Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 122114 - vom 12. Dezember 2008.
Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 20. November 2008 angenommen.
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Menschenrechtsverletzungen in Nigeria,
- - unter Hinweis auf das bestehende Moratorium der Bundesregierung von Nigeria für die Vollstreckung der Todesstrafe,
- - unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,
- - unter Hinweis auf den am 29. Oktober 1993 von Nigeria ratifizierten Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966,
- - unter Hinweis auf die am 22. Juni 1983 von Nigeria ratifizierte Afrikanische Charta der Rechte der Menschen und der Völker von 1981,
- - unter Hinweis auf die am 23. Juli 2001 von Nigeria ratifizierte Afrikanische Charta der Rechte und des Wohlergehens des Kindes von 1990,
- - unter Hinweis auf das am 28. Juli 2001 von Nigeria ratifizierte Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Bestrafung von 1984,
- - unter Hinweis auf das von Nigeria ratifizierte Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung der Frau von 1979 sowie unter Hinweis auf das von Nigeria ratifizierte Fakultativprotokoll von 1999,
- - unter Hinweis auf das am 19. April 1991 von Nigeria ratifizierte Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989,
- - gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass mehr als 720 Männer und elf Frauen, die in nigerianischen Gefängnissen sitzen, zum Tode verurteilt wurden,
B. in der Erwägung, dass die nationale nigerianische Studiengruppe zur Todesstrafe und die Präsidialkommission zur Reform der Justizverwaltung festgestellt haben, dass die Insassen der Todeszellen fast ausschließlich arm und ohne rechtliche Vertretung sind,
C. in der Erwägung, dass mindestens 40 der im Todestrakt einsitzenden Gefängnisinsassen zum Zeitpunkt ihres angeblichen Verbrechens zwischen 13 und 17 Jahre alt waren, obwohl das internationale Recht die Verurteilung von strafrechtlich in Erscheinung getretenen Kindern zur Todesstrafe verbietet,
D. in der Erwägung, dass Gerichte der islamischen Scharia in 12 der 36 Bundesstaaten Nigerias die Rechtsprechung in Strafsachen ausüben; in der Erwägung, dass diese Gerichte nach wie vor Todesurteile aussprechen und Strafen wie Auspeitschungen und Amputationen verhängen;
E. in der Erwägung, dass 47 % der Insassen von Todestrakten darauf warten, dass ihr Berufungsverfahren abgeschlossen wird, sowie in der Erwägung, dass ein Viertel der Berufungsverfahren schon seit fünf Jahren andauert, dass 6 % der Gefangenen, deren Berufungsverfahren noch aussteht, schon mehr als 20 Jahre darauf warten und dass ein Gefangener 24 Jahre im Todestrakt verbracht hat,
F. in der Erwägung, dass das nigerianische Strafrechtssystem von Korruption und Pflichtvergessenheit geprägt und in keiner Weise angemessen ausgestattet ist,
G. in der Erwägung, dass Folter in Nigeria, obgleich verboten, an der Tagesordnung ist und dass fast 80 % der Insassen nigerianischer Gefängnisse angeben, sie seien geschlagen, mit Waffengewalt bedroht oder in Polizeizellen gefoltert worden,
H. in der Erwägung, dass viele Gefangene, die auf ihr Verfahren oder ihre Hinrichtung warten, von Polizeibeamten erpresst werden, die für ihre Freilassung Geld von ihnen fordern,
I. in der Erwägung, dass mehr als die Hälfte der 40 000 Gefängnisinsassen des Landes weder vor ein ordentliches Gericht gestellt noch verurteilt worden sind,
J. in der Erwägung, dass chronische, aber vermeidbare Krankheiten wie HIV-Infektionen, Malaria, Tuberkulose, Grippe und Lungenentzündung in den Gefängnissen grassieren,
K. in der Erwägung, dass die nigerianischen Behörden immerhin Versuche unternommen haben, die Mängel des Gerichtswesens zu beseitigen; in der Erwägung, dass die nationale Studiengruppe über die Todesstrafe (2004) und die Präsidialkommission zur Reform der Justizverwaltung (2007) Zweifel daran geäußert haben, dass die Todesstrafe dazu beiträgt, die Zunahme und das Ausmaß von Verbrechen in Nigeria abzuschwächen; jedoch in der Erwägung, dass weder die Bundesregierung noch die Regierungen der Bundesstaaten etwas unternommen haben, um die dringenden Probleme in Angriff zu nehmen, die von den beiden Studiengruppen festgestellt wurden,
