- - Bereits mit der Neufassung des EU-Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz vom 8. November 2007 wurde die Stellung des MIC aufgrund der in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen gestärkt. Dies sollte durch den Ausbau der Verbindungen zwischen dem Katastrophenschutzverfahren und den Frühwarnsystemen sowie der Analyse- und Planungskapazitäten des MIC erreicht werden. Ferner wurde besonderes Augenmerk auf die Optimierung der Koordinierungskapazität vor Ort und auf Zentralebene innerhalb der EU gelegt.
Der Mitteilung zufolge soll das MIC nunmehr zum Einsatzzentrum für europäische Katastrophenschutzeinsätze ausgebaut und in Einsätze und deren Koordinierung eingebunden werden. Konkret sind folgende Kompetenzerweiterungen vorgesehen:
- -- Einsatzkoordinierung,
- -- Einbindung in die Früherkennung und Echtzeitüberwachung von Notfällen,
- -- Ankopplung an Frühwarnsysteme, die den Bedarf und die zur Verfügung stehenden Ressourcen ermitteln und die Mitgliedstaaten hierüber informieren,
- -- Entwicklung von Szenarien und Standardeinsatzverfahren,
- -- Einsatzauswertung,
- -- Zusammenlegung der vorhandenen Transportmittel und Bereitstellung von Kofinanzierungsmitteln für den Transport,
- -- verstärkte Fortbildungsmaßnahmen und Übungen,
- -- Unterstützung der Mitgliedstaaten beim Aufbau gemeinsamer Einsatzkräfte.
Diese Aufstellung macht deutlich, dass sich die Rolle des MIC vom Informations- und Koordinierungsinstrument hin zur europäischen Einsatzzentrale verschieben soll. Die Absicht, einsatzleitende Befugnisse von der Ebene der Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene zu übertragen, lässt sich dabei - wenn auch nicht eindeutig ausformuliert - aus der Gesamtschau der in der Mitteilung beschriebenen Maßnahmen ableiten. Dies stellt eindeutig einen Eingriff in nationale Kompetenzen dar, dem vom Bundesrat unter Hinweis auf die bereits in seiner Stellungnahme vom 14. Mai 2004 (BR-Drucksache 280/04(B) ) unter Ziffer 7 festgelegte Ablehnung einer Aufgabenerweiterung hin zu einer zentralen Leitungs- und Entscheidungsstelle die Zustimmung zu versagen sein wird. In der genannten Stellungnahme heißt es wörtlich: "Die Rolle des MIC sollte gestärkt werden, allerdings ist eine Aufgabenerweiterung hin zu einer zentralen Leitungs- und Entscheidungsstelle strikt abzulehnen."
Auch aus der Perspektive des Hilfe anfordernden Staates muss zukünftig gewährleistet sein, dass die nationalen Bürokratie- und Hierarchiestrukturen nicht unnötig von gemeinschaftlichen Komponenten im Bereich des Katastrophenschutzes überlagert werden. Diesbezüglich heißt es in der genannten Stellungnahme weiter: "Die Mitgliedstaaten entscheiden eigenverantwortlich darüber, welche Hilfe sie benötigen und anfordern. Deshalb muss es bei dem bisherigen Freiwilligkeitsprinzip bei der Nutzung von Unterstützungs- und Koordinierungsleistungen der EU bleiben."
- - Weiterhin sollen Katastrophenschutzkapazitäten der EU u. a. durch die Einrichtung von Reserveeinheiten für europäische Katastrophenschutzeinsätze verbessert werden. Die beiden Komponenten dieser Einsatzreserve sollen zum einen die in der Entwicklung befindlichen Katastrophenschutzmodule sowie zusätzlich ergänzende europäische Einheiten sein.
Um schneller auf Katastrophen reagieren zu können, sollen die Mitgliedstaaten im Voraus rasch einsetzbare und autarke Module benennen, die sie - vorbehaltlich einer Bestätigung im konkreten Einzelfall - für einen europäischen Katastrophenschutzeinsatz zur Verfügung stellen können. Dies ermöglicht es dem MIC, zielgerichteter auf den jeweiligen Bedarf im Katastrophenfall zu reagieren. Dem Anliegen des Bundesrates, dass diese Einheiten autark sein sollen und die Vorhaltung und Einsatzentscheidung bei den Mitgliedstaaten verbleibt, ist mit diesem Konzept Rechnung getragen. Die Umsetzungsarbeiten auf EU-Ebene sehen derzeit vor, die von den Mitgliedstaaten auf Basis eines vorgegebenen Leistungsrasters gemeldeten Modulkapazitäten zu erfassen und die entsprechenden Informationen über das EU-eigene Meldesystem CECIS (Common Emergency Communication and Information System) dem MIC und den nationalen Kontaktpunkten zugänglich zu machen. Mit diesem vom Bundesrat unterstützten Konzept stehen der EU bereits existierende nationale Kapazitäten - also keine Parallelstrukturen - zur Verfügung, die im Falle von Großschadenslagen durch das MIC abgerufen werden können.
