Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 320124 - vom 19. Dezember 2007.
Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 29. November 2007 angenommen.
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Georgien, insbesondere seine Entschließung vom 26. Februar 2004 mit der Empfehlung an den Rat zur Politik der Europäischen Union gegenüber dem Südkaukasus1, auf seine Entschließung vom 14. Oktober 2004 zu Georgien2 und auf seine Entschließung vom 26. Oktober 2006 zur Lage in Südossetien3,
- - unter Hinweis auf seine Entschließung vom 15. November 2007 zur Stärkung der Europäischen Nachbarschaftspolitik4 (ENP),
- - in Kenntnis des Abkommens über Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits5, das am 1. Juli 1999 in Kraft getreten ist,
- - in Kenntnis des ENP-Aktionsplans, der vom Kooperationsrat EU-Georgien am 14. November 2006 angenommen worden ist,
- - in Kenntnis der am 25./26. Juni 2007 vom Parlamentarischen Kooperationsausschuss EU-Georgien angenommenen Empfehlungen,- in Kenntnis der Erklärung des Portugiesischen Vorsitzes vom 8. November 2007 im Namen der Europäischen Union zur derzeitigen Lage in Georgien,
- - gestützt auf Artikel 103 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass sich die Europäische Union weiterhin dazu verpflichtet, ihre Beziehungen zu Georgien auszubauen und zu vertiefen und das Land bei seinen Bemühungen, die notwendigen politischen und wirtschaftlichen Reformen vorzunehmen sowie Maßnahmen zur Schaffung stabiler und effizienter demokratischer Institutionen und zur Bekämpfung der Korruption zu ergreifen, zu unterstützen, sodass ein friedliches und wohlhabendes Georgien entsteht, das zur Stabilität in der Region und in ganz Europa beitragen kann,
B. in Anerkennung der politischen, demokratischen und wirtschaftlichen Fortschritte, die der gegenwärtige Präsident und die Regierung Georgiens erzielt haben,
C. in der Erwägung, dass die Oppositionskräfte am 2. November 2007 die zahlenmäßig größte Kundgebung seit der Rosenrevolution 2003 mobilisiert haben,
D. in der Erwägung, dass es nach sechs Tage anhaltenden Demonstrationen, die von der Opposition organisiert worden waren, zum Einsatz von Gewalt kam, als polizeiliche Sicherheitskräfte unverhältnismäßig brutal vorgingen, um die Demonstrationen aufzulösen, und Wasserwerfer, Gummigeschosse und Tränengas einsetzten, wobei bis zu fünfhundert Demonstranten verletzt wurden, darunter der georgische Bürgerbeauftragte Sozar Subari,
E. in der Erwägung, dass Präsident Mikhail Saakaschwili am 7. November 2007 einen fünfzehntägigen Ausnahmezustand in Tiflis verhängt hat, der am 16. November aufgehoben wurde und nach Aussagen von Regierungsbeamten notwendig gewesen sei, um umgehend Recht und Ordnung wiederherzustellen,
F. in der Erwägung, dass Ministerpräsident Zurab Nogaideli nach der Verhängung des Ausnahmezustands durch Präsident Saakaschwili erklärt hat, in dem Land habe ein Putschversuch stattgefunden und die genannten Maßnahmen seien nur eine Reaktion darauf; in der Erwägung, dass Präsident Saakaschwili in einer Rede für das Fernsehen den russischen Föderalen Sicherheitsdienst für die Ereignisse in Tiflis verantwortlich machte und angab, er sei vorab darüber unterrichtet gewesen, dass eine Verschwörung zum Sturz der georgischen Regierung noch vor Ende des Jahres in Gang sei, jedoch keine Beweise dafür vorgelegt hat,
G. in der Erwägung, dass zwei oppositionelle Fernsehsender, Imedi und Caucasia, am Abend des 7. November 2007 gezwungen wurden, ihren Sendebetrieb einzustellen; in der Erwägung, dass die Gebäude des Fernseh- und Radiosenders Imedi ohne vorherige Ankündigung von bewaffneten und maskierten Sicherheitskräften gestürmt wurden, bevor der Ausnahmezustand verhängt wurde, und dass dabei ein Teil der technischen Ausrüstung des Senders zerstört wurde; in der Erwägung, dass ein Gericht in Tiflis die Sendelizenz von Imedi vorübergehend aufgehoben und sein Vermögen eingefroren hat, mit der Begründung, die Berichterstattung über die Ereignisse des 7. November 2007 komme einer Aufwiegelung zum Sturz der Regierung gleich; in der Erwägung, dass die Verfügung des Gerichts dem Direktor von Imedi erst eine Woche später zugestellt wurde; in der Erwägung, dass die Nationale Kommission für Kommunikation Georgiens die Sendelizenz für Imedi TV für drei Monate ausgesetzt hat, da der Sender gegen das Rundfunkgesetz verstoßen habe,
