Der Bundesrat hat in seiner 865. Sitzung am 18. Dezember 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die mit der Mitteilung vorgelegte europaweite Analyse jüngster Preisentwicklungen entlang der Lebensmittelversorgungskette und der damit gewollten Erhöhung der Transparenz.
- 2. Die Lebensmittelversorgungskette und ihre Bestandteile - Agrarsektor, Lebensmittelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel - nehmen sowohl als Wirtschaftsfaktor als auch in ihrer Funktion bei der Versorgung der Verbraucher und Verbraucherinnen mit Lebensmitteln eine wichtige Rolle ein.
- 3. Der Bundesrat stellt fest, dass die für den jüngst beobachteten Verbleib der Verbraucherpreise von Lebensmitteln auf hohem Niveau genannten Ursachen wie Marktineffizienzen und Preisstarrheiten nicht für den deutschen Markt zutreffen.
- 4. Gerade in Deutschland sind Lebensmittelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel durch einen harten Wettbewerb gekennzeichnet, der für eine preisgünstige und hochwertige Versorgung der Verbraucher und Verbraucherinnen mit Nahrungsmitteln sorgt. Dieser starke Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel sorgt regelmäßig auch für eine zeitnahe Weitergabe gestiegener oder gesunkener Rohstoffpreise. In den letzten Jahren aufgetretene Preisschwankungen widersprechen dem nicht, sondern sind Ausdruck marktwirtschaftlicher Reaktionen auf nationale und internationale Angebots- und Nachfrageschwankungen.
- 5. Die bestehenden Instrumente des deutschen und europäischen Wettbewerbsrechts waren und sind geeignet, Wettbewerbsverzerrungen und Machtungleichgewichten innerhalb der Lebensmittelversorgungskette wirksam entgegenzuwirken. Eine Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen ist sicherlich möglich, sollte aber nach Auffassung des Bundesrates nicht sektoral erfolgen und sich auf jeden Fall an den marktwirtschaftlichen Grundprinzipien der Vertragsfreiheit und der freien Preisbildung orientieren.
- 6. Verschiedene der von der Kommission in ihrer Mitteilung vorgeschlagenen Maßnahmen geben nach Ansicht des Bundesrates Anlass zu der Besorgnis, dass Eingriffe geplant sind, die mit diesen marktwirtschaftlichen Grundprinzipien nicht vereinbar und auch nicht dazu geeignet sind, die Wettbewerbsverhältnisse zu verbessern. Darüber hinaus wären sie mit erheblichem zusätzlichen bürokratischen Aufwand gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen verbunden. Hierzu zählen insbesondere die Vorschläge der Kommission hinsichtlich des Austausches von Informationen über Vertragspraktiken, die Vorgabe von Standardverträgen, die europaweite Überwachung der Lebensmittelpreise und die Einrichtung von staatlichen Preisvergleichsdiensten für den Einzelhandel.
- 7. Der Bundesrat teilt daher nicht die Auffassung, dass eine Aufhebung der restriktiven Niederlassungsvorschriften zielführend ist. So ist das in Deutschland vorherrschende niedrige Preisniveau für Lebensmittel maßgeblich auf die Wettbewerbsintensität auf der Einzelhandelsstufe zurückzuführen. Dies wird wiederum ganz entscheidend durch einen Verkaufsflächenüberhang sowie den Marktanteil bzw. die Dominanz preisaggressiver Vertriebsformen des Lebensmitteleinzelhandels beeinflusst.
- 8. Der Bundesrat befürchtet vielmehr, dass mit einer weiteren Steigerung der Wettbewerbsintensität, etwa durch neue zusätzliche Verkaufsflächen, der verstärkte Preisdruck an die Vorlieferanten weitergegeben und so deren Existenz gefährden würde. Die in Deutschland zeitweise auftretenden Preisangebote nahe dem Einstandspreis sind Indizien für diese teilweise existenzbedrohende Wettbewerbssituation. Ziel sollte es deshalb sein, die Rahmenbedingungen und die Marktposition der Anbieterseite (Erzeuger- und Verarbeitungskette) in der Wertschöpfungskette nachhaltig zu stärken.
- 9. Der Bundesrat bittet, bei den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene sicherzustellen, dass im Hinblick auf die von der Kommission in Erwägung gezogene Einführung neuer Statistiken zur Verbesserung der Preistransparenz der Lebensmittelversorgungskette keine Bürokratie- und Verwaltungslasten aufgebaut werden. Der Bundesrat hält auch eine generelle staatliche Preisüberwachung für ordnungspolitisch nicht vertretbar.
- 10. Daher bittet der Bundesrat die Bundesregierung bei der Kommission darauf hinzuwirken, die vorgeschlagenen Maßnahmen einer grundlegenden Überprüfung bezüglich ihrer Notwendigkeit und Geeignetheit zu unterziehen.