Der Bundesrat hat in seiner 820. Sitzung am 10. März 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Bemühungen der Kommission, Zollverfahren zu vereinfachen und die Sicherheit an den EU-Außengrenzen weiter zu verbessern.
- 2. Veraltete Verfahren, Arbeitsabläufe und Zollvorschriften, die für eine papiergestützte Abwicklung entwickelt wurden, schwächen den Zoll in seiner Funktion als Hauptakteur beim Grenzschutz und bei der Überwachung des internationalen Warenverkehrs. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass umfassende Neuerungen nicht durch weitere Änderungen des derzeitigen (veralteten) Zollkodexes erreicht werden können, sondern nur durch eine Generalüberholung, d.h. seine Ersetzung durch einen modernisierten Zollkodex der Gemeinschaft.
- 3. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass für die vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Vorschriften der Gemeinschaft explizit strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, keine ausreichende Kompetenzgrundlage besteht.
Insoweit bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob eine derartige Bestimmung im Rahmen einer Verordnung überhaupt zulässig ist und ob nicht ein Rechtsinstrument der "dritten Säule" vorrangig ist. Zwar hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 13. September 2005 zum Rahmenbeschluss 2003/80/JI über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht (Rs. C-176/03) festgestellt dass der Gemeinschaftsgesetzgeber Maßnahmen in Bezug auf das Strafrecht der Mitgliedstaaten auch in der ersten Säule ergreifen könne.
Voraussetzung ist jedoch, dass die Anwendung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen eine unerlässliche Maßnahme darstellt, um ein im Rahmen der ersten Säule zulässiges Ziel zu erreichen (EuGH, a.a.O., Rnr. 48). Die Kommission bleibt in dem Vorschlag jede Erläuterung dazu schuldig weshalb bei Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Bestimmungen der Gemeinschaft gerade strafrechtliche Sanktionen erforderlich sein sollen. In vielen dieser Fälle dürften Verwaltungssanktionen vielmehr ausreichend sein.
Selbst wenn dieser Nachweis gelingen sollte, so ist für eine strafrechtliche Sanktionierung jedenfalls keine ausreichende Kompetenzgrundlage der ersten Säule erkennbar. Artikel 26 EGV i. V. m. Artikel 133 EGV dürfte keine hinreichende Grundlage liefern. Zwar gewährt Artikel 26 EGV über seinen Wortlaut ("Gemeinsamer Zolltarif") hinaus gemeinsam mit Artikel 133 EGV, der zur Änderung von Zollsätzen im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik ermächtigt, eine allgemeine Zuständigkeit für sämtliche Maßnahmen im Bereich des Zolltarifrechts (Nomenklatur, Zollsätze und sonstige Tarifmaßnahmen). Strafrechtliche Maßnahmen sind jedoch auch von dieser weiten Auslegung nicht umfasst.
Als Kompetenzgrundlage dürften daher allein Artikel 135 EGV sowie Artikel 280 Abs. 4 Satz 1 EGV in Betracht kommen. Nach Artikel 135 EGV trifft der Rat im Rahmen des Geltungsbereichs des EGV Maßnahmen zum Ausbau der Zusammenarbeit im Zollwesen zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission. Gemäß Artikel 280 Abs. 4 Satz 1 EGV beschließt der Rat die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten. Im Ergebnis ist unstreitig, dass auf diese Bestimmungen Maßnahmen zur Sanktionierung der Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Zollvorschriften gestützt werden können, lediglich das Konkurrenzverhältnis beider Bestimmungen wird unterschiedlich beurteilt. Beide Bestimmungen gestatten indessen nach den in Artikel 280 Abs. 4 Satz 2 EGV bzw. Artikel 135 Satz 2 EGV enthaltenen Regelungen keine explizit strafrechtlichen Vorgaben. Danach bleiben die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten und ihre Strafrechtspflege unberührt. Diese Vorbehalte schließen nicht lediglich strafverfahrensrechtliche Maßnahmen aus, sondern auch materiellrechtliche Vorgaben, denn sie dienen der Wahrung der mitgliedstaatlichen Souveränität im Bereich des Strafrechts und sind daher nicht eng auszulegen. Diese Auffassung hat der Bundesrat bereits zu Artikel 280 Abs. 4 Satz 2 EGV mehrfach vertreten (vgl. Beschlüsse vom 19. Oktober 2001 - BR-Drucksache 657/01(Beschluss) - und vom 31. Mai 2002 - BR-Drucksache 051/02(Beschluss) -; sie gilt in gleicher Weise auch für den identisch formulierten Vorbehalt in Artikel 135 Satz 2 EGV.
