881. Sitzung des Bundesrates am 18. März 2011
A
Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes aus folgenden Gründen einberufen wird:
1. Zu Artikel 1 Nummer 1aneu - (§ 4 Absatz 1 Satz 2 WpHG)
In Artikel 1 ist nach Nummer 1 folgende Nummer 1a einzufügen:
'1a. In § 4 Absatz 1 Satz 2 werden nach dem Wort "Finanzmarkt" die Wörter "sowie die Kunden" eingefügt.'
Begründung:
Die mit dem Gesetz bezweckte Stärkung des Anlegerschutzes wird nur dann erreicht, wenn die notwendigen Voraussetzungen für eine effektive und am Schutz der Kunden orientierte Finanzmarktaufsicht geschaffen werden. Der Schutz der Kunden ist allerdings in der allgemeinen Aufgaben- und Befugnisnorm des § 4 Absatz 1 WpHG bislang nicht ausdrücklich verankert. Nach § 4 Absatz 1 Satz 2 WpHG hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Missständen entgegenzuwirken, welche die ordnungsgemäße Durchführung des Handels mit Finanzinstrumenten oder von Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen beeinträchtigen oder erhebliche Nachteile für den Finanzmarkt bewirken können. Als Schutzgüter werden mithin der ordnungsgemäße Handel und der Finanzmarkt genannt, nicht aber die Interessen der Kunden. Das Gesetz lässt folglich offen, ob und ab welchem Grad die Beeinträchtigung von Kundeninteressen als eine Störung des ordnungsgemäßen Handels bzw. des Finanzmarkts begriffen werden kann. Solange eine Beeinträchtigung von Kundeninteressen nicht ausdrücklich im Gesetz genannt wird, ist zumindest unklar, ob ein aufsichtliches Einschreiten auch mit dem notwendigen Schutz der Kundeninteressen begründet werden kann, wenn noch kein systemisches Risiko für den Finanzmarkt besteht.
2. Zu Artikel 1 Nummer 6 Buchstabe b (§ 31 Absatz 3a Satz 1 WpHG)
In Artikel 1 Nummer 6 Buchstabe b sind in § 31 Absatz 3a Satz 1 nach dem Wort "Anlageberatung" die Wörter "oder -vermittlung" einzufügen.
Begründung:
Die gesetzliche Pflicht, ein Produktinformationsblatt zur Verfügung zu stellen, sollte sowohl für die Anlageberatung im Sinne des § 2 Absatz 3 Satz 1 Nummer 9 WpHG als auch für die Anlagevermittlung nach § 2 Absatz 3 Satz 1 Nummer 4 WpHG gelten. Denn das Informationsbedürfnis des Kunden besteht unabhängig davon, ob er beraten oder ihm ein Anlageprodukt nur vermittelt wird. Mit der Einbeziehung der Anlagevermittlung werden zudem Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen der Anlageberatung und -vermittlung vermieden.
3. Zu Artikel 1 Nummer 6 Buchstabe e Doppelbuchstabe bb (§ 31 Absatz 11 Satz 1 Nummer 2a WpHG)
In Artikel 1 Nummer 6 Buchstabe e Doppelbuchstabe bb sind in § 31 Absatz 11 Satz 1 Nummer 2a nach der Angabe "Absatzes 3a Satz 1" die Wörter ", insbesondere durch Vorgabe eines Formblattes mit standardisierten Antwortmöglichkeiten," einzufügen.
Begründung:
Die Produktinformationen müssen zum einen so aufbereitet sein, dass die Anleger sie tatsächlich verstehen und damit aufnehmen können. Sie müssen zum anderen alle für die Kaufentscheidung relevanten Angaben enthalten, insbesondere zur Beurteilung der zu erwartenden Rendite und zur Risikoeinschätzung. Die derzeit in der Praxis zur Verfügung gestellten Informationen sind häufig zu umfangreich und verfehlen ihren Informationszweck. Es besteht daher weitgehend Einigkeit darüber, dass den Kunden ein kurzes und leicht verständliches Produktinformationsblatt zur Verfügung gestellt werden sollte, das insbesondere auch den Vergleich verschiedener Anlageprodukte erlaubt.
