaufforderung auf diese einzugehen haben. Diese Anforderungen werden von seriösen Unternehmen schon heute befolgt. Eine materielle Erschwerung seriöser Berufsausübung ist daher mit den vorgeschlagenen Regelungen nicht verbunden. Auf der anderen Seite sind die erheblichen Schäden zu berücksichtigen, die Verbrauchern in Deutschland durch unseriöse Unternehmen und ihre Unterstützung durch unseriöse Inkassodienstleister entstehen und die ohne wirkungsvolle gesetzgeberische Maßnahmen nicht verhindert werden können. Durch die Beschränkung auf den Fernabsatz und den elektronischen Geschäftsverkehr als ein Marktsegment mit hohem Missbrauchspotenzial wird die Reichweite grundrechtsrelevanter Maßnahmen auf das unverzichtbare Mindestmaß beschränkt.
5. Zu Artikel 1b - neu - (§ 43d - neu - BRAO)
(setzt Annahme von Ziffer 4 voraus)
Nach Artikel 1 ist folgender Artikel 1b einzufügen:
'Artikel 1b
Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung
Die Bundesrechtsanwaltsordnung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 303-8 veröffentlichten bereinigten Fassung, die zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird nach der Angabe zu § 43c folgende Angabe eingefügt:
"Inkassodienstleistungen § 43d"
2. Nach § 43c wird folgender § 43d eingefügt:
" § 43d Inkassodienstleistungen
Wer als Rechtsanwalt eine fremde oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretene Forderung aus einem Fernabsatzvertrag ( § 312b des Bürgerlichen Gesetzbuches) oder einem Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr (§ 312g des Bürgerlichen Gesetzbuches) gegenüber einem Verbraucher außergerichtlich geltend macht, hat die sich aus § 15a des Rechtsdienstleistungsgesetzes ergebenden Pflichten in entsprechender Anwendung zu beachten." '
Begründung:
Durch eine Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung wird sichergestellt, dass die Informationspflichten, die für die nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz registrierungspflichtigen Inkassodienstleister eingeführt werden sollen, auch für Rechtsanwälte gelten, wenn diese Inkasso für Forderungen aus Fernabsatzverträgen oder Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr betreiben. § 43d BRAO-E verpflichtet Rechtsanwälte, die sich aus § 15a RDG-E ergebenden Anforderungen in entsprechender Anwendung zu beachten. Eine entsprechende Anwendung der Anforderungen des § 15a RDG-E auf Rechtsanwälte sichert den Gleichlauf der Informationspflichten, auch wenn das Inkasso durch Rechtsanwälte betrieben wird. Auch für die Rechtsanwälte stellen die neuen Informationspflichten lediglich eine Konkretisierung bestehender Verhaltensanforderungen dar.
6. Zum Gesetzentwurf insgesamt
- a) Der Bundesrat begrüßt das von der Bundesregierung verfolgte Ziel, Verbraucherinnen und Verbraucher effektiv vor Kostenfallen im Internet zu schützen. Die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagene und bisher unter dem Stichwort "Button-Lösung" diskutierte Regelung bietet nun das Potenzial, unseriösen Geschäftsmodellen im Internet dauerhaft die Geschäftsgrundlage zu entziehen.
- b) Der Bundesrat begrüßt in diesem Zusammenhang die Aufnahme der "Button-Lösung" in die künftige Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher. Nachdem unseriöse Internetangebote nicht an den Landesgrenzen haltmachen, kann nur mit einer europaweiten Regelung effektiv gegen Kostenfallen und "untergeschobene" Verträge vorgegangen werden. Angesichts der Dringlichkeit dieses Problems sieht der Bundesrat jedoch die Notwendigkeit zu einem raschen Handeln. Er unterstützt daher die Absicht der Bundesregierung, die "Button-Lösung" unabhängig vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der zukünftigen Richtlinie über Rechte der Verbraucher zeitnah auf nationaler Ebene einzuführen.
- c) Vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung erklärten Absicht, beim vorliegenden Gesetzentwurf bereits jetzt den absehbaren Regelungsgehalt der Richtlinie über Rechte der Verbraucher zu berücksichtigen und einen doppelten Anpassungsaufwand zu vermeiden, erscheint es dem Bundesrat jedoch zweckmäßig, sich auch beim Umfang der vorvertraglichen Informationspflichten konsequent an den Vorgaben der künftigen Richtlinie über Rechte der Verbraucher zu orientieren. Insoweit erscheint es dem Bundesrat nicht nachvollziehbar, dass im Gegensatz zu den zentralen Inhalten der "Button-Lösung" bei den damit verbundenen Informationspflichten eine von den EU-Vorgaben abweichende Regelung getroffen wird und spätere Anpassungen schon jetzt in Kauf genommen werden. Dies betrifft insbesondere die nach der Richtlinie über Rechte der Verbraucher festgelegte Verpflichtung des Unternehmers, den Verbraucher vor Abgabe seiner Bestellung im elektronischen Geschäftsverkehr über die Bedingungen der Kündigung unbefristeter oder automatisch verlängerter Verträge zu informieren (vgl. Artikel 8 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 Buchtstabe n der Richtlinie über Rechte der Verbraucher). Der Bundesrat spricht sich hiermit ausdrücklich für eine Angleichung der in § 312g Absatz 2 BGB-E erwähnten Informationspflichten an die Vorgaben des Artikels 8 Absatz 2 der Richtlinie über Rechte der Verbraucher aus.
- d) Sollte die im vorliegenden Gesetzentwurf gewählte Ausgestaltung der "Button-Lösung" nicht zu dem gewünschten effektiven Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher führen, wäre nach Ansicht des Bundesrates darüber hinaus an ein Wiederaufgreifen des in der Stellungnahme des Bundesrates vom 19. September 2008 zum Gesetzentwurf zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen - BR-Drucksache 553/08(B) , Ziffer 1 - beschriebenen gestuften Regelungsansatzes zu denken. Da Bestellungen im Internet ganz überwiegend die Aktivierung einer Schaltfläche am Ende des Bestellvorgangs erfordern, sorgt die im vorliegenden Gesetzentwurf gewählte Formulierung dafür, dass die Zustimmung des Verbrauchers zur Zahlungsverpflichtung in den meisten Fällen mit seiner Zustimmung zur Inanspruchnahme des Angebots zusammenfallen wird, das heißt mit nur einem "Klick" erklärt werden kann. Sowohl der Referentenentwurf der Bundesregierung als auch der zuvor erwähnte Vorschlag des Bundesrates sahen indessen ein gestuftes Verfahren vor, bei dem der Verbraucher vor Abgabe seiner Bestellungserklärung die Kenntnisnahme des Hinweises auf die Entgeltlichkeit und die Gesamtkosten gesondert zu bestätigen hatte (sogenannte Doppel-Klick-Regelung). Der Bundesrat ist sich der Tatsache bewusst, dass für ein Wiederaufgreifen dieser Regelung eine Anpassung der Vorgaben auf europäischer Ebene von der Bundesregierung angeregt und gefördert werden müsste.
B
- 7. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.