Der Bundesrat hat in seiner 841. Sitzung am 15. Februar 2008 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat erkennt das Weißbuch als Grundlage für eine Diskussion gesundheitspolitischer Themen auf der Ebene der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft an. Er sieht dieses als einen Beitrag an, um Bereiche für eine gesundheitspolitische Zusammenarbeit mit europäischem Mehrwert zu definieren.
- 2. Er hält eine Zusammenführung der vielfältigen gesundheitspolitischen Aktivitäten der EU durch das Weißbuch grundsätzlich für sinnvoll. Der Bundesrat begrüßt die Identifizierung insbesondere der Gesundheitsbranche als Wirtschafts- und Wachstumsfaktor sowie der Geriatrie und Telematik als Handlungsfelder der Zukunft.
- 3. Der Bundesrat hebt für eventuell auf Gemeinschaftsebene durchzuführende Maßnahmen hervor, dass die Zuständigkeit für den Schutz und die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung bei den Mitgliedstaaten liegt. Er fordert daher, die geplanten Maßnahmen strikt auf Bereiche zu begrenzen, in denen die Gemeinschaft die Politik der Mitgliedstaaten ergänzt.
- 4. Der Bundesrat sieht vor diesem Hintergrund mit Sorge, dass das Weißbuch auf Grund eines umfassenden Ansatzes letztlich für sich in Anspruch nimmt, im Rahmen der gesundheitspolitischen Strategie alle gesundheitsrelevanten Themen zu bearbeiten. Soweit die Gemeinschaft auf diesem Wege die ihr vertraglich zugewiesenen, stark begrenzten Zuständigkeiten für Angelegenheiten der medizinischen Versorgung durch Auslegung und Interpretation nahezu in eine Allgemeinzuständigkeit der EU für diesen Sektor überführen will, überschreitet sie ihre vertraglichen Befugnisse; dem tritt der Bundesrat mit Entschiedenheit entgegen.
- 5. Der Bundesrat weiß um die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihre nationale Gesundheitspolitik und ihre entsprechenden Programme im Benehmen mit der Kommission zu koordinieren; diese Verpflichtung wird im vorgesehenen Vertrag über die Arbeitsweise der EU noch deutlicher betont. Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten kann in gesundheitsrelevanten Gebieten vermehrt erforderlich werden, so zum Beispiel bei der Prävention größerer Gesundheitsgefahren wie Pandemien oder Bioterrorismus, der Patientenmobilität (Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen im Ausland) und der Freizügigkeit der Beschäftigten im Gesundheitswesen.
- 6. Der Bundesrat unterstützt das Anliegen, Gesundheitsaspekte in allen Politikbereichen stärker zu berücksichtigen. Er lehnt allerdings in diesem Zusammenhang den Einsatz neuer Folgenabschätzungs- und Bewertungsinstrumente ab, da dies den Bestrebungen eines wirksamen Bürokratieabbaus zuwiderlaufen würde. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang an die Ratsschlussfolgerungen zum Weißbuch vom 6. Dezember 2007, mit denen die Kommission aufgefordert wird, unter Wahrung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten Optionen für einen umfassenden und effektiven Umsetzungsmechanismus auszuarbeiten, der die bestehenden Strukturen strafft und vereinfacht, so dass sich ein konkreter zusätzlicher Nutzen für die Mitgliedstaaten ergibt.
- 7. Der Bundesrat sieht es als erforderlich an, die konkrete Ausgestaltung des von der Kommission vorgeschlagenen "Mechanismus der strukturierten Zusammenarbeit auf EG-Ebene", der in seiner Struktur deutliche Züge einer Offenen Methode der Koordinierung (OMK) trägt, kritisch zu begleiten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die eventuelle Einführung regelmäßiger Statistiken mit ihrer kosten- wie verwaltungsmäßigen Dauerbelastung der Mitgliedstaaten. Doppelarbeit zur bestehenden OMK im Bereich Gesundheit und Langzeitpflege wie auch zum Lissabon-Prozess und der Nachhaltigkeitsstrategie muss vermieden werden.
- 8. Der Bundesrat verweist darauf, dass Deutschland bereits über ein funktionierendes System der Gesundheitsstatistik verfügt. Insbesondere die Gesundheitsberichterstattung des Bundes liefert eine Fülle von Hintergrunddaten und Kennziffern. Der Bundesrat lehnt daher neue statistische Belastungen wie auch mehr Bürokratie durch zusätzliche Dokumentations- und Berichtspflichten ab.
- 9. Der Bundesrat erachtet es als erforderlich, bei der Schaffung eines kohärenten Rahmens für gesundheitspolitische Aktivitäten die Möglichkeit zu nutzen, über inhaltliche Fragestellungen hinaus auch hinsichtlich der bestehenden Gremien mehr Kohärenz zu schaffen. Derzeit bestehen zahlreiche Gremien, deren Mandate sich zum Teil kaum voneinander abgrenzen lassen. Durch eine Neuordnung und klarere Aufteilung könnten Entscheidungs- und Konsultationsprozesse transparenter gestaltet, könnte Doppelarbeit vermieden und könnten Ressourcen der Gemeinschaft und Mitgliedstaaten effektiver eingesetzt und Synergieeffekte nutzbar gemacht werden.
- 10. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass es zu Überschneidungen mit den Regeln zur Lebensmittelsicherheit kommen könnte, sofern zum "Ziel 2: Schutz der Bürger vor Gesundheitsgefahren" außerhalb des Lebensmittelrechts Vorgaben formuliert werden. Der Bundesrat bittet, bei der Ausgestaltung der Strategien darauf zu achten, dass solche Überschneidungen vermieden werden, um Reibungsverluste bei der Umsetzung zu verhindern.
- 11. Der Bundesrat stellt fest, dass entgegen seiner Forderung vom 3. November 2006, vgl. BR-Drucksache 434/06(B) , sowie vom 9. November 2007, vgl. BR-Drucksache 390/07(B) , dem Weißbuch ein ausführliches Arbeitspapier sowie eine Folgenabschätzung lediglich in englischer Sprache beigefügt sind. Diese Dokumente sind für das Verständnis und die Bewertung des Weißbuchs jedoch unerlässlich, so dass durch ihr Fehlen auch in anderen Sprachen die politische Debatte in den Gremien der Mitgliedstaaten, der Regionen sowie in der Öffentlichkeit beeinträchtigt wird. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass die Entscheidung über die Übersetzung eines Dokuments schematisch aufgrund rein formaler Kriterien getroffen wird, ohne die jeweilige Bedeutung in Betracht zu ziehen.
- 12. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.