Der Bundesrat hat in seiner 820. Sitzung am 10. März 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat hat vor dem Hintergrund, dass die Kommission für alle statistischen Arbeitsbereiche gesetzliche Grundlagen schaffen möchte, grundsätzlich Verständnis für die Vorlage eines Verordnungsvorschlags. Er weist darauf hin, dass die Rechtsgrundlage für den Verordnungsvorschlag - Artikel 285 Abs. 1 EGV - dem Rat die Kompetenz zum Beschluss von Maßnahmen für die Erstellung von Statistiken zuweist, wenn dies für die Durchführung der Tätigkeiten der Gemeinschaft erforderlich ist. Die Tätigkeiten der Gemeinschaft im Bildungsbereich sind in Artikel 149/150 EGV abschließend beschrieben. Ob und inwieweit für die Durchführung dieser Tätigkeiten statistische Maßnahmen erforderlich sind, muss nach Auffassung des Bundesrates auch im EU-Bildungsausschuss beraten und vom Rat (Bildung) entschieden werden. Eine Behandlung des Verordnungsvorschlags allein in der Ratsarbeitsgruppe Statistik - wie von der österreichischen Präsidentschaft auf der Sitzung des EU-Bildungsausschusses am 26. Januar 2006 angekündigt - wird vom Bundesrat nicht für ausreichend erachtet; sie erscheint allerdings in Ergänzung der Beratung im EU-Bildungsausschuss und im Bildungsministerrat als notwendig.
- 2. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Verordnungsvorschlag eng mit der weiteren Entwicklung des Europäischen Qualifikationsrahmens sowie des ECVET-Systems abgestimmt werden sollte. Außerdem darf der Verordnungsvorschlag nicht zu weiteren Belastungen von Unternehmen, statistischen Landesämtern und Bildungseinrichtungen durch die Erhebung zusätzlicher Daten führen. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auf seine in der 799. Sitzung am 14. Mai 2004 beschlossene Stellungnahme (BR-Drucksache 176/04(B) ) zu der von der Kommission vorgeschlagenen Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Statistik der betrieblichen Bildung (KOM (2004) 95 endg., Ratsdok. 6741/04), die zwischenzeitlich erlassen worden ist (Verordnung (EG) Nr. 1552/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Statistik der betrieblichen Bildung).
- 3. Der Bundesrat begrüßt, dass für die vorgesehenen statistischen Maßnahmen die Verordnung (EG) Nr. 322/97 des Rates vom 17. Februar 1997 über die Gemeinschaftsstatistiken in Gänze gelten soll. Er hält es aber für notwendig, die entsprechende Aussage aus den unverbindlichen Erwägungsgründen (Nummer 10) in den verfügenden Teil zu überführen.
- 4. Der Bundesrat weist darauf hin, dass in der o. g. Verordnung, die u. a. auch in Artikel 2 des vorliegenden Vorschlags zitiert wird, Gemeinschaftsstatistiken mit bestimmten Bedingungen verbunden sind.
Das von der Kommission vorgeschlagene Verfahren (Artikel 6 Abs. 1 i.V.m. Artikel 7 Abs. 1 und 2), sich von dem Ausschuss für das statistische Programm unterstützen zu lassen (statt Ratsbeschluss oder gegenseitiger Absprache zwischen einzelstaatlichen Stellen und Gemeinschaftsdienststelle), bedingt gemäß Artikel 6 der Verordnung (EG) Nr. 322/97 u. a., dass bei jeder vorgesehenen Einzelmaßnahme die zu erhebenden Daten bereits bei den zuständigen einzelstaatlichen Stellen verfügbar oder zugänglich bzw. - in besonderen Fällen - direkt einholbar sind, und dass die Kommission die auf nationaler Ebene entstehenden zusätzlichen Kosten der Aktion übernehmen muss.
- 5. Der Bundesrat stellt fest, dass durch den vorliegenden Verordnungsvorschlag potentiell eine Vielzahl statistischer Einzelmaßnahmen abgedeckt werden sollen für die Daten neu erhoben werden müssten. Angesichts dieser Sachlage sieht der Bundesrat zwei Gestaltungsmöglichkeiten für den Verordnungsvorschlag:
Entweder muss für alle Maßnahmen mit neu zu erhebenden Daten das Ratsverfahren gemäß Artikel 3 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 322/97 angewandt werden (z.B. durch entsprechende Ergänzung von Artikel 6 Abs. 1 und Artikel 7 des Vorschlags), oder - sofern die Kommission das Ausschussverfahren für den Gesamtbereich des Verordnungsvorschlags beibehalten will - es muss für alle in den drei Bereichen (Artikel 3) möglichen statistischen Maßnahmen ausgeschlossen werden, dass neue Erhebungen nötig werden oder zusätzliche Kosten für die Mitgliedstaaten anfallen.
- 6. Um neue Erhebungen im mitgliedstaatlichen und internationalen Interesse prinzipiell zu ermöglichen, spricht sich der Bundesrat dafür aus, in dem Verordnungsvorschlag für neue Erhebungen das Ratsverfahren zusätzlich zum Ausschussverfahren vorzusehen. Damit würde den Mitgliedstaaten Gelegenheit gegeben, über neue Erhebungen im Rat politisch mit zu entscheiden. Sollte das nicht geschehen, sind nach Auffassung des Bundesrates die in den folgenden Ziffern dargestellten Konsequenzen zu ziehen.