Gegen die vorgesehene Bestimmung bestehen zudem erhebliche Bedenken unter den Gesichtspunkten der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Insoweit wäre nach Auffassung des Bundesrates eine Darlegung erforderlich, warum die Entscheidung darüber, welche Art der Sanktion gewählt wird, nicht den Mitgliedstaaten überlassen werden kann und weshalb ein dermaßen schwerwiegender Eingriff in die Strafgewalt der Mitgliedstaaten erforderlich ist. An einer derartigen Darlegung fehlt es indessen.
- 4. Der Bundesrat hält an seinen bereits mit Beschluss vom 17. Oktober 2003 (BR-Drucksache 592/03(Beschluss) ) vorgetragenen Bedenken zur Einführung einer 24-stündigen Voranmeldepflicht im Rahmen einer Änderung des Zollkodexes fest. Auch der modernisierte Zollkodex enthält einen Vorschlag, wonach die Zollanmeldung vor Ankunft der Waren abgegeben werden soll (Titel V Abs. 5 in der ausführlichen Erläuterung des Vorschlags, Artikel 93 Abs. 3 Buchstabe b des Verordnungsvorschlags). Die genannten Fristen würden für die deutsche Wirtschaft zu inakzeptablen Problemen im Rahmen des internationalen Warenverkehrs führen. Ferner sieht der modernisierte Zollkodex vor, die Zollbeteiligten zu verpflichten im Seeverkehr mehrfach, d.h. in jedem angelaufenen Hafen, eine neue summarische Anmeldung über die Ankunft der Waren im Zollgebiet der Gemeinschaft abzugeben. Diese Pflicht der Beteiligten zur mehrmaligen Abgabe summarischer Zollanmeldungen in Papierform vor Ankunft der Waren würde für die Wirtschaft zu einem immensen Aufwand führen und den Seeverkehr gegenüber dem Straßenverkehr nachhaltig benachteiligen. Ob und ggf. wie die Zollverwaltungen der Mitgliedstaaten mit dem vorhandenen Personal diese in Papierform vorliegenden Anmeldungen effektiv kontrollieren sollen ist nicht ersichtlich. Ohne erkennbaren Nutzen würden den Wirtschaftsteilnehmern gewaltige bürokratische Pflichten aufgebürdet.
Auch das Konzept des "zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten" lässt nicht erkennen, wie die damit verbundenen Handelserleichterungen ausgestaltet sein sollen. Im Verordnungsvorschlag ist nicht dargestellt, welche Vorteile ein "zugelassener Wirtschaftsbeteiligter" gegenüber einem Wirtschaftsteilnehmer genießt, der über diesen Status nicht verfügt (Artikel 14 ff. des Verordnungsvorschlags).
- 5. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass
- - von dem in dem Verordnungsvorschlag vorgesehenen Voranmeldeverfahren ganz Abstand genommen oder es zumindest derart ausgestaltet wird, dass es den Bedürfnissen der Wirtschaft gerecht wird,
- - die Einführung der Verpflichtung zur Abgabe der summarischen Anmeldung bis zur EU-weiten Einführung entsprechender elektronischer Zollverfahren zurückgestellt wird,
- - die Kriterien und Verfahren für die Bewilligung des Status des "zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten" transparent und einfach geregelt werden und dadurch den Unternehmen substanzielle Erleichterungen gewährt werden.
- 6. Soweit die Angaben der Wirtschaftsbeteiligten den Zollbehörden und den anderen an der Überwachung beteiligten Stellen wie Polizei, Veterinär- und Umweltschutzbehörden gemeinsam zugänglich zu machen sind, werden auch die Belange der Länder berührt, und es könnten hierfür Kosten in nicht absehbarer Höhe anfallen.
Die Bundesregierung wird gebeten, sich im Verlauf der weiteren Beratung nachdrücklich dafür einzusetzen, dass die mit dem Projekt der Datenvernetzung ("Single Window") anfallenden Kosten minimiert werden, da länderseitig hierfür keine Mittel zur Verfügung stehen.