Insofern ist es zu begrüßen, dass das Gesetz die Pflicht einführt, Produktinformationsblätter zur Verfügung zu stellen. Sinnvoll erscheint es auch, wie in dem Gesetz vorgesehen, den Umfang solcher Produktinformationsblätter zu begrenzen und inhaltliche Vorgaben zu machen. Den Verpflichteten sollten dabei aber keine zu großen Spielräume bei der Gestaltung der Produktinformationsblätter belassen werden, um die Vergleichbarkeit verschiedener Anlageprodukte für den Kunden zu gewährleisten und die Vermengung der Produktinformation mit werbenden Aussagen zu vermeiden. Vorzugswürdig wäre daher die einheitliche Verwendung eines standardisierten Formblattes. Durch die Vorgabe bestimmter Antwortmöglichkeiten würde gewährleistet, dass die Informationen verständlich und vergleichbar sind.
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat bereits im Jahr 2009 ein Musterproduktinformationsblatt entwickelt. Auch die Finanzbranche hat verschiedene Muster für Produktinformationsblätter konzipiert. Bisher hat man sich aber nicht auf ein einheitliches Muster einigen können. Die bereits vorhandenen Muster weisen zum Teil erhebliche Abweichungen auf. Daher spricht vieles dafür, dass der Verordnungsgeber ein Formblatt mit standardisierten Antwortmöglichkeiten entwickelt und vorgibt. Die Ergänzung im Gesetzestext soll auf diese Möglichkeit hinweisen und ist als Regelungsauftrag für den Verordnungsgeber zu verstehen.
4. Zu Artikel 1 Nummer 9 (§ 34d Absatz 1 Satz 1, 2 - neu -, 4 - neu -, Absatz 2 Satz 1, 2 - neu -, 4 - neu -, Absatz 6 Satz 1 Nummer 2, 2aneu - WpHG)
Artikel 1 Nummer 9 § 34d ist wie folgt zu ändern:
- a) Absatz 1 ist wie folgt zu ändern:
- aa) Satz 1 ist wie folgt zu fassen:
"Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen darf einen Mitarbeiter nur dann mit der Anlageberatung oder -vermittlung betrauen, wenn dieser sachkundig ist, über die für die Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit verfügt und die Tätigkeit des Mitarbeiters durch eine Versicherung zum Schutz der Kunden abgedeckt ist."
- bb) Nach Satz 1 ist folgender Satz einzufügen:
"Die nach Satz 1 erforderliche Sachkunde muss grundsätzlich durch eine Sachkundeprüfung bei einer staatlichen oder staatlich anerkannten Stelle nachgewiesen werden."
- [cc) Im neuen Satz 4 ist die Angabe "Satz 2" durch die Angabe "Satz 3" zu ersetzen.]
- b) Absatz 2 ist wie folgt zu ändern:
- aa) Satz 1 ist wie folgt zu fassen:
"Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen darf einen Mitarbeiter mit der Ausgestaltung, Umsetzung oder Überwachung von Vertriebsvorgaben im Sinne des § 33 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3a nur dann beauftragen (Vertriebsbeauftragter), wenn dieser sachkundig ist, über die für die Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit verfügt und die Tätigkeit des Mitarbeiters durch eine Versicherung zum Schutz der Kunden abgedeckt ist."
- bb) Nach Satz 1 ist folgender Satz einzufügen:
"Die nach Satz 1 erforderliche Sachkunde muss grundsätzlich durch eine Sachkundeprüfung bei einer staatlichen oder staatlich anerkannten Stelle nachgewiesen werden."
- [cc) Im neuen Satz 4 ist die Angabe "Satz 2" durch die Angabe "Satz 3" zu ersetzen.]
- c) Absatz 6 Satz 1 ist wie folgt zu ändern:
- aa) Nummer 2 ist wie folgt zu fassen:
"2. die Sachkunde und die Zuverlässigkeit nach Absatz 1 Satz 1 und 2, Absatz 2 Satz 1 und 2 und Absatz 3 Satz 1, wobei insbesondere auch die Anforderungen an die Sachkundeprüfung und die mögliche Gleichstellung anderer Berufsqualifikationen mit der Sachkundeprüfung zu regeln sind,"
- bb) Nach Nummer 2 ist folgende Nummer 2a einzufügen:
"2a. Umfang und inhaltliche Anforderungen an die nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 vorgeschriebene Versicherung, insbesondere die Höhe der Mindestversicherungssummen, sowie" '
Begründung:
Eine den Interessen der Anleger gerecht werdende Anlageberatung und -vermittlung setzt eine angemessene Berufsqualifikation voraus. Der Gesetzesbeschluss verlangt zwar, dass die mit der Anlageberatung betrauten Mitarbeiter sachkundig sind. Die Anforderungen an die Sachkunde werden jedoch nicht konkretisiert.