- 7. Die in Artikel 4 Abs. 3 des Verordnungsvorschlags vorgesehenen Pilotuntersuchungen auf freiwilliger Basis hält der Bundesrat zwar für statthaft; er wendet sich aber gegen einen Automatismus, dass nach den Pilotuntersuchungen die Datenerhebung vorgenommen wird; der Satzteil "bevor eine Datenerhebung vorgenommen wird" sollte daher gestrichen werden.
- 8. Zusätzliche Erhebungen sind z.B. auszuschließen für die Bereiche 1 und 3. Im Finanzbogen (Nummer 6.2.1) heißt es zwar, dass es sich in den Bereichen 1 und 3 um die Fortführung bestehender Erhebungen handelt, die im Anhang - Bereich 1 - des Verordnungsvorschlags genannten Erfassungsbereiche und Themen sehen jedoch auch die Erfassung von Ausgaben für alle inländischen Bildungstätigkeiten vor; insbesondere für die Erhebung der Bildungsausgaben privater Bildungseinrichtungen wäre aber eine neue Statistik oder eine Ausweitung des Fragenkatalogs der amtlichen Schulstatistik erforderlich.
- 9. Die Öffnung des Verordnungsvorschlags für zusätzliche Erhebungen im Bereich 3 lehnt der Bundesrat ab; deshalb ist im letzten Satz des Anhangs das Wort "zumeist" zu streichen. Im Übrigen ist die Überwachung der mitgliedstaatlichen Bildungspolitik durch die EU eine von Artikel 149/150 EGV nicht gedeckte Tätigkeit. Statistiken zu Überwachungszwecken im Bildungsbereich sind daher auch auf Grund der Rechtsgrundlage dieses Verordnungsvorschlags unzulässig. Deshalb ist im Anhang unter "Bereich 3" Nr. 2 Buchstabe a, b und c jeweils das Wort "Bildung" zu streichen.
- 10. Der Bundesrat bittet, die nicht formalen Lernaktivitäten nicht in die Erhebungen einzubeziehen. Die Abgrenzung der Begriffe "Bildung" anhand der weiten Definition gemäß der International Standard Classification of Education (ISCED, 1997) sowie "lebenslanges Lernen" (Artikel 2) sowie die Beschreibung der Erfassungsbereiche (Anhang: "alle inländische Bildungstätigkeiten und zwar unabhängig davon, wie sich der Erwerb der Bildung im Einzelnen vollzieht" oder "erfasst wird wenigstens die Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren") lassen vermuten, dass mit diesem Verordnungsvorschlag nicht nur Statistiken zum Bildungserwerb in formalen Bildungseinrichtungen (z.B. Kindergärten, Schulen, Hochschulen), sondern auch Statistiken zu nonformalen Bildungstätigkeiten (z.B. Nachhilfe, Hausaufgabenbetreuung, Kurse im Rahmen einer ehrenamtlichen Tätigkeit) begründet werden sollen. Sogar informelle Lernaktivitäten (z.B. Training on the job, Lesen von Fachliteratur) wären unter dieser weiten Definition fassbar. Die umfassende Erhebung nicht formaler Lernaktivitäten würde aber für die amtliche Statistik völlig neue Erhebungen mit deutlichen Kostenausweitungen erfordern.
- 11. Der Bundesrat bittet bei der Datengewinnung für den Bereich 2 um Klarstellung, wie diese mit dem AES (Adult Education Survey = EU-weit projektierte Vorhaben im Bereich der Erwachsenenbildung) und der EU-AKE (EU-Arbeitskräfteerhebung) sowie evtl. weiteren Erhebungen, wie z.B. dem Mikrozensus, abzustimmen ist.
- 12. Der Bundesrat bittet, Art und Umfang der Datenerhebungen klarer zu definieren (z.B. Stichprobe bei Bereich 2 bei der Befragung von Einzelpersonen im Alter von 25 bis 64 Jahren).
- 13. Die in Artikel 5 und im Anhang unter Bereich 2 Nr. 3 vorgesehene Übermittlung von Einzeldaten sollte alleine schon aus datenschutzrechtlichen Gründen gestrichen werden.
- 14. Die Themen der statistischen Bereiche und Einzelmaßnahmen sind nach Auffassung des Bundesrates präziser zu definieren und klar von Wirtschafts-, Beschäftigungs-, Sozial- und Kulturstatistiken abzugrenzen. Der Bundesrat hält es z.B. nicht für zweckmäßig, den Begriff "lebenslanges Lernen" in oszillierenden Bedeutungen zu verwenden - einerseits für die Totalität allen Lernens während der gesamten Lebenszeit, andererseits für Teilbereiche des Lebens (16 bis 64 Jahre) oder für bestimmte Sektoren (Lernen im Zusammenhang mit Wirtschaft, Beschäftigungspolitik, sozialer Eingliederung) und dabei die von den ISCED-Stufen umfassten Bereiche des Bildungssystems auszuklammern. Der Bundesrat weist darauf hin, dass auch erhebliche Bereiche der Fort- und Weiterbildung von Erwachsenen im ISCED-Bereich stattfinden (z.B. in Fachschulen, Abendschulen, Meisterkursen, Weiterbildung im Hochschulbereich usw.). Von daher sollte auf den Begriff "lebenslanges Lernen" in dem Verordnungsvorschlag verzichtet werden. Stattdessen sollte für den Bereich 2 der Begriff "Erwachsenenbildung" bzw. "Fort- und Weiterbildung" verwendet werden. Für den Bereich 3 sollten die jeweils zutreffenden Begriffe aus den Bereichen 1 und 2 bzw. schlicht der Begriff "Lernen" verwendet werden.