A. Problem und Ziel
- Die missbräuchliche Inanspruchnahme des Zeugnisverweigerungsrechts für Verlobte hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu einem Hindernis für eine effektive Strafverfolgung und für die Wahrheitsfindung in gerichtlichen Verfahren entwickelt. Da ein Verlöbnis an keine Förmlichkeiten gebunden und auch nicht durch fest strukturierte und nach außen erkennbare Lebensverhältnisse feststellbar ist, kann das Bestehen eines Verlöbnisses von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten kaum überprüft werden. Infolgedessen wird ein Verlöbnis vielfach zu Unrecht behauptet, um missliebige Aussagen zu vermeiden. Folge ist, dass Täter zum Teil schwerwiegender Straftaten nicht belangt werden können, weil sich Hauptbelastungszeugen auf ein Verlöbnis mit dem Beschuldigten berufen. Dabei sind es oftmals die Opfer von schweren Straftaten, die zu Gunsten des Täters ein Verlöbnis behaupten, um weiteren Repressalien zu entgehen. Vor dem Hintergrund der Bedrohung der inneren Sicherheit durch organisierte Kriminalität und Terrorismus kann diese Situation nicht länger hingenommen werden.
B. Lösung
- Zur Lösung dieses Problems wird vorgeschlagen, das Zeugnisverweigerungsrecht für Verlobte abzuschaffen. Außerdem sollen Privilegien von Verlobten im Strafrecht, die in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem Zeugnisverweigerungsrecht stehen, gestrichen werden.
C. Alternativen
- Beibehaltung des unbefriedigenden geltenden Rechts.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
- Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand/Vollzugsaufwand
Keine
E. Sonstige Kosten
Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Zeugnisverweigerungsrechts für Verlobte und weiterer Privilegien von Verlobten im Strafrecht
Der Bundesrat hat in seiner 810. Sitzung am 29. April 2005 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.
Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Zeugnisverweigerungsrechts für Verlobte und weiterer Privilegien von Verlobten im Strafrecht
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
§ 52 Abs. 1 Nr. 1 der Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch ... geändert worden ist, wird aufgehoben.
Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:
- 1. In § 157 Abs. 1 werden die Wörter "einem Angehörigen" durch die Wörter "einer der in § 11 Abs. 1 Nr. 1 genannten Personen mit Ausnahme des Verlobten, auch im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes," ersetzt.
- 2. In § 258 Abs. 6 werden die Wörter "eines Angehörigen" durch die Wörter "einer der in § 11 Abs. 1 Nr. 1 genannten Personen mit Ausnahme des Verlobten, auch im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes," ersetzt.
§ 383 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 310-4, veröffentlichten bereinigten Fassung, die zuletzt durch ... geändert worden ist, wird aufgehoben.
In § 101 Abs. 1 Satz 1 und § 103 Satz 1 der Abgabenordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom l. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3866, 2003 I S. 61), die zuletzt durch ... geändert worden ist, werden jeweils die Wörter "Angehörigen (§ 15)" durch die Wörter "in § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 8 genannten Angehörigen" ersetzt.
Artikel 5
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am ... in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
Die missbräuchliche Inanspruchnahme des Zeugnisverweigerungsrechts für Verlobte hat sich zunehmend zu einem Hindernis für die Wahrheitsfindung in gerichtlichen Verfahren und insbesondere auch für eine effektive Strafverfolgung entwickelt. Dieser Entwicklung ist vor dem Hintergrund zunehmender Bedrohung der inneren Sicherheit durch schwerwiegende Straftaten und Terrorismus durch die Abschaffung des Zeugnisverweigerungsrechts für Verlobte entgegenzutreten.
