Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 118503 - vom 23. Oktober 2006. Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 28. September 2006 angenommen.
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf Artikel 6 des EU-Vertrags und Artikel 63 des EG-Vertrags,
- - unter Hinweis auf Artikel 42 des EU-Vertrags,
- - unter Hinweis auf das Programm von Tampere von 1999 und das Haager Programm von 2004 für einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts,
- - unter Hinweis auf die Tagung des Rates Justiz und Inneres vom 20. bis 22. September 2006 in Tampere,
- - unter Hinweis auf die laufenden Gespräche über den Finanzrahmen einschließlich des Europäischen Flüchtlingsfonds und des Europäischen Rückführungsfonds,
- - unter Hinweis auf seine Entschließung vom 6. April 2006 zur Situation der Flüchtlinge in Malta1,
- - unter Hinweis auf seine Entschließung vom 14. April 2005 zu Lampedusa2,
- - gestützt auf Artikel 103 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Europäische Union auch sieben Jahre nach der Annahme des Programms von Tampere noch nicht über eine kohärente Einwanderungspolitik verfügt und insbesondere keine Politik zur legalen Einwanderung und keine Rückführungspolitik aufzuweisen hat,
B. in der Erwägung, dass das gemeinsame europäische Asylsystem auf einer Reihe von Regelungen basiert, in deren Rahmen für keinen beteiligten Mitgliedstaat Ausnahmen möglich sein sollten,
C. unter Hinweis darauf, dass in mehreren Mitgliedstaaten an den südlichen Außengrenzen der Europäischen Union eine humanitäre Notlage eingetreten ist, da Tausende von Migranten im Mittelmeer umgekommen sind und es einen massiven Zustrom von Einwanderern gegeben hat, insbesondere im Sommer des Jahres 2006,
D. unter Hinweis auf die euroafrikanische Ministerkonferenz über Einwanderung und Entwicklung vom 10. und 11. Juli 2006 in Rabat, zu deren Abschluss eine Erklärung und ein Aktionsplan verabschiedet wurden,
E. in der Erwägung, dass die Halbzeitüberprüfung des Haager Programms zum Ende dieses Jahres abgeschlossen sein wird,
F. in der Erwägung, dass die illegale Einwanderung zur Ausbeutung von Menschen und zu Zwangsarbeit führen kann,
G. in der Erwägung, dass das Grünbuch der Kommission über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration (KOM (2004) 0811) Folgendes vorhersagt: "Legt man die gegenwärtigen Einwandererzahlen zugrunde, wird aufgrund des Rückgangs der Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter in der EU-25 zwischen 2010 und 2030 die Beschäftigtenzahl um rund 20 Millionen abnehmen", und: "Vor diesem Hintergrund könnte der Bedarf des EU-Arbeitsmarkts künftig - und in steigendem Maße - nur durch eine kontinuierlichere Einwanderung gedeckt werden ... . Eine regelmäßige Einwanderung ist zunehmend auch zur Sicherung des Wohlstands in Europa vonnöten."
- 1. betont, dass eine verstärkte Einwanderung ein globales Phänomen mit zahlreichen Ursachen und Wirkungen darstellt und eine ausgewogene, globale und kohärente Vorgehensweise erfordert;
- 2. ist sich der Tatsache bewusst, dass die Asylregelungen in Ermangelung legaler Einwanderungskanäle als Instrument juristischer Klärung zunehmend unter Druck geraten sind;
- 3. erkennt das menschliche Drama und die Schwierigkeiten an, mit denen eine Reihe von Mitgliedstaaten bei der Bewältigung der sehr starken Einwanderungsströme in den vergangenen Jahren konfrontiert wurden; weist dabei insbesondere auf die Probleme hin die durch die beunruhigend große Anzahl Minderjähriger bei den jüngsten Ankünften von Einwanderern hervorgerufen wurden;
- 4. bedauert die sehr beträchtlichen humanitären Kosten, insbesondere die Todesopfer unter den Einwanderern;
- 5. ist der festen Überzeugung, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen gemäß den gemeinschafts- und völkerrechtlichen Bestimmungen im Hinblick auf Asylbewerber und Einwanderer nachkommen müssen;
- 6. vertritt die Ansicht, dass die Europäische Union kein Ort ist, an dem Menschen zu Zwangsarbeit benutzt werden dürfen, und die Mitgliedstaaten deshalb sicherstellen müssen dass es keine solchen Praktiken gibt;