H. in der Erwägung, dass Präsident Saakaschwili in einer versöhnlichen Geste am 8. November 2007 vorgeschlagen hat, am 5. Januar 2008 vorgezogene Präsidentschaftswahlen und gleichzeitig eine Volksabstimmung über den Termin der nächsten Parlamentswahlen abzuhalten,
I. in der Erwägung, dass Russland seinen Militärstützpunkt in Batumi in der Autonomen Republik Adscharien am 13. November 2007, d. h. ein Jahr früher als geplant, an Georgien übergeben hat, nachdem der Abzug der russischen Truppen aus dem anderen Stützpunkt in Georgien, Achalkalaki, im Juni 2007 abgeschlossen worden war,
J. in der Erwägung, dass die georgische Wirtschaft nach wie vor erheblich unter dem russischen Embargo für georgischen Wein und georgische Agrarerzeugnisse leidet, das zunehmend politisch motiviert scheint,
K. in der Erwägung, dass die wirtschaftlichen und sozialen Reformen in Georgien den Lebensstandard der breiten Bevölkerung anheben sollten,
L. in der Erwägung, dass die Lage sowohl in Abchasien als auch in Südossetien die Spannungen in der Region weiter schürt; in der Erwägung, dass die russischen Truppen nicht länger als neutrale und unparteiische Kräfte zur Bewahrung des Friedens auftreten; in der Erwägung, dass die Entscheidung der russischen Staatsorgane, den Bewohnern dieser Teile des georgischen Staatsgebiets russische Pässe auszustellen, dazu beiträgt, die Lage weiter zu destabilisieren,
- 1. ist zutiefst besorgt über die aktuellen Entwicklungen in Georgien, vor allem über die jüngsten Ereignisse, d. h. die gewaltsame Zerschlagung friedlicher Demonstrationen durch die Polizei, die Schließung unabhängiger Medien und die Verhängung eines fünfzehntägigen Ausnahmezustands;
- 2. fordert die georgische Regierung auf, die Grundsätze der freien Meinungsäußerung, der Versammlungsfreiheit und der Freiheit der Medien zu achten; erinnert die Regierung an ihre Verpflichtung zur Achtung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit;
- 3. fordert alle Beteiligten auf, Offenheit und Zurückhaltung an den Tag zu legen, sich im Ton zu mäßigen und in einen konstruktiven und zielorientierten Dialog einzutreten, der dazu angetan ist, die noch gefährdeten demokratischen Institutionen in Georgien zu unterstützen und zu festigen;
- 4. fordert den Rat, den Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie den Sonderbeauftragten der Europäischen Union für den Südkaukasus auf, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um den Dialog zwischen den Beteiligten zu fördern, Spannungen abzubauen und zur Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens beizutragen;
- 5. fordert die georgische Regierung auf, eine gründliche, unparteiische und unabhängige Untersuchung der schweren Verstöße gegen die Menschenrechte und die Freiheit der Medien anzuordnen, vor allem in Bezug auf die Vorwürfe der unverhältnismäßigen Anwendung von Gewalt durch Polizeibeamte, damit alle Verantwortlichen ermittelt und vor Gericht gestellt werden können und gegen sie die straf- oder zivilrechtlichen Sanktionen verhängt werden, die das Gesetz in solchen Fällen vorsieht;
- 6. weist die staatlichen Organe mit Nachdruck auf die Besorgnis der internationalen Gemeinschaft über die jüngsten Zwischenfälle in Georgien hin, die in keiner Weise mit den euroatlantischen Werten vereinbar sind; weist Georgien darauf hin, dass Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit die Voraussetzungen für die Integration in europäische und euroatlantische Strukturen sind;
- 7. fordert den Rat und die Kommission, die EU-Mitgliedstaaten, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), den Europarat, die NATO und die Vereinigten Staaten auf, künftig aktiver auf politische Missstände und Probleme in Georgien und dessen Nachbarschaft hinzuweisen, nicht zuletzt bei der Umsetzung des ENP-Aktionsplans; stellt fest, dass vielen Vorwürfen im Hinblick auf Verstöße gegen demokratische Verfahren und Menschenrechte in Georgien in den vergangenen Jahren nicht nachgegangen wurde; ist deshalb der Auffassung, dass eine offenere internationale Diskussion den pluralistischen öffentlichen Diskus und die demokratische Entwicklung in Georgien stärken könnte;
- 8. nimmt die Entscheidung, vorgezogene Präsidentschaftswahlen abzuhalten, zur Kenntnis und fordert die Regierung auf, dafür zu sorgen, dass alle Kandidaten während des Wahlkampfs gleichberechtigten und unparteiischen Zugang zu den Medien haben;