Im Einzelnen:
Das Zeugnisverweigerungsrecht für Verlobte im Straf- und Zivilverfahren stammt aus einer Zeit, in der eine Verlobung als Vorstufe zur Ehe gesellschaftliche Notwendigkeit war. Die Privilegien von Verlobten im Prozessrecht und im Strafrecht rechtfertigten sich als Vorwirkung einer nahe bevorstehenden Eheschließung und der dadurch dokumentierten engen persönlichen Verbundenheit zwischen zwei Personen. Eine andere, gesellschaftlich anerkannte Form des Zusammenlebens zwischen zwei Menschen verschiedenen Geschlechts als die der bürgerlichen Ehe existierte nicht. Wie sich aus den Motiven zur Strafprozeßordnung des Deutschen Reichs von 1877 ergibt, ging der Gesetzgeber bei der Einführung des Zeugnisverweigerungsrechts für Verlobte vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund davon aus, dass eine missbräuchliche Berufung auf ein bestehendes Verlöbnis nur in seltenen Fällen vorkommen wird (zitiert bei Hahn, Materialien zur StPO, Bd. 2, S. 312). Unter dieser Prämisse wurde auch in Kauf genommen, dass sich der Verlöbnisbegriff einer rechtlichen Fixierung schon damals entzog. Seit einer Entscheidung des Reichsgerichts vom 28. Januar 1884 (RGSt 10, 117 <119/120>) wird das Verlöbnis unverändert definiert als ein gegenseitiges, ernstlich gemeintes Eheversprechen, das keiner Form bedarf und auch durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden kann. Die Lebensverhältnisse der Menschen und die Formen ihres Zusammenlebens haben sich seit dem 19. Jahrhundert jedoch grundlegend verändert. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, die als Konkubinat in der Rechtsprechung vereinzelt noch bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts als sittenwidrig verurteilt wurde, ist inzwischen eine gesellschaftlich anerkannte und weit verbreitete Form der Partnerschaftsgestaltung, die neben der Ehe besteht. Auch gleichgeschlechtliche
Lebensgemeinschaften sind in den letzten Jahren von der Gesellschaft akzeptiert und rechtlich durch das Institut der eingetragenen Lebenspartnerschaft anerkannt worden.
Das soziale, nach außen hervortretende und nachprüfbare Verhalten von zwei Menschen, die ernstlich gewillt sind, eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft miteinander einzugehen, ist von dem Verhalten zweier Menschen, die zusammenleben, ohne sich rechtlich binden zu wollen, auf Grund dieser Entwicklung nicht mehr zu unterscheiden. Anders als die übrigen zur Zeugnisverweigerung berechtigenden persönlichen Gründe kann ein Verlöbnis weder durch objektiv nachweisbare Umstände oder Urkunden noch durch fest strukturierte und nach außen erkennbare Lebensverhältnisse der Betroffenen nachgewiesen werden. Die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte, das Bestehen eines behaupteten Verlöbnisses zu überprüfen, sind daher äußerst begrenzt. Infolgedessen werden Verlöbnisse in Strafverfahren und anderen gerichtlichen Verfahren vielfach zu Unrecht behauptet, um eine missliebige Aussage zu vermeiden. In dem Kommentar zum Strafgesetzbuch von Tröndle/Fischer heißt es hierzu in plastischer Weise, dass "namentlich Strafverfahren nach §§ 180a ff. ... sich nicht selten als Wettlauf der Strafverfolgungsbehörden mit Scharen von Heiratswilligen (erweisen)" (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 11 Rnr. 8; vgl. auch Kühne, in: Luchterhand´scher Alternativkommentar zur StPO, Bd. l, 1988, § 52 Rnr. 5; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 6. Aufl., Rnr. 527 a.E.). Dabei sind es oftmals sogar die Opfer von schweren Gewalttaten, die sich zu Gunsten des Täters auf ein Zeugnisverweigerungsrecht als Verlobte berufen, um Repressalien zu entgehen.
