Der Bundesrat hat in seiner 854. Sitzung am 13. Februar 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
1. Zur Vorlage allgemein Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass die Kommission ihren Vorschlag zurückzieht.
Für einen großen Teil der Vorschriften fehlt der Gemeinschaft die Zuständigkeit. Weitere Vorschriften stoßen auf erhebliche rechtsstaatliche Bedenken oder sind angesichts der IVU- und der UVP-Richtlinie überflüssig.
Die Begründung des Vorschlags (Nummer 3.3) stellt fest, dass aufgrund der unterschiedlichen historischen Entwicklung sowie unterschiedlicher Rechtsvorschriften, Regulierungskonzepte und Art und Anzahl der Reaktoren bislang keine gemeinsamen gemeinschaftsweit geltenden Vorschriften im Bereich der nuklearen Sicherheit eingeführt wurden. An diesen Gründen hat sich nichts geändert. Sie sprechen auch weiterhin gerade gegen ein entsprechendes EU-Recht. Insbesondere werden nach wie vor nur etwa in der Hälfte der Mitgliedstaaten Kernkraftwerke betrieben.
Artikel 6 als zentrale Vorschrift der Richtlinie verweist auf die Regelwerke bzw. Empfehlungen anderer Institutionen (IAEA, WENRA). Auch die übrigen Vorschriften greifen auf Teile dieser Texte und auf Regelungen des Übereinkommens für Nukleare Sicherheit zurück. Die Kommission bleibt den Beleg schuldig, worin der behauptete "Mehrwert" der Richtlinie im Vergleich zu den bereits vorhandenen Regelwerken liegen soll.
Deutschland verfügt über starke und mit den erforderlichen Kompetenzen ausgestattete Aufsichtsbehörden. Eine Stärkung dieser Behörden, die die Kommission als zentrales Anliegen in der Begründung zur Richtlinie mehrfach anführt, ist weder erforderlich noch wäre die Richtlinie hierfür geeignet.
Soweit es nicht möglich ist, die Richtlinie zu verhindern, wird die Bundesregierung gebeten, auf die Streichung aller Vorschriften hinzuwirken, für die der EU die Zuständigkeit fehlt.
Bei den verbleibenden Vorschriften wird die Bundesregierung gebeten, darauf hinzuwirken, dass nach deutschem Verständnis unabdingbare Mindestbedingungen von Rechtsstaatlichkeit beachtet werden.
Darüber hinaus bittet der Bundesrat die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass den Mitgliedstaaten für die Überprüfung der Durchführung der Richtlinie (Artikel 11) über die Berichtspflichten nach der Convention on Nuclear Safety hinaus kein weiterer Verwaltungsaufwand entsteht. Die Kommission stützt sich bei ihrem Vorschlag sowohl bezüglich der materiellrechtlichen wie auch der organisatorischen und verfahrensmäßigen Bestimmungen im Wesentlichen auf die Inhalte der Convention on Nuclear Safety (CNS). Die Convention sieht in den Artikeln 5 und 20 eine turnusmäßige Berichtspflicht aller Mitgliedstaaten über die Maßnahmen zu ihrer Umsetzung vor. Die Richtlinie sollte zu keiner Verdoppelung dieser aufwändigen Berichtspflichten führen, sondern in geeigneter Weise vorsehen, dass die Berichte der Mitgliedstaaten im Rahmen des CNS-Prozesses berücksichtigt werden.
2. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 3 Absatz 1, Artikel 4, Artikel 7 Absatz 2 und 3 sowie Artikel 9
Für die Vorschriften der Artikel 3 Absatz 1, Artikel 4, Artikel 7 Absatz 2 und 3 sowie Artikel 9 fehlt der Gemeinschaft auch unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH C-29/99 die Zuständigkeit. Die Vorschriften beruhen auf den Artikeln 9 bis 13 des Übereinkommens über nukleare Sicherheit, für die die Kommission im Beschluss 1999/819/Euratom nicht erklärt hat, dass sie von ihnen betroffen ist.
Zu Artikel 5
Artikel 5 ist im Hinblick auf die umfassenden Regelungen zur Information und Beteiligung der Öffentlichkeit in der IVU- und in der UVP-Richtlinie überflüssig.
Zu Artikel 6
Artikel 6 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags ist nicht in deutsches Recht umsetzbar und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar.
Bei den Safety Fundamentals handelt es sich um Leitlinien, die teilweise sogar nur erklärenden und erläuternden Charakter haben. Nach Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 haben die Mitgliedstaaten die IAEA Fundamental safety principles jedoch einzuhalten.
Nach Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 2 sollen die Mitgliedstaaten insbesondere dafür sorgen, dass die in den sicherheitstechnischen Grundsätzen der IAEO niedergelegten anwendbaren Grundsätze umgesetzt werden.
Eine Rechtsvorschrift, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, "anwendbare" Grundsätze umzusetzen, ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht vertretbar und praktisch auch nicht umsetzbar, weil die Frage, was umsetzbar ist, ungeklärt bleibt. Außerdem betreffen die Safety Fundamentals zum Teil Gegenstände, für die der Gemeinschaft die Zuständigkeit fehlt.
Mit Artikel 6 Absatz 2 wird für die Entwicklung von sicherheitstechnischen Standards für neue kerntechnische Anlagen ein neues Gremium eingeführt, die "Europäische hochrangige Gruppe für nukleare Sicherheit und Abfallentsorgung" (vgl. auch Nummer 1.1 und 2.2.5 der Begründung). Diese hochrangige Gruppe ist im EAGV nicht vorgesehen. Es handelt sich um eine aufgrund von Schlussfolgerungen des Rates der Kommission beigestellte Beratungsgruppe, die durch diese Richtlinie ohne Grundlage im EAGV zur Entwicklung von Sicherheitsstandards für neue kerntechnische Anlagen institutionalisiert werden soll.
Zu Artikel 8
Artikel 8 Absatz 3 des Vorschlags stößt auf erhebliche rechtsstaatliche Bedenken.
Dagegen differenziert § 19 AtG zunächst zwischen der vorübergehenden und der endgültigen Einstellung des Betriebs, wobei letztere nur möglich ist, wenn die Anlage keine gültige Genehmigung besitzt. Die vorläufige Einstellung setzt Verstöße gegen gesetzliche oder genehmigungsrechtliche Vorschriften oder eine Gefahr voraus. Behördliche "Auffassungen" kommen im deutschen Atomrecht jedenfalls bislang nicht vor. Die Frage, was unter "nicht vollständig gewährleistet" zu verstehen ist, belegt die rechtsstaatliche Fragwürdigkeit um ein Weiteres.