- 9. fordert die georgischen Staatsorgane auf, freie und faire Wahlen gemäß internationalen Standards zu gewährleisten; fordert die Regierung auf, die Gewaltenteilung im politischen System Georgiens zu respektieren, keine "Verwaltungsmittel" im Wahlkampf einzusetzen und allen Kandidaten Meinungsfreiheit zu garantieren; begrüßt das Ersuchen der georgischen Regierung, internationale Beobachter zu den Wahlen zu entsenden
- 10. fordert die georgischen Staatsorgane auf, dafür zu sorgen, dass alle Medien objektiv und gemäß internationalen journalistischen Standards berichten und dass alle Parteien und Kandidaten einen fairen und ausgewogenen Zugang sowohl zu öffentlichen als auch zu privaten Medien haben; fordert die georgischen Staatsorgane auf, dafür zu sorgen dass insbesondere Imedi TV und Radio Company ihren Sendebetrieb unverzüglich wiederaufnehmen können, und dass der Sender eine finanzielle Entschädigung für die Schäden an den Anlagen und die Zerstörung der Ausrüstung erhält
- 11. begrüßt die Änderung des Wahlgesetzes, die das georgische Parlament angenommen hat und die es den Oppositionsparteien ermöglicht, sechs Vertreter in die zentrale Wahlkommission sowie in jede Bezirkswahlkommission zu entsenden;
- 12. fordert alle politischen Kräfte in Georgien auf, bei der Erarbeitung eines Gesetzes zur Regulierung von Rundfunk und Fernsehen zusammenzuarbeiten, damit mit Hilfe europäischer Fachleute dafür gesorgt wird, dass die bestehenden Regelungen, die die Meinungsfreiheit und eine faire öffentliche Diskussion garantieren, weiter verbessert und an die europäischen Grundsätze angepasst werden;
- 13. fordert alle politischen Kräfte und die Bürgergesellschaft Georgiens auf, eine Diskussion über die Gewaltenteilung im politischen System einzuleiten, die zu einer besseren Kontrolle der Tätigkeit der Exekutive führt und eine größere Zahl an verschiedenen Meinungen in der öffentlichen Debatte über zahlreiche wichtige Fragen zulässt angefangen von den sozialen Folgen der Wirtschaftsreform und dem "russischen Faktor" in der georgischen Innenpolitik bis hin zu verschiedenen Ansätzen in den schwelenden Konflikten;
- 14. nimmt die Vorwürfe einer Verwicklung der russischen Geheimdienste in den politischen Prozess in Georgien mit Besorgnis zur Kenntnis und betont, dass im politischen Leben mehr Transparenz erforderlich ist, insbesondere in Bezug auf die Parteienfinanzierung, den Zugang zu Medien und demokratische Verhältnisse innerhalb der Parteien; weist mit Nachdruck darauf hin, dass diese Behauptungen gemäß dem innerstaatlichen Recht und der internationalen Praxis bewiesen werden müssen
- 15. fordert den Rat und die Kommission auf, eine entschlossenere Politik der EU gegenüber ihren östlichen Nachbarländern zu betreiben und dabei die Zusammenarbeit mit Russland nicht abzulehnen, sondern vielmehr - wo immer möglich - diesbezügliche Angebote zu unterbreiten; ist jedoch der Auffassung, dass die EU gleichzeitig eine striktere Haltung zu wichtigen Fragen in der Region beziehen und sich verstärkt engagieren sollte, und zwar trotz der momentan negativen Einstellung Russlands zu einem Engagement der EU in der gemeinsamen Nachbarschaft; betont, dass die russische Regierung letztlich begreifen muss, dass es nicht so sehr die geopolitische Rivalität mit der EU ist, die den russischen Einfluss in dessen Nachbarländern schmälert, sondern Russlands eigenes bedauerliches Auftreten gegenüber einigen seiner Nachbarstaaten;
- 16. bekräftigt sein Eintreten für die territoriale Integrität Georgiens und fordert den Rat und die Kommission auf, sich weiter darum zu bemühen, die Suche nach einer friedlichen und auf dem Verhandlungswege erzielten Beilegung der Konflikte in Südossetien und Abchasien zu unterstützen;
- 17. fordert den Rat und die Kommission auf, angemessen auf die Bedenken Georgiens in Bezug auf die Visaregelung einzugehen und das Verfahren der Aushandlung und des Abschlusses von Abkommen über Visaerleichterungen und Rückübernahme mit Georgien zu beschleunigen;
- 18. fordert, dass das Europäische Parlament eine Mission zur Beobachtung der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen entsendet;
- 19. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Präsidenten und dem Parlament Georgiens, dem Europarat sowie dem Präsidenten und der Staatsduma der Russischen Föderation zu übermitteln.
- 1 ABl. C 98 E vom 23.4.2004, S. 193.
- 2 ABl. C 166 E vom 7.7.2005, S. 63.
- 3 ABl. C 313 E vom 20.12.2006, S. 429.
- 4 Angenommene Texte, P6_TA(2007)0538.
- 5 ABl. L 205 vom 4.8.1999, S. 3.