Konsequenz dieser Entwicklung muss die Aufhebung des Zeugnisverweigerungsrechts für Verlobte sowie der damit im sachlichen Zusammenhang stehenden weiteren Privilegien von Verlobten im Strafrecht sein. Jedes Zeugnisverweigerungsrecht steht in einem Spannungsverhältnis zu dem Gebot umfassender Sachaufklärung und Wahrheitsfindung in gerichtlichen Verfahren sowie einer effektiven Strafverfolgung durch den Staat und muss an eindeutige und objektiv nachprüfbare Kriterien anknüpfen. Es ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Gründe für das Zeugnisverweigerungsrecht den Erfordernissen einer funktionierenden Rechtspflege vorgehen. Dies ist bei dem Zeugnisverweigerungsrecht auf Grund eines Verlöbnisses nicht mehr der Fall. Wie dargestellt, hat die Veränderung der Lebenswirklichkeit dazu geführt, dass der Grund für die Privilegierung von Verlobten entfallen ist und das Verlöbnis im Verfahrensrecht in erheblichem Umfang missbraucht wird, um Aussagen zu vermeiden. Täter, die schwere Straftaten begangen haben, können nicht belangt werden, weil der Hauptbelastungszeuge oder die Hauptbelastungszeugin ein Verlöbnis mit dem Beschuldigten behauptet, das nicht widerlegt werden kann. Dabei handelt es sich oftmals um schwerwiegende Straftaten wie die nach den §§ 180a ff. StGB, bei denen die Strafverfolgungsbehörden auf Zeugen aus dem Näheverhältnis des Täters angewiesen sind, bei denen wiederum die unwahre Behauptung eines Verlöbnisses besonders nahe liegt. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohung der inneren Sicherheit durch organisierte Kriminalität und Straftaten mit terroristischem Hintergrund, bei denen ebenfalls Zeugen, die wie Verlobte aus dem näheren Umkreis des Täters stammen, von erheblicher Bedeutung sind, kann dieser Zustand nicht mehr hingenommen werden.
B. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1 (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO)
Das Zeugnisverweigerungsrecht für Verlobte, auch im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes, wird gestrichen. Weitere Folge ist, dass auch das Recht eines Zeugen, Auskünfte auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, entfällt, soweit es den oder die Verlobte des Zeugen betrifft (§ 55). Entsprechendes gilt für das Recht, Untersuchungen und Entnahmen von Blutproben nach § 8lc zu verweigern. Dieses Recht entfällt als Folge der Streichung des § 52 Abs. 1 Nr. 1 für den Verlobten ebenso wie das Verbot gemäß § 97 Abs. 1 Nr. l, schriftliche Mitteilungen zwischen dem oder der Beschuldigten und seiner oder seinem Verlobten zu beschlagnahmen, und die Einschränkung der Möglichkeiten, aus einer Maßnahme des § 100c Abs. 1 Nr. 3 gewonnene Erkenntnisse zu verwerten (§ 100d Abs. 3). Aus der Streichung des § 52 Abs. 1 folgt des Weiteren der Wegfall der Privilegien von Verlobten bei den Eidesverweigerungsrechten (§ 61) und den Fragen nach entehrenden Tatsachen und Vorstrafen (§ 68a).
Für Sachverständige, die mit einem oder einer Beschuldigten verlobt sind, entfällt das Gutachtenverweigerungsrecht ebenfalls (§ 76 Abs. 1 Satz l).
Kraft Verweisung entfallen das Zeugnisverweigerungsrecht und die damit zusammenhängenden weiteren prozessualen Privilegien für Verlobte auch in den gerichtlichen und behördlichen Verfahren, die auf die Strafprozeßordnung Bezug nehmen.
Insbesondere gilt dies für Verfahren der Finanzbehörden bei Steuerstraftaten (§ 399 AO), für Ordnungswidrigkeitenverfahren sowie für Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, soweit es die Verfahren nach § 13 Nr. l, 2, 4 und 9 BVerfGG betrifft, nach § 22 PUAG für Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages sowie nach § 25 BDG für Disziplinarverfahren. Dies gilt gleichermaßen für entsprechende landesrechtliche Vorschriften, die auf § 52 verweisen.