Das Beispiel der Waldbrände im Sommer 2007 hat mehr als deutlich gezeigt, dass nicht nur eine mögliche Duplizierung von Kapazitäten ein Problem darstellen kann, sondern im Gegenteil massive Defizite im nationalen Katastrophenschutz zu einer Eskalation bei großen Katastrophen führen können. Der offensichtlich lokale Mangel an Einsatzressourcen muss zunächst vom betroffenen Mitgliedstaat selbst beseitigt werden. Die Übernahme dieser rein nationalen Verantwortung durch die Etablierung zusätzlicher Reserveeinheiten auf EU-Ebene dürfte sich als politisch falsches Signal erweisen, das den kontraproduktiven Abbau nationaler Anstrengungen zur Folge haben könnte. Die gemeinschaftliche Kompensierung derartiger Defizite durch EU-eigene Einheiten macht darüber hinaus auch aus praktischen Erwägungen wenig Sinn, da gerade bei Brandkatastrophen die Hilfe in den ersten Stunden nach Ausbruch entscheidend ist und daher vor Ort verfügbar sein muss. Auch die Finanzierung und zentrale Vorhaltung von EU-Ausrüstung zur Ergänzung nationaler Ressourcen erscheint nicht zielführend, da in der Regel ein zeit- und kostenintensiver Transport nötig sein wird.
Der Bundesrat unterstreicht seine Auffassung, dass das Modulkontingent der Mitgliedstaaten die adäquate Reservekomponente darstellt und sich zunächst einmal bewähren muss. Weitergehende Maßnahmen zur Schaffung einer EU-Reserveeinheit werden nach wie vor entschieden abgelehnt.
- - Soweit in der Mitteilung vor dem Hintergrund der Waldbrände 2007 die Anschaffung von Löschflugzeugen und anderem Gerät für die Ausstattung der EU-Reservekapazitäten in Erwägung gezogen wird, um nationale Ressourcen zu ergänzen, verweist der Bundesrat auf seine bereits mehrfach - zuletzt in seiner Stellungnahme vom 14. März 2008 (BR-Drucksache 134/08(B) ) unter Ziffer 18 - erhobenen grundlegenden Einwände. Aus der Mitteilung der Kommission ergeben sich keinerlei neue Gesichtspunkte, die Anlass zu einer Änderung dieser Bewertung geben könnten.
- - Nach Auffassung der Kommission knüpfen die Partner der EU hohe Erwartungen an die gemeinschaftliche Katastrophenhilfe. Demzufolge arbeitet die Kommission auch an Initiativen zur Katastrophenvorbeugung in Drittländern und zeigt sich bestrebt, u. a. einsatzfähige Experten vor Ort zu stationieren. Damit soll gewährleistet werden, dass anfällige Staaten und deren lokale Behörden in katastrophengefährdeten Gebieten in die Lage versetzt werden, Soforthilfe zu leisten. Obschon der hier vorrangige Solidaritätsgedanke gegenüber Drittstaaten grundsätzlich positiv zu bewerten ist, gilt es, Tendenzen innerhalb der EU zu Zuständigkeitsüberdehnungen bzw. Verantwortungsverlagerungen im Bereich des weltweiten Katastrophenschutzes entgegenzutreten, denn auch hier ist der betroffene Drittstaat zunächst selbst in der Pflicht.
Zudem verfügen auch die Vereinten Nationen (VN) über entsprechende Kompetenzen und Instrumente. Zur Kooperation mit den VN heißt es in der Stellungnahme des Bundesrates vom 14. Mai 2004 (BR-Drucksache 280/04(B) ) unter Ziffer 1: "Unterstützt werden vor allem auch verstärkte Aktivitäten im Ausbildungsbereich und bei Übungen sowie Verbesserungen in der Zusammenarbeit zwischen der EU und den Vereinten Nationen bei der Koordinierung der Einsätze in Drittstaaten zur Vermeidung von Doppelstrukturen." Unter Ziffer 7 dieser Stellungnahme wird die Übernahme bestimmter Koordinierungsmaßnahmen nur als sinnvoll erachtet, soweit hierfür ein konkreter Bedarf besteht.