L. in der Erwägung, dass Nigeria seit 2002 offiziell keine Hinrichtungen mehr vermeldet hat,
M. in der Erwägung, dass nur sieben der 53 Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union im Jahr 2007 Hinrichtungen vorgenommen haben, 13 afrikanische Staaten die Todesstrafe de iure und weitere 22 die Todesstrafe de facto abgeschafft haben,
N. in der Erwägung, dass 1977 lediglich 16 Länder die Todesstrafe für alle Verbrechen abgeschafft hatten und dass heute 137 der 192 UN-Mitgliedstaaten die Todesstrafe de iure oder de facto abgeschafft haben,
- 1. fordert die Bundesregierung von Nigeria und die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten auf, die Todesstrafe abzuschaffen;
- 2. fordert die Bundesregierung von Nigeria und die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten auf, bis zur Abschaffung ein unverzügliches Moratorium für alle Hinrichtungen zu erklären, wie es in der Resolution 062/149 vom 26. Februar 2008 der Generalversammlung der UN vorgesehen ist, und unverzüglich alle Todesstrafen in Gefängnisstrafen umzuwandeln;
- 3. fordert die Bundesregierung von Nigeria und die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten auf, einen umfassenden Ansatz zur Bekämpfung des Verbrechens zu entwickeln und zu erklären, wie hier Abhilfe geschaffen werden soll;
- 4. fordert die Bundesregierung von Nigeria und die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten auf, in den Rechtsvorschriften sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene alle Bestimmungen zu beseitigen, die die Todesstrafe für Straftäter vorsehen die zum Zeitpunkt des ihnen zur Last gelegten Verbrechens weniger als 18 Jahre alt waren;
- 5. fordert die Bundesregierung Nigerias und die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten auf dafür zu sorgen, dass bei Kapitalverbrechen die striktesten international anerkannten und verfassungsrechtlichen Normen für ein faires Verfahren respektiert werden insbesondere was folgende Bereiche betrifft: unangemessene Rechtsvertretung ärmerer Gefangener, Geständnisse oder Beweise, die durch Gewalt, Nötigung oder Folter zustande gekommen sind, unverhältnismäßig lange Verfahren und Berufungsfristen sowie die Verurteilung von Minderjährigen;
- 6. fordert die Bundesregierung von Nigeria auf, das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1989 und das Fakultativprotokoll zu dem UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Bestrafung von 2002 zu ratifizieren
- 7. fordert die Regierungen der nigerianischen Bundesstaaten auf, alle Bestimmungen abzuschaffen nach denen zwingend die Todesstrafe vorgesehen ist;
- 8. fordert die Bundesregierung Nigerias und die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten auf die Empfehlungen der nationalen Studiengruppe über die Todesstrafe von 2004 und die Schlussfolgerungen der Präsidialkommission für die Reform der Justizverwaltung von 2007 umzusetzen und insbesondere ein Moratorium für Hinrichtungen einzuführen und alle Todesstrafen umzuwandeln;
- 9. fordert den Rat, die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, den nigerianischen Behörden fachliche Unterstützung zu gewähren, damit diese die Rechtsvorschriften, laut denen die Todesstrafe vorgesehen ist, mit Blick darauf revidieren, dass die Todesstrafe abgeschafft wird, und die Ermittlungsverfahren der nigerianischen Polizei verbessern
- 10. fordert Unterstützung für die Arbeitsgruppe "Todesstrafe" der Afrikanischen Kommission der Menschenrechte und der Rechte der Völker bei der Ausarbeitung eines Protokolls zur Afrikanischen Charta über ein Verbot der Todesstrafe, mit dem die Wiedereinführung der Todesstrafe verhindert werden soll;
- 11. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Parlamenten und Regierungen der Mitgliedstaaten, der Wirtschaftsgemeinschaft der Westafrikanischen Staaten, der Bundesregierung und dem Parlament von Nigeria, der Afrikanischen Union und dem Panafrikanischen Parlament zu übermitteln.