Zu Artikel 2 (§ 157 Abs. 1 und § 258 Abs. 6 StGB)
Durch die vorgesehenen Änderungen wird die Privilegierung von Verlobten bei Aussagedelikten und bei der Strafvereitelung beendet, die mit der Erstreckung der Angehörigeneigenschaft auf Verlobte durch § 11 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a verbunden ist. Ohne die Angehörigeneigenschaft von Verlobten grundsätzlich in Frage stellen zu wollen, sollen die vorgeschlagenen Regelungen dem Umstand Rechnung tragen, dass zwischen den ursprünglichen Gründen für das Zeugnisverweigerungsrecht für Verlobte und den Gründen, Verlobte bei Aussagedelikten und der Strafvereitelung zu privilegieren, ein enger sachlicher Zusammenhang besteht. Die Gründe, die eine Aufhebung des Zeugnisverweigerungsrechts gebieten, gelten hierfür gleichermaßen. Die Aufhebung des Zeugnisverweigerungsrechts für Verlobte würde im Übrigen ins Leere gehen, wenn Verlobte zu Gunsten des Beschuldigten falsch aussagen könnten, ohne hierfür belangt werden zu können.
Zu Artikel 3 (§ 383 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO)
Durch die vorgeschlagene Änderung wird das Zeugnisverweigerungsrecht für Verlobte auch im Zivilverfahren abgeschafft. Wenn auch in einem geringeren Maß als im Strafverfahren gilt auch hier, dass vor dem Hintergrund der gewandelten Lebensverhältnisse das Interesse von Verlobten an einer Verweigerung ihres Zeugnisses hinter dem Gebot der Wahrheitsfindung in einem rechtsstaatlichen Verfahren zurückzutreten hat.
Kraft Verweisung gilt dies auch für die gerichtlichen und behördlichen Verfahren, die auf die Zivilprozessordnung Bezug nehmen. Hierbei handelt es sich insbesondere um das förmliche Verwaltungsverfahren nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (§ 65 VwVfG), das verwaltungsgerichtliche Verfahren ( § 98 VwGO), das Verfahren vor den Arbeitsgerichten ( § 46 Abs. 2 ArbGG), das Sozialverwaltungsverfahren ( § 21 Abs. 3 SGB X), das sozialgerichtliche Verfahren ( § 118 SGG) und das
Verfahren nach dem Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 15 FGG). In gleicher Weise entfallen in einer Vielzahl von behördlichen Verfahren, in denen unter Bezugnahme auf die Regelungen der Zivilprozessordnung zum Zeugnisverweigerungsrecht Auskunftspflichten bzw. die Einschränkung von Auskunftspflichten normiert sind, die Privilegien von Verlobten. Dies gilt nur beispielsweise für Auskunftspflichten nach § 138 Abs. 4 BauGB, § 52 Abs. 5 BImSchG, § 25 Abs. 4 GenTG, § 29 Abs. 3 GewO, § 128 Abs. 2 TKG, § 6 Abs. 3 UhVorSchG, § 39 Abs. 1 WaffG, § 59 Abs. 5 GWB und § 4 Abs. 9 WpHG. Eine differenzierende Behandlung von Auskunftspflichten in behördlichen Verfahren, für die kraft Verweisung § 383 gilt, und Zeugnispflichten in gerichtlichen Verfahren ist kein Raum.
Dies gilt gleichermaßen für landesrechtliche Vorschriften, sofern sie auf § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 Bezug nehmen.
Zu Artikel 4 (§ 101 Abs. 1 Satz 1 und § 103 Satz 1 AO)
Durch die vorgeschlagenen Regelungen wird das Auskunftsverweigerungsrecht für Verlobte auch in den Verfahren nach der Abgabenordnung und kraft Verweisung das Zeugnisverweigerungsrecht in den Verfahren vor den Finanzgerichten ( § 84 FGO) ausgeschlossen, indem das Auskunftsverweigerungsrecht auf die in § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 8 genannten Angehörigen beschränkt wird. Auch in diesen Verfahren gilt, dass das Interesse an einer umfassenden Sachaufklärung und Wahrheitsfindung unter Berücksichtigung der erheblichen Missbrauchsgefahr gegenüber dem Interesse von Verlobten, keine Auskünfte zu erteilen bzw. Aussagen zu verweigern, überwiegt.
Zu Artikel 5 (Inkrafttreten)
Diese Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Übergangsregelungen sind nicht erforderlich.