Auswärtiges Amt Berlin, den 10. Februar 2010
Staatsminister
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen
Sehr geehrter Herr Präsident,
der Vertrag von Lissabon ist aufgrund der bekannten Verzögerungen bei der Ratifizierung am 1.12.2009 in Kraft getreten, und nicht wie ursprünglich angestrebt zu Beginn des Jahres 2009. Als Folge dessen wurde das Europäische Parlament im Juni 2009 noch auf der Grundlage des Vertrags von Nizza gewählt und hat 736 Abgeordnete.
Der Europäische Rat hatte sich im Dezember 2008 und im Juni 2009 - im Zusammenhang mit der Vereinbarung der sogenannten Garantien für Irland, die ein zweites Referendum in Irland ermöglicht haben, und in Abstimmung mit dem Europäischen Parlament - zugleich darauf verständigt, die Zahl der Sitze im Europäischen Parlament nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon sobald wie möglich an die im Vertrag von Lissabon vereinbarte Sitzverteilung anzupassen.
Dabei sollen die zusätzlichen Sitze wie folgt verteilt werden, um den Bestimmungen des Vertrages zu entsprechen: vier Sitze für Spanien, je zwei Sitze für Frankreich, Österreich und Schweden und je ein Sitz für Bulgarien, Italien, Lettland, Malta, die Niederlande, Polen, Slowenien und das Vereinigte Königreich. Damit sollen diejenigen Mitgliedstaaten, denen nach dem Vertrag von Lissabon eine größere Zahl an Abgeordneten zusteht, diese bereits während der laufenden Legislaturperiode erhalten. Deutschland wird bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode 99 Abgeordnete behalten, während der Vertrag von Lissabon 96 Sitze vorsieht. Deshalb soll die Sitzzahl für die verbleibende Zeit der Legislaturperiode 2009 bis 2014 vorübergehend auf 754 erhöht werden.
Die spanische Regierung hat deshalb am 4. Dezember 2009 gemäß Artikel 48 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union einen Vorschlag zur Änderung der Verträge vorgelegt, der die beschriebene Änderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments für die verbleibende Zeit der laufenden Legislaturperiode 2009-2014 vorsieht. Hierfür soll das Protokoll Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen geändert werden. In Spanien hat die vereinbarte Erhöhung der Sitzzahl eine wichtige Rolle im Verfahren der Ratifizierung des Vertrages gespielt.
Vor dem beschriebenen Hintergrund unterstützt die Bundesregierung die vorgeschlagene Erhöhung der Sitzzahl des Europäischen Parlaments für die verbleibende Zeit der Legislaturperiode 2009 bis 2014 und die Einberufung einer Regierungskonferenz zur Prüfung der Einzelheiten des spanischen Vorschlags. Die Bundesregierung hat im Rat der Europäischen Union aber deutlich gemacht, dass in Deutschland für die Zustimmung zu einem Beschluss des Europäischen Rates zur Einberufung einer Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 48 Absatz 3 und Absatz 4 EUV ein Prüferfordernis aufgrund der innerstaatlichen Begleitgesetzgebung vorliegt.
Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung am 10. und 11. Dezember 2009 gemäß Artikel 48 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union die Anhörung des Europäischen Parlaments und der Kommission veranlasst. Gegenstand dieser Anhörung sind sowohl der vorgeschlagene Protokollentwurf als auch der Vorschlag, für den Fall dieser Regierungskonferenz auf die Einberufung eines Konvents zu verzichten.
Verlässliche Informationen zum weiteren Zeitplan liegen derzeit noch nicht vor. Es ist davon auszugehen, dass der Vorsitz nach Vorliegen der Stellungnahmen von Europäischem Parlament und Kommission eine zügige Beschlussfassung des Europäischen Rates zur Einberufung einer Regierungskonferenz anstreben wird. Für diesen Beschluss ist die einfache Mehrheit erforderlich. Der Beschluss der Regierungskonferenz über die Anpassung des Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen ist einstimmig zu fassen. Das so geänderte Protokoll Nr. 36 bedarf der anschließenden Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten.
Das Auswärtige Amt steht den zuständigen Gremien des Bundesrates jederzeit für eine weitergehende Unterrichtung und Aussprache zur Verfügung. Die Bundesregierung wird im Rahmen ihrer fortlaufenden Unterrichtung den Bundesrat kontinuierlich über die weitere Entwicklung des Vorgangs informieren.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Werner Hoyer