- 7. fordert nachdrücklich, dass die Mitgliedstaaten den Zugang zu Asylverfahren gewährleisten und die Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG3 kohärent und konsequent anwenden und dass Asylanträge rasch und effizient bearbeitet werden;
- 8. betont, dass ein umfassender Ansatz im Bereich der Einwanderung die auslösenden Faktoren nicht außer Acht lassen darf, die die Menschen erst dazu veranlassen, ihr Land zu verlassen, dass echte Möglichkeiten für eine legale Einwanderung in die Europäische Union sowie klare Entwicklungs- und Investitionspläne in den Herkunfts- und Transitländern notwendig sind, und zwar einschließlich Handels- und Agrarpolitiken, die die wirtschaftlichen Möglichkeiten fördern, nicht zuletzt, um die massive Abwanderung von Fachkompetenz zu verhindern;
- 9. erinnert daran, dass eine kohärente europäische Einwanderungspolitik mit einer Integrationspolitik einhergehen muss, die unter anderem eine regelgerechte Integration auf dem Arbeitsmarkt, das Recht auf Bildung und Weiterbildung, den Zugang zu den Sozialdiensten und den Gesundheitsdiensten sowie die Beteiligung von Einwanderern am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben ermöglicht;
- 10. bekräftigt, dass jeder Beschluss über eine Lockerung von Einwanderungsbestimmungen in einem Mitgliedstaat zu entsprechenden Auswirkungen auf die Lage in anderen Mitgliedstaaten führt und dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, im Geiste einer loyalen Zusammenarbeit die übrigen Mitgliedstaaten in Bezug auf Maßnahmen zu konsultieren und zu unterrichten, die Auswirkungen auf die Einwanderungssituation haben können, wie dies in seinem Standpunkt zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Einrichtung eines Verfahrens zur gegenseitigen Information über asyl- und einwanderungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten vom 6. Juli 20064 festgehalten ist;
- 11. fordert ein Partnerschaftskonzept mit den Herkunfts- und Transitländern, um zu gewährleisten dass sie eine aktive Rolle bei der Unterstützung der Bewältigung des Einwanderungsstroms spielen, der illegalen Einwanderung Einhalt gebieten und wirksame Informationskampagnen über die Bedingungen in den Aufnahmeländern der Europäischen Union einschließlich der Kriterien für die Asylgewährung durchführen;
- 12. ist der Meinung, dass die Teilung der Verantwortung und der finanziellen Belastung zwischen den Mitgliedstaaten ein wesentlicher Bestandteil der EU-Einwanderungspolitik sowie des gemeinsamen europäischen Asylsystems sein muss;
- 13. fordert eine größere Rolle für die Europäische Union beim Umgang mit humanitären Notsituationen im Zusammenhang mit Migrationsströmen und Asylbewerbern;
- 14. ist daher der Ansicht, dass den Ländern Zugang zur technischen Hilfe und den Mitteln gewährt werden sollte, die im Rahmen des Programms ARGO, des Europäischen Flüchtlingsfonds, des Europäischen Fonds für Außengrenzen, des Europäischen Integrationsfonds und des Europäischen Rückführungsfonds für den Zeitraum 072013 bereitgestellt werden;
- 15. fordert, dass für nichtstaatliche Organisationen, die vor Ort die dringend erforderliche Nothilfe leisten, zusätzliche Mittel bereitgestellt werden;
- 16. vertritt die Ansicht, dass massive Einwanderungsströme das Ergebnis fehlgeschlagener Volkswirtschaften, der Verarmung der Bevölkerung, von Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung, einer zunehmenden Kluft zwischen reichen und armen Ländern, von Bürgerkriegen, von Kriegen zur Kontrolle natürlicher Ressourcen, von politischer Verfolgung, politischer Instabilität, von Korruption und Diktaturen in zahlreichen Herkunftsländern sind;
- 17. fordert die Kommission auf, so schnell wie möglich die Schaffung eines Notfonds zur Finanzierung von "Experten-Unterstützungsteams" zur Bereitstellung praktischer Hilfe bei der Aufnahme an den Grenzen und zur Bewältigung humanitärer Krisen in den Mitgliedstaaten vorzuschlagen und in die neuen Mittel für den Zeitraum 2007-2013 einen Notfallmechanismus einzubauen, der in Notsituationen eine finanzielle Unterstützung ermöglicht;