Bei dieser Sachlage sollten nach Auffassung des Bundesrates die geplante EU-Strategie zur Reduzierung des Katastrophenrisikos in Entwicklungsländern sowie ein Konzept zur Verhütung von Naturkatastrophen hinsichtlich einer möglichen Redundanz hinterfragt werden.
- - Im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Ausbildungsnetzes im Katastrophenschutzsektor begrüßt der Bundesrat grundsätzlich die in Erwägung gezogene europaweite Vernetzung der vorhandenen Exzellenzzentren der Mitgliedstaaten. Ein Netzwerk für Katastrophenhilfeschulung könnte eine Vielfalt von Tätigkeiten anbieten, darunter Fortbildungsmaßnahmen, Übungen und Austausch von Experten. Dabei sollte jedoch auch die im Jahr 2005 unter deutscher Projektbeteiligung eingerichtete "Europäische Virtuelle Akademie für Bevölkerungsschutz" integriert werden, deren Einrichtung folgende Zielsetzungen zugrunde liegen:
- -- Schaffung eines Netzwerkes zum Erfahrungsaustausch zwischen den europäischen Ausbildungseinrichtungen und der Kommission,
- -- Eröffnung von Foren zum europaweiten Informations- und Erfahrungsaustausch in besonderen Kooperationsfeldern,
- -- Modernisierung der Ausbildung durch Einführung elektronischer Lernsysteme (elearning) sowie die Entwicklung eines elearning-Moduls für Einführungskurse im Rahmen des EU-Gemeinschaftsverfahrens,
- -- Optimierung der Lerneffizienz durch Umgestaltung der Kurse zu "Blended-Learning-Kursen" (Kombination von Präsenz- und IT-gestütztem Fernlernen),
- -- Realisierung EU-weiter Lehrpläne mit modularem Aufbau sowie Empfehlungen und Ausbildungsleitlinien für die Mitgliedstaaten und die Staaten des europäischen Wirtschaftsraums,
- -- zusätzliche Nutzung der Plattform als virtueller Seminarraum für die gemeinsame und zeitgleiche Ausbildung von Kursteilnehmern an verschiedenen Standorten.
Der Bundesrat hält es für angezeigt, einen entsprechenden Evaluierungsbericht abzuwarten, bevor der in der Mitteilung unterbreitete Vorschlag zu einem europäischen Ausbildungsnetz in Angriff genommen wird.
- - Im Anhang zur Mitteilung analysiert die Kommission aus gegebenem Anlass die Problematik der Waldbrände und zeigt anschließend breit gefächerte Vermeidungs- und Bekämpfungsstrategien auf. Der Bundesrat unterstützt insoweit alle geeigneten Präventions- und Vorsorgemaßnahmen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere folgende Elemente zu benennen:
- -- Beiträge zur angemessenen Ahndung von Brandstiftung auf nationaler Ebene,
- -- planmäßige Ermittlung und Analyse von Faktoren, welche Waldzerstörung bedingen,
- -- finanzielle Unterstützung nationaler Präventionsmaßnahmen,
- -- Effektivitätsprüfung eines integrierten europäischen Ansatzes zur Verhütung von Naturkatastrophen,
- -- finanzielle Förderung von Expertenaustausch, Übungen und Projekten zur Katastrophenvorsorge,
- -- Kurse für nationale Experten,
- -- Ausbau des Europäischen Waldbrandinformationssystems (EFFIS) durch die gemeinsame Forschungsstelle.
Die von Waldbränden im Sommer 2007 betroffenen Mitgliedstaaten haben auch von deutscher Seite u. a. bilaterale Unterstützung erfahren. Als tragender Bestandteil eines konzeptionellen Ansatzes wurde der mögliche Aufbau flächendeckender Strukturen für eine freiwillige Feuerwehr mit dem Schwerpunkt Waldbrandbekämpfung ins Auge gefasst. Deutschland hat in diesem Bereich eine lange Tradition und auch Expertise, die nutzbringend vermittelt werden kann. Der hierin liegende Ansatz einer Hilfe zur Selbsthilfe in Kombination mit dem Modulkonzept stellt nach Ansicht des Bundesrates die erfolgversprechendste und angemessenste Lösung für diesen Problemkreis dar.