Antrag der Länder Hessen, Saarland
Entschließung des Bundesrates zur verpflichtenden Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen

Der Hessische Ministerpräsident Wiesbaden, den 10. November 2006

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Harald Ringstorff

Sehr geehrter Herr Präsident,

die Hessische Landesregierung und die Regierung des Saarlandes haben beschlossen dem Bundesrat die anliegende


mit dem Antrag zuzuleiten, die Entschließung zu fassen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 24. November 2006 aufzunehmen und eine sofortige Sachentscheidung herbeizuführen.


Mit freundlichen Grüßen
Roland Koch

Entschließung des Bundesrates zur verpflichtenden Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf,

Begründung:

I.

Mit Beschluss vom 19.05.2006 (BR-Drs. 056/06(B) HTML PDF ) hat der Bundesrat darauf hingewiesen dass Kinder eine positive und ihnen zugewandte Lebenswelt brauchen, in der sie gesund aufwachsen können und vor Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellem Missbrauch geschützt sind. Viele Kinder kommen jedoch immer noch nicht in den Genuss dieser eigentlich selbstverständlichen Rahmenbedingungen.

Die jüngsten in der Öffentlichkeit diskutierten schrecklichen Fälle von Vernachlässigung und Misshandlung wie auch die von der Fachwelt berichteten Befunde zeigen erneut die Dringlichkeit des Problems.

II.

Eine am Kindeswohl orientierte Pflege und Erziehung ist nicht nur das natürliche Recht der Eltern, sondern nach Art. 6 GG auch die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Dem Staat kommt eine Wächterfunktion zu, die es gebietet, sich schützend vor das Kind zu stellen und Fällen von Kindesvernachlässigung, -misshandlung und - missbrauch wirksam vorzubeugen, auch wenn dies mit Eingriffen in das elterliche Erziehungsrecht verbunden ist. Es gibt kein Elternrecht auf Vernachlässigung von Kindern.

III.

Ein Kernproblem beim Kampf gegen Kindesvernachlässigung, -misshandlung und - missbrauch besteht in der Schwierigkeit, rechtzeitig Anhaltspunkte für Verdachtsfälle zu erkennen. Wie der Bundesrat mit Beschluss vom 19.05.2006 (BR-Drs. 056/06(B) HTML PDF festgestellt hat, stellt die Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen im Bereich des Gesundheitswesens eine wichtige Möglichkeit dar, Gefährdungen der körperlichen psychischen und geistigen Entwicklung von Kindern frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.

Der Bundesrat hat deshalb u.a. ein verbindliches Einladungswesen gefordert und die Bundesregierung aufgefordert, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Teilnahme aller Kinder unabhängig von ihrem Versichertenstatus zu prüfen.

Das Saarland und Hessen haben sich darüber hinaus schon im Vorfeld des o.g. Bundesratsbeschlusses für die Einführung einer Pflicht zur Teilnahme an Kindervorsorgeuntersuchungen eingesetzt.

Zwar wird die ganz überwiegende Zahl der Kinder schon auf freiwilliger Basis der Früherkennungsuntersuchung zugeführt. Allerdings besteht die Gefahr, dass gerade Kinder aus Familien mit erhöhtem Risiko von Vernachlässigung oder Misshandlung diese Termine nicht wahrnehmen. Auch geht die Inanspruchnahme seit einigen Jahren insgesamt und mit fortgeschrittenem Alter deutlich zurück.

Der bisher bestehende Grundsatz der Freiwilligkeit vermag nicht auszuschließen, dass gerade Kinder aus sogenannten Risikofamilien unter Umständen jahrelang keinen Arzt aufsuchen, der Misshandlungen und Vernachlässigung ebenso erkennen könnte wie z.B. Sprach- oder Entwicklungsstörungen.

Daher ist eine gesetzliche Teilnahmeverpflichtung geboten, über deren Einhaltung die zuständigen Sozialbehörden zu wachen haben. Dabei kann auch nicht zwischen gesetzlich versicherten und anderen Kindern unterschieden werden, denn alle Kinder benötigen den gleichen Schutz.

Um sicherzustellen, dass die zuständigen Behörden eingreifen können, wenn Kinder nicht zur Vorsorgeuntersuchung gebracht werden, muss der hierfür erforderliche Datenaustausch zwischen den beteiligten Stellen geregelt werden. Hierbei ist eine bundesgesetzliche Regelung des Datenaustauschs erforderlich, um zu vermeiden, dass Kinder aufgrund einer Verlegung des Wohnsitzes in ein anderes Bundesland der staatlichen Kontrolle über die Teilnahme entgehen.

Angesichts der Tatsache, dass die Bundesregierung die bisherigen Vorschläge der Länder noch nicht aufgegriffen hat und eine Verbesserung des bundesrechtlichen Instrumentariums weiterhin aussteht, erscheint es notwendig, die Forderungen des o.a. Beschlusses zu bekräftigen und in einem zentralen Punkt zu vertiefen.

IV.

Die in diesem Beschluss enthaltenen Forderungen beschränken sich auf einen Bereich, in dem es dringend der Schaffung gesetzlicher Grundlagen auf Bundesebene bedarf. Gleichwohl sind sie Teil einer Gesamtstrategie, in deren Rahmen es weiterer Anstrengungen auf Bundes- und Landesebene zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch bedarf. Insofern kommt einer Überarbeitung der Früherkennungsrichtlinien, aber auch der Förderung und dem Ausbau von sozialen Netzwerkstrukturen große Bedeutung zu.