Im Umkehrschluss zu dem von der Bundesregierung am 16. Februar 2011 veröffentlichten Referentenentwurf für ein Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagerechts ist zu befürchten, dass eine künftige Verordnung mangels ausdrücklicher Ermächtigung im WpHG keine hinreichenden Vorgaben zur Qualifikation enthalten und vor allem auf das Erfordernis eines Sachkundenachweises verzichten wird. Für den Vertrieb von Wertpapieren würde der Gesetzgeber damit die bisherige Situation, in der auch Mitarbeiter ohne einen geregelten Ausbildungs- und Qualifikationsnachweis als Anlageberater eingesetzt werden können, fortsetzen. Dies ist nicht sachgerecht, zumal die Bundesregierung für Anlageberater und -vermittler, die Vermögensanlagen nach dem Verkaufsprospektgesetz vertreiben ("Grauer Kapitalmarkt"), einen formalisierten Qualifikationsnachweis einführen möchte.
Zu Buchstabe a:
Um zumindest die Grundlage für eine anlegergerechte Beratung und Vermittlung und die notwendige Aufklärung über Risiken zu schaffen, muss ein formalisierter Qualifikationsnachweis durch einen Abschluss bei einer staatlichen oder staatlich anerkannten Stelle (beispielsweise den Industrie- und Handelskammern) vorgeschrieben werden. Nicht ausreichend dürften etwa Nachweise über Schulungen sein, die von den Unternehmen selbst oder sonstigen privaten Anbietern durchgeführt werden.
Analog der Regelungen für Versicherungsberater und -vermittler wird der Abschluss einer Versicherung für erforderlich gehalten. Kunden, denen durch Fehlverhalten von Anlageberatern oder -vermittlern ein Schaden entsteht, soll der Ersatz ihres Schadens garantiert sein. Adressat der Verpflichtung zum Abschluss einer Versicherung zum Schutz der Kunden sollte aber nicht der einzelne Mitarbeiter, sondern das Wertpapierdienstleistungsunternehmen sein. Der Versicherungsschutz ist unter bestimmten Umständen bereits Voraussetzung für die Erteilung der Erlaubnis nach § 32 KWG.
Die entsprechenden Anforderungen an die Sachkunde und die Versicherungspflicht sollten einheitlich für Anlageberater und -vermittler gelten. Letztere werden im Gesetz bislang nicht erwähnt.
Zu Buchstabe b:
Das Gesetz bezieht zu Recht die mit der Ausgestaltung, Umsetzung oder Überwachung von Vertriebsvorgaben betrauten Mitarbeiter in die Qualifikationsanforderungen ein. Diese Mitarbeiter müssen für ihre Tätigkeit auch über die für die Erbringung der Anlageberatung und -vermittlung erforderliche Sachkunde verfügen, so dass im Wesentlichen die an Anlageberater und -vermittler zu stellenden Anforderungen hinsichtlich Sachkundeprüfung und Versicherungspflicht gelten sollten.
Zu Buchstabe c:
Die inhaltlichen und verfahrensmäßigen Anforderungen an die vorgeschriebene Sachkundeprüfung können im Verordnungswege konkretisiert werden. Mindeststandard für die Sachkundeprüfung sollte die derzeit angebotene Qualifikation des Fachberaters für Finanzdienstleistungen (IHK) sein.
Bestimmte Berufsqualifikationen sollten der erfolgreich absolvierten Sachkundeprüfung gleichgestellt werden, etwa der Abschluss eines betriebswirtschaftlichen Studiengangs der Fachrichtung Banken oder Finanzdienstleistungen, wenn darüber hinaus eine fachspezifische Berufspraxis nachgewiesen werden kann, oder der Abschluss als Bank- oder Sparkassenbetriebswirt einer Bank- oder Sparkassenakademie, für den Nachweis der Sachkunde nach § 34d Absatz 1 grundsätzlich wohl auch der Abschluss als Bank- oder Sparkassenkaufmann oder -kauffrau.
Ebenfalls im Verordnungswege zu konkretisieren sind die Anforderungen an die Versicherung zum Schutz der Kunden, insbesondere die Festlegung der Mindestversicherungssummen.
Bei einer Umsetzung der vorgeschlagenen Änderungen zu § 34d WpHG dürfte die bislang in § 42d Absatz 1 WpHG vorgesehene Übergangsfrist von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes zu kurz bemessen sein. Als Folgeänderung sollte daher die Frist angemessen verlängert und gegebenenfalls um eine unter Umständen zeitlich abgestufte - Härtefallregelung ergänzt werden.
- 5. Der federführende Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.