Antrag der Länder Niedersachsen, Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen
Entschließung des Bundesrates zur Zukunft der Europäischen Union
Der Niedersächsische Ministerpräsident Hannover, den 3. Juli 2007
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Harald Ringstorff
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Regierungschefs der Länder haben auf ihrer Sitzung am 14. Juni 2007 beschlossen die Positionen zur Fortsetzung des EU-Vertragsverfahrens dem Bundesrat zuzuleiten.
Ich bitte daher, den Antrag der Länder Niedersachsen, Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen
- Entschließung des Bundesrates zur Zukunft der Europäischen Union
auf die Tagesordnung der 835. Bundesratssitzung am 6. Juli 2007 zu setzen und eine sofortige Sachentscheidung herbeizuführen.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Wulff
Entschließung des Bundesrates zur Zukunft der Europäischen Union
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat unterstreicht, dass die Europäische Union nach innen wie nach außen vor neuen Herausforderungen steht. Er betont die Notwendigkeit, Antworten auf die Globalisierung mit ihren weit reichenden wirtschaftlichen und sozialen Chancen und Risiken, die veränderten sicherheitspolitischen Herausforderungen in den angrenzenden Regionen und weltweit sowie auf die Gefahren des Terrorismus zu finden.
Er weist darüber hinaus darauf hin, dass die europäische Einigung trotz der großen Erfolge der europäischen Integration von den Menschen zukünftig nur mitgetragen wird wenn sie demokratischer, bürgernäher und transparenter gestaltet wird.
- 2. Der Bundesrat hält zur Bewältigung dieser Herausforderungen die Fortsetzung des EU-Reformprozesses für eines der vorrangigen Anliegen der nächsten Monate. Er begrüßt dass es der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bei der Tagung des Europäischen Rates am 21./22. Juni 2007 gelungen ist, eine Einigung über die Einsetzung einer Regierungskonferenz zur Weiterentwicklung des europäischen Vertragswerks mit einem klaren Verhandlungsmandat und Zeitplan herbeizuführen, um die Europäische Union bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 auf eine erneuerte tragfähige Grundlage zu stellen.
- 3. Der Bundesrat würdigt den vorliegenden Vertrag über eine Verfassung für Europa (Drucksache 983/04 (PDF) ) als einen wichtigen Schritt hin zu mehr Bürgernähe, Demokratie, Transparenz, Effizienz und Subsidiarität in der EU. Er weist darauf hin, dass, nachdem alle Regierungen das Vertragswerk unterzeichnet haben, bereits 18 Mitgliedstaaten dem Vertrag zugestimmt haben und damit zwei Drittel der Mitgliedstaaten hinter dem Vertrag stehen. Er spricht sich deshalb für den Erhalt der politischen Substanz des Europäischen Verfassungsvertrages aus.
- 4. Der Bundesrat tritt mit Nachdruck dafür ein, insbesondere die folgenden, vor allem für die Regionen und Kommunen wesentlichen Fortschritte des Verfassungsvertrages in dem zu überarbeitenden Vertragswerk zu erhalten:
- - Stärkung der nationalen Parlamente durch das Subsidiaritäts-Frühwarnsystem und das Klagerecht der nationalen Parlamente zum Europäischen Gerichtshof bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip. Der Bundesrat begrüßt in diesem Zusammenhang, dass die Europäische Kommission seit September 2006 den nationalen Parlamenten alle neuen Vorschläge und Konsultationspapiere direkt übermittelt und ihnen die Möglichkeit zur umfassenden Stellungnahme gibt,
- - Stärkung des Ausschusses der Regionen durch ein Klagerecht zum EuGH bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip und bei Verletzung eigener Rechte,
- - Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten, die in deren jeweiliger politischer und verfassungsrechtlicher Struktur einschließlich der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt,
- - Verbesserung der Kompetenzordnung insbesondere durch die Klarstellung, dass Zielbestimmungen keine EU-Kompetenzen begründen, sowie die Beibehaltung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung, wobei auch künftig alle der EU nicht übertragenen Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten verbleiben,
- - Festlegung der drei Kompetenzkategorien "ausschließliche EU-Zuständigkeit" "geteilte Zuständigkeit" sowie "Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten". Von zentraler Bedeutung ist dabei das Harmonisierungsverbot bei Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen der EU,
- - Klarstellung, dass auch künftig Regierungsmitglieder der deutschen Länder im EU-Ministerrat mitwirken können, soweit dies nach innerstaatlichem Recht vorgesehen ist.
- 5. Der Bundesrat unterstützt darüber hinaus insbesondere die Umsetzung der folgenden zentralen Erfolge des Verfassungsvertrages, mit denen vor allem die Handlungsfähigkeit der EU sowie Demokratie und Bürgernähe gestärkt werden:
- - Verbesserung der Verfahren durch die Ausweitung der Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit im Rat als Regelfall,
- - Einführung des Prinzips der doppelten Mehrheit im Rat, wonach eine qualifizierte Mehrheit erreicht ist, wenn mindestens 55 % der Mitgliedstaaten zustimmen und diese Mitgliedstaaten mindestens 65 % der Bevölkerung der EU repräsentieren,
- - Schaffung des Amtes eines auf zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten des Europäischen Rates,
- - Schaffung eines europäischen Außenministers unabhängig von dessen Bezeichnung,
- - Öffentlichkeit der Tagungen des Rates bei Beratung oder Abstimmung über Gesetzgebungsakte,
- - Stärkung des Europäischen Parlaments durch Festlegung der Mitentscheidung als Regelfall, Ausweitung seiner Haushaltsbefugnisse und Wahl des Präsidenten der Kommission auf Vorschlag des Europäischen Rates, der dabei das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament berücksichtigt,
- - Begrenzung der Größe der Kommission auf eine Anzahl von zwei Dritteln der Zahl der Mitgliedstaaten,
- - Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP),
- - Einbeziehung der Grundrechtecharta und Sicherstellung von deren rechtlicher Verbindlichkeit.
- 6. Der Bundesrat verweist auf die nach schwierigen Verhandlungen gefundenen Kompromisse bei der Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten im Verfassungsvertrag. Er spricht sich insoweit gegen weitergehende Kompetenzübertragungen auf die EU aus.
- 7. Der Bundesrat begrüßt, dass das vom Europäischen Rat vereinbarte Mandat für die Regierungskonferenz zur Fortführung der EU-Vertragsreform den vorgenannten Anliegen weitgehend Rechnung trägt. Der Bundesrat unterstützt insbesondere nachdrücklich die beabsichtigte weitere Stärkung der nationalen Parlamente sowie die vorgeschlagenen Klarstellungen zur Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten. Zugleich bedauert er, dass das angestrebte Ziel einer besseren Sichtbarkeit der EU für die Bürgerinnen und Bürger etwa durch die Nennung der Symbole der EU und die Wiedergabe der Grundrechte-Charta im Vertrag aufgegeben wird. Doch waren diese Zugeständnisse ebenso wie die Verschiebung des Inkrafttretens des Prinzips der "doppelten Mehrheit" bei Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat notwendig, um eine Einigung zu ermöglichen, die insgesamt dem Ziel der Wahrung der Substanz des Verfassungsvertrages gerecht wird.
- 8. Der Bundesrat benennt für die Regierungskonferenz zur Fortführung der EU-Vertragsreform Vertreter der Länder Bayern und Rheinland-Pfalz.