- 18. dringt darauf, dass die Mitgliedstaaten den Zugang zum Asylverfahren ermöglichen, die Bestimmungen der Richtlinie 2005/85/EG5 in konsequenter und rigoroser Weise anwenden und gewährleisten, dass Asylanträge rasch und effizient bearbeitet werden;
- 19. erkennt die Notwendigkeit an, eine gerechte EU-Rückführungsrichtlinie anzunehmen, und fordert den Rat auf, seine Bemühungen um deren Annahme zu verstärken; nimmt gleichzeitig zur Kenntnis, dass der Rat sieben Jahre nach dem Europäischen Rat von Tampere und trotz wiederholter Forderungen des Parlaments nicht in der Lage war, eine gemeinsame Einwanderungspolitik festzulegen, und stattdessen die Einstimmigkeit und das Konsultationsverfahren für alle Fragen im Zusammenhang mit der legalen Einwanderung beibehalten hat;
- 20. fordert die Mitgliedstaaten mit Nachdruck auf, ihre Zusammenarbeit im Rahmen von FRONTEX zu intensivieren und die Aufgaben dieser Agentur besser zu definieren;
- 21. ist jedoch der Ansicht, dass Grenzkontrollen und Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Einwanderung nur ein Aspekt der EU-Politik gegenüber Drittländern sein können denen gegenüber eine aktive Entwicklungspolitik für die Herkunfts- und Transitländer mit Blick auf die Minimierung der nachteiligen Auswirkungen der Auswanderung verfolgt werden sollte;
- 22. weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten in Ermangelung einer gemeinsamen Einwanderungspolitik der Europäischen Union unterschiedliche Konzepte zur Lösung des Problems Hunderttausender illegaler Einwanderer verfolgen, die illegal und ohne jeglichen sozialen Schutz beschäftigt werden; ist jedoch der Ansicht, dass die Massenregularisierung illegaler Einwanderer langfristig keine Lösung darstellt, da eine solche Maßnahme die wirklich zugrunde liegenden Probleme nicht löst;
- 23. betont, dass alle Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung und Verstärkung der Kontrollen an den Außengrenzen, auch wenn sie in Zusammenarbeit mit Drittländern erfolgen, mit den Garantien und den Grundrechten des Einzelnen vereinbar sein müssen, wie sie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten festgelegt sind, insbesondere mit dem Recht auf Asyl und dem Recht auf Nichtrückführung;
- 24. warnt vor den Gefahren einer Externalisierung der Verwaltung der Außengrenzen der Europäischen Union und fordert eine bessere Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern, die vor allem auf der Achtung der Grundrechte, insbesondere des Rechts auf Asyl und des Rechts auf Nichtrückführung, sowie auf den gemeinsamen Interessen der Europäischen Union und der Herkunfts- und Transitländer beruht;
- 25. ist der Auffassung, dass die Europäische Union einen horizontalen Ansatz verfolgen sollte ist der Auffassung, dass die Einwanderungspolitik nicht nur die Partnerschaft mit Drittländern, die Sicherung der Außengrenzen zur Bekämpfung des Menschenhandels sowie eine gerechte Rückführungspolitik umfassen sollte, sondern gleichzeitig Möglichkeiten der legalen Einwanderung schaffen, die Integration der Migranten in die Gesellschaft des Gastlandes fördern und die Entwicklung der Herkunftsländer ermöglichen sollte, damit die zu Grunde liegenden Ursachen der Migration angegangen werden;
- 26. fordert die Kommission eindringlich auf, im Hinblick auf die Änderung der Verordnung (EG) Nr. 343/20036 ("Dublin II") so schnell wie möglich tätig zu werden und dabei den Grundsatz dieser Verordnung in Frage zu stellen, nämlich, dass es sich bei dem Mitgliedstaat, der für die Behandlung des Asylantrags zuständig ist, um das erste Land handelt, in das die Asylbewerber einreisen, was den im Süden und im Osten der Europäischen Union gelegenen Ländern eine unerträgliche Last aufbürdet, und einen gerechten Mechanismus für eine gemeinsame Verantwortung der Mitgliedstaaten einzuführen
- 27. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.
1 Angenommene Texte, P6_TA(2006)0136.
2 ABl. C 33 E vom 9.2.2006, S. 598.
3 ABl. L 31 vom 6.2.2003, S. 18.
4 Angenommene Texte, P6_TA(2006)0313.
5 ABl. L 326 vom 13.12.2005, S. 13.
6 ABl. L 50 vom 25.2.2003, S. 1.